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Trauerarbeit im Männerbund

Von Brigitta Huhnke, erschienen in DISS-Journal 2 (1998)

Wie bewußtlos und beflissen völkisch-konservative Vorgaben mittlerweile apportiert werden, zeigten die Nachruforgien für Ernst Jünger im Februar 1998. Die Ikone teutonischer Männlichkeit war kaum verschieden, da kondolierten Kanzler Kohl und Bundespräsident Herzog. Sie regten zur kollektiven Trauerarbeit im Männerbund an.

Bereits Anfang der neunziger Jahre war im deutschen Feuilleton die Tendenz zu beobachten, den kriegsgeilen Käfersammler zu rehabilitieren, um ihn auf der Suche nach identitätsstiftenden Vorbildern einzuverleiben. Plötzlich war alles nicht mehr so schlimm mit Jünger. Keinesfalls sei er ein Faschist gewesen, eher ein „Anarch“, in jedem Fall eine „Jahrhundert-Gestalt“, war nun in fast allen überregionalen Blättern zu lesen. Konkrete Blicke in das Jünger-Werk wurden dabei immer seltener.

Lediglich in der Frankfurter Rundschau blieb das Feuilleton zunächst weitgehend tapfer und berichtete noch 1994 beispielsweise über eine wissenschaftliche Fachtagung. Dort hatte der Historiker Elliot Neamann davor gewarnt, Jünger in die „extraterristische Sphäre zu entlassen“. Am Text hatte er gezeigt, wie Jünger den Historikerstreit von 1986 bereits kurz nach dem Ende des Faschismus in der Lesart Ernst Noltes vorweggenommen hatte. Auch beim Schweigen über Auschwitz hatte sich Jünger exponiert und somit wesentlich zum Gründungsmythos der Bundesrepublik beigetragen: „Jüngers Waldgänger- und Anarchentum nach 1945 als versteckte Anweisung zum deutschen Überwintern in den Kältezonen der Schuld zu lesen, gibt den Schlüssel, um zu verstehen, daß die seit einiger Zeit zu beobachtende Wiederkehr Jüngers als Ikone des deutschen Jahrhunderts und die Ausfütterung des regierungsamtlichen deutschen Selbstverständnisses mit den Thesen Noltes, Hillgrubers und Stürmers Parallelen bilden“ , referierte damals die FR. ((Frankfurter Rundschau, 7.10.1994))

Doch nur ein Jahr später, zum Hundertsten von Jünger, war es schwierig, Kritik überhaupt noch zu finden. Was Thomas Assheuer 1995 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung feststellte, war allgemeiner Tenor: „Eine vollständige Redaktion warf sich vor Ernst Jünger in den Staub wie einst der Untertan vor dem Kaiser“ ((Thomas Assheuer: Die Angst des Denkers vor dem Neuen, in: Die Zeit, 7.11.1997)). Auch 1998 funktionierte der obrigkeitsstaatliche Unterwerfungsgestus. Wie schon 1995 hatten zum Sudeln im braunen Matsch immerhin die obersten Repräsentanten des Landes aufgerufen. Was schert im Journalismus schließlich heute noch wissenschaftliche Erkenntnis, der hauseigene Artikel oder gar die eigene Einstellung von gestern. Mann geht auch in der FR mit der Zeit. In seinem Kondolenz-Kommentar überschlug sich Wolfram Schütte geradezu über die „Jahrhundert-Gestalt“ ((Frankfurter Rundschau, 18.02.1998)), wahlweise nun auch verehrt als der „abenteuerliche Anarchist“- aus der Selbstbezeichnung Jüngers, dem „Anarch“, wird glatt der „Anarchist“. An Jünger-Texten kann Schütte das nicht belegen. Dafür arbeitet er mit Anspielungen, unternimmt beispielsweise den absurden Versuch, Jünger positiv mit Elias Canetti und Thomas Mann zu vergleichen. Das ist mindestens aus ästhetischen, noch mehr aus politischen und humanitären Gründen ehrverletzend für die vom Naziregime Verfolgten.

Doch diese Geschmacklosigkeit liegt ganz auf der Linie des staatlichen Oberhauptes deutscher Männerbündler. So ließ sich Roman Herzog zu der emphatischen Luftblase hinreißen, Jünger sei ein „einzigartiger Zeuge der Zeit“ ((Zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.1998)) gewesen. Für Schütte wird Jünger am Ende seiner Grabrede gar ein „furchtlos-neugieriger Intellektueller“. Nichts Neues, dafür etwas dezenter formuliert, hatte dann im Feuilletonteil des gleichen Tages der Germanist Harro Segeberg mit „Wege und Irrwege einer Epochenaneignung“ beizutragen. Die Bewunderung kaum beherrschend, versucht dieser nun Jünger links von Kohl zu verorten, mutmaßt im Werk „sinnzentrierte Tiefendeutungen“ und verleiht ihm deshalb das Label „surrealistischer Traum-Forscher“.

Wie wenig intellektuelles Deutungsvermögen und historische Kenntnis bzw. Verantwortung im journalistischen Milieu Ende der neunziger Jahre noch verbreitet sind, war dann auch von FAZ bis taz nachzulesen. Eine Woche nach der Anti-Gleichstellungskampagne widmete die Zeit ihr Dossier „Der beste Feind der Moderne“ ((Die Zeit, 20.02.1998)) dem „Stahlgewitter“. Thomas Assheuer bemühte sich zwar, in der Atmosphäre des allgemeinen Jubels über die neu entdeckte Identitätsfigur subversiv mit philosophiegeschichtlicher Einbettung das unheilvolle Geistesumfeld der konservativen Revolution zu beschreiben. Doch fehlte ihm diesmal der scharfe Blick. Trotzdem hebt sich die kritische Zurückhaltung wohltuend gegen das Manöver des Kollegen Richard Herzinger in der gleichen Ausgabe ab. Der ist nun auch endgültig beim Zeitgeist angekommen, 1997 sogar mit einem ganzen Buch „Die Tyrannei des Gemeinsinns“. Darin strickt er die Masche des Nonkonformismus, entdeckt die „subversive Kraft des Egoismus“ und rechnet lauthals, als sei es seine Erfindung, mit der „moralischen Korrektheit“ ab. So wird auch nachvollziehbar, warum er naßforsch versucht, Ernst Jünger als „spät entdeckte Leitfigur“ der Linksintellektuellen zu entdecken. In diesem einigermaßen absurden Unterfangen fallen dann Namen wie Frank Schirrmacher und Peter Sloterdijk sowie die der Bockssänger Hans-Jürgen Syberberg, Heiner Müller, Günter Figal und Heimo Schwilk. Botho Strauß bekommt gar den Zusatz „ehedem ein Darling der Linken“ verpaßt.

Erstaunlicherweise durfte aber auch eine Frau das Dahinscheiden der patriarchalen Leitfigur mit dem Piepmatz auf der Schulter kommentieren, nämlich Brigitte Sauzay, die frühere Dolmetscherin von Mitterand. Der hatte den Kanzler 1984 ins geschichtsträchtige Verdun eingeladen. Kohl kam damals mit Ernst Jünger im Schlepptau. Angewidert erinnert sich Sauzay an Jünger und daran, wie sie damals ihrem Präsidenten direkt die Meinung gesagt hatte: “ Ich mag die `Stahlgewitter‘ nicht, hasse den Krieg, glaube nicht, daß er den wahren Menschen offenbart. Ich kann diesen virilen Elitismus nicht leiden. Noch schlimmer ist `Auf Marmorklippen‘, das als antifaschistisches Buch gepriesen wird und nichts anderes ist als eine Apologieder Diktatur, das Hohelied auf eine Welt voller Verachtung für die Schwachen, den Pöbel“.

Lediglich in der Wochenzeitung Freitag war in den Tagen danach die erste große kritische Analyse eines Deutschen in den überregionalen Blättern zu lesen, eine ohne wenn, aber und rhetorische Tricks: „Stahlgewitter mit Erdbeeren“ ((Freitag, 20.02.1998)). Der Autor Rudolf Walther hält es wie die Französin mit dem dichten Lesen, also der altmodischen Textarbeit und arbeitet so insbesondere die „katastrophalere Wirkung“ von Jüngers politischer Publizistik heraus. Diese kritische Betrachtung der Werkedition Jüngers, der nach und nach Pamphlete wie „In Stahlgewittern“ politisch entschärft hat, zeigt, wie mit dem sukzessiven Umschreiben dieser „Urtexte“ die Jünger-Gemeinde auch ihre Uminszenierungsstrategie verfeinert hat, bis aus dem Waffenanbeter schließlich der Widerständler wurde. Doch auch beim Freitag geht’s mittlerweile ausgewogen zu. Direkt in der Spalte nebenan durfte Michael Braun die Jünger-Kritik gleich am Anfang mit dem Mantra in die Schranken verweisen: „Auch posthum wird er sie nicht bestehen können, die Probe auf politische Korrektheit“. Und dann arbeitet dieser, Karl Heinz Bohrer zitierend, heraus, Jünger habe an der „Weiterentwicklung der Metapher des Schmerzes“ gearbeitet. Natürlich kommt Braun ohne Textbelege aus.

Noch existieren in der Frankfurter Rundschau aber auch Nischen für den Widerspruch. Einige Tage nach den unsäglichen Lobeshymnen schuf die verantwortliche Redakteurin der Dokumentenseite Platz für die erste längere wissenschaftliche Analyse, die in überregionalen deutschen Zeitungen überhaupt erschienen ist. Redakteurin und Autor lassen schon mit der Überschrift „Die Schule des männlichen Fundamentalismus“ ((Es ist eine verkürzte Fassung des Aufsatzes von Bernd Weisbrod: Ernst Jünger: In Stahlgewittern, in: Wilfried Barner (Hg.): Querlektüren, Göttingen 1997, S. 168-186.)) keine Zweifel aufkommen. In seinem Beitrag betreibt Bernd Weisbrod eine ganz andere Metaphernanalyse. Ebenfalls ganz traditionell am Text widmet er sich den „exaltierten Zuständen des Tötungsrausches“, dem der „Egomane“ Jünger in seinen einschlägigen Pamphleten wie „In Stahlgewittern“ verfallen ist. Der „ungeheure Vernichtungswille“ liegt für ihn klar im Werk, wie er unter anderem an folgender Textstelle herausarbeitet: “ Unter allen erregenden Momenten des Krieges ist keine so stark, wie die Begegnung zweier Stoßtruppführer zwischen den engen Lehmwänden der Kampfstellung. Da gibt es kein Zurück und kein Erbarmen. Das weiß jeder, der sie in ihrem Reich gesehen hat, die Fürsten des Grabens mit harten, entschlossenen Gesichtern, tollkühn, geschmeidig vor und zurück springend, mit scharfen blutdürstigen Augen, Männer die ihrer Stunde gewachsen waren“ ((Dieses Zitat stammt aus „In Stahlgewittern“, S. 244, zitiert nach Weisbrod, Frankfurter Rundschau, 21.02.1998)).

Dieses „wollüstige Schreiben“ ist für Weisbrod durchgängig: „Jeder Satz ein Anschlag, so geht es weiter, jedes Wort ein obszöner Erguß. Was hier strömt, (…) es ist die aggressive Angst-Lust“. Und er läßt keinen Zweifel: „Jüngers Texte sind Bekenntnisschriften für einen historischen Männlichkeitsentwurf, der seinen letzten, den quasi-religiösen Grund im `Wille zum Opfer‘ als `rettende Tat‘ finde. (…) Der starke Staat gegen die weibische Gesellschaft, der soldatische Männerbund gegen die demokratischen Parteien, die männliche Autorität gegen den weichlichen Frieden, die ganze Republik war ihnen wie ein `Dolchstoß der Frau in den Rücken des Mannes'“. Und Weisbrod definiert auch dessen historische Verantwortung: „Ernst Jünger war gewiß nicht der einzige, der daran arbeitete, dem `Phallus goldene Tempel zu errichten`. (…) Aber Jünger war der einzige, der in der `Wiederentdeckung der Gewalt`, im Gemetzel des Grabens, in diesem `auf die Spitze getriebene(n) Mannestum` (…) die `männliche Form der Zeugung erfand`. (…) Hierin liegt seine Bedeutung, nicht seine Größe“. Dieses Ergebnis kann bei einer genauen Textanalyse, ohne patriarchale Empfindungen, eigentlich auch nur herauskommen.

Und spätestens nach dieser Art von Lektüre kann die mystische Chiffre des orgiastischen Mordgetümmels in „Ithaka“ von Botho Strauß nur noch als Plagiat gelesen werden. Auch die kulturellen Wurzeln des Ekels vor der sexuell bewußten Frau sind nun viel besser nachvollziehbar. Doch die FR-Dokumentenseite war gerade gedruckt, da hatten auch die Spiegel-Mannen ihr Trauern über den „Anarch des Jahrhunderts“ (Der Spiegel, 23.02.1998) bereits in Zeilen gegossen. Jünger habe zwar „dem Nationalsozialismus von Herzen den Sieg“ gewünscht und sogar Augstein weiß, „Antisemit war Jünger wohl“. Aber auch das macht nichts, sie phantasten ihn in die oberste Etage des Jenseits: „Von Jahr zu Jahr weniger umstritten, wird der Tote nun endgültig ins Pantheon erhoben werden.“