Er hat sich ohne Wenn und Aber für seine Gewalt entschuldigt. Von Jürgen Link. Erschienen in DISS-Journal 8 (2001)
Meine Damen und Herren Medienvertreter, ich begrüße Sie. Sie sind wegen des bewußten Fotos mit mir und dem Polizisten gekommen und erwarten meine Entschuldigung. Sie werden die Entschuldigung für meine Gewalt bekommen, aber ein bißchen anders.
Als die Fotos in den Medien auftauchten, war uns allen im Hause, mich eingeschlossen, sofort klar, daß eine Entschuldigung fällig wäre. Ich beauftragte meinen Staatsminister L.V. mit der Vorbereitung dieser Entschuldigung. Er arbeitete sehr schnell eine absolut astrein professionelle Vorlage aus. In der Besprechung war ansonsten die Meinung vorherrschend, daß eine gute Entschuldigung, gekoppelt mit einem brutalst möglichen Geständnis, in der augenblicklichen politischen Landschaft, also nach dem Trauerspiel mit H.K., sehr produktiv sein kann. Alle meine Berater sahen die Rücktrittsrisiken minimal und sogar im Gegenteil klare Chancen, daß meine Popularität deutlich zulegt. Ich machte mich also am Anfang einigermaßen optimistisch an das Einüben der Vorlage von L.V. Üblicherweise ändere ich einzelne Stellen oder nehme was weg bzw. baue was ein. Ich entscheide das letztlich als alter Sponti aus dem Bauch heraus nach dem Kriterium, wie ich die Sätze redemäßig rüberbringe. Ich habe dabei normalerweise ziemlich viel Spaß, wie mir ja überhaupt dieser Job die ganze Zeit meistens viel Spaß gemacht hat – mit einer Ausnahme, auf die gleich komme. Diesmal gab es eine Art Stau, ich wurde irgendwie müde beim Einüben, und es wollte einfach kein richtiger Spaß aufkommen. Ich mußte unterbrechen und mich mit was anderem ablenken, um meine Spontaneität wiederzukriegen. Statt dessen handelte ich mir irgendwie eine psychische Sperre ein. Ich stand schließlich unter Termindruck und mußte mich wieder ans Einüben zwingen. Ich bildete mir plötzlich ein, daß ich die entscheidenden Sätze, wo es mir ehrlich leidtut, wenn ich dem Kollegen Schmerz zugefügt habe usw., nicht richtig rüberbringen könnte. Ich hatte die fixe Idee, daß ich es nicht schaffen würde, und daß ich plötzlich zwangsneurotisch in die Kamera schreien würde: Ach scheißt doch der Hund ins Feuerzeug, ach leckt mich doch alle am Arsch mit eurem Geständnis! (Sehen Sie: darauf waren Sie nicht gefaßt, was?) Sie können sich denken, daß ich noch nie in so einer Lage war, und ich konnte das auch niemandem gestehen. In meinem Kopf machte sich eine Art Chaos breit, und es setzten sich dazwischen alte Melodien aus der achtundsechziger Zeit fest, auch aus der Dreigroschenoper, glaube ich. Plötzlich kam auch ein Textstück wieder hoch: “Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?” Ich hatte Angst durchzudrehen, das kann ich Ihnen garantieren. Ich sagte keinem was von meinen Problemen, auch meiner Frau nicht. Ich sagte bloß, daß ich viel Stress hätte und alleine schlafen müßte.
Das war heute nacht, und es wurde immer schlimmer. Zwischen die alten Melodien und den blöden Spruch kriegte ich nämlich noch eine Zahlenneurose: Ich mußte immer 57000 wiederholen. Ich hatte wirklich Angstschweiß und versuchte mich mit aller Gewalt zusammenzurappeln: Wie kommst du ausgerechnet auf 57000? fragte ich mich. Zwischen zwei und drei heute nacht hielt ich mich langsam für psychisch krank, als gottseidank endlich eine Wende kam, die mich in höchster Not psychisch gerettet hat. (Sie merken ja, daß ich jetzt zwar müde bin, aber psychisch ganz okay drauf. Ich erkläre Ihnen das jetzt alles.) Trotz meiner Müdigkeit war der Moment heute nacht wie ein Filmwechsel in meinem Kopf. Zuerst fiel mir die Sache mit 57000 ein. Wir sind von der NATO aus 57000 Bombeneinsätze gegen Jugoslawien geflogen. Ich glaube 57000, ich habe mir das damals nicht genau gemerkt. Ich würde heute sagen, daß ich es einfach nicht so genau wissen wollte. Heute nacht wurde mir schlagartig der Zusammenhang sonnenklar: Was ist ein blauer Fleck gegen 57000 Bombeneinsätze? Wir haben dabei angeblich ungefähr 1000 Zivilisten getötet,darunter leider auch viele Kosovaren, die wir eigentlich retten wollten, und vielleicht zehnmal soviel Soldaten, immerhin alles Serben. Ich habe das alles damals nicht genau wissen wollen und mich an Milosevic geklammert. Ich habe immer wiederholt: Milosevic hat im Kosovo ein Massaker gemacht, in Retschak. Wir mußten handeln und konnten nicht weiter zukucken, sonst hätte er noch mehr Massaker gemacht. Nach ein paar Wochen, als wir vielleicht 25000 Einsätze, oder schon 30000, was weiß ich, geflo gen waren, kam R.S. triumphierend an und schrie: Ich habe Beweise! Milosevic macht jetzt ganz viele Massaker! Ich war damals erleichtert und ich hatte mein sehr erfolgreiches Statement mit Auschwitz. Heute nacht ist dann folgendes passiert: mir sind meine ganzen Verdrängungen und Demagogien zusammengebrochen. (Sehen sie, darauf waren Sie nicht gefaßt, was?) Ich muß dafür aber dankbar sein, weil ich sonst sicher psychisch krank geworden wäre. Heute nacht ist mir das mit den vielen Tausend Kindern in den Kellern klargeworden, was unsere 57000 Einsätze alleine denen psychisch angetan haben, denken Sie an Kempowski. Mir ist das heute nacht klar geworden, als ich mich psychisch so elend gefühlt habe. Ich habe versucht, mir einigermaßen konkret vorzustellen, was ein einziger unserer Bombeneinsätze bedeutet. Angenommen, ein Tornado würde uns alle hier im Moment treffen. Was mit den Körpern hier, also auch Ihren, konkret passieren würde. Ein Einsatz, und zwei, und drei, undsoweiter, und 57000, in Worten siebenundfünfzigtausend, und alle auf ziemlich wenige Ziele und deren Umgebung. Wir hatten nach zwei Monaten ja keine Ziele mehr, wir waren wirklich knapp an Zielen und mußten immer die gleichen noch einmal bombardieren und haben natürlich auch oft danebengetroffen. Heute nacht ist mir auch wieder hochgekommen, was ich irgendwo gelesen hatte, daß wir schon nach wenigen Wochen viel mehr Bomben geschmissen hatten, als im ganzen Zweiten Weltkrieg zusammen geschmissen worden waren. Jedenfalls die Bomben auf Hanoi damals im Vietnamkrieg, da habe ich ja damals dagegen demonstriert, diese Bomben waren damals gegen unsere 57000 wirklich peanuts, wie ein Kollege gesagt hat.
Ich mußte mir heute nacht eingestehen, daß wir also selber auch Massaker gemacht haben, z.B. Züge getroffen, ich meine, daß das auch Massaker waren, was Ihnen vielleicht auch allen bisher gar nicht klar gewesen ist, daß man das auch einfach wohl oder übel Massaker nennen muß, daß Sie als Medienleute das eigentlich auch Massaker nennen müßten. Was passiert konkret mit den von unseren Stahlsplittern getroffenen Körpern? Wie haben die nach unseren Treffern ausgesehen? Ich kann nicht in die Details gehen wie R.S.. Ich habe mich heute nacht ekeln müssen vor R.S., wie er damals vor Ihren Kameras gesagt hat: “Da gehören echt stahlharte Nerven dazu, diese Bilder anzukucken!” Warum habe ich ihm damals nicht gesagt: Und was ist mit unseren 57000 Bombeneinsätzen? Wir haben also Massaker mit Massakern bekämpft. Mir ist heute nacht klargeworden, daß ich von Glück sagen kann, daß die Mehrheitsverältnisse in der UNO gottseidank jetzt so sind, wie sie seit dem Zusammenbruch des Ostblocks nun mal sind, das heißt, daß wir alles durchkriegen und daß keiner uns nach Den Haag kriegen kann. Aber wenn es anders gewesen wäre? Mir ist heute nacht klar geworden, daß ich haarscharf an Den Haag vorbeigeschrammt bin. Wir haben schließlich einen unerklärten Angriffskrieg sogar ohne UNO-Mandat geführt, weil einfach die Zeit fehlte, Jelzin schon damals auf die Schnelle einzukaufen wie dann nachher in Köln. Wir waren wirklich ganz schön frech, viel frecher als zu Spontizeiten, ganz im Ernst. (Damit hätten Sie nicht gerechnet, was? Sei’n Sie ehrlich!) Das schlimmste ist gewesen, daß ich heute nacht auch die Chronologie deutlich vor mir gesehen habe: Zuerst haben wir unsere Bombardements angefangen, und erst danach hat es die neuen Massaker im Kosovo gegeben. Wir haben sozusagen die Wölfe regelrecht losgehetzt. Die Kosovaren waren Geiseln, und wir haben einfach wild auf das Haus der Geiseln losgeballert. Wir haben also sowohl eigene Massaker gemacht, als auch uns mitschuldig gemacht an den Massakern serbischer Tschetniks. Heute nacht ist mir klargeworden, warum ich damals so leichtfertig Retschak mit Auschwitz gleichgesetzt habe: Ich brauchte unbedingt Auschwitz, um etwas gegen die 57000 Einsätze auf die Waagschale werfen zu können, darunter ging es einfach nicht. Sonst hätte ich meine Verdrängungen einfach nicht durchhalten können.
Verstehen Sie jetzt, warum ich mit dem Einüben der Entschuldigungsvorlage nicht klargekommen bin? Können Sie sich halbwegs in meine Haut versetzen? Ich sollte ein brutalstmögliches Geständnis ablegen über die schreckliche Gewalt, die ich damals bei der bewußten Demo geübt habe, damit Sie alle mich weiter loben könnten für meine Rechtfertigung von siebenundfünfzigtausend Bombeneinsätzen und Tausenden von Leichen und Hunderttausenden traumatisierter Kinder. Ich habe heute nacht beschlossen, daß ich gerade Ihnen von den Medien lieber die wirkliche Gewalt gestehe, für die ich verantwortlich bin. Ich hätte schon damals aus Protest gegen diese Gewalt zurücktreten müssen. Ich tue es wenigstens jetzt. (Damit hätten Sie nicht gerechnet, was? Sei’n Sie ehrlich!)