Laufende und abgeschlossene Projekte des DISS

 

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Biomacht und Medien (1997)

Mit diesem Forschungsprojekt wurde ein bisher stark vernachlässigtes Forschungsfeld in den Blick genommen, das sich mit Michel Foucault als „Biomacht" beschreiben läßt. Es geht um die Nutzung der Ergebnisse moderner Biowissenschaften und –technologien. Es ist allenthalben beobachtbar, daß sich im Gefolge der Biowissenschaften teilweise neue Institutionen und Wissenspraktiken formieren, die sich dabei mit Bestehendem vernetzen. Ziel des Projektes war die diskursive Seite dieses biopolitischen Dispositivs durch eine Untersuchung der Print-Medien einzufangen. Die Leitfrage der Untersuchung lautete: Wie präsentiert sich das biopolitische Dispositiv in den Print-Medien und welche Effekte gehen von dieser Berichterstattung aus?

Dazu wurden über einen Zeitraum von einem Jahr (1994) systematisch fünf Tages- und drei Wochenzeitungen hinsichtlich ihrer Berichterstattung und Kommentierung ausgewertet. Bereits die Archivierung machte deutlich, daß sich der biopolitische Komplex in der Presse auf etwa sechs Themenfelder verdichtet:

 
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Krankheit/Gesundheit: Hierzu gehören neben Auslassungen über den Umgang mit Kranken, Alten und Behinderten auch die Behandlung von Sterbehilfe und Organtransplantationen. Auch Artikel über Menschenversuche, Gentheraphien, Chromosonensuche und Aids sind in diesem Themenfeld zu finden.

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Geburt/Leben: Zu diesem Themenspektrum gehören Berichte über Embryonen, künstliche Befruchtung, pränatale Diagnostik sowie Leihmütter, Samenbanken und Maßnahmen qualitativer Bevölkerungskontrolle.

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Individueller Tod/individuelles Sterben: Hierunter lassen sich die Debatten um Hirn- und Herztod, Apparatemedizin, Abtreibung und Organhandel fassen.

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Ernährung: Artikel über gentechnolgische Freilandversuche, Genlebensmittel oder Welternährungsprobleme sind in diesem Themenfeld vertreten.

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Ökonomie: Hierunter sind z.B. Standortvor- bzw. –nachteile in Verbindung mit Gentechnologie zu verstehen, aber auch Probleme der ökonomischen Auslastung von Tranplantationszentren zu verstehen.

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Bioethik/Menschenbild: Quer zu den genannten Themenfeldern existiert in Deutschland eine bioethische Diskussion. Diese hat sich vor allem an der Bioethik-Konvention, die im Auftrag der Europäischen Kommission formuliert wurde, entzündet, ohne sich in ihr zu erschöpfen. Auch die Diskussion um die gesetzlichen Regelungen von Sterbehilfe und Abtreibung und der Umgang mit Homosexualität enthält eine bioethische Komponente.

Das Ergebnis der Diskursanalyse zeigt zum einen, daß Print-Medien ausgesprochen variantenreich biopolitische Anrufungen präsentieren. Dies führt dazu, daß diese Thematik große Teile der bundesdeutschen Bevölkerung erreicht. Die thematische Auffächerung des Diskurses läßt nahezu alle Personengruppen an diesem Diskurs teilhaben: Während sich Frauen z.B. mit dem Problem pränataler Diagnostik oder Abtreibung beschäftigen (müssen), werden gentechnologisch veränderte Lebensmittel für andere zu einem Problem, usw.

Des weiteren zeigt sich, daß durch die Berichterstattung und Kommentierung eine vielfach vorhandene Skepsis gegenüber der Gentechnologie und den Biowissenschaften abgetragen wird. So werden die Gefahren der Gentechnologie häufig mit einer Bewältigung bisher unheilbarer Krankheiten wie Krebs oder Aids verkoppelt. Auf diese Weise werden die positiven Visionen der Biowissenschaften akzentuiert, während die Vorbehalte zwar auch gesehen, aber doch in den Hintergrund gestellt werden. Insofern kann nachgesagt werden, daß der Print-Medien-Diskurs derzeit dazu beiträgt , in der Bevölkerung eine Akzeptanz gegenüber biotechnologischen Logiken herzustellen.

Die Ergebnisse der Analyse sind veröffentlicht in: Margret Jäger/Siegfried Jäger/Gabriele Cleve/Frank Wiechert/Ernst Schulte Holtey (Hg.): Biomacht und Medien.

(Mitarbeiterinnen: Margret Jäger, Siegfried Jäger, Ina Ruth, Klaus Hildebrand, Ernst Schulte-Holtey, Frank Wichert, Iris Bünger, Karin Kipka, Gabriele Cleve, Karin Putzker)

 

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Copyright © 2000 Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung
Stand: 10. August 2006