"Der
zivilgesellschaftlich-politische Nutzen von Diskurstheorie und Diskursanalyse".
Tagungsbericht zum
DISS-Colloquium vom 16.-18.11.2007 in Würzburg
Von Hans-Peter Brodersen und Lenard Suermann
Das 20. Colloquium des DISS fand vom 16. bis
18.11.2007 in Verbindung mit der Gesellschaft für politische Bildung auf der
Frankenwarte in Würzburg unter der Leitung von Siegfried Jäger (DISS) und Georg
Rosenthal (Akademie Frankenwarte, Gesellschaft für politische Bildung e.V.) statt. Die zentrale Fragestellung lautete, inwiefern
Kritische Diskursanalyse einen Beitrag zur gegenwärtigen und zukünftigen
Gestaltung subjektiver und gesellschaftlicher Wirklichkeiten leisten kann. Die
neun gehaltenen Vorträge lassen sich in primär theoretisch-methodische
unterteilen, die sich zudem mit den Perspektiven poststrukturalistischer Theorie
auseinandersetzten, und einen empirischen Teil, der verschiedene
Herangehensweisen der Diskursanalyse und deren Anwendungsmöglichkeiten
verdeutlichen sollte.
Der Perspektiventeil stellte im Besonderen die
Frage nach der Potenz von Poststrukturalismus und Kritischer Diskursanalyse zur
Ausübung von Kritik vor dem Hintergrund einer unkritischen und meist
unvollständigen Rezeption Michel Foucaults und anderer Autoren. Die Vorträge zur
angewandten Kritischen Diskursanalyse hatten das Ziel, die Bandbreite an
Möglichkeiten, die dieser Ansatz bietet, exemplarisch zu veranschaulichen. Dabei
galt es, innerhalb der gesellschaftlichen Diskurse Herrschaftsstrukturen
herauszuarbeiten und damit kritisierbar zu machen. Damit sollte zugleich eine
Art Fazit aus der 20-jährigen Forschungsarbeit des DISS gezogen und Perspektiven
für die zukünftige Arbeit des DISS zumindest angedeutet werden. Dieses Vorhaben,
soviel sei vorweg gesagt, konnte natürlich nur in Umrissen realisiert werden, so
dass die Tagungsbeiträge eher dazu geeignet waren, Konturen eines Konzepts zu
entwickeln als ein solches Konzept systematisch zu entwickeln.
Siegfried Jäger (Duisburg):
Von der Ideologiekritik zu Foucault und Derrida
Ein Beitrag zu einer möglichen
Wende kritischer Wissenschaft und Politik
Das Eingangsreferat verfolgte das Ziel, die Frage
nach dem politischen und zivilgesellschaftlichen Nutzen von Diskurstheorie und
Diskursanalyse differenziert und kritisch zu beantworten. Zunächst
rekapitulierte der Referent die Entwicklung einer Version der Kritischen
Diskursanalyse, wie sie im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS)
seit Mitte der 80er Jahre ausgearbeitet und in einer Vielzahl von Projekten
angewandt worden ist. Als die zentralen Gegenstände Kritischer Diskursanalyse
bezeichnete der Referent im Anschluss an Jacques Derridas Zehn-Punkte-Telegramm
aus seinem Buch „Marx Gespenster“ das Hinterfragen sozialer Ungleichheiten,
Ungerechtigkeiten und globaler Verbrechen wie Waffenhandel, Krieg und Missbrauch
des internationalen Rechts (vgl. dazu Derrida 1995, S. 132-137). Diese „Wunden
der neuen Weltordnung“ (so Derrida) aufzuweisen und einer radikalen Kritik
zuzuführen, sei die Aufgabe kritischer Wissenschaft. Es gehe darum, sich damit
gegen die in den stattfindenden diskursiven Kämpfen angeblichen
Selbstverständlichkeiten und Alternativlosigkeiten zur Wehr zu setzen und diese
ad Absurdum zu führen.
Offen sei jedoch durchaus die Frage,
ob durch das Einmünden der Diskursanalyse
in den wissenschaftlichen „Mainstream“ nicht auch deren Kritikpotential leiden
würde, indem das Etikett Foucault für Ansätze in Anspruch genommen werde, die
sich jeglicher Kritik und Machtanalytik enthielten. Es sei die Aufgabe dieses
Colloquiums, diese Frage auszuleuchten, und den kritischen Anspruch stark zu
machen. Gerade die Methode der Diskursanalyse ermögliche über die reine Analyse
von Sagbarkeitsfeldern hinaus ein Eingreifen in die politische Praxis durch das
Aufzeigen des je anders möglichen und das Infragestellen des vermeintlich
Selbstverständlichen. Dazu trage die stetige Verfeinerung und Verbesserung des
methodischen Rüstzeugs der Foucaultschen „Werkzeugkiste“ bei.
Vor allem durch die Erfahrungen in der
Projekt-Praxis seien immer neue Werkzeuge entworfen oder auch alte ersetzt
worden, denn neue Gegenstände erforderten oft spezifische Herangehensweisen und
zusätzliche Analyseinstrumente für die diskursanalytische „Werkzeugkiste“. Diese
insofern besondere Rolle der AnalytikerIn als stetiger Erfinder lasse sich auch
als Kritik oder doch Modifikation der orthodox marxistischen Ideologiekritik
lesen, die immer schon den Anspruch hege, im Besitz der einzigen und
objektiven Wahrheit zu sein. Zwar gehe es dem Diskursanalytiker ebenso um einen
objektiven Begriff der Wahrheit, allerdings sei es die Materialität der
Diskurse, die hier im Fokus liege. Mit dem Begriff der „zu kommenden Demokratie“
habe Jaques Derrida einst dieses Anliegen ausgedrückt, dass Demokratie
diskursiv als unfertiges Projekt, gleichzeitig aber auch als notwendig „zu
kommende Demokratie“ im positiven Sinne verstanden werden müsse. Dies gelte auch
für die AnalytikerInnen selbst, wie Michel Foucault formulierte „Schreibe, dass
du am Ende nicht dasselbe denkst wie zuvor.“ Den Abschluss bildete eine
Reflexion der Möglichkeiten von fundierter Kritik: einmal durch die Analyse
selbst, zum anderen jedoch auch durch die Einforderung spiritueller Werte
unabhängig von jeglicher metaphysischen Rückbindung.
Dieser Gesichtspunkt bildete denn auch den
Schwerpunkt der anschließenden Diskussion: Was ist und bedeutet eigentlich
Ideologie und Ideologiekritik und wie könnte die Zukunft neuer und diesseitiger
Werte beschaffen sein?
Gabriel Kuhn (Stockholm):
Zum politischen Stellenwert poststrukturalistischer Theorie
Nach einer auch autobiografisch rückgebundenen
Einleitung kennzeichnete Gabriel Kuhn zunächst sein Interesse für AutorInnen,
die dem Poststrukturalismus zugerechnet werden. Indem er sich auf deren
Theoriebildung stützte, formulierte er sein Erkenntnisinteresse im Hinblick auf
die Radikalität des Denkens in der abendländischen Welt, die Betonung der
Minorität als Potential, auf Dekonstruktionskonzepte allgemein, aber auch
hinsichtlich der Rolle der / des spezifischen Intellektuellen, der statt der
Auseinandersetzung mit der Bildung von Großtheorien sich für lokale Probleme und
die Behebung solcher Probleme einsetze. Wichtig sei hierfür das Streben nach
einer Form emanzipativer Individualität jenseits kapitalistischer
Vergesellschaftung.
Nach dieser Einleitung kam der Referent auf die
Probleme und Stärken poststrukturalistischer Theorie heutzutage zu sprechen.
Zunächst wurde gezeigt, dass der Poststrukturalismus durch seine Vermischung mit
dem Postmodernismus nicht mehr per se als links aufzufassen sei. Zudem werde die
politische Aktivität der genannten AutorInnen häufig unterschlagen und die
Theorien durch eine oberflächliche Rezeption ihres kritischen Inhalts beraubt.
Als Ursache hierfür sah Gabriel Kuhn die folgenden Gründe: Die Vereinnahmung subversiver
Theorien durch den Kapitalismus als Konsumgut, die Schwächen und Mängel, die in
der poststrukturalistischen Theorie selbst zu finden seien, sowie die
Entpolitisierung der Theorie durch die Linke, die diese immer schon per se für
links erklärt habe. Blinder Aktionismus sei das dritte Element dieser Schwäche.
Dadurch lande der Poststrukturalismus oft in der Beliebigkeit. Dennoch berge die
poststrukturalistische Theorie an sich kritisches Potential, sofern sie sich auf
die subversive kulturelle Tradition rückbesinne, aus der sie stamme.
Andererseits könne der Poststrukturalismus nicht zur politischen Identifikation
herhalten, weswegen auch Verteidigungsversuche gegen unvollständige Rezeptionen
in Gabriel Kuhns Augen Zeitverschwendung seien.
In der darauf folgenden Diskussion rekurrierten
die TeilnehmerInnen vor allem auf das oft unpräzise Verständnis von
Poststrukturalismus in der etablierten Diskussion. Während diese primär im
angloamerikanischen Sprachraum verbreitet sei, man dort allerdings weitgehend
auf die foucaultsche Macht-Wissen-Theorie in der Analyse verzichte, gebe es
Länder, in denen der Poststrukturalismus bis heute nicht oder kaum in den
wissenschaftlichen Diskurs eingedrungen sei, dadurch allerdings nach wie vor
nichts von seinem kritischen Gehalt eingebüßt habe. Das kritische Potential,
dass die VertreterInnen des Poststrukturalismus entfalteten, verwehre sich einer
Vereinnahmung seitens hegemonialer Wissensproduktion. Um seinen kritischen
Anspruch beizubehalten, sei es deshalb ratsam, den Begriff des
Poststrukturalismus nicht mehr zu benutzen, ohne dabei aber auf seine Inhalte zu
verzichten.
Franz Januschek (Oldenburg):
Kritische Diskursanalyse als Spiel
Den Oldenburger Ansatz der Kritischen
Diskursanalyse stellte Franz Januschek vor. Der Vortrag teilte sich in einen
theoretischen Teil, der insbesondere das Moment der Kritik thematisierte, und
einer anschließenden exemplarischen Analyse eines Textes.
Ausgehend von einem fröhlichen Positivismus, in
dem die eigenen politischen Positionen nicht versteckt werden, ohne aber „stehen
zu bleiben“, sei Kritische Diskursanalyse als Spiel verstehbar. Dabei gehe es
keineswegs um ein Modell der Spieltheorie, die der Referent als
sozial-atomistisch ablehnte: Vielmehr sei es notwendig, dass das
Gesagte/Manifeste mit dem alternativ Erwartbaren konfrontiert werde (im Sinne
von Michel Foucaults Forderung, „das Spiel ernst zu nehmen“). Der Schwerpunkt
des Oldenburger Ansatzes liege dabei eindeutig auf der sprachwissenschaftlichen
Feinanalyse. Sprache sei selbst nicht bloß äußere Form von Bedeutungen, sondern
das Deuten sei sprachliche Praxis.
Dass und wie Kritik hier als Spiel, als „Basteln“
durch Diskursverschiebungen und Fortschreiben des Textes die ihm immanenten
Sinngehalte und „Spiel“ – Regeln offenbart, verdeutlichte Franz Januschek an der
Analyse der Grabrede des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger
für den verstorbenen ehemaligen Ministerpräsidenten Baden- Württembergs und
ehemaligen Marinerichter im 3. Reich
Hans Filbinger. Im Medienwirbel über
offenkundig skandalöse Aussagen dieser Rede sei kritiklos hingenommen worden,
dass die Rede ganz selbstverständlich autoritäre Herrschaft als beispielhafte
Demokratie darstelle und dass sie darüber hinaus das Sprechen über deutsche
NS-Täter in den 50er Jahren noch zynisch überbiete:
Während man sich damals gerne auf
Befehlsnotstand berief, um sich von Schuld freizusprechen, verweise Oettinger
überdies auf die vielen Millionen anderen, die ja auch mitgemacht hätten: Was
alle tun, könne nicht verwerflich sein.
In der anschließenden Diskussion wurde die Frage
diskutiert, inwiefern die auf Feinanalysen fokussierte Methode Franz Januscheks dem
Anspruch einer an Foucault orientierten Diskursanalyse entspreche, über einzelne
Diskursstränge hinaus das jeweils ganze diskursive Feld zu erfassen. Diskurse,
als eine Art Fluss von Wissen durch die Zeit, würden sich nicht in einzelnen
Texten komplett entfalten können. Nichtsdestotrotz wurde die Methode allgemein
als für die „Werkzeugkiste“ Kritischer Diskursanalyse interessant und
weiterführend bezeichnet.
Vassilis Tsianos (Hamburg):
Turbulente Ränder
Neue politische Perspektiven auf Migration an den Grenzen
Europas
Der folgende Vortrag berief sich auf ein Projekt,
das der Referent gemeinsam mit seinem Kollegen Serhat Karakayali und weiteren
Co-AutorInnen unter dem Titel „Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration
an den Grenzen Europas“, durchgeführt hat (vgl. Transit Migration 2007 ). Es
handelte sich hierbei nicht um eine im engeren Sinne Kritische Diskursanalyse,
sondern um einen forschungsintegrativen Ansatz, der sich methodisch
multidisziplinär auf diskurstheoretische und biopolitische Überlegungen stützte.
Einleitend ging der Referent dabei kurz auf den Asyldiskurs seit Ende der ´80er
bis Anfang der ´90er Jahre und seine forschungspolitische Bearbeitung ein, um in
Auseinandersetzung mit diesem Konzept den eigenen Ansatz darzustellen. Dazu
wurde auf Michael Hardts und Antonio Negris Verständnis von Migration als
„Gespenst“ Bezug genommen, das im Sinne des Postoperaismus des Empire global
sichtbar werde. Für ihre Theoriebildung versetzten sie „Marx und Foucault auf
die Insel Lesbos in der griechischen Ägäis“, wo sich Auffanglager für so
genannte illegale MigrantInnen befinden.
Um die Potentiale der Migration darzustellen,
wurden die Wanderungsströme der MigrantInnen in positiver Aufladung des
Asyldiskurses in den ´90er Jahren als „Fluten“ bezeichnet. Gleichzeitig müssten
aber die MigrantInnen nach Marx ihre Haut bzw. Arbeitskraft zu Markte tragen. Im
Hinblick auf die dafür notwendige Disziplinierung griffen die AutorInnen auf
eine Referenz zurück, die man sowohl bei Marx als auch bei Foucault finde,
nämlich das Arbeitshaus. Die gezogene Analogie beziehe sich auch auf die
Migration als „freiwilliges Verbrechen“, nicht mehr in ihren alten Zuständen
arbeiten zu wollen. Anschließend zeigte der Referent in Gestalt eines Exkurses
die Funktionsweise von Gefängnissen und deren Entstehung auf, um die
Möglichkeiten und Grenzen der Macht-Wissen-Beziehungen in den Auffanglagern aus
der Perspektive der MigrantInnen zu skizzieren.
Die Potentiale der Migration sah der Referent in
der Unterminierung des Selbstbildes der „Festung Europa“ durch die konsequente
Ausnutzung von Freiräumen innerhalb der Flüchtlingslager. Die MigrantInnen
würden sich dort in einen Lagerdiskurs über Menschenrechte begeben, um ihre
Interessen unter den gegebenen Umständen zu wahren. Die Flüchtlingslager der
Ägäis kennzeichnete Vassilis Tsianos im Anschluss an Giorgio Agamben als
repressive politische Räume in der Zeit der Krise des Nationalstaats, zudem als
„Geschwindigkeitsboxen“, in denen die MigrantInnen durch das Festhalten und
Absitzen sanktioniert würden. Demnach verzögere das Lager die zeitliche
Zirkulation der Arbeitskraft von MigrantInnen. Diese Form zeitlicher
Sanktionierung sei das primäre Kontrollinstrument der EU zur Regulierung von
Migration. Dazu versuchten die europäischen Regierungen Flüchtlingsströme zu
erfassen. Das Widerstandspotential der Migration, das sich die Lager als
heterotopische Räume aneigne, nutze diese entgegen der Intention ihrer
ErbauerInnen und unterminiere damit das Selbstverständnis des EU-Grenzregimes
als eines, das die Migration wirksam kontrollieren könne. Dies führe langfristig
zur Erosion von Nationalstaatlichkeit, was er begrüßte.
In der anschließenden Diskussion sprach der
Referent davon, dass diese Lager tatsächlich nicht mehr die Funktion von
Segregation hätten, sondern vor allem die Geschlechterverhältnisse als
Unterdrückungsmechanismen inzwischen vorherrschend seien. Er machte seine
Annahme deutlich, dass die Theoriebildung einerseits MigrantInnen dienlich sein
solle, indem sie ihnen Mut gebe, auch innerhalb der Gefangenschaft
Handlungsspielraum zur Durchsetzung eigener Interessen zu behaupten, zum anderen
aber auch das Selbstverständnis der EU als funktionierende Festung gegen
Migration in Frage gestellt werden solle. Zudem stellte die Verbindung von
Poststrukturalismus und Postoperaismus einen interessanten Ansatz dar.
Ferda Ataman (Berlin):
Der Türkeibeitritt in den deutschen Medien und die Integrationsdebatte
Ferda Ataman zielte in der von ihr vorgestellten
Kritischen Diskursanalyse auf eine Reihe von „unsinnigen Verschränkungen“ im
Integrationsdiskurs. Gerade auch in ihrer Arbeit als Journalistin erlebe sie,
dass Integration von Sprache lebe: Neben dem Diskurs über Menschenrechte würde
immer wieder mit ausgrenzender Sprache die „gefühlte Integration“ torpediert.
Als diskursive Ereignisse dienten ihr die
Berichterstattungen um die Ereignisse der Ermordung Theo van Goghs am 2.11.2004
und der kurz darauf statt findende EU-Erweiterungsgipfel am 17. und 18.11.2004.
Die Referentin betonte, dass sich die Aussagekraft ihrer Ergebnisse nicht allein
auf diese zwei Ereignisse beziehe: Die hohe Dichte an Berichterstattungen und
Kommentaren in diesem kurzen Zeitraum hätte vielmehr sehr gut das
Sagbarkeitsfeld abgedeckt, das sich auch im allgemeinen Alltagsdiskurs wieder
finde. Um möglichst das Spektrum der als seriös geltenden Printmedien
abzudecken, bezog sich Ferda Ataman auf die vier Tageszeitungen „Frankfurter
Rundschau“, „Frankfurter Allgemeine“, „Süddeutsche Zeitung“ und „Die Welt“.
Der Referentin zufolge ließen sich vier Topoi
ausmachen, die im Diskurs um den Türkeibeitritt dominieren:
Die Angst vor „Migrationswellen“,
der „Integrationsstand“ der in Deutschland
lebenden TürkInnen,
die potentielle Bedrohung durch „den Islam“, und
schließlich
die Frage der „kulturellen Identität“.
Es würde in diesen Medien entsprechend ein
Antagonismus von „uns“ gegenüber „den anderen“ aufgespannt, wobei der Unwille
der in Deutschland lebenden TürkInnen zur Integration von „innen“, der Islam als
Träger von religiösem Extremismus bis hin zum Terrorismus von „außen“ die
deutsche Nation bedrohen, also ein Beitritt der Türkei in die EU einen Kampf der
Kulturen weiter schüre. Das Ergebnis sei eindeutig: Ein enges Feld von
stereotypen Topoi finde sich in den Medien wieder. Das dort vermittelte Bild
über TürkInnen sei kulturdifferentialistisch und eindimensional.
In der anschließenden Diskussion wurden die
Möglichkeiten von JournalistInnen diskutiert, diese Diskursverschränkungen nicht
weiter performativ zu verhärten, sondern vielmehr dagegen zu arbeiten. Dies sei
ein schwieriges Unterfangen, da das Mediensystem als solches besonders gut mit
möglichst reißerischen Aufmachern funktioniere, und in den meisten Redaktionen
kaum Zeit für grundsätzliche Diskussionen sei. Statt dem Ruf nach Gesetzen, dem
Verweis auf den deutschen Presserat oder vereinzelter engagierter Individuen
seien Kampagnen nötig, die vehement und in Kooperation mit kritischen
Wissenschaften die Verstrickungen im Alltagsdiskurs aufwickelten.
Ferda Ataman selbst berichtete, dass sie als
Journalistin oft dem eigenen Anspruch nicht völlig gerecht werden könne. Als
kritische, türkischstämmige Journalistin sei es ihr auf der einen Seite zwar
immer auch möglich, entsprechende Themen mit der nötigen Sensibilität anzugehen.
Auf der anderen Seite müsse sie den hegemonialen Diskursen immer auch
Zugeständnisse machen, um konsumerabel zu bleiben. Sie zeigte sich aber dennoch
zuversichtlich in Bezug auf die Berichterstattung über Integration, da ihrer
Ansicht nach mit der Zeit zunehmend JournalistInnen mit Migrationshintergrund in
verschiedenen Ressorts arbeiteten, die allmählich für eine höhere Sensibilität
innerhalb der Redaktionen sorgten.
Carolin Ködel (Oldenburg):
Positionierungen und Selbstpositionierungen von religiösen Musliminnen
Anhand der Feinanalyse eines
leitfadenorientierten Interviews zeigte Carolin Ködel exemplarisch, dass und wie
in einem ‚interkulturellen’ Interaktionszusammenhang die konstruktive
Auseinandersetzung mit dem Konfliktthema ‚islamistischer Extremismus’ scheitern
kann. Bei den an der Interaktion beteiligten Personen handelte es sich um eine
westliche nicht muslimische Interviewerin und um eine gläubige ägyptische
Muslimin. Da die Interviewte Germanistik studierte, konnte das Interview in
deutscher Sprache geführt werden. Das Gespräch entwickelte sich in dem
vorgestellten Interviewausschnitt von der Frage der persönlichen Religiosität
und deren Verortung im Diskursfeld Islam hin zur Thematisierung auch der
politischen Implikationen von Religion – wobei in Bezug auf Letzteres der
Konflikt zwischen Regime und islamistischer Opposition zur Sprache kam und
schließlich zur Frage der Einschätzung der ägyptischen Muslimbruderschaft, u. a.
auch in Bezug auf ihr Verhältnis zu „islamistischem Terrorismus“, führte.
Die akribische Analyse des Interviews, in deren
Rahmen eine diskursanalytische, am Oldenburger Ansatz der Kritischen
Diskursanalyse orientierte
Perspektive mit einer gesprächsanalytischen, speziell auf die Interaktion der
Gesprächspartnerinnen gerichteten Perspektive verbunden wurde, vermittelte
diesbezüglich höchst interessante Einsichten. So zeigte die Referentin, dass
trotz der kooperativen Anlage der Interaktion eine konstruktive inhaltliche
Auseinandersetzung mit dem Thema „islamistischer Terrorismus“ nicht zustande kam
und letztlich auch unmöglich wurde – wobei es die (interaktiv wie diskursiv
mitbedingte) Verstrickung der Interviewten in einen Rechtfertigungsdiskurs
gewesen sei, die die Verständigung über die Thematik behindert habe. Mit den in
diesem Zusammenhang zu beobachtenden Strategien der „Verleugnung“ („es gibt
keine Gruppen von islamistischen Terroristen“), „Abschieben von Schuld“ („die
Terroristen sind keine richtigen Muslime“) und „Aufrufen von
Verschwörungstheorien“ („die werden bezahlt“) sei es dabei im Kern um die
Verteidigung der eigenen religiösen Wir-Gruppe gegangen – offenbar vor dem
Hintergrund dessen, dass im Kontext der Interaktion ein Angriff auf diese Gruppe
bzw. die Religion selbst wahrgenommen worden sei.
Die anschließende Diskussion ließ sich grob in
drei Punkte einteilen: Erstens wurde die Frage reflektiert, inwiefern die
Methode selbst schon den späteren Bruch initiierte, da die jeweiligen
diskursiven Räume, in denen sich die beiden Interviewpartnerinnen bewegten,
nicht zuvor analysiert worden waren. Beispielsweise führte die Referentin an,
dass es im Arabischen keine Differenzierung der Begriffe „islamisch“ und „islamistisch“
gebe, die aber gleichzeitig für die Interviewerin von wichtiger Bedeutung war.
Zweitens stand zur Diskussion, inwiefern die von Carolin Ködel vorgestellte
Analyse überhaupt der Diskursanalyse zuzuordnen sei, zumal es sich hierbei um
einen mikroanalytischen Ansatz handele, der auf die Analyse eines größeres
Textkorpus verzichten müsse. Aufgrund der fehlenden Einbettung in den
diskursiven Kontext könne man eher von einer Gesprächs- oder Interaktionsanalyse
sprechen. Demgegenüber entgegnete die Referentin, im Gegensatz zur
Gesprächsanalyse frage sie in ihrer Untersuchung des Interviews sehr wohl nach
den diskursiven Verstrickungen der Beteiligten und nach den damit
zusammenhängenden bzw. daraus entstehenden Grenzen des Mein- und Sagbaren. Als
letzter Punkt seien hier die positiven Aspekte der Analyse genannt, auf die
andere TeilnehmerInnen verwiesen. Zum einen stieß die kritische Reflexion der
Interviewkonzeption und -Durchführung auf positive Resonanz. Zum anderen zeige
der Oldenburger Ansatz, wie bereits zuvor im Vortrag Franz Januscheks, dass eine
Verbindung mit dem Duisburger Ansatz durchaus sehr fruchtbar sein könnte.
Vassilis Tsianos (Hamburg):
Das Politische mit Empire neu denken
In dem von Vassilis Tsianos mit-herausgegebenen
Buch mit dem Titel „Empire und die biopolitische Wende“ (Marianne Pieper/Thomas
Atzert/Serhat Karakayali/Vasslis Tsianos 2007) wird die internationale
Diskussion im Anschluss an Michael Hardts und Antonio Negris Konzepte von Empire
und Multitude scharfsinnig aber auch überaus kontrovers diskutiert, so dass sich
die Frage aufdrängt, ob und wenn ja, wie dieses Konzept, das sich ja als Versuch
versteht, das Politische neu zu denken, geeignet ist, einen Ansatz zu einer
neuen Gesellschaftstheorie wirklich zu fundieren. Vassilis Tsianos äußerte sich
eher optimistisch, auch wenn er dieses Konzept nicht als striktes Programm miss
zu verstehen riet, sondern als Aufschlag zu einer innovativen Diskussion.
Die Idee zu diesem Buch sei, so Vassilis Tsianos,
aus einem internationalen Kongress entstanden, an dem unter anderem Antonio
Negri teilgenommen habe. Im Gesamtergebnis habe dieser Kongress deutlich
gemacht, dass die Diskussion um das Empire gerade in Deutschland sehr defensiv
geführt werde, und vergleichbar kontrovers wie die Debatte um Judith Butlers
Gender Trouble vor etwa zehn Jahren. Das Ziel, das die AutorInnen damit verfolgt
hätten, sei nicht eine Verteidigung des Empire-Konzeptes, sondern eine
Fortführung der Theorie im Hinblick auf ihre defizitären Momente gewesen. Den
Ansatz des Postoperaismus im deutschsprachigen Raum auf die möglichst
produktiven Debatten zu lenken, heiße, so der Referent, die feministische Kritik
an der Multitude in den Fokus zu stellen und in die Migrationsdebatte
aufzunehmen. Der Ansatz, „Marx mit Foucault zu lesen“, also Biopolitik und
Produktionsverhältnisse zusammen zu denken, ermögliche einen produktiven
theoretischen Zugang, wie auch eine neue politische Praxis.
Er forcierte die These, dass sich mit der
biopolitischen Wende eine radikale Verschärfung von Herrschaft wie auch die
Foren des Widerstands transformiert hätten. Statt direkter Konfrontation gelte
es zunehmend, die Formen der Herrschaft zu verunsichern und deren
Widersprüchlichkeiten aufzuzeigen.
In der anschließenden, knappen Diskussion
verdeutlichte Vassilis Tsianos seine These am Beispiel des G8-Widerstandes. Die
Polizeikräfte seien mit den „stromförmigen Körpern“ überfordert gewesen. Statt
einer harten Konfrontation sei es eben diese neue Form des netzwerkartigen
Protests gewesen, die auch medial erfolgreich gewesen sei.
Jobst Paul (Duisburg):
Das Projekt „Jüdische Autoren zum Projekt der Moderne“
und seine politische Bedeutung
Jobst Paul stellte das DISS - Steinheim - Projekt
zur jüdischen Publizistik des 19. Jahrhunderts und in Verbindung damit das
laufende Editionsprojekt zur Jüdischen Publizistik vor. Im Mittelpunkt stand bei
diesem Vortrag das Problem der Unerbittlichkeit der Historizität, bei dem es
zentral auch darum geht, die bisher zu wenig beachtete politische Funktion von
historischen Diskursanalysen zu erkunden. Dabei müsse zugleich immer bedacht
werden, dass der historische Abstand zu den Ereignissen des 19. Jahrhunderts und
die Wahrnehmung von Shoa und Kriegen den heutigen Blick stark beeinflusse,
weshalb historische Diskursanalysen besonders sorgfältig die
diskursiv-historischen Kontexte und deren Genealogie zu beachten habe. Als
zentral erweise sich die Suche nach Orientierung in der Vergangenheit, als
Grundlage des richtigen Handelns jetzt. Insofern übernehme Diskursanalyse eine
ethische Funktion und Verantwortung.
Bezüglich der Thematik des Editionsprojekts
verwies der Referent darauf, dass im Zeitalter der evangelikalen Wende in den
USA der Rufe nach „christlicher Leitkultur“ in Deutschland oder Merkels Lob der
Gründerjahre erneut auf den ausschließenden Charakter des christlichen
Geltungsanspruchs hingewiesen werden müsse, dessen destruktive Folgen das
deutsche Judentum das gesamte 19. Jahrhundert hindurch habe zu spüren bekommen.
In dem Projekt zur Jüdischen Publizistik des 19.
Jahrhunderts, das 2005 und 2006 im DISS durchgeführt worden ist, fand daher eine
exemplarische Diskursanalyse zum Zeitraum zwischen 1848 und 1871 statt. Sie
ergab, dass die These der Exklusivität der christlichen Ethik von jüdischer
Seite bestritten wurde. Der christlichen Übertrumpfungsmentalität hielten viele
jüdische Autoren entgegen, dass das Christentum im Gegenteil die jüdische
Sozialethik übernommen habe. Insofern, als auch die deutsche Aufklärungsbewegung
die christliche Position der Übertrumpfung und damit eine judenfeindliche
Grundstimmung übernommen habe, könne aus jüdischer Perspektive nur von einer
„halbierten“ Aufklärung die Rede sein. Die jüdischen Autoren des 19.
Jahrhunderts nehmen diese Richtigstellung zum Anlass, die jüdische Ethik und
Sozialethik in großer Breite zu erörtern.
Die Projektergebnisse werfen die Frage auf,
inwiefern auch heute noch die kulturellen Eliten in Europa in ihrer
Identitätsbildung auf eine christliche Übertrumpfungsmentalität zurückgreifen.
Ebenso zu fragen sei, inwiefern sich dies auch im deutschen Hegemonialdiskurs
niederschlage. Die Projektergebnisse problematisieren mithin einen Begriff von
Aufklärung, der den Ausschluss des Judentums zulässt. Dies müsse auch in der
heutigen Integrationsdebatte bedacht werden, auch wenn es nun vor allem um den
Islam gehe: Die vorliegenden jüdischen Schriften betonten stets, dass von der
gesellschaftlichen Annahme oder Ablehnung des Judentums die generelle
Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft abhänge, also auch allen anderen
religiösen Minderheiten gegenüber.
Daher dürfe Aufklärung nicht weiter mit einem
rigorosen Atheismus verwechselt werden, der traditionell mit antijüdischer
Polemik einhergehe. Eine weitere politische Dimension ergebe sich, wenn man den
Begriff des Messianischen betrachte, wie ihn viele jüdische Autoren vertreten.
Dieser findet sich in abgewandelter Form auch in Derridas
Emanzipationsvorstellung wieder, die Hoffnung ohne Erwartung bzw. eines
Messianismus ohne Messias als aktuelle Hoffnung auf eine zu kommende Demokratie
bzw. eine nicht dekonstruierbare Gerechtigkeit
Ziel des Publizistikprojekts sei es, über die
Neuedierung wichtiger Werke deutscher Juden diese und andere Fragen in die
aktuelle kulturelle und Integrationsdebatte in Deutschland zu tragen. Die in
diesem Projekt vorgenommene historische Diskursanalyse rekonstruiere in
bedeutendem Maße die keineswegs in der Gleichberechtigung endenden
Emanzipationsversuche der Aufklärung und zeige in historischem Rückgriff die
Gemeinsamkeiten mit der heutigen Integrationsdebatte auf, die gleichermaßen auf
die christliche Übertrumpfungsstrategien zurückgreife. Sie lege somit den Kern
der faktischen Ungleichbehandlung zwischen christlichem und atheistischem „Mainstream“
und religiösen Minderheiten frei.
In der anschließenden Diskussion verwiesen die
RednerInnen darauf, dass ein solches Projekt natürlich nicht exklusiv nur für
die jüdischen Minderheit, sondern beispielsweise auch für alle anderen
religiösen Minderheiten wie beispielsweise den Islam gelten solle, was Jobst
Paul ebenfalls nachdrücklich betonte. Zudem mache es die Aufarbeitung und
Wertung eines bestimmten historischen Abschnitts eines Diskurses und die weitere
Entwicklung möglich.
Regina Wamper (Aachen) und Martin Dietzsch
(Duisburg):
Das (diskriminierende) Judenbild in rechtschristlicher und extrem rechter
Publizistik
Konzept eines Forschungsprojekts
Vorgestellt wurde ein geplantes Projekt des DISS,
zu dem bereits einige Vorarbeiten vorliegen, die im Zuge der Erarbeitung eines
Projektantrages notwendig geworden sind. In diesem Projekt soll das Judenbild in
rechts-christlichen Periodika und in Publikationen der extremen Rechten in
Deutschland und in Polen untersucht werden. Historische Untersuchungen zum
christlichen Antijudaismus und zum modernen Antisemitismus lägen zwar vor, in
Bezug auf die Gegenwart sei das aber eine Forschungslücke sowohl in der
Antisemitismusforschung als auch in Arbeiten über die extreme Rechte. Das
geplante Projekt wolle dazu beitragen, diese Lücke zu füllen. In ihrem Vortrag
gaben Regina Wamper und Martin Dietzsch einen ersten Überblick über die
rechts-christliche Publikations-Landschaft und verdeutlichten anhand von
Beispielen verschiedene Varianten des dort artikulierten Judenbildes.
Einführend betrachtete Regina Wamper allgemein
das Problem, dass „Fundamentalismus“ zumeist mit „Islamismus“ in Zusammenhang
gebracht würde. „Christlicher Fundamentalismus“ würde, wenn überhaupt, als ein
US-amerikanisches Phänomen angesehen. Tatsächlich hätten fundamentalistische
Strömungen jedoch auch in Deutschland eine erhebliche Breitenwirkung, wobei sich
Evangelikale (wie auch katholische) FundamentalistInnen in zahlreiche Strömungen
aufteilten. Während allen eine wortgetreue Auslegung der Bibel gemein sei,
unterschieden die einzelnen Strömungen sich teils stark. Vor allem auch die
Frage, welche Bedeutung dem Staat Israel und dem Judentum zukomme, sei ein
großer Streitpunkt.
Martin Dietzsch, der sich insbesondere mit dem
katholischen Fundamentalismus auseinandersetzte, erinnerte zunächst an die
positiven Entwicklungen durch das Zweite Vatikanische Konzil. Initiiert von
Papst Johannes XXIII. fand dort innerhalb der katholischen Kirche eine relative
Liberalisierung statt, zugunsten des ökumenischen Gedankens und der persönlichen
Religionsfreiheit. Gegenstand des Forschungsvorhabens seinen Kräfte, die diese
Entwicklung wieder rückgängig machen wollen. Er stellte exemplarisch einige
dieser Strömungen und Gruppierungen der katholischen Rechten vor: Die
AnhängerInnen des Erzbischofs Lefebvre, die von der Kommission „Ecclesia Dei“
zugelassenen TraditionalistInnen innerhalb der katholischen Kirche, die so
genannten „Sedisvakantisten“, die die Legalität der Papstwahlen seit 1958
bestreiten, eine Strömung, sie sich selbst als „Konterrevolutionäre“ und
„militante Christen“ bezeichnet und die weit hinter 1789 zurück will, und
schließlich die Sammlungsbewegung „Forum Deutscher Katholiken“, die sich als
Opposition zum „Zentralkomitee Deutscher Katholiken“ und zum katholischen
Kirchentag begreift.
Wie rigide bestimmte Positionen vertreten werden,
zeigte Martin Dietzsch anhand von Auszügen aus einem Artikel,
der sich zwar explizit scharf vom
Rassen-Antisemitismus der Nazis abgrenzte, aber auf Grundlage des christlichen
Antijudaismus antisemitische Stereotype in der Tradition der „Protokolle der
Weisen von Zion“ für Christen verbindlich erklärte. Antijüdische Pogrome seien
zwar abzulehnen, sie werden andererseits aber als eine verständliche
Abwehrreaktion gegen eine hier unterstellte jüdische Christenfeindlichkeit
dargestellt.
Regina Wamper referierte im Anschluss über die
Positionen der Evangelikalen. Diesen sei die Verkündung des Wortes Gottes eine
heilige Pflicht, sie legten also besonderen Wert auf die Mission. Dabei würde
die Idee der Ökumene abgelehnt. Ein großer Teil der Evangelikalen sei „prozionistisch“
ausgerichtet. „Prozionistisch“ bedeute aber keineswegs automatisch „projüdisch“.
Die meisten evangelikalen „ProzionistInnen“ hofften auf eine unmittelbar
bevorstehende Endzeit, in der Jüdinnen und Juden sich entweder zu Jesus zu
bekehren hätten oder vernichtet würden. Die Gründung des Staates Israel sei der
Beweis für die nahende Apokalypse. Christliche „Hardliner“ sähen in jedem
Versuch der Entspannung im Nahen Osten einen Verstoß gegen den göttlichen
Heilsplan. Die „Nachrichtenagentur Israel Heute“ habe beispielsweise im
Erkranken Sharons eine Strafe Gottes für die Rückgabe von Land an die
Palästinensischen Autonomiegebiete gesehen. Andererseits gebe es auch
antizionistische Evangelikale. Als Beispiel führte sie die Zeitschrift
„Glaubensnachrichten“ an. Eine Sonderstellung nehme der Morgenland-Verlag ein,
der die bizarren Positionen der „Identity Church“ verbreite. Dass die
evangelikale Rechte keine harmlose Randerscheinung sei, zeige beispielsweise das
PC-Spiel „Left Behind“, in dem der Spieler / die Spielerin in einem
Endzeitszenario Ungläubige bekehren oder erschießen müsse. Zusammenfassend wies
die Referentin darauf hin, dass sich durch das gesamte evangelikale Spektrum in
Deutschland antijüdische Tendenzen ziehen würden.
Resümee
Wie schon einleitend erwähnt, war es weniger der
Anspruch dieses Colloquiums, den zivilgesellschaftlich-politischen Nutzen von
Diskurstheorie und Diskursanalyse komplett erfassen zu wollen. Angesichts
der höchst unterschiedlichen Rezeption der so genannten PoststrukturalistInnen
in verschiedenen Ländern, wie auch in verschiedenen Praxisfeldern wäre dies auch
kaum möglich gewesen.
Vielmehr konnten gewinnbringend die Konturen des
„Projekts Diskursanalyse“ deutlich nachgezeichnet werden. Die Auseinandersetzung
damit verschaffte den Teilnehmenden einen interessanten Einblick sowohl in die
Defizite, als auch in die methodischen Möglichkeiten der verschiedenen Konzepte.
Dies könne als direkte Aufforderung verstanden werden, weiterzuarbeiten, so
Siegfried Jäger. In diesem Sinne wird es auch einen Workshop im Sommer geben, an
dem noch einmal die Oldenburger und die Duisburger Schule gegenübergestellt
werden.
Zuletzt sei noch an das 21. DISS-Colloquium
erinnert, dass vom 14. bis 16. November in der Frankenwarte in Würzburg
stattfinden wird, und den Arbeitstitel „Rassismus und Antisemitismus als
Bestandteile aktueller Politik“ trägt.
Die Beiträge zu diesem Colloquium werden,
ergänzt um einige weitere Artikel zum Thema, in einem Sammelband erscheinen, der
im Laufe dieses Jahres unter der Herausgeberschaft von Siegfried Jäger im
Unrast-Verlag Münster veröffentlicht wird.
Literatur
Derrida, Jacques: Marx´ Gespenster. Der
verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale, Frankfurt/M.
1995
Pieper, Marianne/Atzert, Thomas/Karakayali/Tsianos,
Vassilis (Hg.): Empire und die biobpolitische Wende. Die internationale
Diskussion im Anschluss an Hardt und Negri, Frankfurt/M. 2007
Transit Migration (Forschungsgruppe): Turbulente
Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas, Bielefeld 2007