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Missverstandene Eindeutigkeit

Anmerkungen zu einer Rede von Günther Oettinger. Von Jens Zimmermann. Erschienen in DISS-Journal 16 (2007)

Als der baden-württembergische Ministerpräsidenten Günther Oettinger mit geschwollener Brust in seinem Epitaph auf seinen Amtsvorgänger und ehemaligen NS-Richter Hans Filbinger verkündete: „[Er] war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes“ ((http://www.baden-wuerttemberg.de/ fm/1899/Rede_Oettinger_Staatsakt_ Filbinger110407.pdf (11.09.2007) )), schwante einigen Trauergästen im Freiburger Münster, dass diese plötzliche Gesinnungsschau wohl versöhnlich gemeint war, aber alles andere als das war und sein würde. Überraschen konnte es sie indes nicht, denn Oettinger lässt bekanntlich kaum ein Fettnäpfchen aus, zumal er als Mitglied der pflichtschlagenden Landsmannschaft Ulmia Tübingen wohl auch eher einen Faible fürs Grobe statt für filigrane Politik hat – so auch in seiner Trauerrede.

Filbinger sei kein Nationalsozialist gewesen. Das hätten ihm wahrscheinlich viele seiner Gesinnungsgenossen unterschrieben und ihn anschließend mit einem Schulterklopfen gewürdigt, aber ein Gegner des Faschismus? Das schien selbst für seine rechtskonservativen Parteifreunde zuviel der Ehre. Oettinger hatte allerdings noch mehr zu sagen: Filbinger sei in die Situation hineingeraten. Schicksalhaft musste er den Nationalsozialismus erleiden. Anschließend war Filbinger ein Mann der „Stunde Null“, der angepackt, Deutschland mit wieder aufgebaut und sich gegen den Totalitarismus von rechts und – natürlich – von links zur Wehr gesetzt hat. Oettingers Salvation endete in einem grande finale: „Filbinger hat deshalb den Nationalsozialismus immer verachtet“ – weil er Christ gewesen sei.

Kein Wort über die mörderische Liaison Filbingers mit dem Nationalsozialismus, die er als Marinerichter hatte: Todesstrafen geben ein trauriges Zeugnis davon ab. Und auch kein Wort über Hans Filbingers Selbstoffenba-rungen à la „Was damals rechtens war, das kann heute nicht Unrecht sein“ oder „Wer meutert, gefährdet das Ganze.“ Nach der harschen Kritik an seiner Rede gab Günther Oettinger letzten Endes klein bei und entschuldigte sich artig für die „Missverständnisse“. Doch wer genauer hinschaute, konnte schnell merken, dass es mit einer Entschuldigung nicht getan war. Denn: „Er wurde im Gegenteil ganz richtig verstanden“, folgerte Bettina Gaus in der TAZ richtig (17.04.07, S.1). Die eigentliche Pointe seiner Rede war, dass hier ein Ministerpräsident einen ehemaligen NSRichter reinwaschen und ihn als pars pro toto für die „verführten“ und „schicksalhaft verstrickten“ Deutschen darstellen wollte: „Allerdings konnte er sich den Zwängen des Regimes ebenso wenig entziehen wie Millionen Andere.“ Und so verfehlte Oettingers erzwungenes Zurückrudern sein populistisches Potenzial: die Flucht in hohle Phrasen des Missverständnisses blieb ihm versperrt – er wurde eben richtig verstanden.

Die Reaktionen der etablierten Presse waren dementsprechend energisch, so dachte man. Jedoch verrät ein Blick in die Leitartikel von FAZ und Süddeutscher Zeitung anderes. Es blieb dem Mitherausgeber der FAZ Frank Schirrmacher vorbehalten, den Tenor des Frankfurter Blattes zaghaft zu korrigieren. Schirrmacher stellte Oettinger kein gutes Zeugnis aus: Filbinger sei kein Gegner des Regimes gewesen und Oettingers Verbalschlappe eine Missachtung der Ermordeten des NS (16.04.2007). Umso interessanter wirkt der Nachschlag: „Hans Filbingers Verdienste wären ohne Oettingers Manipulationsversuch angemessen gewürdigt worden“ (ebd.). Ins gleiche Horn bließ mit einem Leitartikel Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung vom 13. April – Filbinger wäre ohne Oettinger besser dran gewesen. Auch die Redaktionskolleginnen des Herrn Seibt schienen sich einig: in „seiner peinlichen Trauerrede“(14./ 15.04.07) habe sich Oettinger als profilloser Landesvater präsentiert, der für schlichte Argumentationen und Denkvorgänge anfällig sei (17.04.2007). Frank Schirrmacher brachte es in der FAZ auf den Punkt. Ohne Oettingers Grabrede wäre kaum ein Wort über Filbingers braune Karriere verloren worden. Viele hätten mit der historischen Person Filbinger ihren Frieden gemacht und damit auch mit einem weiteren Stück Vergangenheit.

Einzig die Meinungsmacher der „Tageszeitung“ schienen die Fährte gewittert zu haben, die Oettinger für seine konservativdeutschnationalen Parteigenossen in seinem Trauermonolog gelegt hat. Es lohnt sich, dem TAZ-Autor Zafer Senocak etwas länger zuzuhören: „In diesem Neudeutschland ist strittig, ob SA-Mitglieder Nazis waren. Es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis man auch über SSMitglieder behaupten wird, sie wären keine Nazis gewesen“ (17.04.07). Senocak bringt das politische Kalkül der Oettinger-Rede auf den Punkt. Anstatt sie als weiteren Ausrutscher eines sowieso fehlgeleiteten Politikers zu lesen, sollte sie vielmehr im Kontext einer massiv erstarkten Erinnerungsabwehr und eines Relativierungsdiskurses interpretiert werden. Symptome für diese Diagnose lassen sich zahlreich referieren: Eva Herrmans Lobpreisung des „NS-Mutterbildes“, Kardinal Meisners „entartete“ Kultur oder Gotthard Deuse, Bürgermeister der Stadt Mügeln, der nach der rassistischen Hatz freimütig gegenüber der „Financial Times Deutschland“ über „Ausländer raus“-Ruf dozierte: „Solche Parolen können jedem Mal über die Lippen kommen“(22.08.07).