„Die diskursive Seite hegemonialer Ordnungen“

Eine Rezension von Wolfgang Kastrup Lene Kempe, Politikwissenschaftlerin und Redakteurin der Monatszeitung ak (analyse & kritik) will mit ihrem Buch Die diskursive Seite hegemonialer Ordnungen eine Neubestimmung des Verhältnisses von Diskurs, Macht und Hegemonie, so der Untertitel ihrer jüngsten Veröffentlichung, leisten. Dabei will sie klären, wie die beiden Begriffe Hegemonie und Diskurs zueinanderstehen und zudem „eine systematische Integration diskursiver Aspekte in die neogramscianische Hegemonieanalyse […] ermöglichen.“ (10) Der Hegemoniebegriff von Antonio Gramsci (1891-1937) basiert, so Kempe, für die gesamtgesellschaftliche Ordnung in kapitalistischen Staaten auf Konsens, um so die Zustimmung der Subalternen, also der Beherrschten, für die Macht der Herrschenden zu erhalten. Über ökonomische Zugeständnisse und über „allgemein akzeptierte Ideen, Deutungen, Normen, Regeln und Institutionen“ (11) auf der Ideologieebene soll ein solcher Konsens erreicht werden, um so einen im Wesentlichen einheitlichen Alltagsverstand zu erzielen.…

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Den Kapitalismus verstehen

Søren Maus Stummer Zwang als „ökonomische Macht“ im Kapitalismus Eine Rezension von Wolfgang Kastrup Seit Kurzem liegt das Buch von Søren Mau Stummer Zwang. Eine marxistische Analyse der ökonomischen Macht im Kapitalismus in deutscher Übersetzung vor. Søren Mau ist Postdoc und Mitglied im Redaktionsbeirat der Zeitschrift Historical Materalism und des Beirats der Dänischen Gesellschaft für Marxistische Studien. Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Erstausgabe seiner Promotionsschrift Mute Compulsion. A Theory of the Economic Power of Capital am Institut für Kulturstudien der Süddänischen Universität (SDU). Michael Heinrich, einer der prominentesten Vertreter der Neuen Marxlektüre, war nicht nur ein sehr wichtiger Gesprächspartner für Mau, sondern hat auch das Vorwort für dieses Buch geschrieben. Die Lektüre dieser Arbeit ist sicher „keine leichte Kost“, um Heinrich zu zitieren. Das Herausragende der Analyse für ihn wird in folgender…

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Roma: Leben in Bulgarien, aber nicht mit Bulgaren

von Liliia Peicheva Ich komme aus einer kleinen Stadt in der Ukraine, wo Roma zu sein bedeutet, in einer ukrainischen Stadt zu leben aber nicht mit Ukrainern. Roma zu sein bedeutet, Beleidigungen, Diskriminierung, misstrauischen Blicken und sogar Ausgrenzung ausgesetzt zu sein. Wir Nicht-Roma wissen, dass in und um unsere Stadt viele Roma leben, aber wir sehen sie nie und wollen sie auch nicht sehen. Die meisten von uns kennen die Bedeutung des Wortes „Roma“ nicht. Wir nennen sie „Zigan“. Als Kind habe ich viel über Roma gehört. Oft heißt es, man solle ihnen nicht in die Augen schauen oder ihnen kein Geld geben, aus Angst, verflucht oder verhext zu werden. Es gibt viele Geschichten darüber, dass sie arbeitsscheu sind, stehlen, Verbrechen begehen usw. Wenn man Nicht-Roma nach ihren Erfahrungen mit Roma fragt, hat…

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Eine Analyse der Beziehungen zwischen Aussagen am Beispiel des Fluchtdiskurses um Carola Rackete und Moria

Von Anna-Maria Mayer, Benno Nothardt, Milan Slat, Judith Friede, Louis Kalchschmidt, Fabian Marx & Christian Sydow In unserer Kritischen Diskursanalyse (KDA) des Fluchtdiskurses um Carola Rackete und Moria haben wir nicht nur die Aussagen, sondern auch das Netz ihrer Beziehungen untersucht. Unsere Erfahrungen damit stellen wir in diesem Artikel dar. Dazu werden wir im ersten Teil den Begriff der Aussage erklären. Im zweiten Teil werden wir das Kippen einer ganzen Kette von Aussagen im Fluchtdiskurs 2015/16 in Erinnerung rufen. Im dritten Teil werden Beziehungen von Aussagen am Beispiel eines kurzen Zeitungskommentars genauer dargestellt und abschließend im vierten Teil die Aussagenbeziehungen im medialen Diskurs um Carola Rackete visualisiert und erläutert. 1. Aussagen vs. Äußerungen Der Aussagenbegriff der KDA ist an Michel Foucaults Begriff orientiert, jedoch nicht mit diesem identisch. Aussagen sind der „inhaltlich gemeinsame…

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Nudging – die politische Dimension psychotechnologischer Assistenz

Von Guido Arnold Neue Technologien nehmen einen wachsenden Einfluss auf die Formierung von Subjekten. Vielfach werden insbesondere die hohe Transformationsgeschwindigkeit einer disruptiven Entwicklung sowie die systematische Vereinnahmung der Aufmerksamkeit als problematisch für eine ‚demokratische Subjektivierung‘ angesehen. Tatsächlich stellen KI-gestützte Psychotechnologien perspektivisch die Grundlage für politisches Handeln, nämlich die politische Willensbildung in Frage. Ein Plädoyer gegen das ‚nudging‘. Autonomie und die ‚Illusion des freien Willens‘ Es ist eine immer wiederkehrende Diskussion unterschiedlicher Schulen mit unterschiedlichen Begriffsbildungen: Gibt es so etwas wie einen „freien Willen“ oder ist diese Form der individuellen Autonomie eine Illusion? Diese Frage ist von unmittelbarer Relevanz für unser Autonomieverständnis in Bezug auf automatisierte Empfehlungs- und Entscheidungssystme, um die es diesem Artikel eigentlich geht. Dem Philosophen Gaspard Koenig ist mit „Das Ende des Individuums“ eine gute interdisziplinäre Zusammenstellung aktueller Forschung zur Frage…

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Als Soziologe in der Dortmunder Nordstadt

Von Dirk Dieluweit Als ich beruflich bedingt für ein halbes Jahr ins Ruhrgebiet ziehen musste, benötigte ich kurzfristig eine günstige Wohnung in Dortmund. Da ich bisher nur den Wohnungsmarkt aus dem Rhein-Main-Gebiet kenne, war ich angenehm überrascht, als ich nach dem ersten Besichtigungstermin eine Wohnung in der Dortmund Nordstadt fand, die mir zusagte. Die Dortmunder Nordstadt in den Medien und im öffentlichen Diskurs Als ich einer Bekannten von der erfolgreichen Wohnungssuche berichtete, hörte ich sofort: „Ziehe auf keinen Fall dort hin. Da gibt es nur Bruchbuden und abends kann man nicht mehr nach draußen.“ Ein anderer Bekannter berichtete mir, dass seine Eltern immer die Autotüren verriegeln würden, wenn sie an einer Ampel in der Nordstadt warten müssten. Erklärt wurde mir dies damit, dass in der Nordstadt Leute aus „Kulturkreisen“ leben, die nicht dazu…

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Die Reichweite kommunaler Interventionen in Armutsquartieren

Von Peter Höhmann Vorbemerkung Der Beitrag befasst sich mit kommunalen Interventionen in Quartieren mit schlechter Bausubstanz und einer hohen Konzentration ärmerer Bevölkerungsgruppen. Zwar ist die Stadt Ort der Problemwahrnehmung, ihre Handlungsspielräume lassen jedoch keine eigenständigen Lösungsstrategien zu. Diese sind vielmehr an ökonomische Verhältnisse gebunden, die nicht im sozialen Feld des städtischen Raums selbst hergestellt werden. Angesichts der Diskrepanz von internen Handlungsspielräumen und externen Handlungsbedingungen verfügt die Stadt unter wirtschaftlichem Aspekt, wie Max Weber betont hat, über keine feste Grenze, ist aber auf diese Umwelt notwendig bezogen. Problemlagen und Interventionen werden am Beispiel der Lage in Quartieren der Stadt Mülheim/R. sowie der Regensburger Altstadt kontrastiert. Beide Orte sind etwa gleich groß und stehen für unterschiedliche kommunale Interventionen, die in Abhängigkeit von gegenläufigen Entwicklungen ihrer ökonomischen Verhältnisse getroffen werden. Die Lage in Mülheim ist kontinuierlich…

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Clearview AI

Der neoreaktionäre und neonazistische Hintergrund der weltweit leistungsfähigsten Gesichtserkennungstechnologie Von Guido Arnold New York Times und Huffington Post hatten im Frühjahr 2020 nach aufwändigen Recherchen enthüllt1, wer hinter der Entwicklung der Gesichtserkennungssoftware Clearview AI steckt: sogenannte Neoreaktionäre mit engen Verbindungen zu Ultrarechts-Libertären wie z.B. Peter Thiel sowie führenden, in den USA organisierten Faschisten. Dieser Artikel soll einige wesentliche Stationen der Entstehungsgeschichte des Start-ups nachzeichnen und dabei die vielschichtigen personellen Verwicklungen aufzeigen, aber vor allem die Interessenkohärenz bei der zielgerichteten Entwicklung von biometrischer Überwachungssoftware, um „jeden illegalen Ausländer im Land zu identifizieren“. Clearview AI ist ein Paradebeispiel für die Nicht-Neutralität von Technologie. Die Entstehungsgeschichte des Unternehmens lässt eine Reduzierung der Frage nach Nutzen und Schaden technologischer Innovation auf deren jeweilige Anwendung geradezu absurd erscheinen. Clearview AI ist eine Art Suchmaschine für Gesichter. Sie ist…

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Zeitschriftenporträt „CATO“

Ein „Magazin für neue Sachlichkeit“ im „heilsgeschichtlichen Kampf“? Von Andrea Becker und Lana Knappe Seit Karl-Heinz Weißmanns Austritt aus der Redaktion der Sezession und seinem Abgang als wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik im April 2014 war es nur eine Frage der Zeit, bis ein neues Zeitschriftenprojekt auf den Markt kam (vgl. Kellershohn 2017, S. 3). Gemeinsam mit Dieter Stein und Andreas Lombard gründete Weißmann im Herbst 2017 die Zeitschrift CATO – Magazin für neue Sachlichkeit. Hierbei handele es sich laut Lombards Aussage in einem Interview zur Erstausgabe um ein konservatives Blatt abseits des Mainstreams mit einer zugleich „politischen und metapolitischen Ausrichtung“, wobei die metapolitische Komponente von größerem Interesse sei (vgl. Lombard und Schwarz 2017). Der Hauptgesellschafter des neuen Projekts, Dieter Stein, schwärmte, dass das Blatt die „Sehnsucht nach tiefgründiger, geistreicher Analyse und…

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Wiedergelesen: Ein Gründungstext des Ordoliberalismus

Alexander Rüstow über den „neuen Liberalismus“ 1932 Von Helmut Kellershohn Vorbemerkung: Karlheinz Weißmann, seines Zeichen Chefideologe der Jungen Freiheit, veröffentlicht 2020 im JF-Verlag eine Broschüre „Wer ist rechts. Versuch einer Typologie“, in der er drei Typen des Rechts-Seins vorstellt. Der „Populare“ verkörpert das Völkisch-Identitäre, der „Archiker“ das bonapartistische Element. Der „Verist“ dagegen plädiert für Autorität, Ordnung und Freiheit. Man kann davon ausgehen, dass Weißmann mit dieser Typologie Facetten des Rechts-Seins umschreibt, die durchaus zusammengehören. Seine Sympathie gehört freilich dem Veristen, der über das rechte Sensorium für die Gestaltung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft verfügt. Im Veristen vereinen sich jungkonservativer Etatismus und neo- bzw. ordoliberales Denken über das Verhältnis von Staat und Wirtschaft. Es verwundert daher nicht, wenn Weißmann sich an entscheidender Stelle auf Alexander Rüstow bezieht,1 der aber in einem Atemzug mit Carl…

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