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Vielstimmige Konsensrhetorik, börsenreife Unis

Zwei sehr lesenswerte Bücher zum Macht-Wissen-Komplex  und zur Rationalität im neoliberalen Bildungssystem. Eine Sammelrezension von Niels Spilker. Erschienen in DISS-Journal 20 (2010)

Im Rahmen einer studentischen Aktionswoche am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin waren im Sommer die Professorin Tanja Börzel und der Emeriti Elmar Altvater zum Streitgespräch geladen: „Graduiertenschulen, Exzellenzinis und neue Wege in der Bildung. Cui bono?“ Ein Streit hätte dieser Veranstaltung sicher gut getan, wollte aber nicht entstehen. Tanja Börzel betonte vielmehr Gemeinsamkeiten, indem sie bspw. – für einige nicht unüberraschend – die marxistische Gesellschaftskritik lobte. Die strukturelle Abhängigkeit von WissenschaftlerInnen gegenüber ihren Geldgebern schien kurzzeitig eine Kontroverse zu eröffnen. Eine Brotgelehrte zu sein, deren geistiger Horizont kein Quäntchen weiter reiche als derjenige der Geldgeber, ((Vgl. die Abschiedsvorlesung von Elmar Altvater am Otto-Suhr-Institut auf http://www.osi-club.de.)) wies Tanja Börzel empört von sich. Schließlich kämen die Drittmittel ihrer Projekte von EU und DFG, welche sich ja bekanntlich einzig an Leitbildern wie Qualität und Innovation orientieren. Eine interessante Sichtweise auf hochgradig vermachtete Auswahlverfahren.

Diese Anekdote ist ein Hinweis auf die Konsensrhetorik, die Jens Maeße als zentrale Tendenz des aktuellen bildungspolitischen Feldes analysiert (2010: 155f.). Seit etwa Anfang der 1990er Jahre hat sich Maeße folgend die „Bildungsreform“ als ein hegemoniales Schlagwort etabliert, dem sich kein Akteur ohne weiteres entziehen kann. Neu ist hierbei, dass sich die politischen Lager tendenziell auflösen: Waren Reformforderungen hier zunächst ein Feld linker und liberaler Akteure, bestreitet nun niemand mehr ihre Dringlichkeit. Die Rhetorik der sich politisch gegenüberstehenden Lager wird verdrängt durch eine Konsensrhetorik um die Schlagworte Wettbewerb, Innovation und Qualität. Diese Konsensform besteht in den Worten von Maeße darin, „dass alle Akteure im Konflikt die gleichen Instanzen herbeizitieren, um ihre Position als legitim zu markieren. Dadurch wird das Politische zurückgenommen und in den Modus einer ‚Sachauseinandersetzung‘ überführt.“(ebd.: 160). Der Konsens wird so zur Ressource einer neoliberalen Gouvernementalität, indem er Handlungsfelder strukturiert. Jens Maeße untersucht das heterogene Gebilde ‚Bologna‘ als diskursive Formation. Er beschreibt zunächst den diskursiven Kontext sowie die Anordnung von Aussagen im Äußerungsfeld und interpretiert seine Ergebnisse im Anschluss an die Hegemonietheorie von Laclau/Moufe. Zentraler Effekt „technokratischer Konsenspolitik“ ist für ihn, dass politische Verantwortung für Bologna sowie Implikationen der Transformation unsichtbar werden. Die Aussagen im Diskurs werden strategisch um eine Problemstellung angeordnet, die immer „bereits getroffene“ Entscheidungen zur Voraussetzung hat. Maeßes Studie des vielstimmigen Bologna-Prozesses ist insgesamt eine theoretisch voraussetzungsvolle und dabei absolut lohnende und inspirierende Lektüre.

Clemens Knobloch kritisiert in seinem nicht weniger lesenswerten Buch vor allem die Implikationen und Paradoxien der neuen Macht-Architektur, welche die Hochschulreform der letzten Jahre kennzeichnen. Vorgelegt hat er eine umfassende Bestandsaufnahme ihrer politischen Semantik. Wie sieht sie Knobloch folgend also aus, „die Effizienz im Wanderland einer Universität, die nun endlich autonom und ohne staatliche Detailvorgaben operiert“? Als zentral beschreibt er einen Imperativ der Verdatung. Bevor ein Institut hinsichtlich seiner „Leistungsparameter“ gut da stehen kann, muss es gründlich vermessen werden. Bibliometrisch zum Beispiel, oder hinsichtlich eingeworbener Drittmittel. Knobloch beschreibt sehr anschaulich das permanente Qualitäts-Tribunal der Hochschullandschaft und die neu etablierte „Pädagogik der Rangliste“ (2010: 170). Die Botschaften, die sich mit dieser „Kontrollsemantik“ verbindet, ist klar. Erstens: Stelle dich dem Vergleich! Zweitens: Mobilisiere und optimiere dich – permanent!

Kolonisiert wird die Universität „im Namen von Autonomie und Freiheit“ (ebd.: 14). Die Konzeption der unternehmerischen Hochschule macht Knobloch als wirkmächtigen Diskurs kenntlich, der sich in einer völlig neuen Rationalität der Institution äußert, in neuen apparativen Settings, neuen Dienstleistern mit eigenen Interessen. Er beschreibt zudem die Lockrufe der Bertelsmann Stiftung (u.a.) und fragt damit nach Akteuren der Hochschulreform, geht also an diesem Punkt also über eine reine Diskursanalyse hinaus.

Zurück ans Otto-Suhr-Institut. Tanja Börzel ist während des eingangs erwähnten Streitgesprächs regelrecht erbost über InstitutskollegInnen, die nichts „schaffen“, die zu wenig publizieren, forschen, lehren. Schließlich sei sie Schwäbin. Was publiziert, geforscht und gelehrt wird, ist ihr ofensichtlich egal, solange nur alle innovativ und permanent in Bewegung sind. Wer sich dieser Rationalität der neoliberalen Universität entzieht, bekommt beim Vergleich der Leistungsparameter keine Punkte, also auch kein Geld. Urteile und Vergleiche werden in der re-formierten Universität zu zermürbenden Mitteln der Kontrolle. Wer dieses Beurteilungsfeld in welcher Form mittels welcher politischer Technologie kontrolliert, ist aber Dank der beiden Autoren deutlicher geworden.

Das Bildungssystem formiert sich gegenwärtig neu. Als ein zentrales Dispositiv im regulativen Ensemble der Gesellschaft wird es angetrieben von der Sorge um mangelnde Innovation und Beweglichkeit. Dieses Dispositiv bleibt umkämpft, worauf zuletzt vor allem die Parolen der Studierendenstreiks verwiesen: „Wir sind kein Humankapital!“ Nicht zuletzt für eine Stärkung solcher Positionen liefern beide vorgestellten Bücher wichtige Argumente.

 

Clemens Knobloch
Wir sind doch nicht blöd!
Die unternehmerische Hochschule.
2010 Münster: Westfälisches Dampfboot
ISBN 978-3-896-91790-4
264 S., 24,90 €

 

Jens Maeße
Die vielen Stimmen des Bologna-Prozesses
Zur diskursiven Logik eines bildungs
politischen Programms
2010 Bielefeld: Transcript Verlag
ISBN 978-3-8376-1322-3
286 S., 28,80 €