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Medien und Diskursanalyse

Die DISS-Studie trifft auf Kritik, auf Interesse – und auf Breitseiten. Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 10 (2002) (( Auszug aus einer Analyse, die vollständig abgedruckt ist in „kultuRRevolution, Zeitschrift für angewandte Diskurstherie“ Nr. 44 (2002), 47-50))

Tatsächlich spiegelt die Medienreaktion (…) eine Begegnung zwischen Medien und Diskursanalyse, die es in dieser Nähe – und Explosivität – bisher noch nicht gab (…) Auf einem anderen Blatt stehen freilich Stimmen, die die DISS-Studie zum Vorwand für ganz anderes genommen haben, insbesondere für denunziatorische Abrechnungen mit dem DISS selbst, die teilweise mit neuen antisemitischen Breitseiten garniert sind. ((Die Kurzfassung der Studie ist von der DISS-homepage in deutscher und englischer Sprache abrufbar (https://www.diss-duisburg.de/Arbeitsbereiche/Medienbild%20Israel.htm); die Langfassung ist unter dem Titel Medienbild Israel. Zwischen Solidarität und Antisemitismus im LIT-Verlag (Münster) erschienen.))

So möchte Heribert Seifert (EPD) dem diskursanalytischen Ansatz des DISS nicht nur deshalb den Garaus machen, weil er ihm medienkritische Untauglichkeit und Zirkelhaftigkeit vorwirft (“Entschieden ist schon vorab, dass das Böse im Text steckt”). Vor allem betreibe das DISS in einer “durch öffentliche Aufträge geförderten Nischenwelt” die “Jagd nach den immergleichen Gespenstern”, im Namen einer “deutschen Zivilreligion”, die “die ewigen deutschen Übel Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus” bekämpfe.

Etwas deutlicher wird Seifert in einer Replik für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, ((H.St. [Heribert Seifert], Risiko der raschen Abnutzung. Vage Vorwürfe des Antisemitismus. In: NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ONLINE vom 31.5.2002. )) in der ihm nun auffällt, dass sich nicht nur der AJC eines Instituts der “früheren radikalen Linken” bediene (gemeint ist das DISS), sondern auch die JÜDISCHE ALLGEMEINE ZEITUNG die “Neigung” habe, sich Leitartikel “gern von einem Redakteur der linksradikalen Monatsschrift KONKRET schreiben zu lassen.” Die These von jüdischen “Allianzen” mit “einer sektiererischen Linken” und deren “restmarxistischen Ressentiments” (Seifert NZZ) findet sich auch in einer denkwürdigen Wertung in der FAZ: “Seltsame Allianzen sind das,” schreibt L.J. [= Lorenz Jäger] und meint damit den AJC und das DISS, an dem “Think-tank-Zuarbeit für linke Projekte” betrieben werde. (…)

Den fälligen Schluss auf ein ‘jüdisches’ Sponsoring des DISS und auf eine käufliche Gegenleistung überlässt Lorenz Jäger dann aber doch Claus M. Wolfschlag in (der rechtsextremen, d.Red.) JUNGE FREIHEIT: “Wer beim DISS Studien in Auftrag gibt, kann sich im voraus äußerst sicher sein, was er dafür erhält. So werden politische Absichten bedient. Und soviel Passgenauigkeit scheint auch ihr Geld wert zu sein.” (…)

Die Presseschau zur Veröffentlichung der Kurzfassung der DISS-Studie kann nicht enden ohne einen Blick zurück auf jene Reaktion, die chronologisch den Anfang machte ((In DIE ZEIT vom 29.5.2002, also einen Tag vor der Vorstellung der Kurzfassung der DISS-Studie auf einer Pressekonferenz in Berlin veröffentlichte Klaus Hartung einen Artikel zu dieser Studie mit dem Titel „Überall lauert der Antisemit. Wie das American Jewish Committee die deutsche Nahost- Berichterstattung kritisiert“. Die Studie war Hartung vorab vom AJC überlassen worden (d. Red.).)) und die nicht ungeschehen gemacht werden kann, auch wenn sie zwischenzeitlich zurückgezogen wurde. Denn die “Aufmachung” von Klaus Hartungs ZEIT-Artikel zeigt, wozu sich ein renommiertes Blatt der deutschen Qualitätspresse berechtigt fühlte, bevor sich die Kritik der DISS-Studie in der ZEIT-Redaktion schließlich gesetzt hatte.

Die Deutung einer Karikatur

Mitten auf der Straße und zwischen hohen Häusern mauern Männer ein Haus hoch. Bauarbeiter sind es nicht: Kipa, Mäntel und Schläfenlocken weisen sie als orthodoxe Juden aus, die – ein Davidstern (als Emblem einer Bau-Firma) und die Aufschrift “Siedlung” machen das klar – mit der öffentlichen Ordnung, mit Großstadtverkehr und Eigentumsrechten wenig am Hut haben. Aber die Maurerei ist zu weit fortgeschritten, als dass man annehmen könnte, die Passanten, die Anwohner, die Polizei, die Geschäfte ringsum hätten erst jetzt etwas bemerkt.

Offenbar haben sie die Szene längst verlassen, ohne ein Wort zu verlieren: Niemand an den Fenstern, die Passanten gehen wohl seit Tagen Umwege, die Anwohner sind zu Verwandten gezogen, die Polizei hat das Viertel stillgelegt und die Geschäftsinhaber haben Konkurs angemeldet, vielleicht auch günstige Kredite bekommen, um woanders von vorn anzufangen. Vielleicht sind einige schon ausgewandert oder haben sich umgebracht.

Klar ist nur – ohne Murren. Die Bevölkerung ist ökologisch tolerant: Wo Hornissen oder Bienen gerade wollen, gründen sie ihre Völker. Albert Schweitzer in Tateinheit mit der hinduistischen Ehrfurcht vor Kühen ist gelebter Teil der deutschen Mentalität geworden. Natürlich könnten die Siedler auch Außerirdische sein: Der BND analysiert Tag und Nacht die Kommunikation auf der Baustelle, aber das ist ja nicht neu. Als vor Jahren – mitten in Ehebetten von Anwohnern oder in deutschen Eichen – reihenweise Moscheen gebaut wurden, ist Fachwissen zusammengekommen, das man nun anwendet.

Und so beschließt der Stadtrat – wie die “Bürger von Calais” oder der Krisenstab bei einem Banküberfall – einen Unterhändler zu bestimmen, der sich der fremden Macht stellen muss. Im Fall der vorliegenden Karikatur ist es ein deutscher Gemeindesheriff, der sich – mit Blöckchen in der Hand und unter Aufbietung äußerster Höflichkeit – der Szene nähern soll, um den Siedlern den vermutlich von Juristen ausgearbeiteten, politisch absolut korrekten Satz zu sagen: “Nehmen Sie es bitte nicht antisemitisch, aber sie stehen im absoluten Halteverbot”. Wahrscheinlich mit mäßigem Erfolg, denn einer der Siedler-Bauarbeiter mustert den Sprecher, als käme dieser – und nicht er selbst – vom Mars.

In der hier interpretierten Beck-Karikatur in der ZEIT vom 29.5.2002 bündelt sich, wovon die Rede sein muss, die gespielte Unschuld ‘seriöser’ Medien selbst dort, wo unverschämt und demagogisch zugelangt wird. Beck verfrachtet zwar nicht Attentate, sondern ultraorthodoxe jüdische Siedler in die Mitte deutscher Lebenswirklichkeit. Doch seine Frage an ‘die Deutschen’ soll trotzdem lauten: Was würdet ihr tun, wenn mitten auf euren Straßen jüdische Siedler ein Haus bauten? Nun ist es aber ein deutscher Gemeindesheriff und so sind deutsche jüdische Gemeinden und Synagogen mit im Boot. Damit beginnt die unglaubliche Botschaft, die der Karikaturist unter der Hand in Kauf nimmt oder gar lanciert.

Denn dumm, unansprechbar und emsig zeichnet die Karikatur zwar auch die ‘Siedler’, aber als ‘noch dümmer’ zeichnet sie den Deutschen Michel, der sich – von Juden – ‘buchstäblich alles’ gefallen lässt und sich lieber ‘bis zur Selbstaufgabe’ zurückzieht, als … als was? Die Karikatur ermutigt – oder wünscht sich herbei – eine konspirative, zugespitzte Stimmungslage der ‘umgebenden‘ (‘deutschen’) Bevölkerung nach dem Motto: “Das Maß ist voll!” Man kann – und soll – offenbar auch in Deutschland etwas tun – gegen jüdische Siedlungen in Palästina.

Ob Beck das gemeint hat, ist eine ebenso müßige Frage wie die, ob er sich seiner impliziten Botschaft stellen würde: Faktisch haben Beck und die ZEIT-Redaktion in der Ausgabe vom 29.5.2002 das Terrain der antisemitischen ‘Sagbarkeit’ erheblich zu erweitern und zugleich gegen den Vorwurf des Antisemitismus zu immunisieren versucht. (…)