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Der (Rechts-)Populismus und die AfD

 

Zum extremismustheoretischen Verständnis des (Rechts-)Populismus bei Franz Decker

Von Jan Ackermann, erschienen in DISS-Journal 29 (2015)

Der Begriff Rechtspopulismus hat Hochkonjunktur. Auch im Zusammenhang mit der AfD wird er häufig gebraucht. Im DISS-Journal 28 hat der AK Rechts im DISS dazu einige Thesen („Völkischer Nationalismus und Rechtspopulismus“) unterbreitet. Mit dem folgenden Beitrag knüpfen wir an die damit eröffnete Debatte an. Der Autor, korrespondierendes Mitglied des Arbeitskreises, formuliert hierin einige Einwände gegen ein extremismustheoretisches Verständnis des (Rechts-)Populismus am Beispiel von Untersuchungen des Bonner Politologen Frank Decker. [Red.]

Frank Decker ist Professor für Politische Wissenschaft und Soziologie und zählt „Rechtspopulismus im internationalen Vergleich“ zu seinen Forschungsschwerpunkten. Zur AfD veröffentlichte er bisher noch keine Publikation, lediglich in einer Einschätzung des deutschen Parteiensystems von 2013 widmet er der neuen Partei vier Seiten. Darin finden sich allerdings meines Erachtens einige Fehleinschätzungen, so dass sich die Frage nach der Ursache hierfür stellt. Die Antwort, so meine These, liegt einerseits in dem extremismustheoretischen Hintergrund Deckers und andererseits daran, dass er über seine international vergleichende Perspektive in einen Schematismus verfällt, der ihn hindert, die Spezifik des konkreten Phänomens zu erfassen. Wie die Extremismustheorie ebnet er über eine formalistische Herangehensweise die Unterschiede seiner Gegenstände ein und setzt sie unter dem Schlagwort Populismus gleich: Bildet man, so Decker, aus allen Spielarten eine Schnittmenge, stehen „im Zentrum des Populismus-‚Syndroms’ der Rekurs auf das einfache ‚Volk’ und die Kritik am ‚Establishment’“ (Decker 2006, 12).

Neuer Rechtspopulismus

Unter dem Begriff neuer Rechtspopulismus untersucht Decker eine Parteienfamilie mit rechter politischer Orientierung, die in westlichen Demokratien seit Mitte der 80er Jahre entstanden sei. Diese verbinde ein gemeinsamer Entstehungshintergrund, eine ähnliche Ideologie und ihr Politikstil. Die Ursache für die aktuelle populistische Welle sieht er in den Folgen der Globalisierung: Ökonomisch führte sie zu einem Abbau wohlfahrtsstaatlicher Sicherungen, kulturell ziehe die zunehmende Multikulturalisierung Überfremdungsängste nach sich, und politisch verliere der Staat im Zuge der Globalisierung zunehmend an Souveränität. Dieser Souveränitätsverlust hat in Verbindung mit den ökonomischen und kulturellen Prozessen zur Folge, dass sich bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht mehr ausreichend repräsentiert fühlen (vgl. ebd., 13ff.).

Die ideologische Ausrichtung verschiedener populistischer Parteien versucht Decker anhand zweier Skalen zu fassen. Einerseits lassen sie sich nach ihrem Extremismusgrad und andererseits nach ihrem thematischen Schwerpunkt (ökonomischer, kultureller, politischer Populismus) unterscheiden.

Formal kennzeichnen den Rechtspopulismus vor allem drei Merkmale: Sein Bewegungscharakter, das Prinzip der charismatischen Führerschaft und seine agitatorischen Stilmittel. Alle drei Elemente verweisen unmittelbar auf die Inhalte. Die Organisation als Bewegung und Orientierung auf einen Führer bringen die Vorstellung eines homogenen Volkswillens zum Ausdruck. Der volksnahe Führer soll diesen Volkswillen umsetzen, ohne in langen Verhandlungen beispielsweise Minderheitenpositionen zu berücksichtigen. Und in der Agitation spiegeln sich die Anti-Establishment-Orientierung und die Ausgrenzung von Nicht-Zugehörigen wider. Decker betrachtet diese „formalen Attribute mehr noch als die reinen ideologischen Inhalte als den eigentlichen Erfolgsgrund der rechtspopulistischen Parteien“ (ebd., 17).

Rechts- und Linkspopulismus

Obwohl Decker selbst erklärt, dass eine „wissenschaftlich sinnvolle Verwendung“ des Populismusbegriffs eine Eingrenzung von „Erscheinungen in zeitlicher, räumlicher und sachlicher Hinsicht“ (ebd., 12) voraussetze, spricht er immer wieder von dem Populismus und von Links- und Rechtspopulismus. Diese teilten „das anti-elitäre Ressentiment, die Gegnerschaft zum herrschenden System und die Parteinahme für das sogenannte einfache Volk“ (ebd., 23). Linke Populist_innen würden allerdings im Gegensatz zu rechten dieses einfache Volk nicht nach außen gegen Fremde abgrenzen, sondern blieben ihrem Egalitarismus treu. Bei dem Versuch, die ehemalige PDS in seinen Populismusbegriff zu zwängen, offenbaren sich allerdings die Probleme dieses nivellierenden Ansatzes. Trotz zum Teil gegensätzlicher Ausführungen zieht er den Schluss, ihr linker Populismus weise „nicht nur mit Blick auf Agitationsformen und Stilmittel, sondern auch in programmatisch-ideologischer Hinsicht verblüffende Ähnlichkeiten mit seinen rechten Gegenstücken auf.“ (Decker/Hartleb 2006, 209f.) Das widerspricht nicht nur seiner eigenen Darstellung, er geht sogar noch einen Schritt weiter: Vor dem Hintergrund der schwierigen Ausgangsbedingungen des Rechtspopulismus in Deutschland liege gar „die Frage nahe, ob die Populisten nicht besser beraten wären, ihr Heil in der Bundesrepublik auf der Linken zu suchen“ (ebd., 211). Als ob politische Akteur_innen zuallererst Populist_innen wären, die sich dann rein opportunistisch für völlig unterschiedliche ideologische Inhalte entscheiden würden. Entsprechend würde – in dieser Logik absolut folgerichtig – jetzt auch in der PDS der Versuchung nachgegeben, „das ganze Spektrum extremistischer Ansichten zu bedienen“ (ebd.).

In dieser Gleichsetzung drückt sich Deckers wissenschaftliche Herkunft aus der Extremismusforschung aus. Wie diese betreibt er eine ideologische Nivellierung, mit der völlig unterschiedliche Phänomene formalistisch gleichgesetzt werden. Er folgt der falschen Priorisierung der Form vor dem Inhalt, was sich auch an seinem Schematismus von ökonomischem, kulturellem und politischem Populismus zeigte. Ökonomischer Populismus kann beispielsweise entweder auf mehr soziale Sicherungen oder auf die Entfesselung des Marktes zielen, Gegensätzliches wird also unter dieselbe Kategorie subsumiert. Dass für eine brauchbare Populismusdefinition Stil und Auftreten eine wichtige Rolle spielen, steht außer Frage. Um aber solcher begrifflichen Verwirrung zu entgehen, muss dem Inhalt ein stärkerer Stellenwert beigemessen werden. Wenn etwa über Rechtspopulismus gesprochen wird, muss dessen ideologischer Kern als eine spezielle Lesart des völkischen Nationalismus herausgearbeitet werden (vgl. Kellershohn u.a. 2014).

Rechtspopulismus in Deutschland und die AfD

In verschiedenen Texten wirft Decker die Frage auf, warum der Rechtspopulismus in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten so erfolglos war. Den entscheidenden Faktor findet er in der deutschen politischen Kultur: Aufgrund der deutschen Geschichte laufen rechtspopulistische Akteure hier permanent Gefahr, in die Nähe zum Nationalsozialismus gerückt zu werden (vgl. Decker 2012). Dieses Stigma erschwert ihnen einerseits den Zugang zu Medien, andererseits übt es deshalb eine Sogwirkung auf tatsächliche Rechtsextreme aus, die in rechtspopulistischen Parteien die Chance sehen, aus ihrer politischen Isolierung herauszutreten. An den daran anschließenden Richtungskämpfen drohen sie entweder zu zerbrechen oder ihr öffentliches Bild zu ruinieren. Das hat einerseits die Etablierung einer rechtspopulistischen Partei erschwert; andererseits stellt es jedoch auch ein Problem für eine sinnvolle Auseinandersetzung dar. Die Fixierung auf Neonazismus im deutschen Diskurs führt nämlich dazu, Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft nicht angemessen begegnen zu können. Daran hat nicht zuletzt auch die Extremismustheorie entscheidenden Anteil, die die sogenannte bürgerliche Mitte von menschenfeindlichen Einstellungen tendenziell freispricht und diese lediglich an den extremistischen Rändern der Gesellschaft sehen will.

Nach der Bundestagswahl 2013 stellt Decker die Frage, ob die AfD das „Ende der Schwäche des parteiförmigen Rechtspopulismus“ (Decker 2013, 331) in Deutschland bedeute. Die Antwort hängt ihm zufolge von zwei Faktoren ab: Der Resonanz des Euro-Themas und der Fähigkeit, mit den restriktiven Ausgangsbedingungen für rechtspopulistische Parteien in Deutschland umzugehen. Der erste Faktor beruht auf einer falschen Annahme, der Beschreibung der AfD als einer Ein-Themen-Partei. Andreas Kemper führte zur selben Zeit bereits umfangreich die rechtskonservative Ideologie von wichtigen Personen der Partei aus (vgl. Kemper 2013), mittlerweile ist diese Ausrichtung nicht mehr zu übersehen. Interessanter ist jedoch die Frage nach dem Umgang mit den allgemeinen Ausgangsbedingungen von Rechtspopulist_innen in Deutschland. Hier konstatiert Decker, dass die Partei ihrer drohenden Stigmatisierung bisher relativ glaubhaft entgegenwirken konnte. Sie „profitiert davon, dass sie eher ein bürgerliches als ein populistisches Profil pflegt“ (Decker 2013, 334). Das führt zu dem für den Erfolg der AfD entscheidenden Punkt: Durch die straffe Führung der Parteispitze konnten einerseits in einem rechtspopulistischen Stil Wähler_innen mobilisiert, andererseits jedoch mit dem sogenannten liberalen Flügel Bürgerlichkeit demonstriert werden, ohne dass die Liberalen eine weniger nationalistische Ausrichtung hätten.

Abschließend ist festzuhalten, dass Deckers international vergleichender Forschungsansatz gewinnbringend ist, allein jedoch für eine konkrete Analyse nicht ausreicht. Das gilt auch bezüglich der AfD, wo der deutsche Kontext gesonderte Beachtung verdient. Was die deutsche Besonderheit anbetrifft, hat Decker einen wichtigen Aspekt ausgeführt. Im Anschluss daran wäre die These zu vertreten, dass der weitere Erfolg der Partei davon abhängt, ob es weiterhin gelingt, der Öffentlichkeit ein bürgerlich-liberales Bild zu präsentieren, während gleichzeitig andere Parteimitglieder rechtspopulistische Positionen und Rhetoriken bedienen (angesichts der derzeitigen Flügelkämpfe scheint dies schwer vereinbar zu sein).

Ansonsten verbleibt Deckers Auseinandersetzung mit der AfD recht oberflächlich. Eine solche Auseinandersetzung relativiert z.B. Deckers vergleichende Feststellung, dass zur populistischen Gewinnerformel in Europa eine Verteidigung des Wohlfahrtsstaates gehört. Da Deutschland international in der andauernden Krise relativ gut dasteht, konnte hier eine besondere populistische Formation Anhänger_innen gewinnen: Wettbewerbspopulismus. Die AfD verteidigt den Wohlfahrtsstaat nicht, sondern tritt auf verschiedenen Ebenen für eine Verschärfung der Wettbewerbslogik ein (vgl. Bebnowski/Förster 2014). Die populistische Gewinnerformel sieht in Deutschland eben doch etwas anders aus, weil hier besondere Ausgangsbedingungen vorliegen. Das kann nur feststellen, wer tatsächlich das konkrete Phänomen genau betrachtet.

Literatur

Bebnowski, David/Förster, L. Julika 2014: Wettbewerbspopulismus. Die Alternative für Deutschland und die Rolle der Ökonomen. Frankfurt/M.: Otto Brenner Stiftung.

Decker, Frank 2006: Die populistische Herausforderung. Theoretische und ländervergleichende Perspektiven. In: Ders. (Hg.): Populismus. Wiesbaden, S. 9-32.

Decker, Frank 2012: Warum der parteiförmige Rechtspopulismus in Deutschland so erfolglos ist, in: Vorgänge, H. 1, S. 21-28.

Decker, Frank 2013: Das Parteiensystem vor und nach der Bundestagswahl 2013, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften, H. 3, S. 323-342.

Decker, Frank/Hartleb, Florian 2006: Populismus auf schwierigem Terrain. Die rechten und linken Herausfordererparteien in der Bundesrepublik, in: Decker, F. (Hg.): Populismus, Wiesbaden, S. 191-215.

Kellershohn, Helmut u.a. 2014: Völkischer Nationalismus und Rechtspopulismus. Thesen des AK Rechts im DISS, in: DISS-Journal 28, S. 25-27.

Kemper, Andreas 2013: Rechte Euro-Rebellion. Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e.V., Münster.

Jan Ackermann studiert in Dresden Sozialwissenschaften.