Der „Wahre Finnen-Rechtspopulismus“

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Von Michael Lausberg. Erschienen in DISS-Journal 23 (2012), 18-20

Die Perussuomalaiset (Wahren Finnen) sind eine rechtspopulistische Partei in Finnland, die vor allem durch einen unerwarteten hohen Stimmenanteil bei den finnischen Parlamentswahlen 2011 von sich reden machte. Der Name der Partei, die Wahren Finnen, besagt, dass deren Politik sich auf eine wie auch immer geartete „finnische Identität“ beruht. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass sie die anderen Parteien in Finnland als „unwahre Finnen“ ansehen, die keine „nationale Identität“ verkörpern. Dieses selbst gegebene Alleinstellungsmerkmal, die „wahren“ Finnen zu sein, dient vordergründig dazu, sich von den anderen Parteien abzuheben.

Die Wahren Finnen konstituierten sich 1995 aus der rechten Splitterpartei „Suomen maaseundun puolue“ (SMP). ((www.derstandard.at/1303291133999/Abgeordneter-der-Wahren-Finnen-haelt-an-rechtsextremen-Thesen-fest.html (22.5.2012) )) Von Anfang an verstanden sich die Wahren Finnen als Oppositionspartei gegen die hegemonialen bürgerlichen Parteien und als Interessensvertreter der „kleinen Leute“. In ihrem Wahlprogramm rücken sie die Interessen der unteren Klassen und der Mittelschicht in den Mittelpunkt. Sie versprechen Steuersenkungen für die Mittelschicht, Kürzungen bei den Subventionen für größere Unternehmen und die Einführung einer Vermögenssteuer. ((www.perussuomalaiset.fi/ (deutsche Übersetzung/Programme) )) Die „Nähe zu den Menschen“ und eine Reduzierung der politischen Entscheidungskompetenz innerhalb des politischen Establishments wird angestrebt.

Die Wahren Finnen grenzen sich aus taktischen Gründen vom historischen Nationalsozialismus und dem meist subkulturell operierenden Neonazismus ab. Finnland kämpfte im 2. Weltkrieg an der Seite des nationalsozialistischen Deutschlands. Das Selbstverständnis des Landes lag nach 1945 darin, sich gegen jegliche Form von Faschismus (und auch Kommunismus) abzugrenzen und eine liberale Gesellschaftsform aufzubauen. Deshalb war jeder positive Bezug auf nationalsozialistische Ideologien in der Nachkriegsgeschichte besonders für Parteien schwer vermittelbar. Wenn rechte Parteien oder Organisationen bei Wahlen eine Chance haben wollten, war eine formale öffentlichkeitswirksame Distanzierung vom Neonazismus notwendig.

In den 1990er Jahren entstand eine starke neonazistische Szene in Finnland, die internationale Kontakte pflegte wie z.B. die finnische Sektion der Hammerskins oder Blood & Honour. ((Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bildeten sich Gruppen wie der Vaterländische Volksbund (IKL), der die „Bedrohung finnischer Werte“ durch russische Einwanderung propagierte, und die arische Bruderschaft Vaino Kuisma, die nationalsozialistische Ideologeme propagierte. In den 1990er Jahren gab es mehrere hundert rechte Skinheads in den Städten Helsinki, Turku, Tampere, Lahti, Oulu und Pori. Am 12.11.1992 zerstörten Skinheads in Turku die Fenster der jüdischen Synagoge. In Tampere und Helsinki griffen Neonazis regelmäßig Flüchtlingsunterkünfte an. Italienische Restaurants in Turku, Kuusamo und Jyväskylä wurden mit Brandbomben angegriffen.)) Diese Bewegung flachte dann im Laufe der Jahre ab, so dass in der Gegenwart nur noch wenige neonazistische Gruppierungen existieren. Im subkulturellen Milieu des National-Socialist-Black-Metal (NSBM), der Elemente aus dem Nationalsozialismus mit heidnischem Götterglauben kombiniert, ist der Neonazismus stark vertreten. Über die Musik wird ein neonazistisches Weltbild transportiert, das vor allem Jugendliche ansprechen soll. Die beiden finnischen Neonazibands „Satanic Warmaster“ und „Horna“ traten schon bei Black-Metal-Konzerten in der BRD auf.

Ideologie

Gemäß der Theorie des Ethnopluralismus ((Der Ethnopluralismus geht von der Unvergleichlichkeit und Unantastbarkeit der verschiedenen Kulturen aus, die feste determinierte Wesenheiten darstellen. Die Völker werden als „Schicksalsgemeinschaften begriffen, als Wesenheiten mit eigener Persönlichkeit, die sich im Laufe der Geschichte geprägt und eine spezifische Kultur“ (de Benoist, A.: Aufstand der Kulturen, Berlin 2000, 13) hervorgebracht haben. Ein Volk, das sich dauerhaft mit anderen Kulturen „mische“, würde langfristig sterben.)) des rechten französischen Publizisten Alain de Benoist gehen die Wahren Finnen davon aus, dass die Menschen „von Natur aus in verschiedene Kulturen aufgeteilt“ seien und eine „Mischung“ dieser Kulturen verhindert werden muss. ((www.perussuomalaiset.fi/ (deutsche Übersetzung/Programme) )) In diesem Sinne wendet sich die Partei gegen eine multikulturelle Gesellschaft und will die „nationale Identität“ verteidigen. Henrik Holappa, Mitglied der Wahren Finnen, schrieb in der neonazistischen Deutschen Stimme (DS):

„Multikultur ist grundsätzlich ein Überfremdungsprogramm, propagiert von einer im Verhältnis kleinen Gruppe der im Besitz der medialen und politischen Machtmittel befindlichen Meinungsmacher und Entscheidungsträger. Multikultur wird von dieser in ganz Europa vernetzten und operierenden Gruppe (…) der großen Mehrheit in den Völkern gegen deren Willen aufgezwungen. Dies geschieht mit einer die multikulturellen Negativseiten verschweigenden, einseitigen multikulturellen Propaganda.“ (DS 2/2006, 6)

Die Wahren Finnen verfolgen eine Verschärfung des Asylrechts. Immigranten, die nachweislich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen könnten, sollten nach Finnland einreisen dürfen. ((Ebd.)) Flüchtlingen wird die Solidarität verweigert. Migranten, die gegen das Gesetz verstoßen, sollen sofort ausgewiesen werden. Die Vergabe der finnischen Staatsbürgerschaft an Migranten soll als „Belohnung“ betrachtet werden und nicht einfach zu bekommen sein. In den Schulen wird eine „maximale Quote“ von Schülern mit Migrationshintergrund angestrebt. Die Entwicklungshilfe soll gekürzt werden und das Geld „den Interessen des finnischen Volkes“ zugutekommen. Außerdem wurde die Abschaffung des Schwedischen als verpflichtende Fremdsprache gefordert. Der Vorsitzende der Wahren Finnen, Timo Soini, bezeichnete die aus seiner Sicht großzügige schwedische Einwanderungspolitik als abschreckendes Beispiel. Der Abgeordnete Jussi Halla-Aho favorisierte die Politik der rechten Dänischen Volkspartei als Vorbild. ((www.derstandard.at/1303291133999/Abgeordneter-der-Wahren-Finnen-haelt-an-rechtsextremen-Thesen-fest.html (22.5.2012) )) Als Mehrheitsbeschaffer einer liberal-konservativen Regierung war es der Dänischen Volkspartei mehr als 10 Jahre lang gelungen, ihre rassistischen Thesen in der Bevölkerung zu verankern und eine äußerst restriktive Migrationspolitik durchzusetzen. Sie attackierte dabei besonders die multikulturelle Gesellschaft und „den“ Islam, den sie als monolithischen Block verstand. Sie wollte das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Raum, Gebetsräume für muslimische Mitarbeiter in dänischen Firmen und Halal-Fleisch in Kindergärten verbieten lassen. ((Rydgren, J.: Vom Wohlfahrtschauvinismus zur ideologisch begründeten Fremdenfeindlichkeit. Rechtspopulismus in Schweden und Dänemark, in: Decker, F. (Hrsg.): Populismus in Europa, Wiesbaden 2006, S. 165-190)) Die Forderung nach einer am dänischen Vorbild orientierten rigiden Zuwanderungspolitik hinterließ im Wahlkampf für das finnische Parlament ihre Spuren. Der Spitzenkandidat der konservativen Sammlungspartei, Jyrki Karainen, übernahm aus Angst, Stimmen an die Wahren Finnen zu verlieren, Teile ihres Wahlprogramms und forderte eine Begrenzung der Zuwanderung. ((www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,757618,00.html (22.5.2012) )) Dass dies lediglich hysterische Stimmungsmache darstellt, beweisen statistische Daten, nach denen gerade mal drei Prozent ausländische Staatsangehörige in Finnland leben. ((Ebd.))

Rassistische Beschimpfungen von Migranten sind bei den Wahren Finnen keine Seltenheit. Henrik Holappa sprach von „afrikanischen oder sonstigen ungebetenen Eindringlingen“, die „unser Finnland mit einer hierzulande nicht gekannten Kriminalität überziehen.“ (Deutsche Stimme 2/2006, 6) Der Abgeordnete der Wahren Finnen, Jussi Halla-Aho, unterstellte somalischen Flüchtlingen eine „kulturelle und möglicherweise genetische Neigung zu Taschendiebstahl und Sozialbetrug.“ ((www.derstandard.at/1303291133999/Abgeordneter-der-Wahren-Finnen-haelt-an-rechtsextremen-Thesen-fest.html (22.5.2012) )) Die Wahren Finnen sprechen sich auch gegen eine EU-Osterweiterung und den Beitritt der Türkei aus. Antiislamischer Rassismus hat innerhalb der Partei seinen festen Platz. Halla-Aho brachte 2009 den Propheten Mohammed in einen direkten Zusammenhang mit Pädophilie. ((Ebd.)) Deshalb wurde er von einem Gericht in Helsinki zu einer geringen Geldstrafe verurteilt.

Weiterhin fordert die Partei die Erhaltung der allgemeinen Wehrpflicht und eine Kulturpolitik, von der „pseudokünstlerische Postmodernisten“ ausgeschlossen werden sollten. ((www.perussuomalaiset.fi (deutsche Übersetzung/Programme) )) Sie lehnt die Ehe von homosexuell orientierten Menschen ab und wendet sich gegen die Abtreibung.

Der Antikommunismus ist ein weiterer wichtiger Grundsatz der Partei. Dabei stützen sich die Wahren Finnen vor allem auf die negativen historischen Erfahrungen Finnlands mit der Sowjetunion. ((Nach dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschlands auf die Sowjetunion beteiligte sich Finnland an deutscher Seite am Russlandfeldzug. Ab dem 22.6.1941 führte dies zu sowjetischen Bombenangriffen auf finnische Städte. 1944 schloss Finnland mit der Sowjetunion einen separaten Waffenstillstand. In der Zeit des Kalten Krieges gab es Versuche seitens der Sowjetunion, Finnland in das System der Warschauer-Pakt-Staaten zu integrieren, was jedoch an Finnlands außenpolitischem Neutralitätswillen scheiterte.)) Henrik Holappa führte aus:

„Uns Finnen prägt gerade diese Bedrohung durch Stalin und den blutigsten Teil unserer Geschichte und des Kampfes unseres finnischen Volkes um den Erhalt seiner Freiheit.“ (Deutsche Stimme 2/2006, 6)

Wahlerfolge

Bei den Parlamentswahlen 2003 konnten die Wahren Finnen lediglich drei Abgeordnete in den finnischen Reichstag entsenden, vier Jahre später waren es sieben. ((Dies ist aufgrund der Tatsache möglich, dass es dort keine Fünfprozenthürde gibt.)) Dies änderte sich schlagartig, als die Wahren Finnen bei den Parlamentswahlen 2011  mit 19% der Stimmen drittstärkste Fraktion wurden und 39 Sitze erhielten. ((Größte Fraktion wurde mit 20,4% die konservative Partei (Kok) mit ihrem Spitzenkandidaten Jyrki Karainen. Jutta Urpilainen, Vorsitzende der Sozialdemokraten (SDP), wurde mit 19,1% zweitstärkste Kraft.))

Dieser Erfolg wurde vor allem an der Person ihres Vorsitzenden Timo Soini festgemacht. Er rief im Vorfeld der Wahl dazu auf, die Wahl zu einem Referendum gegen Stützungskredite für finanziell angeschlagene EU-Staaten wie Portugal, Griechenland oder Irland zu machen. ((www.zeit.de/2011/16/Wahre-Finnen (22.5.2012) )) Für ihn sei es nicht hinnehmbar, dass Finnland „für die Fehler anderer“ bezahle:

„Warum sollte Finnland irgendjemanden auslösen? Wir werden nicht zulassen, daß finnische Kühe von fremden Händen gemolken werden.“ (Zuerst. Deutsches Nachrichtenmagazin 6/2011, 45)

Der Aktivist Erkki Havanski erklärte:

„Hier in den nordischen Nationen, unterscheiden wir uns sehr stark zwischen den anständigen, hart arbeitenden Ländern des Nordens und den leichtfertigen Staaten des Südens. Als wir unsere eigene Rezession 1991-1994 erlebten, haben wir sehr gelitten, aber unsere Probleme selbst gelöst. Wir wenden uns sehr stark gegen eine Finanzspritze.“ (Ebd.)

Die Wahren Finnen plädierten für einen Austritt aus der EU und die Wiedereinführung der ursprünglichen Währung Finnmark. Sie sprachen sich für eine Abspaltung von finanziell angeschlagenen EU-Staaten aus. In einem Kommentar für das Wall Street Journal bezeichnete Soini Staaten wie Griechenland oder Portugal als „Geschwür“ und folgerte:

„Europe ist suffing from the economic gangrene of insolvency – both public and private. Unless we amputate that which cannot be saved, we risk poisoning the whole body.“ ((The Wall Street Journal vom 9.5.2011))

Soini hält die EU für ein undemokratisches Gremium:  “Sie ist wie eine Sowjetunion für Reiche. Die EU hat ein ähnlich einbetoniertes Machtgeflecht. Schließlich wird nicht mal die Kommission demokratisch gewählt.“ (Zuerst. Deutsches Nachrichtenmagazin 6/2011, 46)

Soini spricht sich auch gegen einen NATO-Beitritt Finnlands aus, da dies die finnische außenpolitische Souveränität beschneiden würde. Dieses von Soini vertretene „Bild eines nationalromantischen Finnland ohne europäische Allianzen“ ((www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,757618,00.html (22.5.2012) )) war neben seiner Selbstinszenierung als Anwalt der „kleinen Leute“ für den Wahlerfolg der Wahren Finnen verantwortlich. Ein weiterer Grund seines Erfolges lag auch in der Politikverdrossenheit in Teilen der Bevölkerung. Aufgrund von Spendenskandalen in den vergangenen Jahren war das Vertrauen in die etablierten Parteien mehr als gestört. Die Leiterin des Finnland-Instituts in Berlin, Abba-Maija Mertens, bewertete den Wahlerfolg der Wahren Finnen auch als Ausdruck des Protestes gegen die herrschende Politikerklasse. ((www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/wahre-finnen-gewinnen (22.5.2012) )) Die Wähler der Wahren Finnen waren überdurchschnittlich männlich, auf dem Land lebend, mit geringer formaler Bildung und von Haus aus eher konservativ orientiert. Dass der Wahlerfolg der Wahren Finnen keine einmalige Sache blieb, der ausschließlich mit dem Prostest gegen die EU erklärbar war, zeigte sich ein Jahr später, als Soini bei der Kandidatur für das Amt des finnischen Präsidenten 9,4% der Stimmen erreichte. ((www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,757618,00.html (22.5.2012) ))

Nach den überraschend hohen Zustimmungsraten für die Wahren Finnen wurde Soini wenig überraschend in rechten deutschen Publikationsorganen gefeiert. In ihrem Kommentar schrieb die JF-Redakteurin Anni Mursula:

„Nicht nur, daß er (Soini, M.L.) das seit Jahrzehnten von Zentrumspartei, Sozialdemokraten und konservativer Sammlungspartei dominierte finnische Parteiensystem über Nacht erdrutschartig verändert hat, er besiegelte auch das Ende einer politischen Ära. (…) Nahezu alle Parteien in Finnland haben mit der Wahl erkannt, daß sich die EU-Politik nicht ohne das Volk oder gar gegen dessen ausdrücklichen Willen machen läßt. (Junge Freiheit 17/2011, 2)

Ihr Kollege Michael Paulwitz sah in Soinis Wahlerfolg ein Vorbild für die BRD:

„Soini hat dem Zorn der finnischen Steuerzahler über Euro-Rettungspakete und griechisch-portugiesische Kreditbettelei eine Stimme gegeben und damit die etablierten Durchwinker aus ihrem beschaulichen Konsens-Kartell vertrieben. (…) Wer rätselt, warum es ausgerechnet hierzulande mit einer Partei für die ‚Wahren Deutschen‘ nicht klappen will, muß künftig auch nach Helsinki schauen.“ (Junge Freiheit 17/2011, 3)

In dem rechten Nachrichtenmagazin Zuerst hieß es:

„Jetzt scheint es tatsächlich einer der viel geschmähten ,Rechtspopulisten‘ in der Hand zu haben, den Eurokraten in die Suppe zu spucken, und sein Land zurück zu mehr Selbstbestimmung und traditionellen Werten zu führen.“ (Zuerst. Deutsches Nachrichtenmagazin 6/2011, 45)

All dies zeigt: Die Wahren Finnen sind keine reine Protestpartei, die bald wieder in der Versenkung verschwinden wird. Ob die Partei in den nächsten Jahren weitere Wahlerfolge feiern kann, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es gelingt, den rechten Parolen eine zivilgesellschaftliche und antirassistisch orientierte politische Kultur entgegenzusetzen. Sonst droht eine Situation wie in Dänemark oder Norwegen, wo die Dänische Volkspartei bzw. die Fortschrittspartei mit zweistelligen Wählerstimmen eine Konstante der politischen Landschaft geworden sind, was einen „Rechtsruck“ zur Folge hatte.