„Das hat doch nichts mit uns zu tun!“

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Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien. Von Ekaterina Jadtschenko, Marc Jacobsen und Regina Wamper. Erschienen in DISS-Journal 22 (2011).

Zweifellos war die Berichterstattung über die Anschläge in Norwegen für die journalistische Zunft eine große Herausforderung. Der Druck, Nachrichten zu produzieren, wissen zu müssen, was warum passiert und das am besten, bevor es jemand anders weiß, hat hier sicherlich großen Einfluss auf die anfänglichen Deutungen der Tat als „islamistische Terroranschläge“ gehabt. Und so schnell ein Ereignis bewertet werden muss, so schnell ist es auch wieder vergessen – nur Wochen nach den verheerenden Anschlägen.

Regina Wamper / Ekaterina  Jadtschenko / Marc Jacobsen (Hg.)
„Das hat doch nichts mit uns zu tun!“ Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien
edition DISS Band 30
Münster: Unrast
ISBN 978-3-89771-759-6
178 S., 18 Euro
erscheint im November 2011im Unrast-Verlag

Für uns waren die Berichte zu den norwegischen Anschlägen Anlass, die Wirkmächtigkeit herrschender Deutungsmuster zu analysieren. ((Diese Analysen sind in Band 30 der edition DISS nachzulesen, der von Regina Wamper, Ekaterina Jadtschenko und Marc Jacobsen unter dem Titel: „Das hat doch nichts mit uns zu tun!“ Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien herausgegeben wird. Das Buch erscheint im November 2011 im Unrast-Verlag Münster.)) Denn diese Deutungsmuster sind es, die es uns plausibel erscheinen lassen, dass Terroranschläge etwas mit dem Islam zu tun haben müssen. Sie geben vor, dass extreme Rechte nicht vernetzt agieren und / oder dass Rassismus sich durch Steuerung und Begrenzung von Migration zurückdrängen ließe. Und die diskursiven Effekte dieser Deutungsmuster sind es schließlich, die Rassismus reproduzieren, rechte Gewalt verharmlosen, Feindbilder und Bedrohungsgefühle aufbauen oder verstärken.

Das alles sind natürlich keine genialen Erfindungen der Medien oder gar einzelner JournalistInnen. Auch diese bewegen sich innerhalb gesellschaftlich dominanter Diskurse, ihr Wissen ist diskursiv vermittelt. Problematisch wird es dort, wo Objektivität als Grundlage von Berichterstattung behauptet wird. Denn dass es diese nicht gibt, hat uns die Berichterstattung zu den norwegischen Anschlägen wieder einmal gezeigt.

Alle Zeitungen arbeiteten mit Externalisierungen des Täters und der Tat. Publikationsorgane, die sich der „politischen Mitte“ zuordnen, verlagerten den Täter in die politische Rechte. Die politische Rechte wiederum wies Breivik entweder zurück zur Mitte, rechnete ihn dem je anderen Spektrum innerhalb der extremen Rechten zu oder vermutete Verschwörungen. Konservative sahen ihn als aus dem sozialdemokratischen Idyll erwachsen, Linksliberale stellten Nähen zum Konservatismus her. „Das hat doch nichts mit uns zu tun!“ auf diese Formel lässt sich die Argumentationsstrategie bringen. Während zu Recht konstatiert wird, dass Breivik sich in rechten Milieus bewegt hat und offenkundig deren Ideologien vertritt, wird eine Auseinandersetzung mit zentralen Aussagen in Breiviks Ideologie im je eigenen politischen Spektrum abgewehrt. Mit der eigenen Berichterstattung haben diese Überzeugungen nichts zu tun, allenfalls mit der der anderen.

Aus Breiviks schriftlichen Erklärungen fanden nur einzelne Ideologiefragmente mediale Aufmerksamkeit. Bedauerlich still blieb es beispielsweise um Breiviks Frontstellung gegen die Linke und um seinen Hass auf die sogenannte „political correctness“. Dabei wurde eben diese Argumentationsfigur quer durch die deutsche Medienlandschaft zuvor während der von Sarrazin angeheizten Integrationsdebatte bedient.

Diese Debatte und der in ihr auflodernde antimuslimische Rassismus hatten zweifellos etwas zu tun mit der anfänglichen Deutung der Ereignisse als „islamistischer Terrorismus“. Nach seiner Festnahme wurde Beivik zum „Antiislamisten“, seine Anschläge wurden als Reaktion auf „muslimischen Extremismus“ und als gegen „Islamismus“ gerichtet gewertet.

Auf diese Weise werden Schuldumkehrdiskurse bedient. Breivik richtete sich aber nicht gegen „Islamismus“, seine Anschläge waren keine Reaktion auf „muslimischen Extremismus“. Breiviks Rassismus richtet sich gegen Muslime und Muslima allgemein, denen freilich gemeinsame Eigenschaften zugeschrieben werden. So funktioniert Rassismus. Die Rede vom „Antiislamismus“ hingegen suggeriert, dass Rassismus etwas zu tun habe mit dem Verhalten der von ihm Betroffenen. Diese Figur hat in Deutschland allerdings Tradition. Anfang der 1990er hat man Flüchtlingen eine Mitschuld an rassistischen Pogromen wie denen von Rostock-Lichtenhagen, Hünxe und Hoyerswerda gegeben. Die Änderung des Asylrechtes sollte dementsprechend vorgeblich für ein Ende von rassistischen Morden sorgen. Doch gebrannt hat es weiterhin, berichtet wurde darüber allerdings nur noch selten. Auch während der Berichterstattung über Norwegen wurden rassistische Topoi bedient und die Ursächlichkeit für Rassismus vielfach in der Migration und bei den MigrantInnen gesucht.

Des Weiteren wurde in den Zeitungen eine Innen/Außen-Dichotomie vermittelt, über die die Anschläge als von Innen kommend beschrieben wurden, entgegen „islamistischen“ Anschlägen, die von Außen kämen. Dies suggeriert, dass der Islam in all seinen Facetten nicht zum Innen, zu „uns“ gehört. „Islamismus“ wird damit zu einem Problem, das in europäischen Gesellschaften nicht existiert, ganz als ob es keine europäischen Muslime und Muslima gäbe.
Stattdessen wurde das Feindbild Islam auch nach Bekanntwerden der Motive des Täters aufrechterhalten. Manche Zeitungen gingen gar Breiviks Thesen von einer Islamisierung Europas nach und untersuchten den Islam und dessen Einfluss in Norwegen. Damit ließen sie sich auf die Gedankenwelt des Täters ein.

Während „Islamismus“ weiterhin als weltumspannende Gefahr galt, wurden Breiviks Motive nicht in internationale vernetzte Kontexte eingebettet und nur selten von Terrorismus gesprochen. Während „Islamismus“ mit internationalen Netzwerken assoziiert wird, eine Gefahr der Vielen sei, wurde Breivik zum irren Einzeltäter. ((Dass sich diese Sichtweise auch auf die Wahrnehmung von Kriminalität auswirkt, ist in einer Untersuchung des DISS bereits 1998 analysiert worden. Vgl. Margret Jäger / Gabriele Cleve / Ina Ruth / Siegfried Jäger (1998): Von deutschen Einzeltätern und ausländischen Banden. Medien und Straftaten, Münster: Unrast-Verlag.)) Beim „islamistischen Terror“ werden andere Deutungsmuster bemüht: Handelt es sich um „islamistische“ Täter, dann scheint es irrelevant zu sein, ob sie als Teile einer Organisation handeln oder „auf eigene Faust“. Anders im Fall Breivik: Er wird automatisch als Einzeltäter gesehen.

Auch die Einzeltäterthese bei rechten Anschlägen hat Kontinuität. Ob nun beim Anschlag auf das Oktoberfest von 1980, ob bei den Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte Anfang der 1990er Jahre, als vernetzt galten extrem Rechte nicht, gleich ob sie in Parteien oder Kameradschaften organisiert sind oder waren. Während zudem „Islamismus“ als politische Motivation, als politische Feindbestimmung verstanden wird, wurden Breiviks Motive in den Bereich des Pathologischen gerückt. So mussten seine Ansichten keiner grundsätzlichen Kritik unterzogen werden. Es ging um die Abwehr der eigenen Verantwortung für die entsprechenden Diskurse. Denn wenn Breivik schlicht verrückt ist, können Nationalismus, Rassismus, Antifeminismus auch weiterhin ohne Bedenken ihren publizistischen Ausdruck finden.

Es bleibt festzuhalten, dass rassistische Implikationen in Islam- und Migrationsdiskursen so „renitent“ sind, dass dieses Ereignis nicht bewirkte, diese grundlegend zu hinterfragen. Interessant ist aber nicht nur, was in den Zeitungen gesagt wurde, was also sagbar war, sondern auch, was nicht sagbar war. Breiviks Antimarxismus und Antifeminismus spielten eine deutlich untergeordnete Rolle.

Nicht nur in extrem rechten Medien waren einige AutorInnen besorgt, die eigene ‚Meinungsfreiheit‘ könne in Zukunft mit Verweis auf Breiviks Taten eingeschränkt werden. ‚Meinungsfreiheit‘ meint hier, aus einer privilegierten Perspektive weiterhin ungeniert rassistische Aussagen tätigen und abwertend über Muslime und Muslima sprechen zu können. ‚Meinungsfreiheit‘ meint hier zudem immer die eigene individuelle Freiheit. Nicht gefordert wird, dass auch diejenigen diskursive Partizipationsmöglichkeiten haben sollen, über die abwertend gesprochen wird, denen keine Stimme zukommt. Es wird eine Trennung von Sprechen und Handeln angenommen. Diese Trennung allerdings gilt nur für das Eigene. Bei der als feindlich konstruierten Gegenseite wird ein Zusammenhang allerdings von Sprechen und Handeln konstatiert. Hass-Prediger gibt es auf der eigenen Seite nicht. Diese heißen dann: Mutige Tabubrecher und Verteidiger der Meinungsfreiheit. Dem Islam kommt in dieser Weltsicht Hate-Speech zu, dem Westen Free-Speech. Die Rede von der eigenen Meinungsfreiheit ist in dominanten Diskursen dazu geeignet, Rassismus sagbar zu machen: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen.“ Dass auch über Medien vermittelte Diskurse subjektivieren, Weltsichten prägen, Subjekte produzieren, das weist man im „Westen“ von sich.

An diese Deutungsmuster schlossen sich in einigen Medien Diskussionen um Schuld und Mitverantwortung an. Aber auch hier wurde selten das eigene kritisiert. Mitschuld tragen die Rechten, die an den Rändern. Hegemonialer Rassismus spielte eine untergeordnete Rolle, von der sogenannten Sarrazindebatte war kaum die Rede.

Dass sich die extreme Rechte von Politically Incorrect bis zur NPD im Aufwind sieht, ist bei diesen Diskurskonstellationen kein Wunder. Die erste Befürchtung der Rechten, rassistische Aussagen in Zukunft nicht mehr ganz so ungeniert äußern zu dürfen, wich nach dem ersten Schreck oft bald einer Radikalisierung und einem trotzigen: „Jetzt erst Recht!“ Und auch in der extremen Rechten proklamierte man: „Das hat doch nichts mit uns zu tun!“ Für die einen ist Breivik allzu Israel-freundlich, die anderen hingegen lehnen seine offene Militanz ab, die sie als Ausdruck von Wahnsinn begreifen, vor dem sie selbst gefeit seien.

Trotz solcher ernüchternder Resultate der Analysen bleibt zu hoffen, dass die Anschläge in Norwegen zumindest langfristig den diskursiven Kontext verrücken konnten. Dass also Rassismus, die rassistische Konstruktion des Islam als Feindbild, dass ausgrenzende und menschenfeindliche Aussagen, dass rechte Positionen ‚nach Oslo’ nicht mehr so leichtfertig hervorgebracht werden können.