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Berliner Architekturen

Von der Geschichte befreite Lust. Von Joannah Caborn, erschienen in DISS-Journal 7 (2000)

Berlin hat eine neue Staatsarchitektur. Stein wird kombiniert mit Glas, die Bonner ‘Pavillons’, als Symbol der Vorläufigkeit der westdeutschen Hauptstadt sind verschwunden. Es wird nicht nur allgemein größer, höher und massiver gebaut, sondern ein Novum für die BRD ist eingetreten: Gebäude aus verschiedenen Geschichtsepochen im totalitären Baustil werden von der jetzigen Regierung benutzt. Das Wiederaufgreifen von monumentalen Elementen, die aus dem Repertoire der bescheidenen demokratischen Bonner Architektur verbannt wurden, hat heftige diskursive Kämpfe provoziert, die zur Legitimierung des neuen Baustils beitragen. Die Strategien, die dazu angewandt werden, liegen dabei in gefährlicher Nachbarschaft zu revisionistischen Argumentationen der neuen Rechten, die eine neue Geschichtsschreibung oder besser eine Geschichtstilgung propagieren. Einige Strategien dazu lassen sich ausmachen, von denen jetzt vier mediale Erzeugnisse behandelt werden.

Glas und Stein

Eine wiederholte Strategie in der neuen Berliner Architektur stellt die Synthese von Bauelementen aus der demokratischen Bonner Architektur mit Bestandteilen aus dem totalitären architektonischen Stil dar. Dies ist jedesmal gegeben, wenn Glas auf Stein trifft, wie zum Beispiel am Auswärtigen Amt. Das Amt ist in das Gebäude eingezogen, das ursprünglich 1933 für die Reichsbank erbaut wurde. Der Bau hat alle Eigenschaften der NS-Baukunst: aus massiv wirkendem Stein, groß, einschüchternd. Dazugefügt worden ist ein Vorbau aus Glas und Stein mit einem Glaskasten ausgestattet mit Bäumen und Wasserfall als repräsentativem Eingang. Die Frankfurter Rundschau beschrieb es als “stattlicher Vorbau von Weltniveau” (4.2.97, S.3). Dagegen wurden die Glasstrukturen in Bonn niemals so aufbauschend dargestellt, sondern immer für ihre Bescheidenheit gelobt.

Die Synthese von unterschiedlichen Bauelementen beschränkt sich nicht auf den Umgang mit alten Gebäuden, sondern findet sich auch in Neubauten wieder. Für einen Teil des Kanzleramts erklärte der Architekt Axel Schultes in der FAZ: “Wir haben mit der ‘großen Neugierde’ (runde Wandöffnung am Kanzleramt, im Bild zu erkennen, J.C.) ein sanftes, meditatives Element gewählt, das gerade die Staatsstrenge der hochgestemmten Baumasse des Kanzleramtes mildert” (29.6.95, S.29). Die monumentalen Elemente des Baus wie Strenge und Masse sollen durch die moderate Rundung neutralisiert werden. Am Präsidialamt wurde die Milderung erst in der letzten Begutachtung beschlossen, da Bedenken sich verbreiteten, vielleicht wirke das große Gebäude mit schwarzer Steinverkleidung doch etwas massiv. Die FAZ berichtete: “Den geplanten Koloß des Bundespräsidialamts sucht man mit Fenstern zu perforieren und damit zu erleichtern” (29.6.95, S.27). Das Monumentale wird also durch die Synthese mit weicheren Elementen akzeptabel.

Neue Bedeutungszuweisungen

Was die Synthese unterschiedlicher Bauelemente nicht bewirkt, kann die Demokratisierung als zweite Strategie bringen. In manchen Fällen wird den monumentalen Elementen ihr nicht-demokratischer Gehalt völlig abgesprochen und eine neue Bedeutungszuweisung initiiert. Der Spreebogen- und Kanzleramt-Architekt Schultes weiter: “Nur mit Autorität auf Zeit, mit Kompetenz durchs Votum – unsere Verfassung will nichts anderes -, nur innerhalb dieser Widersprüche kann das Amt räumliche Gestalt annehmen. Kontrast ist der sinnliche Ausdruck dieser Widersprüche. Als eine Architektur der Synthese dieser Kontraste muß das Kanzleramt entwickelt werden, mit einer Strategie der Kontraste von Masse und Leere, von Grobem und Feinem, von ‘Fülle und Schlichtheit’“ (op. cit.). Herr Schultes wandelt Inklusion von Masse, Grobem und Fülle zu einem Bekenntnis zur Demokratie um, in dem er sie mit ihrem Gegenteil paart und darin eine Eigenschaft des demokratischen Systems sieht.

Enthistorisierung

Die dritte Strategie entsteht vor dem historischen Hintergrund, daß in der deutschen Geschichte nur die letzten 40 Jahre demokratisch regiert wurde. Deswegen geht mit der Demokratisierung oft eine Enthistorisierung einher. Oben zitierter Kanzleramt Architekt Axel Schultes plaziert sich in dieser Hinsicht deutlich in der Nähe der Weggucker und der Schlußstrichbefürworter mit folgender Verteidigung seiner großen Pläne: “Wer hierin eine unzulässige, übertriebene Ästhetisierung der Politik, eine wilhelminische gar sieht, dessen Angst vor Fehlbeseelungen mag sich treffen mit einem ähnlich gelagerten, allerdings weiter zurückgreifenden Berliner Rekurs: Die Angst vor dem Großen, die so teuer erlittene, schon zum Instinkt gewordene Erfahrung dieses Jahrhunderts, diese Verkrampfung der besonderen deutschen Art verschiebt die Maßstäbe, verdirbt den Blick fürs Angemessene und übt allzuoft den Schulterschluß mit der Angst vor dem Neuen” (op. cit.). Die “Erfahrung dieses Jahrhunderts” ist für ihn bloß ein unangemessenes Zucken, das man ignorieren sollte. Die revisionistischen Tendenzen sind unverkennbar und besonders brisant durch den Ort ihrer Artikulation: das Kanzleramt der Bundesrepublik Deutschland.

Brisant ist auch die neue demokratisierte und enthistorisierte Geschichtsschreibung des Reichstags. Das Gebäude galt durch die Bonner Republik hindurch als Mahnmal gegen die Diktaturen auf deutschem Boden. Die Frankfurter Rundschau faßt zusammen: “Dem allgemeinen Bewußtsein, dem Bildgedächtnis der deutschen Gesellschaft hat der Reichstag sich nur im Stadium seines Untergangs eingeprägt. Man kennt die historischen Photographien des im Februar 1933 brennenden Bauwerks oder die des vollkommen zerschossenen vom Mai 1945 auf dessen ausgeglühtem Kuppelgerüst Soldaten der sowjetischen Armee die rote Fahne hissen: Chiffren beide Male für das Versagen deutscher Demokratie” (20.2.93, S.10).

Seit der Entscheidung, der Bundestag solle in diesem Bau tagen, hat sich ein Gegenentwurf zu dieser Geschichtsschreibung allmählich durchsetzen können, der die Rolle des Reichstags als Parlament hervorhebt und das Fernbleiben sowohl des Kaisers, der Nationalsozialisten und der Kommunisten aus dem Gebäude betont. Vor allem aber haben 2 symbolische Ereignisse entscheidend zur Demokratisierung und Enthistorisierung des Reichstags beigetragen.

Erstens wirkte im Sommer 1995 die Verhüllung des Reichstags durch den Künstler Christo auf die Bedeutungszuweisung ein. Die FAZ analysierte das Event folgendermaßen: “Christos silberne Folie ist die Projektionsfläche eines dumpfen und unbelehrten Begehrens nach Erlösung von der Geschichte (…) Denn in der Leere des Reichstags leben Gespenster, die er nach dem Willen des umzugsängstlichen Parlaments bannen soll” (17.6.95, S.27). Und zahlreiche Beobachter betrachteten diese Magie als gelungen: “Der deutsche Parlamentarismus kann endlich zeigen, daß er seine antidemokratischen Traditionen eingepackt hat und der Zukunft zugewandt ist” (FAZ 14.6.95, S.39). Die antidemokratische Geschichte ist verbannt und der Bau kann ohne Bedenken vom Bundestag bezogen werden. Die Anspielung auf das programmatische Buch von Herrn Schäuble und auf die Hymne der ehemaligen DDR gerade in diesem geschichts-negierenden Kontext gerät beinahe zu Prognostik.

Das zweite symbolische Ereignis, das den Reichstag für den Bundestag bezugsfertig gemacht hat, war der konkrete Umbau des Gebäudes. Durch die Synthese der Glaskuppel mit den alten steinernen Wänden fand eine architektonische Neutralisierung der bösen Geister der Geschichte statt, und die begehbare Kuppel muß als Coup der Demokratisierung gelten. Zudem kommentierte die FAZ den Umbau folgendermaßen: “Der Brand 1933, die Bomben des Krieges und zwei überaus gründliche Umbauten haben das Band durchtrennt, das diese Stätte mit der Geschichte verknüpfte. (…) nur wenig Spolien aus der wilhelminischen Zeit und die Spuren der Niederlage bleiben” (19.4.99, S.49). Die Enthistorisie­rung des Baus wird fortgesetzt.

Die Lust am Großen

Schließlich die vierte Strategie, die im Prinzip eine Spielart der Enthistorisierung ist. Hier wird versucht, dem Ernst und der Bedrückung der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts zu entkommen. Ein letztes Mal wird hier der Architekt Axel Schultes zitiert, der möchte, daß sein Entwurf für den Spreebogen so gelesen wird: “wie ein großer generöser Satz, den die Gesellschaft über sich selbst gesprochen hat, über sich selbst, als Form, als eine Hoffnung und als eine Wette, als ein Argument, es durchaus mit dem Großen einmal zu versuchen.”, denn “Wie kaum ein anderer Ort hat dieser Spreebogen unsere ‘Lust am Großen’ provoziert” (FAZ 29.6.95, S.29). Durch das Sätzchen “es durchaus mit dem Großen einmal zu versuchen” suggeriert er, daß das Große nie da gewesen sei oder daß es einfach lange genug her ist und dementsprechend keine historischen Bedenken mit sich trägt. So befreit er sich von der “Verkrampfung der besonderen deutschen Art” (s.o.) und kann unbesorgt sich allein von seiner Lust und Laune leiten lassen. Unbesorgt konnte man auch beispielsweise bei der Reichstagsverhüllung sein: “Der verhüllte Wallot-Bau ist von demokratischer Leichtigkeit, ist Kulisse für ein Volksfest, bei dem der Spaß triumphiert über Bedeutung und Tiefsinn” (26.6.95, S.4). Der Reichstag wird verbunden mit Demokratie, Volksfest und Spaß und die Verhüllung wird zu einem kathartischen Element in einer Befreiung von Bedeutung und Tiefsinn.

Durch diese vier Strategien agieren die Politikerinnen in einem demokratisch ‘beweihrauchten’ Raum vor einer Kulisse, die von einer von der Geschichte befreiten Lust inspiriert wurde. Man darf vermuten, daß diese entscheidenden Eigenschaften der Berliner Republik die Zukunft der deutschen Politik mitformieren werden.