Eine Rezension von Niels Spilker. Erschienen in DISS-Journal 19 (2010) Anknüpfend an das Spätwerk Foucaults beschreibt Felix Silomon-Pflug die neoliberale Reorganisation des Bildungssystems als Transformation einer Regierungsweise. Am Beispiel der aktuellen hessischen Hochschulpolitik, mit speziellem Blick auf die Universität Frankfurt a.M., beschreibt er bildungspolitische Diskurse und Praxisfelder, die auf die Lenkung, Kontrolle und Normalisierung von Subjekten zielen. Der hierbei sichtbar werdende Umbau von machtvermittelten Interventionsformen verlegt Führungskapazitaten von staatlichen Apparaten und Instanzen gezielt auf marktbasierte Steuerungsinstrumente und umsichtige Subjekte, die lebenslang lernen (und vergessen). Die Untersuchung hat nach einer gut lesbaren Einführung in Foucaults Vorlesungen zur Gouvernementalität die Form einer Bestandsaufnahme. Die Darstellung ist durch die Beschränkung auf Reformprojekte hessischer Hochschulpolitik recht kompakt und enthält dabei eine Fülle an Details. Universitäten werden demnach nicht mehr verwaltet, sondern gemanagt. Sie werden dadurch, so der…
Eine Rezension von Siegfried Jäger. Erschienen in DISS-Journal 19 (2010) Varianten Kritischer Diskursanalyse bestimmen zunehmend auch die kulturwissenschaftliche Diskussion in Polen. ((Vgl. dazu auch den Überblick von Lukasz Kumiega in DISS-Journal 18 (2010), 30f. (http://www.diss-duisburg.de/2009/12/zwischen-linguistik-und-soziologie/) )) In dem vorliegenden Band werden dazu 23 Texte, teils in englischer, teils in deutscher Sprache versammelt, die 2008 auf einer internationalen Konferenz in Warschau referiert worden sind. Die Beiträgerinnen stammen überwiegend aus Polen, aber auch aus Deutschland, Österreich, Italien, Griechenland, Spanien, Australien und Kanada. Das knapp 1 Kilogramm schwere und 610 Seiten lange Buch eignet sich nicht für die Lektüre im Liegen, sondern zwingt die Leserin, sich an den Schreibtisch zu setzen und Seite um Seite sorgfältig und behutsam umzuwenden. Der Rezensent, dem nur begrenzter Platz zur Verfügung steht, sieht sich darüber hinaus genötigt, eine gedankliche Auswahl…
Außergesetzliche Anwendungsregeln als diskursive Praktiken im Wechselverhältnis zwischen Kriminalisierungsdiskursen und Strafrechtsanwendung. Eine Rezension von Rolf van Raden. Erschienen in DISS-Journal 19 (2010) Wer über Kriminalität spricht, sollte über Prozesse der Kriminalisierung sprechen – diese konstruktivistische Perspektive machen kritische Kriminologinnen seit dem Ende der 1960er Jahre stark. Dabei stoßen sie nicht immer auf Gegenliebe. Gleichwohl ist die Vorstellung, dass Kriminalität nicht etwa per se existiert, sondern durch ein komplexes Netz von gesellschaftlichen Zuschreibungs- und Aushandlungsprozessen erst entsteht, heute in weiten Teilen der Kriminologie akzeptiert. In Folge dessen sind Forschungsprogramme entstanden, die nicht primär den kriminellen Täter, sondern die Institutionen der Justiz und Strafverfolgungsbehörden im Blick haben. Die Methoden sind dabei vielfältig, mitunter wird der Kriminologie gar theoretischer Eklektizismus vorgeworfen. In seiner Dissertation „Diskurs und Kriminalität“ schickt sich Tobias Singelnstein nun an, den Methodenkanon der…
Diskursanalysen zur Dramatisierung von Migration. Eine Rezension von Siegfried Jäger. Erschienen in DISS-Journal 19 (2010) Auch Studierende können forschen! Wenn man sie lässt und wenn sie gut beraten und gefordert werden. Dies war der Fall in einem von Werner Köster geleiteten Kompaktseminar an der Universität Duisburg/Essen, dessen Ergebnisse, angereichert durch einige Gastvorträge, in dem hier anzuzeigenden Buch vorgelegt worden sind. Peter Fuchs unterzieht den Begriff „Integration“ einer systemtheoretischen Reflexion und zeigt, dass das Begriffspaar „Integration“ vs. „Parallelgesellschaft“ der Logik asymmetrischer Gegenbegriffe (im Sinne R. Kosellecks) gehorcht. „Integration“ ist demnach alles andere als eine Pottersche Zauberformel. Jana Gantenberg u.a. untersuchen die Verwendung von „Parallelgesellschaft“ in ausgewählten Printmedien nach den methodischen Regeln der Kritischen Diskursanalyse. Sie weisen nach, dass der Begriff „Parallelgesellschaft“ zum Schlagwort verkommt und absolut nicht dazu geeignet ist, den Dialog mit Muslimen…
Interview mit Thomas Gebauer von medico international. Erschienen in DISS-Journal 19 (2010) DISS-Journal: Was ist medico-international? Welche Ziele verfolgen Sie mit dieser Initiative? Thomas Gebauer: medico ist eine sozialmedizinische Hilfs- und Menschenrechtsorganisation, die 1968 als Reaktion auf die Verheerungen der Kriege in Vietnam und Biafra gegründet wurde. Aus der eher spontanen Initiative Frankfurter Bürgerinnen und Bürger entwickelte sich mit den Jahren eine feste Einrichtung, die heute in bald 30 Ländern tätig ist und in ihrer Zentrale derzeit 28 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Die Hilfe, die medico leistet, ist mehr als die Bereitstellung von Hilfsgütern. Wir verstehen unsere Arbeit als Teil eines umfassenden sozialen Handelns, das auf die Verwirklichung des Rechts auf Zugang zu Gesundheit zielt. Gemeinsam mit unseren Partner in Afrika, Asien und Lateinamerika treten wir für die Schaffung von Lebensverhältnissen ein, die…
Interview zum Manifest für ein anderes Europa ((http://www.diss-duisburg.de/2010/12/leben-in-vielfalt/)) mit Teun A. van Dijk (Barcelona), Mitglied von Forum Europa und prominenter Vertreter einer Critical Discourse Analysis (CDA). Erschienen in DISS-Journal 19 (2010) DISS: Teun, Du bist einer der Initiatorinnen des Manifests für ein anderes Europa. Mich erinnert diese Initiative an die teilweise durchaus gelungenen Aufrufe des „Club of Rome“. Worin unterscheidet sich Euer Anliegen davon, inhaltlich und politisch? Teun A. van Dijk: Das Manifest ist ein Ergebnis der Diskussion einer Gruppe von Leuten, die sich Forum Europa nennt und von Pep Subirós (Barcelona) angeführt wird. ((Pep Subirós, Schriftsteller und Philosoph und ehemaliger Professor an der Universitat Autonoma de Barcelona.)) Der größte Teil des Textes wurde von Ash Amin (Durham, UK) formuliert und enthält zudem Beiträge einiger weiterer Autorinnen. Auf unserer Webseite, die zurzeit noch…
Für eine Politik der Hoffnung ohne Angst. Ein Manifest für ein anderes Europa. ((Übersetzung: Siegfried Jäger, Iris Tonks, Robert Tonks)) Erschienen in DISS-Journal 19 (2010) Europa ist in Aufruhr. Und man sagt uns, dass wir uns sorgen müssten – um unsere Sicherheit, unsere Kultur, unsere Arbeitsplätze, unsere Freiheiten, unseren komfortablen Alltag, unsere Zukunft. Man sagt uns, dass es keine Alternative gibt – zum Verlust der Sicherheit der Arbeitsplätze, zur Kürzung der Einkommen und zu verlängerter Lebensarbeitszeit, zur Verwandlung unserer Nachbarschaften, unserer Städte und unserer Länder zu umzäunten Lagern, die uns vor angeblichen Feinden schützen sollen – den Einwanderinnen, den Armen, den kulturell, religiös und ethnisch anderen. Ist dies der Weg nach vorn in einem Europa, das schon Heimat für Millionen Menschen unterschiedlicher Herkunft, mancherlei religiösen und kulturellen Einstellungen und mancherlei grenzüberschreitenden Verbindungen ist?…
Von Eckart Spoo. Erschienen in DISS-Journal 19 (2010) Nahezu 100.000 Bundeswehr-Soldaten waren in den vergangenen elf Jahren im Kosovo eingesetzt, jeweils für einige Monate. Was wissen wir darüber? Die Medien berichten fast nichts. In der „tageszeitung“ war einmal zu lesen: „Gefahr und Langeweile: so läßt sich die Realität im Camp am kürzesten umschreiben. Die Bundeswehr bietet den Soldaten Abwechslung, damit die Zahl der Selbstmorde in der Truppe nicht noch weiter steigt.“ Interessant. Aber die „taz“- LeserInnen erfuhren nur indirekt davon, denn der Artikel war kein Bericht aus dem Kosovo, sondern handelte von einem dort gedrehten Film ohne Breitenwirkung. Ende März 2010 wurde das deutsche Medienpublikum ein wenig an diesen Bundeswehreinsatz erinnert, als Minister zu Guttenberg der Truppe im Kosovo einen Kurzbesuch abstattete und sich dabei von Journalisten begleiten ließ. Er nannte den Einsatz…
Unser Appell wird täglich aktueller! ((Gemeint ist der Appell: Heraus aus der Sackgasse in Afghanistan. http://www.diss-duisburg.de/2010/12/heraus-aus-der-sackgasse-in-afghanistan/)) Von Jürgen Link. Erschienen in DISS-Journal 19 (2010) Nicht bloß Merkel und Guttenberg, auch Gabriel und Trittin (sowie ihre willigen Abstimmer) hatten es sich so schön gedacht: Wir erzählen was von „Ausbildung“ und „Exit-Strategie“, und das „Thema“ kommt dann wieder aus den Schlagzeilen, so dass „unsere Soldatinnen und Soldaten“ ihren schmutzigen Krieg wieder „normal“ abgeschottet von der Öffentlichkeit weiterführen können. Aber „das Thema“ tut ihnen den Gefallen nicht: Es geht einfach nicht raus aus den Schlagzeilen. Und dabei bestätigen sich einer nach dem anderen jene Punkte, die den Appell „Heraus aus der Sackgasse in Afghanistan“ spezifisch von anderen Appellen unterscheiden. Was sind diese spezifischen Punkte? Zuerst einmal beschränkt sich der Appell nicht einfach auf Forderungen wie „Kein…
Ein Appell. Erschienen in DISS-Journal 19 (2010) Warum ist es nicht nur das Beste, sondern das schlechthin Notwendige, dass die Bundeswehr umgehend und vollständig aus Afghanistan abzieht? Weil die anfangs und seither gegenüber der Öffentlichkeit für diesen Krieg angeführten Diskursblasen sämtlich längst geplatzt sind und weil die hinter der Diskursblase von der „gewachsenen deutschen Verantwortung“ verheimlichten tatsächlichen Argumente fatal sind: Die Diskursblasen von Demokratie, Frauenemanzipation, Wohlstand durch Bundeswehreinsätze nehmen ihre Erfinder selbst seit langem nicht mehr ernst. „Unsere Sicherheit am Hindukusch? Die Terrorquelle schließen? “ Offensichtlich wurde sie durch diese Kriegführung erst richtig geöffnet. Also die „gewachsene deutsche Verantwortung“: „Wir dürfen uns nicht drücken“ usw. Dahinter steckt ein ganz und gar irrationaler und angesichts der deutschen Geschichte fataler Anspruch auf einen Platz unter den führenden Weltmächten. Deutschland ist nach seiner Bevölkerungszahl augenblicklich das…