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Colloquium 2005

 

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Macht Religion Politik?

Tagungsbericht zum DISS Colloquium 2005

Von Regina Wamper und  Hacer Ucar

Dem Zusammenhang von Macht, Religion und Politik widmete sich das Colloquium des DISS, das in Kooperation mit der Gesellschaft für politische Bildung der Akademie Frankenwarte und mit Unterstützung des Kurt-Eisner-Vereins vom 25. bis zum 27.11. 2005 in der Frankenwarte in Würzburg stattfand.

Dem Themenkomplex „Religionskritik“ wurde vor allem von Moshe Zuckermann (Tel Aviv/Wien) und Alfred Schobert (Duisburg) nachgegangen.

Moshe Zuckermann führte mit Kant, Feuerbach, Marx und Freud in diesen Komplex ein. Angefangen bei Kant, der zwar feststellte, dass die Frage nach der Existenz Gottes keine philosophische sei, Gott jedoch „durch die Hintertür“ wieder einführte, indem er die Glücksseligkeit mit dem Begriff des Jenseits verknüpfte, folgte Feuerbachs Umkehrung des Genese. Nicht Gott habe die Menschen, sondern der Mensch habe Gott als Projektion erschaffen, um sich dieser zu unterwerfen. Der Motivation für die Schaffung Gottes ging schließlich Marx nach und endete bei dem ungelösten Widerspruch, dass eben das freie Bewusstsein die freie Gesellschaft voraussetzt, die wiederum das freie Bewusstsein erfordert. Freud schließlich sah in der Genese der Religion die Suche nach Autorität, nach dem „Urvater“ und in der Unterwerfung ein Grundbedürfnis der so gearteten Zivilisation. Die Kulturindustrie mit ganz ähnlichen Strukturen ist, so Zuckermann heute der Ersatz für die Religion. Das Grundbedürfnis sieht er keineswegs als geschwunden.

Alfred Schobert (Duisburg) näherte sich der Religionskritik mit Jaques Derridas Arbeiten. Der „Messianismus ohne Messias“ wie ihn Derrida in Marx´ Gespenster entwickelte, nimmt eine Ablösung des Messianischen von dem Religiösen vor und sieht das Messianische als Weigerung, sich mit dem Gegebenen abzufinden, als Struktur des Handelns und Sprechens, verwoben mit einem immanenten Versprechen. Dieses Versprechen gilt auch als Verpflichtung gegenüber den Opfern der Vergangenheit und Zukunft, den Gespenstern.

Zur interdiskursiven Funktion von Religion, der Religion im öffentlichen Raum referierten Jürgen Link (Dortmund) und Heinz Brüggemann (Hannover).

Jürgen Link sieht den Neosozialdarwinismus - euphemistisch Neoliberalismus genannt - in einer Assoziationskrise. Er sei nicht imstande, kollektive Subjektivität zu schaffen. Die Religion gehe daher eine Symbiose mit dem Kapitalismus ein, fungiert als wissensspezifischer Interdiskurs, als Sozialkörper, als religiöses Wir. Dieses religiöse Wir – Bewusstsein ist gerade in den unteren Normalitätsklassen als scharfe Tennlinie zu der Kultur der oberen Normalitätsklassen wesentlich für die Entstehung des Islamismus, während einige Kirchen der so genannten 1. Welt mit apokalyptischer Religiosität reagieren.

Heinz Brüggemann setzte sich mit den jüngsten Äußerungen von Jürgen Habermas zum Verhältnis von Gesellschaft und Religion auseinander und schloss daran eine Kritik der öffentlichen Zurschau-Stellung des Leidens und Sterbens von Papst Johannes Paul II seitens der Kirche an.

Jobst Paul (Duisburg) referierte über das Verhältnis von Judentum und Vernunftreligion im 19. Jahrhundert, das bis heute die Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden bestimmt. Das damalige Konvergenzprojekt zwischen Judentum und Christentum scheiterte nach zahlreichen Kämpfen um Annäherung und Emanzipation gegen die christliche Arroganz  nicht zuletzt durch die „Re-Konfessionalisierung“.

Fundamentalistische Christen in den USA waren Thema des folgenden Vortrags. Frank Unger (Berlin) beschrieb die Reaktion des Pietismus als Massenphänomen auf die Relativierung und Symbolisierung der Bibel, auf den Liberalismus des social gospel. Gerade die „erweckten Christen“ und die „christian coalition“ sieht er als einflussreiche politische Kraft in den USA, als einzig verlässliche aktive Wählerschaft.

Dem Zusammenhang zwischen Religion und Staat in Israel widmete sich Moshe Zuckermann. Obwohl die Religion dem politischen (säkularen) Zionismus eigentlich fremd war, die religiöse Doktrin gar die Gründung des Staates Israel vor der Ankunft des Messias  strikt ablehnte, wurde die Religion in den Zionismus als einzig positiver gemeinsamer Nenner integriert. Die Idee von dem Staat Israel, die vor der Infrastruktur entstand sollte nicht allein durch den Antisemitismus begründet sein. In den Staat Israel als westliches Projekt der Moderne zog somit ein prä-modernes Phänomen ein, das auch heute noch gerade bei säkularen Juden Identitätsdiskussionen hervorbringt.

Richard Faber (Berlin) wies in seinem Vortrag über politische Dämonologie und den modernen Marcionismus nach, dass der Staatstheoretiker Carl Schmitt seine Theorie an Marcion und somit an dessen christlich antijudaistischen Werten orientierte.

Auf den viel diskutierten Islamismus in Deutschland und seine Netzwerke ging Claudia Dantschke (Berlin) ein. Der Islamismus, der beim ganzheitlichen Ansatz des Islam ansetzt, vom Islam aber strikt unterschieden werden muss, zeichnet sich durch die Ideologisierung der Religion aus. Der politische Islam sieht sich als Gegenkonzept zum Kapitalismus, zur westlichen Demokratie und ebenfalls zum Sozialismus und Kommunismus, zur Aufklärung und den Ideen der französischen Revolution. Er beschreibt ein Konzept einer geschlossenen Gesellschaftsordnung, basierend auf Koran, Sunna und einem biologistischen Menschenbild.

Ähnlich dem christlichen Fundamentalismus und Antijudaismus imaginiert der Islamismus die Juden als „geheime Macht“, die in einem jüdisch-freimaurerischen Komplott die französische Revolution herbeiführten um die Religion zurückzudrängen und den Kapitalismus zu etablieren. Auch die evolutionäre Sichtweise des Christentums, mit der diese das Judentum als älteste und am wenigsten entwickelte Religion ansahen nutzt der Islamismus gegen Judentum und Christentum. Die Entwicklung des Islamismus in Deutschland sieht Claudia Dantschke als Resultat der nichtmuslimischen Integrationsdebatte in Deutschland. Islamistische Organisationen hätten das Defizit genutzt, welches aus dem Desinteresse für MigrantInnen mit religiösen Bedürfnissen entstanden sei.

Wie in Deutschland mit Religion Politik gemacht wird und inwieweit dies mit Macht verbunden ist beleuchtete Margarete Jäger (Duisburg) in ihrem Vortrag zu diskursiven Effekten der Kopftuchdebatte im deutschen Einwanderungsdiskurs, in dem die Ethnisierung von Sexismus immer eine große Rolle gespielt hat. Die Polemiken der „KopftuchbefürworterInnen und -gegnerInnen), die Stilisierung Kopftuch tragender Frauen als kollektivsymbolisch militärische Bedrohung  nützen schließlich einzig dem politischen Gegner. Die Kirchen hingegen lenken die Diskussion weg von der Säkularisierung und hin zum Kopftuch als Stoff gewordenes Symbol um ihre eigne Macht zu behaupten.

Ineke van der Valk (Amsterdam) erläuterte schließlich die Folgen des Mordes an dem Religionskritiker van Gogh in den Niederlanden. Gerade nach dem 11.9.2001, nach dem Mord an Pim Fortuyn und nach dem Mord an van Gogh häuften sich antiislamischen Übergriffe. Die Krise in den Beziehungen zwischen MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen, als auch ein Zulauf zur extremen Rechten seien die Folgen der Morde. Die Rede vom Ende des politischen Liberalismus sei jedoch zu hinterfragen. So wurden MigrantInnen in den Niederlanden bereits vor den beschriebenen Geschehnissen stigmatisiert, der vermeintliche Liberalismus meist eben nur Image gewesen. Nach den Anschlägen und Morden haben sich dennoch einige Prinzipien geändert. So fiel das gesellschaftliche tabu gegen Rassismus weg, die multikulturelle Gesellschaft wird nun offen in Frage gestellt, auch auf institutioneller Ebene durch die Änderung der Ausländergesetze. Auch der Blick auf den Islam änderte sich. In den Niederlanden, so Ineke van der Valk etabliere sich eine pessimistische Weltsicht, ein Klima der Angst.

 

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