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40 Ausgaben kultuRRevolution

Ein Loblied auf die “ zeitschrift für angewandte diskurstheorie“. Von Siegfried Jäger, erschienen in DISS-Journal 7 (2000)

Als ich im Frühjahr 1982 die erste Ausgabe der Zeitschrift kultuRRevolution in die Hand bekam, reagierte ich eher mit Schmunzeln: ein 72 A 4–Seiten-Heft, voll mit Karikaturen, witzigen Bildern, mit einer mir völlig unbekannten Theorie über Kollektivsymbole, mit Vorschlägen für die Unterrichtspraxis, fiktiven Interviews mit einem „leitenden Ingenieur des Computers ‚Prodid’“; auch tauchte ein mir bis dato völlig unbekannter Herr namens Michel Foucault auf, der sich mit irgendwelchen Punks herumschlug. Deleuze und Guattari ließen sich über Ratten und andere Symbole (?) aus. Dann packte mich ein Thema, mit dem ich mich bereits seit längerem beschäftigt hatte: „Fremdenfurcht und Fremdenhass. Diskurse der Verhaltensbiologie“, ein spannender Artikel, den ich sofort für eines meiner Seminare kopierte. Und wieder Karikaturen, Porträts von „geistigen Ziehvätern der kultuRRevolution“, das Thema „Krieg“ tauchte auf, eine Auseinandersetzung mit Türkenwitzen und abschließend eine Art Lexikonartikel „zum gebrauch des DISKURS-begriffs in kultuRRevolution“ (ja, in genau dieser Schreibweise) und auf der letzten Umschlagseite eine Vorschau auf die nächsten Hefte, so dass ich nach Durchsicht und Teillektüre dieses ersten Heftes mich ein wenig schwindelig fühlte bei so viel ungewöhnlicher Guck- und Lesekost. Erst zwei Jahre später, inzwischen hatte ich den Herausgeber und seine Crew genauer kennen gelernt, bekam ich die inzwischen erschienenen Hefte in die Hand, nahm sie mit in den Urlaub, staunte an einem Stück und verstand allmählich, worum es ging: Um eine für mich damals völlig neue Herangehensweise an Wirklichkeit, um ein Erklärungsmodell, das mein bisheriges Denken nahezu auf den Kopf stellte: die radikale Wende zum Verständnis von Diskursen als Materialitäten sui generis. Das war eine theoretische Revolution, die ich allein nie riskiert hätte, weil ich damals immer noch vom Sein befangen war, das das Bewusstsein bestimme. Nun sollte doch das Bewusstsein das Sein bestimmen, eine Auffassung à la Leo Weisgerber, gegen die ich mich jahrelang heftig gewehrt hatte? Da brauchte es eine Zeit, mich mit der neuen Sicht anzufreunden. Sehr dazu beigetragen hat ein Artikel von Jürgen Link von 1991 mit dem Titel „Die Analyse der symbolischen Komponenten realer Ereignisse. Ein Beitrag der Diskurstheorie zur Analyse neorassistischer Äußerungen“ (OBST 46 (1992), S. 37-52) Nun liegt bereits das 40ste Heft der kultuRRevolution vor mir: „Ohne Papiere im Gelobten Land. Zur ganz normalen Lage der Einwanderer“ , 96 Seiten A 4, 15 Mark. Da bleibt mir nur zu gratulieren: zu dieser schönen und politisch wichtigen Arbeit. Und nicht zuletzt Jürgen Link zum 60sten Geburtstag!