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Radikale Rechte in Europa

Ein subjektiver Tagungsbericht von Martin Dietzsch. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009)

Vom 8. bis 10. Juli 2009 fand in Greifswald eine interdisziplinäre Fachtagung statt zum Thema „Europas radikale Rechte und der Zweite Weltkrieg“. Als Referenten konnten von der Tagungsleitung wichtige Vertreter der Faschismusforschung gewonnen werden, unter ihnen Zeev Sternhell aus Jerusalem und Roger Griffin aus Oxford. ((Ich möchte hier nur einige subjektive Eindrücke wiedergeben. Für eine inhaltliche Zusammenfassung verweise ich auf die Rezensionen von Stefan Vogt auf H-Soz-u-Kult (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/ id=2727&count=399&recno=12&sort=datum&order=down&geschichte=108) und von Frank Schubert in der jungle world 31- 2009 (http://jungle-world.com/artikel/2009/31/36481.html).))

Die Referate wissenschaftlicher Tagungen kann man in der Regel auch später nachlesen. Die Strapazen der Anreise und der Teilnahme lohnen sich aber dennoch, wenn man einen unmittelbaren Eindruck von den Referenten, vom Publikum und von der Stimmung gewinnen will. Das könnte auch kein Internet-Videostream ersetzen. Die Exkursion in’s ferne Greifswald habe ich nicht bereut. Es war spannend zu beobachten, wie die doch ziemlich heterogene Schar der Referentinnen und Referenten und das ebenso heterogene Publikum miteinander kommunizierten, wie sich gegensätzliche Positionen manchmal sogar ein Stück annäherten. Akademische Hahnenkämpfe gab es erfreulicherweise nicht und unappetitliche Debatten, z.B. ob nicht Antisemitismusforscher die allergefährlichsten Antisemiten seien, blieben dem Beobachter erspart.

Diese Klippen umschifft zu haben, ist sicherlich auch das Verdienst der professionellen Tagungsregie von Claudia Globisch, Agneszka Pufelska und Volker Weiß vom Villigster Forschungsforum zu Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus.

Zeev Sternhell entwickelte seine Auffassung, dass die Gegenaufklärung keine Antimoderne, sondern eine zweite, anti-universalistische Moderne war und dass sie keineswegs erst als Reaktion auf die Französische Revolution entstand, sondern schon viel früher. Vertreter waren Herder, Burke und de Maistre. Sternhell meldete sich auch nach seinem Vortrag etliche Male in der Diskussion zu Wort, sympathisch, ohne Selbstdarstellerei und immer mit einem Fünkchen Witz.

Während die Referate zur deutschen extremen Rechten der Gegenwart den anwesenden nichtakademischen Kennern der Szene wenig Neues brachten, boten die Vorträge über Osteuropa interessante und wenig bekannte Informationen. So z.B. der Beitrag von Magdalena Marsovsky über das Budapester „Haus des Terrors“. Dabei handelt es sich um ein Museum, in dem die Ungarn kollektiv als Opfer zweier Totalitarismen stilisiert werden, wobei die NS-Herrschaft und die Judenvernichtung allenfalls am Rande vorkommen. Vollkommen ausgeblendet werden einheimische faschistische Bewegungen, Antisemitismus und Kollaboration.

Wolfgang Wippermann verwies in seinem Vortrag auf Parallelen zwischen Antisemitismus und Antiziganismus, ein Thema, mit dem er sich schon seit längerer Zeit beschäftigt und für das er Fakten aufweist, die man nicht einfach von der Hand weisen kann. Glücklicherweise blieb in der Diskussion der Vorwurf aus, er wolle die Shoa relativieren. Wippermann vertrat, wie schon einige Zeit zuvor in einem Artikel im „Freitag“ ((„Bald schlagen wir zurück.“ Freitag 9.2.2007, http://www.freitag.de/2007/06/07060601.php)), die These, angesichts der Pogrome gegen Roma in einigen Ländern Osteuropas habe sich in den letzten Jahren eine Bewegung zur Errichtung eines eigenen Staates gebildet. Er parallelisierte sie mit dem frühen Zionismus. In den nächsten Jahren stehe uns möglicherweise so etwas wie eine Roma-Intifada ins Haus. Das war natürlich starker Tobak. Ich nahm seine Ausführungen als Warnung, das Problem nicht mehr länger zu verdrängen, und nicht als Hoffnung auf einen Aufstand der Unterdrückten.

Roger Griffin plädierte – wie immer mit Verve – für die Verwendung des Faschismusbegriffs und dafür, den Faschismus als eigenständige Ideologie zu begreifen. „Wissenschaftlicher Faschismusbegriff“ statt „Extremismusbegriff“ war der gemeinsame Nenner nicht aller, aber vieler Beiträge dieser Tagung. Allerdings machte nur Wolfgang Wippermann in einem Diskussionsbeitrag explizit darauf aufmerksam, dass hauptamtliche Mitarbeiter des Verfassungsschutzes im Wissenschaftsbereich agieren und versuchen, dort den Extremismusbegriff zu etablieren. Unabhängige Wissenschaft muss sich gegen solche Versuche zur Wehr setzen.