DISS-PRESSEERKLÄRUNGEN

 

Erklärung
gegen die politische Funktionalisierung der Justiz in Österreich

Es ist eine bekannte Strategie der neorassistischen FPÖ und ihres informellen Führers Haider, politische Gegner auf juristischem Weg einzuschüchtern und mundtot zu machen - die FPÖ führte seit dem Antritt Haiders vor 15 Jahren bisher ca. 350 Prozesse! Seit Beginn der Regierungsbeteiligung der Partei im Februar dieses Jahres hat dies eine neue Qualität bekommen, die Anlaß zu ernster Sorge gibt:

Jörg Haider hat über die Kanzlei seines Anwalts, des derzeitigen österreichischen Justizministers Dieter Böhmdorfer, eine Serie von Privatklagen gegen Wissenschaftler und Publizisten eingereicht, die nun unter ministerieller Aufsicht seines Parteifreundes ihren Gang gehen. Erstes Opfer der Kampagne ist der Innsbrucker Politologe Anton Pelinka, gegen den noch ein weiteres Verfahren anhängig ist. Daneben sind Wolfgang Neugebauer vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, der Publizist Hans Rauscher und das Magazin ›Profil‹ sowie Ariel Muzicant, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde zu Wien, inzwischen mit Klagen konfrontiert.

Anton Pelinka wurde von einem Wiener Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er angeblich Haider "diffamiert" habe, indem er in einem italienischen Fernsehinterview erklärte, "Haider hat in seiner Karriere immer wieder Aussagen gemacht, die als Verharmlosung des Nationalsozialismus zu werten sind. Er hat einmal die Vernichtungslager Straflager genannt. Insgesamt ist Haider verantwortlich für eine neue Salonfähigkeit nationalsozialistischer Positionen und bestimmter nationalsozialistischer Äußerungen."

Der Missbrauch der österreichischen Justiz für die politischen Zwecke der FPÖ folgt dem einfachen Muster, jedem, der sich mit der politischen Programmatik und damit unvermeidlicherweise mit den NS-Anspielungen in den Aussagen Haiders auseinandersetzt, eine Gleichsetzung dieser Position mit dem historischen Nationalsozialismus oder Faschismus zu unterstellen und dies gerichtlich sanktionieren zu lassen. Die Möglichkeit zu notwendigen strukturellen historischen Vergleichen und zur Analyse der mobilisierenden Funktion der politischen Sprache Haiders bleibt damit auf der Strecke. Jeder medientauglich verbriefte Freispruch von Nazismus und Faschismus lenkt erfolgreich ab vom eigentlichen Ereignis, das Haiders FPÖ darstellt: das Auftreten eines modernen Rechtspopulismus, dem es gelingt, neorassistische Positionen ›normal wählbar‹ erscheinen zu lassen und auf diese Weise auch die von der Nachkriegsdemokratie Österreichs ausgegrenzten altrechten Positionen in das Spektrum der Hegemonie einbinden zu können. Die Folgen dieses Rechtsrucks der Mitte sind bereits spürbar. Antisemitische Positionen gewinnen heute neuen Auftrieb und artikulieren sich in immer skandalöserer Weise.

Wir protestieren gegen diese Funktionalisierung der Justiz zur diskurspolizeilichen Erosion der österreichischen Zivilgesellschaft. Wir appellieren an die österreichischen Gerichte, sich in ihrer demokratischen Verantwortung gegenüber der Freiheit der politischen Meinungsäußerung und der Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Diskussion nicht einschüchtern zu lassen. Anton Pelinka und allen anderen Betroffenen versichern wir unsere Solidarität und Unterstützung.

PD Dr. Claus Ahlzweig, Universität Hannover

Prof. Dr. Elmar Altvater, FU-Berlin

Prof. Dr. Klaus J. Bade, Universität Osnabrück

Dr. phil. Fritz Betz, Zentrum für soziale Innovation, Wien

Prof. Dr. Jürgen Biehl, Universität Duisburg

Dr. Ursula Birsl, Universität Göttingen

Dr. Renate Bitzan, Universität Göttingen

Prof. Dr. Klaus-Michael Bogdal, Universität Duisburg

Prof. Dr. Gerd Bollenbeck, Universität Siegen

Prof. Dr. Hannelore Bublitz, Universität Paderborn

Dr. Andrea D. Bührmann, Kiel

Gabriele Cleve, DISS

PD Dr. Frank Decker, Universität der Bundeswehr Hamburg

Prof. Dr. Alex Demirovic, Universität GH Wuppertal

Dr. Bernd Drücke, Universität Münster

Prof. Dr. Frieder Dünkel, Universität Greifswald

Prof. Dr. Veronika Fischer, Fachhochschule Düsseldorf

Prof. Dr. Wolfgang Fischer, Universität Greifswald

Dr. Helmut Fröchling, Universität der Bundeswehr Hamburg

PD Dr. Ute Gerhard, Universität Dortmund

Prof. Dr. Wolfgang Gessenharter, Universität der Bundeswehr Hamburg

PD Dr. Adi Grewenig, Universität Hannover

Dr. Annette Hiemisch, Universität Greifswald

Jutta Hoellriegel, Zentrum für soziale Innovation, Wien

Dr. Margarete Jäger, DISS

Prof. Dr. Siegfried Jäger, Universität Duisburg / DISS

Prof. Dr. Franz Januschek, Universität Oldenburg

Helmut Kellershohn, DISS

Prof. Dr. Heiner Keupp, Universität München

Dr. Johannes Klotz, Bremervörde

Prof. Dr. Clemens Knobloch, Universität Siegen

Dr. Ruud Koopmans, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

Ulrike Kozeluh, Zentrum für soziale Innovation, Wien

Dr. Wolfgang Kreutzberger, Universität Hannover

Prof. Dr. Reinhard Kühnl, Universität Marburg

Dipl-Pol. Thomas Kunz, Universität Frankfurt/Main

Prof. Dr. Kurt Lenk, Universität Aachen

Prof. Dr. Jürgen Link, Universität Dortmund

Prof. Dr. Ursula Link-Heer, Universität Bayreuth

Prof. Dr. Birgit Mahnkopf, Fachhochschule für Wirtschaft, Berlin

Prof. Dr. Alf Mintzel, Universität Passau

Prof. Dr. Renate Nestvogel, Universität Essen

Prof. Dr. Dieter Oehlschlägel, Universität Duisburg

Irmgard Pinn, Universität Aachen

Ina Ruth, Universität Duisburg / DISS

Prof. Dr. Burkhard Schaeder, Universität Siegen

Prof. Dr. Albert Scherr, Universität Darmstadt

Herbert Schlader, Zentrum für soziale Innovation, Wien

Friedemann Schmidt, Berlin

Alfred Schobert, DISS

Prof. Dr. Axel Schulte, Universität Hannover

Ernst Schulte-Holtey, DISS

Dr. Gerd Simon, Universität Tübingen

Inge Uesseler, Berlin

Prof. Dr. Manfred Uesseler, Berlin

Dr. Hans Uske, Rhein-Ruhr-Institut, Universität Duisburg

Frank Wichert, DISS

Dr. Susanne Zickler, Swisttal

(Stand: 20. September 2000)

 

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