Laufende und abgeschlossene Projekte des DISS

 

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Empfehlungen zur Prävention insbesondere an kommunale und regionale Handlungsträger

1. Höchst bedauerlich ist, dass sich auch nach dem im Spätsommer 2000 proklamierten „Aufstandes der Anständigen“ in diesem Projekt erneut ein zentrales Defizit auf der Meso- und der Mikroebene, in der lokalen und regionalen Auseinandersetzung mit der extremen Rechten bestätigt fand: Die extreme Rechte ist immer nur anderswo ein Problem, nicht hingegen im jeweils eigenen Verantwortungsbereich. Dagegen empfiehlt es sich, davon auszugehen, dass die extreme Rechte ein flächendeckendes Phänomen ist und nicht einen Bogen um den je eigenen Verantwortungsbereich macht. Keine Stadt und keine Schule (oder sonstige Institution) vergibt sich etwas, das Problem einzugestehen, denn bei den anderen, um öffentliches Ansehen etc. konkurrierenden Institutionen steht es aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht besser. Wenn es Orte gibt, an denen die extreme Rechte seltener und gar nicht öffentlich auftritt, so resultiert dies erfahrungsgemäß daher, dass ihr dort öffentlich wirkungsvoll gezeigt wurde, dass sie unerwünscht ist. Dies räumte übrigens auch ein Vertreter der Duisburger Polizei ein (vgl. WAZ [Duisburg] 13.11.2002).

2. Ein peinliches Resultat dieser Unterlassung ist, dass es der der NPD nahe stehenden Zeitschrift Freiheit Wattenscheid immer wieder gelungen ist, Interviews mit hochrangigen Politikern aus dem Ruhrgebiet (oder aus der Landes- und Bundespolitik wie Jürgen W. Möllemann) publizieren zu können. Es dürfte ein leichtes sein, der Freiheit Wattenscheid oder ähnlich arbeitenden Publikationen der extremen Rechten den durch solche Interviews immer wieder zukommenden Prestige-Gewinn zu entziehen. Die Öffentlichkeit hat ein legitimes Interesse an (auch kritischer) Befragung amtierender Politiker und diese suchen selbstverständlich und legitimerweise ein Podium zur Selbstdarstellung. Dass diese demokratischen Essentials allerdings von demokratischen Politikern in Publikationen der extremen Rechten, deren Demokratiefeindlichkeit wohl unstrittig ist, realisiert werden, läuft einer Stärkung der Demokratie entgegen.

3. Die Nichtbeachtung der extremen Rechten in den eigenen Handlungsfeldern korrespondiert zudem häufig mit Misstrauen gegenüber Initiativen vor Ort, die über Aktivitäten der extremen Rechten informieren und – häufig leider vergeblich – auf Intervention drängen. Hier mag es – auf beiden Seiten – gewisse Berührungsängste geben. Doch sollten kommunale und regionale Verantwortungsträger es einigen Journalisten nachmachen, die sich bei ihren Recherchen sehr wohl bei solchen zivilgesellschaftlichen Initiativen und ihren Informations-Pools bedienen. Es hat sich gezeigt, dass diese Initiativen zuweilen besser informiert sind als zuständige Behörden es sind oder öffentlich zu sein vorgeben.

4. Bezüglich der spezifischen auf die Mesoebene, die Situation im Ruhrgebiet zielenden sozialpolitischen, sozioökonomischen und soziokulturellen Anknüpfungspunkte der extremen Rechten bei Agitation und Propaganda sollten sich die kommunalen und regionalen Verantwortungträger dazu entschließen, dieses Teilproblem kontinuierlich mit zu thematisieren, und zwar auf den verschiedenen Ebenen von Politik und Verwaltung, Medien, Bildung und allgemein der Zivilgesellschaft, deren thematisch qualifizierte Teile, Initiativen und Institutionen der Unterstützung bedürfen.

5. Soziokulturell geht es auf der Mikroebene darum, Freiraum für Jugendliche zu bewahren bzw. zu schaffen und gegebenenfalls, statt sukzessive in Formen „akzeptierender Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen“ zu gleiten, gegen rechtsextreme Besetzungsversuche zu verteidigen. Rechtsextreme Besetzungsversuche vollziehen sich längst nicht 'nur' mittels physischer Gewalt bzw. deren Androhung. So schlimm die Folgen rechtsextremer Gewalt auch sind, greift die weit verbreitete Fixierung auf Gewalt zu kurz. Unterbelichtet bleiben dabei zumeist die semiotischen Kämpfe, angefangen bei ihren Subjektions- und Assoziations-Effekten (häufig zu undifferenziert als Identitäts-Bildung umschrieben) bis hin zu den schleichenden Formen der Übernahme oder Besetzung soziokulturellen Terrains als einer Form der „Kulturrevolution von rechts“. In den einschlägigen strategischen Diskussionen über so genannte „national befreite Zonen“, ein sicher – und zum Glück! – zu großspurig angelegtes Konzept, wurde bemerkenswerterweise beides, physische Gewalt und Kultur im weiten Sinne, zusammen gedacht.

6. Als Nachteil erweist sich das nur sporadische und ereignis-, bzw. genauer: gewaltfixierte Interesse der Medien an Berichterstattung über die extreme Rechte. Hier wäre kontinuierliche Berichterstattung, die vor allem auch Entwicklungen unterhalb der Gewaltschwelle in den Blick nimmt, wünschenswert.

7. Selbst thematisch interessierte Lehrerinnen und Lehrer sind zeitlich überfordert, wenn sie sich individuell über die je nächsten Trends in Symbolik, Dress-Codes, Musik usw. ihrer Schüler (und darunter womöglich Menschen, die dabei sind,in die rechtsextreme Szene abzurutschen) auf dem Laufenden halten wollen, zumal die stilistische Breite 'rechtsextremer Musik' enorm zugenommen hat, vom hinlänglich bekannten Skinhead-Gedröhn über Teile von Dark Wave, Gothic und Industrial bis zu Gabba. Dringlich ist daher (entgegen dem herrschenden Trend in der Schulpolitik), über Fortbildungsmaßnahmen die Verbreitung entsprechender Kenntnisse in den Schul-Kollegien zu gewährleisten. Empfehlenswert ist hier z.B. die Broschüre „Versteckspiel“; sie weist allerdings beim untersuchten und vorgestellten Material ein leichtes ostdeutsches bzw. Berliner Übergewicht, nicht alles ist auf die rechtsextreme Szene im Ruhrgebiet übertragbar.

8. Die Versuche der extremen Rechten, ideologisch an Fragen der im Wandel befindlichen Ruhrgebiets-Identität anzudocken, sind bisher über ein eher klägliches Niveau nicht hinaus gelangt. Dies ist kein Grund, Entwarnung zu geben, nicht zuletzt da das dürftige intellektuelle Niveau längst kein Hindernis für erfolgreiche Verbreitung ist. Daher sollten sie bei allen Identitäts-Kampagnen der Region grundsätzlich Berücksichtigung finden. Auf der Makroebene ist die hartnäckige Realitätsverleugnung, derzufolge die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland sei, mittlerweile aufgegeben worden, ohne dass jedoch daraus wirkungsvolle Konsequenzen für das Selbstbild gezogen worden wären. Allerdings kann dieser erste Schritt auf der Makroebene wenn nicht positive Impulse, so doch zumindest einen günstigen Rahmen bieten für realistische Selbstthematisierungen auf der Mesoebene (und auch auf der Mikroebene von Stadtteil und Stadt). Dies zielt auf Selbstthematisierungen des Ruhrgebiets als Region mit langer Migrationsgeschichte, was ja weit über bloß folkloristische Hinweise auf polnische Einsprengsel in das Ruhrgebietsdeutsch hinausgeht. Besondere Beachtung verdient dabei aus diskurstheoretischer Sicht der kollektivsymbolische Mantel. In den jüngeren Kampagnen zu Ruhrstadt und Olympia-Bewerbung dominierten, wie Rolf Parr (in: kultuRRevolution - Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie H. 41/42, S. 17ff.) gezeigt hat, interakteurs-zentrierte Netz-Symbolik („Pendler-Netz“), Mitte-Symbolik („Herz“) und deren Negation (Ruhrstadt als „Moloch“) sowie, soweit es um Massendynamik ging, thermodynamische Symbolik („der Pott kocht“). Alternativ bietet sich für kommunale und regionale Image-Kampagne an, eine Symbolik des Rhizoms einzuführen; diese vermag dynamische Prozesse zu symbolisieren, die mehrdimensional und quasi multikulturell ablaufen. Diese Symbolik des Rhizoms hat zudem den Vorteil, auch der im hier untersuchten Material dominierenden Kollektivsymbolik von „Wurzel“ und „Verwurzelung“, die Identität örtlich fixiert und einengt und in der Konsequenz migrationsfeindlich wirkt, zuwider zu laufen – nicht zufällig wehren sich, wie im Projekt gezeigt werden konnte, konzeptive Ideologen der Verwurzelung wie Alain de Benoist ausdrücklich gegen diese Symbolik des Rhizoms.

9. Identität, auch regionale, ist verwiesen auf Geschichte. Sie speist sich u.a. aus Selbsthistorisierung, ohne – zum Glück! – notwendigerweise eine abhängige Variable der 'Herkunft' zu sein. Die selbstgewählte Einsperrung in ein Erbe der Ahnen, wie sie die völkischen Heiden von der Freiheit Wattenscheid praktizieren, ist nicht alternativlos – im übrigen ist die dort betriebene Historisierung genau genommen gänzlich unhistorisch, sie negiert Geschichte zugunsten einer Statik des Urzeitlichen.

Um so wichtiger ist eine sorgfältige Arbeit an der regionalen Geschichte, also Forschung und öffentliche Darstellung. Dabei wird es darauf ankommen, eben jener fixistischen Identitäts-Fiktion der Homogenität (gemeinsame Herkunft), die längst nicht nur den Diskurs der Freiheit Wattenscheid bestimmt, zu dekonstruieren. Dazu gehört u.a., auch die düstersten Kapitel der Regionalgeschichte, die glatten Identitäts-Konstruktionen und nostalgischen Idyllen von der guten alten Zeit widersprechen, weiter zu thematisieren. Die Geschichte der Zeche Zollverein mag hier, da sie im Rahmen des Projektes Thema wurde, als ein Beispiel dienen. Zu diesem Weltkulturerbe gehört eben auch das Kapitel Nazismus und Zwangsarbeit. Der bisher noch eher randständigen Thematisierung dieses Teil der Geschichte auf dem Gelände sind Erweiterungen zu wünschen – dann wären auch jeglichen Instrumentalisierungen dieses Industriedenkmals, wie sie uns in extremster Form in der militant neonazistischen Organ Förderturm begegnet sind, der Boden entzogen.

 

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Copyright © 2000 Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung
Stand: 10. August 2006