Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung


 

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Wir dokumentieren Nachrufe auf Alfred Schobert, die an anderer Stelle und aus unterschiedlichen Perspektiven erschienen sind:

Bernd Drücke:
Alfred Schobert (* 1963 † 2006)
Antifaschist, Antimilitarist und Freund

in: Graswurzelrevolution Nr. 315, Januar 2007

http://www.graswurzel.net/

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Alfred Schobert (* 1963 † 2006)

Antifaschist, Antimilitarist und Freund

„Endlich ein normales Volk? Vom rechten Verständnis der Friedenspreis-Rede Martin Walsers“, so der Titel eines von Alfred Schobert mitherausgegebenen Buches. Zum Thema dieses Werkes fand 1999 auch in Münster eine (von der GWR-Redaktion mitorganisierte) Veranstaltung statt, Referent: Alfred Schobert. Schon zu dieser Zeit war der Schüler Jacques Derridas und Mitarbeiter des Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) ein bundesweit gefragter Redner und Podiumsdiskussionsteilnehmer.

Anfang 2001 ergab sich wieder die Gelegenheit, Alfred nach Münster einzuladen. Anschließend saßen wir lange zusammen, und Alfred mokierte sich zu Recht über einen problematischen Artikel in der GWR 256. Nun konnte ich ihn dazu bewegen, seinen ersten Artikel für die Graswurzelrevolution zu schreiben: „Finkelstein auf den Leim gegangen“ erschien im März 2001 in der GWR 257.

Alfred war ein Vielschreiber. Von März 2001 bis Februar 2005 hat er für die GWR achtzehn herausragende Texte (davon acht Leitartikel) geschrieben. Auf www.graswurzel.net und in den Ausgaben der GWR finden sich zudem zig Beiträge, die sich auf seine Texte beziehen.

Einer seiner wichtigsten war vielleicht der im Februar 2002 erschienene GWR 266-Leitartikel „Linke Bellizisten auf Gespensterjagd. Militärpolitische Normalisierung mit Antisemitismus- und Antiamerikanismus-Vorwürfen“, mit dem er öffentlich den Bruch mit seinen ehemaligen KollegInnen bei der Jungle World vollzog. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 propagierte die Jungle World-Redaktion den „Krieg gegen den Terror“. Diesen offen kriegstreiberischen Kurs der von Alfred als „Rumsfeld-Linke“ charakterisierten Schreiberlinge konnte der überzeugte Antimilitarist nicht mittragen.

Alfred: „Konstitutiv für eine Vorkriegszeit ist die Formierung einer publizistischen Kriegs-‚Partei’, die vermittelt über die Öffentlichkeit den Souverän auf den anstehenden Krieg einschwört. Dieser Prozess begann unmittelbar, nachdem die Bilder der einstürzenden Twin Towers und des schwer beschädigten Pentagons über die Bildschirme gegangen, ein Drahtzieher für die Akte exterministischen Terrors öffentlich benannt und damit erste militärische Angriffsziele bestimmbar waren. (...) Nun will ich nicht öffentlich the­matisieren, was es mir bedeutet, wenn eine Zeitung, für die ich - mit einer längeren Unterbrech­ung - seit ihrer Gründung geschrieben habe, nun unter lautem und meist haltlosem ‚Antisemitismus’- und ‚Antiamerikanismus’-Geschrei für den Krieg ‚der Zivilisation gegen die Barbarei’ mobil macht, wie enttäuschend das ist usw. Das schmerzt, doch das gehört nicht hierher. Allerdings frage ich mich, was an der jüngeren linken Antisemitismus-Debatte, zu der ja auch diese Artikel gehören, insgesamt vielleicht falsch gelaufen ist, so dass sie zu den hier kritisierten Resultaten geführt hat. Darüber wird in naher Zukunft diskutiert werden müssen, wenn jemand die Muße und die Nerven hat, die linken De­battentexte zu analysieren (einige sind, das sagt mir mein Gedächtnis spontan, wirklich schauderhaft, wahllose Antisemitismus-Vorwürfe sind nicht neu, und manche Ausfälle werden retrospektiv kenntlicher).

Für die m.E. auch jetzt weiterhin nötige kritische Thematisier­ung von Antisemitismus wird das Terrain dadurch jedenfalls unwegsamer.“

Nachdem er während des Kongresses zum dreißigsten Geburtstag der Graswurzelrevolution im Juni 2002 in Münster einen Vortrag über „Deutsche Normalisierung und Krieg“ gehalten hatte, engagierte sich Alfred auch als Mitherausgeber unserer Zeitschrift, war aber von einer internen E-Mail-Diskussion so genervt, dass er seine GWR-Mitherausgeber- und Autorenschaft schließlich ab März 2005 auf Eis legte.

Das hielt ihn aber nicht davon ab, weiterhin jede Ausgabe nach Erscheinen am Telefon zu diskutieren.

Die Gespräche mit Alfred dauerten oft Stunden, wobei wir Politisches, Persönliches und gelegentlich auch so Banales wie den neuesten „Münster-Tatort“ aufs Tapet holten.

Einmal warf er mir vor, dass ich immer noch jeden Tag die taz lese, die 1999 im Zusammenhang mit dem NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien zum grünen Kriegstreiberblatt mutiert war.

Meine Antwort: „Ja, Alfred, aber Du liest doch noch viel üblere Zeitungen!“

Dann mussten wir herzlich lachen.

Tatsächlich schreckte Alfred nicht davor zurück, inkognito in Paris und Marseille rechte Buchläden zu besuchen, um dort Publikationen der französischen Rechten zu erstehen und diese dann anschließend akribisch zu analysieren. Er amüsierte sich darüber, dass die rechtsextremen Buchhändler ihn für einen „Kameraden“ hielten und ihm entsprechendes Material verkauften.

Wegen seiner Forschungsarbeiten über die rechte Szene und Zeitungen wie zum Beispiel die Junge Freiheit war er in den letzten Jahren Angriffen und Morddrohungen aus dem rechtsextremen Lager ausgesetzt.

Ende Oktober hatte er mir noch eine Mail geschickt, in der er mir seine Rechercheergebnisse zu einem Nazi übermittelte, der die GWR mit seinen (nie veröffentlichten) „Leserbriefen“ bombardiert hatte.

Um so verwunderter war ich, dass sich Alfred nach Erscheinen der im November 2006 herausgekommenen GWR 313 nicht bei mir meldete. Schließlich enthält diese Ausgabe ein Interview mit dem Friedensforscher Johan Galtung, das er sicher ähnlich problematisch hätte finden müssen wie ich.

Alfred war am 18. November gestorben, nachdem er zwei Wochen zuvor eine Hirnblutung erlitten hatte und ins künstliche Koma gelegt worden war.

Sein Freund Siegfried Jäger hat für diese Ausgabe unserer Zeitschrift einen bewegenden Nachruf verfasst.

Wir haben mit Alfred einen unserer scharfsinnigsten Autoren verloren. Er war ein großartiger, humorvoller und manchmal auch schwieriger Freund, der sich nie selbst als Anarchist etikettierte, aber vielleicht herrschaftsfreier dachte als die meisten Libertären.

Bernd Drücke

 

Alfred Schobert in der Graswurzelrevolution:
Finkelstein auf den Leim gegangen (Nr. 257/2001, S. 8)
auf rechts gehen? (261/2001, S. 17)
Linke Bellizisten auf Gespensterjagd (266/2002, S. 1, 10-11)
Deutsche Blauhelme im Nahen Osten (269/2002, S. 1, 13)
„Nothing to worry about“? (271/2002, S. 3)
Konträre Motive (275/2003, S. 1, 6)
Ein Wunschfeindbild für die Kriegs-Legitimierung (276/2003, S. 7)
Eliten-Antisemitismus (284/2003, S. 1,12-13)
„Panorama“ ohne Durchblick (285/2004, S. 1, 6)
„Arundhati Roy“ im Krieg der Medien (286/2004, S. 8)
Mit Schiller am Hindukusch (288/2004, S. 1, 6-7)
Monströse „Widerstands“-Allianz (289/2004, S. 1, 13)
(Nichts) Neues in der deutschen Nahost-Debatte? (290/2004, S. 10-11)
antiimp.exe (293/2004, S. 1, 12-13)
Das spekulative Schafott (294/2004, S. 8-9)
Der Kopf des Königs (295/2005, S. 6-7)
Statistik der Schande (295/2005, S. 7)
„Etwas physisch, politisch Unerträgliches“ (296/2005, S. 12-13)

 

 

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