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Das Grundrecht auf Asyl

Eine diskursanalytische Untersuchung der Debatten im deutschen Bundestag
Von Frank Wichert
unveröffentliche Magisterarbeit aus dem Jahr 1994.

Inhalt

0. Vorwort
1. Einleitung
2. Darstellung des Parlaments und dessen Funktion
3. Betrachtungen und Analysen zur konjunkturellen Entwicklung des Themas »Asyl«
4. Die Dregger Rede – Eine diskursanalytische Untersuchun
5. Völkisch – nationalistischer und Gegendiskurs
6. Gesamtzusammenfassung
7. Zukunftsaussichten oder: über die Möglichkeit der Stärkung von Gegendiskursen
8.  Literatur

0. Vorwort

Diese Arbeit verdankt ihr Entstehen der langjährigen Beschäftigung mit dem Thema „Rassismus“. Der Anlass hierzu war die Teilnahme an einem Hauptseminar an der Universität Duisburg im Wintersemester 1990/91 zum Thema „Alltäglicher Rassismus“ unter der Leitung von Prof. Dr. Siegfried Jäger.

Eine Gruppe der Teilnehmer bildete jenes Forschungsteam, das sich als Diskurswerkstatt im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) mit der Erforschung des „alltäglichen Rassismus“ beschäftigte und deren Ergebnisse unter dem Titel „Brandsätze. Rassismus im Alltag“ veröffentlicht wurden.

Nach dieser Veröffentlichung folgten weitere Publikationen, die sich insbesondere mit rassistischen Äußerungen im Mediendiskurs auseinandersetzten.

Die Arbeit der Diskurswerkstatt wurde von einer Welle rassistisch motivierter Gewalttaten begleitet, die den gesellschaftlichen Bezug unserer Arbeit drastisch verdeutlichten.

Der Symbiose aus der Erarbeitung theoriegeleiteter Konzeptionen und ihrer praktischen Anwendung in zahlreichen Projekten, die aus der Diskurswerkstatt heraus entstanden, verdankt auch diese Arbeit ihr Entstehen. Anknüpfend an die Weisheit, dass an einem Produkt, wie es die vorliegende Arbeit darstellt, stets viele Menschen beteiligt sind, möchte ich an dieser Stelle zunächst jenen danken, die mir bei der Erstellung hilfreich zur Seite standen:

Mein Dank gilt den Mitgliedern der Diskurswerkstatt im DISS, die durch mannigfaltige Tipps und Ratschläge zum Gelingen dieser Arbeit beitrugen; besonderer Dank gilt den folgenden Personen: Meinen Eltern, Siegfried Jäger, Ernst Schulte-Holtey, Rüdiger Buß, Gabi Cleve und Ina Ruth.

1. Einleitung

1.1 Anlass

Als am 26. Mai 1993 die Mehrheit der parlamentarischen Abgeordneten ihr Ja-Votum für eine Änderung des Artikels 16 Absatz II GG abgab, schaffte sie nicht nur das subjektive Recht eines jeden politisch verfolgten Flüchtlings auf Schutz in der Bundesrepublik Deutschland ab, sondern sie brach auch mit einem grundlegenden demokratischen Prinzip ihrer Verfassung. Die vorangegangene politische Diskussion um die ausstehende Grundgesetzänderung fand breite Resonanz in den Medien und in der Öffentlichkeit. Doch nicht die Tatsache weltweiter wirtschaftlicher Krisen, unzähliger kriegerischer Auseinandersetzungen oder die Schreckensherrschaft totalitärer Regime, vor denen Menschen fliehen, bewegte die öffentliche Diskussion; im Mittelpunkt stand vor allem die Frage, ob Deutschland eine weitere Zuwanderung verkrafte und wie hoch die Kosten für die Unterstützung der Flüchtlinge seien. Obwohl tagtäglich die Medien beispielsweise über den Bürgerkrieg und seine Folgen im ehemaligen Jugoslawien berichteten, wurden Menschen, die vor diesem Schrecken flohen, als unerwünschte „Asylanten“ dargestellt.

Das Ansteigen der Flüchtlingszahlen veranlasste zahlreiche Politiker dazu, Bedrohungsängste in der Bevölkerung zu schüren, indem man von den hereinbrechenden „Fluten“ sprach, gegen die man „Dämme“ errichten müsse. Politiker nahezu aller Parteien suggerierten, dass ein Handlungsbedarf bestehe, um dieser Situation ein Ende zu setzen. Obwohl in der Bevölkerung das Wissen um die wahren Fluchtursachen sehr gering war und noch ist, verbreiteten die Medien bereitwillig die Forderung zahlreicher Politiker, die weitere Aufnahme von Flüchtlingen dadurch zu unterbinden, dass man den Artikel 16 Abs. II ändere.

1.2 Ziel

In dieser Arbeit geht es darum, aufzuzeigen, wie sich Einstellungen und Haltungen von Politikern des Deutschen Bundestages gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen im Laufe von 44 Jahren änderten, in denen der Grundgesetzartikel 16 Abs. II im Grundgesetz verankert war. Es geht hierbei nicht darum, aufzuzeigen, welche juristisch/ verwaltungstechnischen Änderungen vorgenommen wurden ((Mit dem subjektiv-öffentlichen Recht auf Asyl wurde zwar ein Gesetz geschaffen, das im internationalen Vergleich als „einzigartig“ gilt (Münch 1993, S.13), über die materielle Ausgestaltung dieses Gesetzes herrscht jedoch weitgehende Unklarheit. So legt das Gesetz weder fest, was unter der Formulierung „politisch verfolgt“ zu verstehen ist, noch folgt daraus, dass politisch Verfolgte auch ein Recht auf Einreise in die BRD haben. Die Tatsache der fehlenden juristischen Ausgestaltung des Artikels 16 Abs. II ermöglichte weitreichende Einschränkungen dieses Gesetzes seit seiner Aufnahme ins Grundgesetz. Siehe für die juristische Entwicklung des Asylrechts Münch 1993.)), sondern welche sprachlich fixierten Positionen artikulierbar wurden. Mit anderen Worten geht es um den folgenden Punkt:

„Die Frage ist vielmehr, wie wir erkennen können, in welchem Maße eine relativ neue Sprache als Ausdruck einer neuen Artikulation zu begreifen ist, in der sich in einer auf Dauer angelegten Weise gesellschaftliche Praxis und kollektive Vorstellungen, Lehren von Wissenschaftlern und politischen Bewegungen miteinander verbinden.“ (Balibar/ Wallerstein 1992, S. 27)

Das Ziel meiner Arbeit besteht darin, darzustellen, welchen Beitrag die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dazu geliefert haben, dass über das Thema »Asyl« zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einer bestimmten -noch darzustellenden Weise – sprachlich verhandelt wird. Somit begreift sich diese Arbeit als ein linguistischer Beitrag zur Analyse gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen.

1.3 Besonderheiten des Untersuchungsgegenstandes

Die Darstellung der Behandlung des Themas »Asyl« im Deutschen Bundestag ist aus verschiedenen Gründen interessant. Zum einen lässt sich hieraus das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Menschen ableiten, die vor der Herrschaft totalitärer Regime fliehen. Zum anderen diente die Verhandlung dieses Themas dazu, eine Grundgesetzänderung herbeizuführen, was einen deutlichen Einschnitt in die rechtsstaatliche Norm bedeutet. Darüber hinaus wird die unmittelbare Lebenssituation der Flüchtlinge grundlegend bestimmt, die in Deutschland leben.

Der niederländische Diskursanalytiker und Rassismusforscher Teun A. van Dijk stellt die Relevanz des Themas »Asyl« und seine Behandlung durch Politiker folgendermaßen dar:

„Der politische Diskurs […] spielt eine noch größere Rolle für die Definition der Situation von Einwander(inne)n als der Mediendiskurs. Beschlüsse der Verwaltungen und der Bürokratie sowie Debatten in den Parlamenten befassen sich seit den 80er Jahren zunehmend mit Angelegenheiten von Einwander(inne)n und Flüchtlingen. Fortdauernde soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Sozialprobleme, Nachteile im Bereich der Erziehung, Ablehnung der Einwanderer, die Ankunft neuer »Wellen« von Flüchtlingen aus dem Süden: das sind einige der Hauptthemen, die auf der politischen Tagesordnung stehen.“ (van Dijk 1992, S. 200)

Zur weiteren Charakterisierung führt der Duisburger Diskursanalytiker Siegfried Jäger aus: „Die politische Qualität des Diskurses hängt nicht so sehr von der Kompetenz des jeweiligen Sprechers ab, es ist mehr eine Frage nach der Performanz, der Absichten und Ziele, die er verfolgt.“ (Jäger 1994b, S. 219)

Somit lässt sich der politische Diskurs, der vom Spezialdiskurs der politischen Wissenschaft zu unterscheiden ist, hinsichtlich seiner Verortung und des in ihm verwendeten semantischen Potentials folgendermaßen charakterisieren:

„Der politische Diskurs kann als der Teil des allgemeinen oder alltäglichen Interdiskurses bezeichnet werden, der sich mit politischen Gegenständen und Themen beschäftigt.“ (Jäger 1994b, S. 219)

Die Beschäftigung mit diesen Themen geschieht jedoch unter besonderer „Aufsicht“, weshalb van Dijk von „Schaufensterdiskursen11 spricht. Hierzu führt er aus:

„Zu beachten ist, daß solche Diskurse, vielleicht stärker als alle anderen, Schaufenster-Diskurse sind. Alle Reden und sogar spontane Zwischenrufe werden aufgeschrieben und meistens durch die Medien verbreitet […]. Daher sind solche Reden selten spontan, sondern werden in der Regel sorgfältig vorbereitet. Es handelt sich um schriftliche Stellungnahmen, die laut verlesen werden.“ (van Dijk 1992, S. 201)

1.4          Zum gegenwärtigen Forschungsstand

Diskursanalytisch geleitete Untersuchungen, die sich auf die Erforschung der Verstocktheiten in rassistische Diskurse beziehen, liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits vor. Das Forschungsinteresse richtete sich dabei insbesondere auf die Analyse rassistischer Äußerungen im Alltagsdiskurs (vgl. Jäger 1993a), im Erziehungsdiskurs (vgl. Franz 1993) und im Mediendiskurs ((Hierzu existiert mittlerweile eine Reihe von Veröffentlichungen, die an dieser Stelle nicht einzeln aufgeführt werden können. Ich verweise daher auf das Literaturverzeichnis und nenne hier nur exemplarisch: Jäger/ Link 1993.)). Diesen Analysen ging eine Auseinandersetzung mit der internationalen Rassismusforschung voraus, auf deren Ergebnisse ich an dieser Stelle nur verweisen kann (vgl. etwa Kalpaka/ Räthzel [Hg.] 1990).

Eine diskursanalytische Untersuchung, die der Behandlung des Themas »Asyl« im parlamentarischen Diskurs des Bundestages nachgeht, steht jedoch noch aus. ((Vgl. hierzu van Dijk 1992. In dieser Untersuchung werden nur einige wenige Bundestagsreden angeführt, da er sein Forschungsinteresse primär auf einen internationalen Überblick richtet.)) Diese Arbeit versucht, zu dieser Thematik einen Beitrag zu leisten.

1.5          Methodisches Vorgehen

Bei meinem Vorgehen stütze ich mich auf das diskursanalytisch geleitete Konzept, wie es von Jäger 1993b ((Bereits 1989 entwickelte S. Jäger ein Konzept zur Analyse politischer Texte, das unter dem Titel „Text- und Diskursanalyse“ erschien und jetzt in der 5. Auflage vorliegt (vgl. Jäger 1994c). Das Buch „Kritische Diskursanalyse“ (Jäger 1993b), auf das ich mich an dieser Stelle beziehe, stellt eine inhaltliche und methodologische Weiterentwicklung dieses Konzeptes dar.)) entwickelt wurde. Der zu erstellenden theoriegeleiteten empirischen Untersuchung des parlamentarischen Diskurses zum Thema »Asyl« liegt die Diskurstheorie zugrunde, wie sie von Siegfried Jäger (Jäger 1993b, Jäger 1994c) konzipiert wurde. Jäger stützt sich bei seinem diskursanalytischen Konzept auf diskurstheoretische Überlegungen, wie sie von dem französischen Sozialphilosophen Michel Foucault angestellt (vgl. Foucault 1989, 1991b, 1992) und durch den Bochumer Literaturwissenschaftler Jürgen Link weiterentwickelt wurden. ((Vgl. hierzu insbesondere die Zeitschrift kultuRRevolution. Zeitschrift für angewandte diskurstheorie, auf die ich mich an verschiedenen Stellen meiner Arbeit beziehe. Weiterführende Veröffentlichungen Jürgen Links zu dieser Thematik finden sich im Literaturverzeichnis.))

In Anlehnung an Foucault versteht Jäger versteht unter „Diskurs“, den „Fluß von Text und Rede bzw. von Wissen durch die Zeit.“ (Jäger 1993b, S. 153, vgl. dazu auch Foucault 1992)

Dabei ist davon auszugehen,

„daß der Diskurs immer schon mehr oder minder stark strukturiert und also ‚fest‘ und geregelt (im Sinne von konventionalisiert und sozial) ist. Diese Bestimmung verstehe ich als essentiellen Bestandteil von Diskurs überhaupt. Diskurs transportiert Bedeutungen/ Wissen; demnach enthält auch das ungezwungenste Alltagsgespräch Diskursfragmente.“ (Jäger 1993b, S. 153) ((Dieser Definition ließen sich sicherlich einige anderslautende Definitionen entgegenhalten (etwa Habermas, Apel, Frank, etc.). Doch eine theoretische Auseinandersetzung hinsichtlich des Diskursbegriffs stellt nicht den Gegenstand dieser Arbeit dar))

Zur näheren Charakterisierung dieses Diskursbegriffs ist es erforderlich, darauf hinzuweisen, dass dieser Diskurs stets mit Macht ausgestattet ist.

S. Jäger führt hierzu aus:

„Diskurse sind mit Macht verbunden – und mit Gegenmacht. Insofern kann man auch von einem ständigen ‚Kampf der Diskurse‘ sprechen, von Ausbruchsversuchen aus dem ’normalen‘ oder dem hegemonialen Diskurs etc.“ (Jäger 1993b, S. 153)

Jürgen Links Definition des Diskursbegriffs weist in eine ähnliche Richtung, da er ausführt: „wir verstehen darunter institutionalisierte, geregelte redeweisen, insofern sie an handlungen angekoppelt sind und also machtwirkungen ausüben.“ (Link 1986, S. 4)

Die hier dargestellten Definitionen des Diskursbegriffs bedürfen jedoch noch einer weiteren Unterteilung, insbesondere dann, wenn es um die Darstellung von Aussagen hinsichtlich eines Themenkomplexes geht. So zeigen sich z.B. rassistische Aussagen auf den unterschiedlichsten Diskursebenen; hierzu zählen der Medien-, Politiker, Alltags- und Erziehungsdiskurs etc. Bündelt man auf diesen Ebenen die Aussagen, die als rassistisch zu bezeichnen sind, so erhält man das, was als rassistischer Diskursstrang zu bezeichnen ist (vgl. Jäger/ Jäger 1993, S. 49).

Entsprechend dieser Terminologie geht es in der vorliegenden Arbeit darum, die Diskursebene Politik, speziell jedoch den »parlamentarischen Diskurs des Bundestages«, hinsichtlich der Aussagen zu untersuchen, die zum Thema »Asyl« getroffen wurden. Das Thema »Asyl« lässt sich wiederum innerhalb des übergreifenden Diskursstranges »Einwanderung und Flucht« verorten.

Für die vorliegende Untersuchung bilden Aussagen, die zum Thema »Asyl« geäußert wurden, also den zentralen Bezugspunkt. Dabei ist davon auszugehen, dass nur unter bestimmten Bedingungen bestimmte Aussagen sagbar und denkbar werden. Hierzu ein Beispiel: Als der parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl (CDU/CSU) 1992 die Forderung erhob, „der Münchener Süden müsse eine asylantenfreie Zone bleiben“, wurde er unter allgemeinem Protest gegen diese Äußerung seines Amtes enthoben (S. Drs. 12/2516, 30.4.1992). Er verstieß zu diesem Zeitpunkt gegen ein Tabu des Sagbaren, was nicht heißen soll, dass eine solche Äußerung „für alle Zeiten“ ein Tabu bleiben musste. Auf der anderen Seite lassen sich Forderungen ausmachen, die nicht die gleichen Konsequenzen nach sich ziehen, wie dies am Beispiel des Dr. Riedl gezeigt wurde, sondern die als „utopisch“ bzw. nicht relevant zugelassen werden. Wie z.B. die Forderung, sämtliche Grenzen niederzureißen und allen Menschen ein Bleibe- und Wohnrecht in der Bundesrepublik Deutschland zuzusichern. Diesen Forderungen wird zwar „Unsachlichkeit“ attestiert, trotzdem befinden sie sich in dem Raum der zugelassenen Aussagen. Deleuze führt dazu aus:

„Die Aussagen sind […] untrennbar mit einem Raum der Knappheit verknüpft, innerhalb dessen sie sich gemäß einem Prinzip peinlicher Sparsamkeit oder sogar des Defizits verteilen. Im Bereich der Aussagen gibt es weder Mögliches noch Virtuelles; alles ist hier real und jede Realität manifest […]“ (Deleuze 1992, S. 11).

Die folgende Untersuchung zeichnet die Entwicklung des Themas »Asyl« im parlamentarischen Diskurs des Deutschen Bundestages und somit eine Genese der im Bundestag jeweils schon sagbaren Aussagen nach.

Bei diesem Vorgehen kommt der Analyse von Kollektivsymbolen eine besonders wichtige Bedeutung zu. Daher möchte ich im Folgenden kurz darstellen was hierunter zu verstehen ist.

Unter Kollektivsymbolen sind „kulturelle Stereotypen (zu verstehen), die kollektiv tradiert und benutzt werden.“ (Drews, Gerhard, Link 1985, S. 265) Die Funktion der Kollektivsymbolik besteht darin, dem Individuum eine Orientierungshilfe zu ermöglichen, mittels derer es sich angesichts der Komplexität der Erscheinungen und Zusammenhänge in der Welt zurechtfinden kann. Mittels der Kollektivsymbolik ist der/die einzelne in der Lage, nahezu jegliches Geschehen oder Ereignis in einen sozial erworbenen Bedeutungszusammenhang zu stellen. Als Beispiel hierfür kann der medizinische Terminus „Krebs“ herangezogen werden, dessen genaue medizinische Definition nur recht wenige Spezialisten kennen. Proklamiert jedoch beispielsweise eine Zeitung, dass „der Terror der Krebs der Gesellschaft sei“, so ist der Grad der kollektiven Verständlichkeit recht hoch.

Die Verknüpfung einzelner Kollektivsymbole erfüllt zwei Funktionen: Zum einen werden Ereignisse, deren Auswirkungen durchaus erschreckende Formen annehmen können, als „normal“ integriert, da sie als systeminhärente Folgen begriffen werden und Gegenmaßnahmen für das bestehende System dysfunktional würden. Andererseits lassen sich z.B. Systeme, die nicht dem westlichen Bündnis angeschlossen sind und die als Gegen-Systeme begriffen werden, mittels der verwendeten Kollektivsymbolik ausschließen. Die Funktion der Kollektivsymbole lässt sich folgendermaßen beschreiben:

„Das System der Kollektivsymbole dient einerseits so dazu, die Widersprüche der gesellschaftlichen Wirklichkeit zuzudecken, ein harmonisches Bild der (immer gleichen, „normalen“) eigenen Welt zu erzeugen, jede auch noch so dramatische Veränderung symbolisch zu integrieren, deutlich zwischen „Normalität“ und „Abweichung“ zu unterscheiden usw.“ (Jäger 1993a, S. 251)

Kollektivsymbole bilden ein System, das symbolisch die politische Situation eines Landes repräsentiert. Dieses System ist weder statisch noch allgemein gültig. Es ändert sich im Fluss der Zeit und stellt sich für unterschiedliche kulturelle Zusammenhänge unterschiedlich dar: Ich beziehe mich im folgenden auf das „synchrone System von Kollektivsymbolen“ wie es Jürgen Link für die Bundesrepublik Deutschland herausgearbeitet hat (vgl. Link 1982).

Das synchrone System der Kollektivsymbole bildet den „Kitt der Gesellschaft“ (Link 1982, S. 11) und der Diskurse. Dadurch übernimmt es für das einzelne Individuum einerseits die Funktion, die als Totalität jeweilig gegebene gesellschaftliche Situation als Zusammenhang zu begreifen, und andererseits, sich in ihr zu orientieren ((Auf die psychische Dimension (Integration von Widersprüchen und Folgen für das Individuum: Entstehung von Ängsten und Bedrohungsgefühlen etc.) gehe ich hier nicht gesondert ein. Vgl. aber dazu Link 1992.)). Insgesamt lässt sich das aktuelle, für die BRD gültige synchrone System der Kollektivsymbolik als eine dualistische, auf Binäroppositionen hin angelegte Struktur bezeichnen, die durch die Oppositionen Innen-Außen, Oben-Unten sowie durch eine Rechts-Links-Achse gekennzeichnet ist, die J. Link folgendermaßen skizziert (Abb. Link 1984: S. 14)

Bild 1 - Kollektivsymbole

 

Einzelne Kollektivsymbole werden dazu genutzt, um die zugrundeliegenden Strukturen „aufzufüllen“. Insbesondere bei der Darstellung der Innen-Außen-Topik finden solche Symbole Verwendung, die den Innenbereich (dabei kann es sich um die BRD, Europa oder die „westliche Allianz“ handeln) als (sensiblen) Körper, als eine (harmonische) Hausgemeinschaft oder technisches Gerät (Flugzeug, Auto, Raumschiff, etc.) darstellen. Demgegenüber wird das Gegensystem als Bedrohung konstituiert. Diesem Gegensystem werden menschliche Eigenschaften und Eigenarten abgesprochen, so daß es häufig als Region codiert wird, aus der Fluten hereinbrechen, Heerscharen von Ungeziefer entspringen oder Stürme losbrechen können. Jürgen Link führt dazu aus:

„Entscheidend dabei ist nun, daß das eigene System stets Subjektstatus besitzt. …Es ist ein Körper mit Kopf, der sich Therapien gegen die Krankheit überlegen kann, es ist ein industrialistisches Vehikel mit Fahrer, der den Fuß vom Gas nehmen kann, es ist ein Haus mit vernünftigen Bewohnern, die die Tür zumachen können usw. Dieser Subjektstatus […] gilt […] nicht für das außersystemische Chaos als solches.“ (Link 1993, S.71)

Eine Analyse der Kollektivsymbolik im politischen Diskurs dient nicht nur dem Zweck, aufzuzeigen, mittels welcher Symbole der Innenraum (exemplarisch: die BRD), bzw. Fremde codiert werden, sie soll darüber hinaus zeigen, dass durch die Kollektivsymbolik Argumente untermauert werden. ((Die Frage danach, ob Politiker insbesondere dann seitens der Medien zitiert werden, wenn sie sich einer umfangreichen Kollektivsymbolik bedienen, wäre zwar interessant, kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden.))

1.6     Theoretische Vorüberlegungen zum Begriff „Rassismus“

Um der Frage nachgehen zu können, ob und in welcher Weise Parlamentarier sich gegenüber Einwanderern rassistisch äußern bzw. in den rassistischen Diskurs „verstrickt“ sind, ist es notwendig, den Begriff Rassismus zu klären ((Begriffe wie „Rassismus“ und deren spezifische Füllungen sind jeweils selbst Resultate diskursiver Kämpfe und werden im wissenschaftlichen Diskurs daher unterschiedlich verwendet. Um so wichtiger ist es daher, dass ich – unter Rekurs auf die Literatur – genau definiere, was ich in dieser Arbeit unter Rassismus verstehe.)). In dieser Arbeit geht es jedoch nicht darum, nachzuweisen, dass sich einzelne Parlamentarier rassistisch geäußert haben. Es soll vielmehr gezeigt werden, welche rassistischen Positionen in der öffentlichen Rede sagbar und verallgemeinerbar wurden und welche demokratiegefährdenden Tendenzen sich hieraus ergeben. Für diese Begriffsklärung beziehe ich mich auf die Rassismus-Definition von Kalpaka/ Räthzel (1990) und Jäger (1993a). So sprechen Kalpaka/ Räthzel dann von Rassismus, wenn drei Faktoren gemeinsam auftreten: Zum einen wird die Andersartigkeit von Menschen herausgestellt. Dies kann sich zum einen an körperlichen Erscheinungsformen festmachen, wenn z.B. die andere Hautfarbe, Haarfarbe oder Körperform als Indiz für eine bestimmte, zu erwartende Verhaltensform herangezogen wird. Aber auch kulturelle Merkmale können dazu dienen, die Andersartigkeit einer Menschengruppe herauszustellen, wie z.B. das Tragen von Kopftüchern, anderer Kleidung, die Ausübung einer anderen Religion etc. („Rassen“-konstruktion).
Zum anderen: Wird die so konstatierte Andersartigkeit negativ (oder positiv) bewertet, etwa indem einem Menschen schwarzer Hautfarbe unterstellt wird, dass er faul sei, nicht arbeiten wolle etc. und geschieht diese Bewertung aus der Position der Macht heraus, erst dann liegt eine rassistische Äußerung vor. ((Diese Aussagen oder Unterstellungen sind Beispiele einer negativen Bewertung. Die Annahme, dass schwarzhäutige Menschen eine besondere sportliche oder musikalische Begabung hätten, dient als Beispiel eines positiven Rassismus, falls sie darauf reduziert werden.))

Genauer betrachtet werden muss der Faktor der Macht, der nach Kalpaka/ Räthzel zu den erstgenannten hinzutreten muss, wenn von Rassismus gesprochen werden kann. Sie gehen davon aus, dass negativen (oder positiven) Bewertungen durch Macht Nachdruck verliehen werden muss; sie beziehen damit Rassismus auf ganz konkretes Handeln (oder doch die Möglichkeit dazu). Dabei gehen sie soweit zu sagen, dass Menschen, die der Mehrheit eines Landes angehören, sowohl in rechtlicher als auch in beruflicher Hinsicht, bereits über die Macht verfügen, ihre Einstellungen gegenüber „Ausländern“ auch durchzusetzen. ((Ein Gegenbeispiel hierfür stellt sicherlich die frühere Situation in Südafrika dar, in der es die weiße Minderheit war, die die Macht gegenüber der schwarzen Mehrheit besaß.))

Für meine Untersuchung werde ich jedoch in Anlehnung an Jäger (Jäger 1993b) eine diskurstheoretisch geleitete Modifikation dieser Rassismus-Definition vornehmen, dergestalt, dass ich die produzierten Diskurse bereits als mit Macht ausgestattete Materialitäten begreife. Dadurch wende ich mich gegen eine Machtkonzeption, die Macht nur als Form der direkten Unterdrückung durch konkretes „ausländer“-schädigendes Handeln begreift. Etwa dann, wenn es um die Vergabe von Arbeitsplätzen, Wohnungen oder eine allgemeinen Bevormundung oder Angriffe und Überfälle auf „Ausländer“ geht. Demgegenüber begreife ich den diskurstheoretisch orientierten „Machtbegriff“ in der Weise, dass rassistische Diskurse als solche bereits schädigende Auswirkungen haben und dadurch Macht ausüben. Dies trifft insbesondere auf den politischen Diskurs zu, dessen mediale Verbreitung enorm groß ist und dadurch weite Teile der Bevölkerung erreicht, sozusagen Applikationsvorgaben für Handeln produziert und zudem bereits bei den Angehörigen der betroffenen Minderheiten Bedrohungsgefühle und Ängste auslöst, die vielfach zu seelischen Schäden und psychischen Krankheiten führen.

Aufgrund der verschiedenen Funktionen, die dem Deutschen Bundestag zukommen, einschließlich der, die Bevölkerung der Bundesrepublik zu repräsentieren, kann der Bundestag als eine hochgradig mit Macht ausgestatte staatliche Institution angesehen werden. Dies gilt gleichermaßen für die in ihm produzierten Diskurse.

2.       Darstellung des Parlaments und dessen Funktion

2.1     Das Parlament: Divergenz zwischen „Arbeit“ und Rede

Im Unterschied zum amerikanischen Kongress – einem reinen Arbeitsparlament – und dem englischen Unterhaus – einem Redeparlament – lässt sich der Deutsche Bundestag als eine Mischform dieser Parlamentsformen beschreiben. Hieraus ergibt sich eine Funktionsteiligkeit, die sich als Divergenz zwischen Arbeit und Rede beschreiben lässt. Diese Unterscheidung ist für die Darstellung der

Behandlung des Themas »Asyl« im Deutschen Bundestag deshalb wichtig, da hierdurch die jeweilig unterschiedliche Einbeziehung der Öffentlichkeit zum Tragen kommt. Wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit genauer zu zeigen sein wird, zeigte sich, dass das Thema »Asyl« zunächst in den Ausschüssen, dann plenar behandelt wurde, um daran anschließend in einer breiten Medienöffentlichkeit diskutiert zu werden. Zur Darstellung der konjunkturellen Entwicklung des Themas »Asyl« ist daher die Beschreibung des Aufbaus und der Funktion des Parlaments sowie des Stellenwertes politischer Äußerungen von Bedeutung. Nach Oberreuter lassen sich fünf Funktionen des Regierungssystems der Bundesrepublik unterscheiden:

„1. Regierungsbildung (Kreationsfunktion),
2. Kontrolle von Regierung und Verwaltung (Kontrollfunktion),
3. Gesetzgebung und Haushaltsbestimmung (Gesetzgebungsfunktion),
4. Diskussion aller politisch relevanten Fragen (Willensbildungs- und
Willensmobilisierungsfunktion),
5. die Artikulation öffentlicher Meinung(en) und Interessen
(Artikulationsfunktion)“ (Oberreuter, nach Euchner 1986, S. 333).

In den „Informationen zur politischen Bildung: Parlamentarismus II“ (vgl. Der Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung [Hg.] 1967, S. 17) wird diese Trennung zwischen einem „Arbeitsparlament11 und einem „Redeparlament“ mit der Begründung einer Funktionsteiligkeit gerechtfertigt. Aufgrund der Erfahrung, dass nicht alle der oben genannten Funktionen und Aufgaben zur gleichen Zeit gleichwertig zu erfüllen sind, entsteht die Notwendigkeit, die Aufgaben bzw. Funktionen arbeitsteilig und mit unterschiedlichen Akzentuierungen zu bewerkstelligen. In der Literatur wird die Unterscheidung zwischen einem Arbeits- und einem Redeparlament eingeführt (vgl. ebd.). Zur weiteren Beschreibung dieser Aufgabenteilung ist dort zu lesen: „Beim Redeparlament steht die Einwirkung auf die Öffentlichkeit im Vordergrund, beim Arbeitsparlament vor allem die Gesetzgebung.“ Zur Notwendigkeit eines Redeparlaments heißt es weiter: „Ein Redeparlament erhebt den Anspruch, das wichtigste Forum der öffentlichen Meinung, die offizielle Bühne aller großen, die Nation bewegenden politischen Diskussionen zu sein.“ Hier lassen sich zum Teil die schon oben genannten Funktionen einordnen; das Redeparlament ist mit der Diskussion aller politisch relevanten Fragen und der Artikulation öffentlicher Meinung(en) und Interessen betraut (s.o. Punkt 4 und 5), während sich das Arbeitsparlament mit den Punkten 1-3 beschäftigt, vornehmlich jedoch mit der Gesetzgebung.
Während sich „im Arbeitsparlament Macht und Arbeit in die Ausschüsse verlagern“, d.h. die Öffentlichkeit weitestgehend ausgeschlossen bleibt, wird im Parlamentsplenum „[…] nicht primär diskutiert, um sich gegenseitig zu überzeugen, sondern um die Öffentlichkeit, d.h. die Wähler, für seine Sicht der Dinge zu gewinnen.“ (Der Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung [Hg.] a.a.O.)

Aus dieser Darstellung werden zunächst zwei wesentliche Aufgaben des Bundestagsparlaments deutlich: die Formierung juristischer Aussagen (die von Experten und Sachverständigen unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden) und die Formierung öffentlicher Angelegenheiten. Aus diesen Darstellungen zur Funktion des Parlamentarismus geht hervor, dass das Parlament aus seinem Selbstverständnis heraus die Formierung „öffentlicher Interessen“ beabsichtigt. Dadurch entsteht das Bild eines ‚aufgeklärten Parlaments‘, welches der ‚unbedarften Öffentlichkeit‘ die ‚große Politik‘ näherbringen muss. Die Reden im Redeparlament werden so zu einer öffentlichen Angelegenheit, da sie per Kamera auch in den heimischen Haushalt gesendet werden. Den Medien kommt also (nicht nur in Form der Direktübertragung einer Bundestagsdebatte) eine entscheidende Funktion bei der Publikmachung und der „Veröffentlichung“ des politischen Diskurses zu.

Als Vermittler zwischen Politik- und Alltagsdiskurs leisten sie den entscheidenden Beitrag zur Artikulation und Formierung der öffentlichen Meinung. ((Man könnte an dieser Stelle z.B. Jürgen Habermas zur Kritik an dieser Vermittlerrolle der Medien anführen, siehe dazu Habermas 1967. Diese Thematik ist jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit, daher kann nur auf sie verwiesen werden.))

2.2     Legitimation durch Repräsentation

Um dem Anschein einer ‚objektiven Demokratie‘ gerecht zu werden, orientiert sich die Zusammensetzung des Parlaments an einem Repräsentationsmodell. Diesem zufolge setzen sich die Abgeordneten im Parlament aus unterschiedlichsten Berufsgruppen zusammen, die den bundesrepublikanischen Durchschnitt repräsentieren sollen. Aus diesem errechneten Durchschnitt ergibt sich die Anzahl der Inhaber von Regierungsämtern, der Beamten, der Hausfrauen, der Arbeiter etc. im Bundestag. Die Diskurstheoretikerin Ute Gerhard führt zu diesem Repräsentationsmodell aus: „Die Massen erhalten in dem Abgeordneten ihr Spiegelbild. Ihre Vielstimmigkeit wird zu der einen Stimme formiert.“ (Gerhard 1994, S. 193)

Durch diese Art der Zusammensetzung des Parlaments soll die Repräsentation aller (deutschen) Bevölkerungsteile der Bundesrepublik gezeigt bzw. suggeriert werden. Dadurch, dass sich ein/e jede/r durch einen oder mehrere Abgeordnete vertreten fühlt, soll ein kollektives Bewusstsein geschaffen werden, das die Legitimation dafür bietet, Entscheidungen treffen zu können, die im Namen der Bevölkerung gültig werden. Das würde bedeuten, dass das kollektive „Wir“, das die Abgeordneten im Parlament für sich in Anspruch nehmen, gleichzeitig auf die Gesamtbevölkerung übertragen werden könnte. (Dass sich die bundesrepublikanische Bevölkerung nicht unter einem „Wir“ vereinen lässt, braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden.) Bei der Untersuchung der Reden hinsichtlich des Themas „Einwanderung und Flucht“ stellt der Bezug auf das intendierte „Wir“ einen wichtigen Aspekt als Gradmesser für ein Selbstverständnis der bundesrepublikanischen Gesellschaft dar. Hierbei ist vor allem die Frage interessant, wer dieser bundesrepublikanischen Bevölkerung sozusagen als ein Teil dieses „Wir“ zugerechnet und wer davon ausgeschlossen wird.

2.3          Politik und Politische Kultur

Die Aufgabe dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die Konjunktur des Themas »Asyl« im Deutschen Bundestag zu geben. Den Bezugspunkt für eine solche Analyse stellen zum einen mündliche oder schriftliche Anfragen an die Bundesregierung dar, zum anderen dienen Reden, die zu diesem oder unmittelbar angrenzenden Themenbereichen abgehalten wurden, als Grundlage der diskurstheoretisch geleiteten Untersuchung. Dieser Ansatz (s.o.) versteht sich als „interdisziplinär“, was u.a. zur Folge hat, dass die/derjenige, welche/r sich mit der Analyse von Parlamentsreden beschäftigt, nicht umhin kann, sich auch mit den Ergebnissen politik- und gesellschaftswissenschaftlicher Studien auseinanderzusetzen. Die enge Kopplung des politischen Diskurses an den Mediendiskurs wurde bereits zu Beginn der 60er Jahre durch den Sozialphilosophen Habermas kritisiert:

„Vor der erweiterten Öffentlichkeit werden die Verhandlungen selbst zur Show stilisiert: Publizität verliert ihre kritische Funktion zugunsten der demonstrativen; Symbole werden in Argumente verkehrt, auf die nicht wiederum mit Argumenten, sondern nur mit Identifikationen geantwortet werden kann.“ (Habermas 1967, S. 245)

Die Kritik Habermas‘ richtet sich auf Aussagen der Politik, die er als demonstrativ, durch Symbolik verstellt beschreibt. Daraus lässt sich folgern, dass er unter dem Gesagten eine tiefere, ernsthafte Wahrheit vermutet, die aus taktischen Gründen nicht offenbart wird. Für Habermas steht die „stilisierte Show“ im Vordergrund politischer Verhandlungen und nicht das Argumentieren.

Eine derartige Kritik an Äußerungen von Politikern scheint derzeit stark verbreitet zu sein, denn nicht nur das Wort von der Politikerverdrossenheit macht die Runde, auch zahlreiche Veröffentlichungen weisen der Politik in zunehmenden Maße einen rein symbolischen Stellenwert zu. ((Vgl. hierzu: Voigt (Hg.) 1989, Edelman 1990, Meyer 1992.)) Aus diskurstheoretischer Perspektive geht es jedoch nicht darum, aufzuzeigen, ob Aussagen „wahr“ sind, ob sie dazu dienen, bestimmten parteipolitischen Strategien zu folgen oder ob es sich um Show-Elemente handelt. Vielmehr sind sie dem politischen Diskurs zuzuordnen, der als solcher Machtwirkungen ausübt. Link führt dazu aus: „Diskurse sind vielmehr vollgültige Materialitäten ersten Grades unter den anderen.“ (Link 1992, S. 40) Daraus lässt sich ableiten, dass der politische Diskurs das Thema »Asyl« betreffend, als solcher mitentscheidend ist für die Situation von Fremden in der Bundesrepublik Deutschland, wie Eingeborene über diese Anwesenheit denken und welche weiteren Konsequenzen sich aus ihren Einstellungen und Haltungen ergeben.

3.       Betrachtungen und Analysen zur konjunkturellen Entwicklung des politischen Diskurses zum Thema »Asyl«

3.1     Die Materialbasis

Als Grundlage meiner Untersuchung dienten mir folgende Materialien: Sachregister des Deutschen Bundestages von 1949 – 1993 Sprechregister des Deutschen Bundestages von 1949 – 1993 Plenarprotokolle und Drucksachen (mündliche und schriftliche Anfragen und Antworten) des gleichen Zeitraumes. Da es sich im Verlauf der Untersuchung zeigte, dass sich Abgeordnete des Deutschen Bundestages zunehmend in den Medien zur Asylthematik äußerten, wurden auch einzelne Äußerungen von Politikern aus dieser Diskursebene mit in diese Arbeit aufgenommen. Den zentralen Untersuchungsgegenstand bildeten jedoch jene Quellen, die ich zuvor dargestellt habe. Zur näheren Beschreibung dieses Corpus‘ dienen die folgenden Anmerkungen:

Die Dokumentation der einzelnen Reden und ihrer Redner erfolgt durch zwei verschiedene Einteilungskonzeptionen. Das Sprechregister erteilt Auskunft darüber, wer sich zu welcher Thematik geäußert hat. Das Sachregister enthält Angaben über die im Bundestag behandelten Themen. Anfragen, die sich in den Geschäftsbereich eines Arbeitsparlaments einordnen lassen, tragen die Signatur „Drs.“ (Drucksache). Hierbei handelt es sich um Anfragen einzelner oder mehrerer Abgeordneter, die an die jeweilige Bundesregierung gestellt werden. Die Signatur „PlPr.“ (Plenarprotokoll) verweist auf Reden, die dem Bereich Redeparlament zugeordnet werden. Aus dem bereits Ausgeführten sind Plenarprotokolle als Veröffentlichungen von Grundsätzen und Haltungen einzelner Politiker und Parteien hinsichtlich bestimmter Fragestellungen zu betrachten.

3.2     Einführung des Untersuchungsgegenstandes

Durch die Themenstellung dieser Arbeit sind bereits zwei notwendige Einschränkungen vorgenommen. Hinsichtlich des allgemeineren Themas „Einwanderung und Flucht“ beschränkt sich der Untersuchungsgegenstand vornehmlich auf die Aussagen, die sich mit der Asylthematik beschäftigen.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich das Thema »Asyl« zuweilen nicht vom Bereich der allgemeineren »Ausländerthematik« abkoppeln lässt. Eine solche Trennung lässt sich schon deshalb nicht vornehmen, da häufig genug das „Material“, sprich die jeweiligen Reden oder Registereintragungen, eine solche Differenzierung nicht zulässt.

Die zweite Einschränkung besteht darin, dass die Ebene des politischen Diskurses auf Reden, die im Bundestag gehalten wurden, enggeführt wird. Durch diese Begrenzung finden Reden, die auf kommunaler Ebene, im Landtag oder im Bundesrat abgehalten wurden, keine Beachtung. Dies geschieht nicht etwa aus dem Grund einer Gewichtung derart, dass der Bundestag für den Verlauf des Diskurses hinsichtlich des Themas »Asyl« bedeutsamer gewesen wäre, sondern die Fülle des Materials zwingen zu Einschränkungen, da der Rahmen dessen, was für eine Magisterarbeit geleistet werden kann, bei weitem gesprengt würde, falls man weitere Bereiche der politischen Auseinandersetzung hinzuziehen würde.

3.2     Überblick über die Entwicklungsphasen der Behandlung des Themas »Asyl« im Deutschen Bundestag

Die „konjunkturelle“ Entwicklung des Themas »Asyl« im deutschen Bundestag lässt sich als ein Phasenmodell darstellen und in vier Abschnitte unterteilen. Für die Entwicklung des Phasenmodells konnte ich mich zunächst am Sachregister des Deutschen Bundestages orientieren, weil hier auch die Bedeutung, die ein Thema im parlamentarischen Diskurs erhält, abzulesen ist. ((Die primäre Orientierungshilfe, um zu den jeweiligen Anfragen bzw. Reden zu gelangen, stellt das Sachregister des Deutschen Bundestages dar, in dem die Fundstellen nach Stichworten geordnet sind. Ein solches Vorgehen rechtfertigt sich dadurch, dass durch die „Verstichwortung“ bereits eine Strukturierung durch den wissenschaftlichen Dokumentationsdienst des Bundestages vorgenommen wird, die die Kernaussagen der jeweiligen Anfragen/Reden zusammenfasst. Ferner geht aus dem Sachregister hervor, ob das jeweilige Stichwort zu einer mündlichen bzw. schriftlichen Anfrage an die jeweilige Bundesregierung entnommen wurde, oder ob es sich um die Aussage eines Abgeordneten handelt, der während einer Plenarsitzung gesprochen hat.)) Was die Behandlung des Themas »Asyl« angeht, zeigte sich folgender Verlauf:

Phase 1: Juristische Phase (1949-1957)

Für die Phase von 1949-1957 ist charakteristisch, dass die im Bundestag behandelten Anfragen zum Bereich »Asyl« juristische Voraussetzungen und verfahrenstechnische Aspekte thematisierten. Somit erscheint der Bundestag als der Ort, an dem Anfragen aus dem juristischen Spezialdiskurs verhandelt werden. Die Behandlung dieser Anfragen sind dem Bereich des Arbeitsparlaments zuzuordnen. 1957 wird die Kategorie „Asyl“ in das Sachregister aufgenommen. Mit diesem Stichwort wird zunächst nur auf die Rubrik »Ausländer« verwiesen. Gleichwohl ist mit der Aufnahme dieses Stichwortes ein deutlicher Phaseneinschnitt markiert.

Phase 2: Konstituierungsphase (1957-1972)

Mit der Ankopplung der Asylthematik an den Oberbegriff »Ausländer« eröffnet sich ein Aussagenfeld, das über die juristische Behandlung der Thematik hinausreicht. Ein Charakteristikum dieses Aussagenfeldes ist es, dass in zunehmenden Maße einzelne Abgeordnete ein Risiko für die allgemeine Sicherheit durch die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer feststellen. Zu den Gefahren, die formuliert werden, zählen die Bereiche politischer Extremismus, terroristische Straftaten, Kriminalität, Illegalität und Rauschgifthandel, wobei diese in Verbindung mit Ausländern gebracht werden.
Das konstitutive Element dieser Phase ist der Aufbau eines Bedrohungskomplexes, an dem sich einzelne Abgeordnete beteiligen. Wie aus dem Sachregister zu entnehmen ist, handelt es sich dabei ausschließlich um schriftliche oder mündliche Anfragen an die Bundesregierung. D.h., dass die vorgebrachten Anfragen, sowie die erfolgenden Antworten parlamentsintern behandelt wurden und nicht als Forum für eine öffentliche Auseinandersetzung dienten. Somit ist auch diese Phase dadurch gekennzeichnet, dass die Behandlung der Asylthematik dem Arbeitsparlament zuzuordnen ist. Weder die in dieser Phase bereits erhobene Forderung nach Sammellagern, noch das 1965 erlassene „Ausländergesetz“ waren Gegenstand einer breiteren parlamentarischen und öffentlichen Diskussion. Dies änderte sich 1972, als das Stichwort »Asyl« als Rubrik im Sachregister erschien. Die nun folgenden Einträge verweisen darauf, dass dieses Thema plenar diskutiertund dadurch auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Dieser Umstand ist entscheidend dafür, an dieser Stelle des parlamentarischen Diskurses im Bundestag bezüglich des Themas »Asyl« einen weiteren Phaseneinschnitt vorzunehmen:

Phase 3: „Heiße“ Phase (1972-1985)

Die Kennzeichnung „heiße Phase“ deutet an, dass die parlamentarischen Auseinandersetzungen eine inhaltlich veränderte Qualität annehmen. Neben der bereits erwähnten strukturellen Eigenheit, dass das Stichwort »Asyl« als eigenständige Rubrik im Sachregister aufgeführt wird, ist es die Behandlung des Themas »Asyl«, welche diese Phase kennzeichnet und einen Bruch zur vorhergehenden „Konstituierungsphase“ darstellt. Neben der Dramatisierung des Bedrohungskomplexes ist es das Phantasma subjektloser Massen, die drohen, die Bundesrepublik Deutschland zu „überfluten“, ein Bild, das in dieser Phase deutlich Boden gewinnt. Diese Vorstellung koppelt sich an symbolische Zahlen, die stereotyp genannt werden, um die äußerste Belastungsgrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen zu benennen. Daneben taucht der Neologismus „Asylant“ im parlamentarischen Diskurs auf, der durch seine kontextuelle Generierung zum „Killwort“ (Link 1983) wird.

Neben den verfahrenstechnischen Änderungen, die in dieser Phase beschlossen werden, tritt die Möglichkeit der offenen Artikulation rechtspopulistischer Ideologeme hinzu. Das entscheidende Kriterium dafür, dass sich die dritte Entwicklungsphase des Themas »Asyl« von der darauffolgenden vierten Phase unterscheidet, ist neben der Eskalation rassistisch motivierter Gewalttaten die folgende Artikulierbarkeit der Forderung nach einer Grundgesetzänderung des Artikels 16 Abs. II.

Phase 4: Pogromphase (1985-1993)

Mit der 1985 erstmalig auftauchenden Forderung, den Artikel 16 Abs. II des Grundgesetzes zu ändern, bis zu seiner faktischen Abschaffung 1993, ist der Zeitraum der Phase umrissen, die ich hier als Pogromphase einführe. Ab dem Zeitpunkt 1985 mehren sich die Stimmen, die der Frage, ob Deutschland weiterhin Flüchtlingen Zuflucht gewähren soll, ablehnend gegenüberstehen. Das probate Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, scheint eine Grundgesetzänderung zu sein. Die Diskussion über Alternativen zu einer Grundgesetzänderung wird in dieser Phase zunehmend ausgeblendet.

Es ist zwar richtig, dass die diskursiven Bereiche der Bedrohung der Bundesrepublik durch Ausländer recht früh zu beobachten waren, auch, dass der Terminus „Asylant“ zunehmend in negativen Kontexten auftrat. Der eindeutige Höhepunkt der „Asyldiskussion“ lag jedoch in den Jahren 1991-1993 und wurde von einem riesigen Medienecho begleitet (vgl. hierzu: Quinkert/ Jäger 1991, Jäger/ Link 1993).

Der folgende Überblick über den Verlauf des parlamentarischen Diskurses im Bundestag hinsichtlich des Themas »Asyl« belegt anhand exemplarisch ausgewählten Materials diese hier vorgestellten Entwicklungsphasen im Einzelnen. Dazu wurde von mir eine Graphik entwickelt, die die konjunkturelle Entwicklung des Themas Asyl im deutschen Bundestag veranschaulicht.

3.3     Das Phasenmodell

Bild 2 - Konjunkturelle Entwicklung

 

 

 

3.3.1   Phase I: Juristische Phase

Als am 8. Februar 1949 der Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates die Formulierung „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ ins Grundgesetz aufnahm, war eine Diskussion vorangegangen, in der bereits auf die „Gefahren“ einer solch weitgehenden Definition aufmerksam gemacht wurde. So verwies der Abgeordnete von Brentano (CDU) darauf, dass Deutschland zur „Oase“ auch derjenigen werden könnte, „[…] die ihre Tätigkeit, die sie zum Abwandern aus ihrer Heimat veranlasst hat, auch hier fortsetzen werden, nämlich den Kampf gegen die Demokratie.“ (Münch 1993, S. 20)

Trotz dieser Vorbehalte entschloss sich die Mehrheit der Abgeordneten dazu, eingedenk der Erfahrungen mit den Praxen des sogenannten 3. Reiches, einen umfassenden Verfolgungsschutz ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Beweggründe für die Annahme dieses Gesetzes lagen einerseits darin, dass einige Bundestagsabgeordnete selbst während der Nazi-Diktatur Fluchterfahrungen gemacht hatten, andererseits auch darin, dass tausenden von Juden und auch von Kriegsflüchtlingen aus Deutschland die Möglichkeit verwehrt geblieben war, während dieser Zeit in anderen Ländern Asyl zu erhalten.

Aus diesen humanistisch motivierten Beweggründen wurde politisch Verfolgten ein universales Recht auf Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zugesprochen; das heißt, dass jedem, unabhängig seiner Staatsbürgerschaft, die Garantie gegeben wurde, in der Bundesrepublik Zuflucht zu finden.

Ein Blick in das Stichwortregister des Deutschen Bundestages zeigt, dass die Thematisierung dieses Rechtes in den ersten Jahren der parlamentarischen Verhandlungen keine bzw. nur eine marginale Rolle spielte. Dies zeigt sich daran, dass im Stichwortregister zur ersten Wahlperiode die Rubrik »Asyl« nicht aufgeführt wurde. In der zweiten Wahlperiode findet sich der erste Eintrag zu diesem Stichwort. Den Grund dafür stellt die Anfrage des Abgeordneten Kahn-Ackermann (SPD) dar,der die damalige Bundesregierung hinsichtlich der Ablehnung eines Asylgesuchs befragt:

„Welche Gründe haben die zuständigen Stellen der Bundesregierung veranlaßt, das Asylgesuch des amerikanischen Studenten Stuart Kellog abzulehnen?“ (mündl. Anfr. 2.WP, 4.4.1957, Drs 3339)

In der Begründung der Bundesregierung ist nachzulesen, dass gegen den asylsuchenden Kellog aufgrund einer von ihm begangenen Straftat in den USA ermittelt wird, und er somit nicht aufgrund einer politischen Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt werden kann. Bezeichnend für diese Phase ist, dass die Begründung der Bundesregierung unter dem Stichwort »Völkerrecht« und nicht etwa unter dem Stichwort »Asyl« aufzufinden ist.

Der juristische Charakter, der das Thema »Asyl« in der ersten Phase der parlamentarischen Verhandlungen prägt, schreibt sich auch in der dritten Wahlperiode weiter fort, als es um einen Gesetzesentwurf durch den Abgeordneten Dr. Mommer (SPD) und die Anfrage des Abgeordneten Dr. Menzel (CDU/CSU) das Asylrecht für ausländische Flüchtlinge betreffend geht. Diese Phase der parlamentarischen Auseinandersetzungen, die wegen ihrer vornehmlich rechtlichen Begründungen zur Aufnahme des Rechtes auf politisches Asyl für Verfolgte, sowie durch das eingangs erwähnte humanistische Argument gekennzeichnet ist, lässt sich als „juristische Phase“ kennzeichnen. Hinsichtlich des allgemeineren Themas »Flucht« steht vor allem die Vertriebenen- und die Kriegsflüchtlingsthematik im Mittelpunkt der parlamentarischen Diskussion.

3.3.2   Phase II: Konstituierungsphase

Ab der vierten Legislaturperiode (1961-1965) erscheint das Stichwort »Asyl« als ständige Rubrik im Stichwortverzeichnis des Deutschen Bundestages. Unter diesem Eintrag findet man in dieser Phase nur einen Verweis auf das Stichwort »Ausländer«. Damit eröffnet sich jedoch einAussagenfeld, welches der Differenzierung zwischen „politisch Verfolgten“ und „Ausländern allgemein“ – zumindest im Stichwortregister – nicht mehr nachkommt. Durch die Subsumierung unter das Stichwort „Ausländer“ werden politisch Verfolgte in die diskursive Nähe der Aussagen zur allgemeineren Ausländerthematik gerückt.

Neben den Anfragen, die sich auf juristische Belange hinsichtlich der rechtlichen Stellung von Ausländern und politisch Verfolgten beziehen, richten sich die Anfragen einzelner Abgeordneter in zunehmenden Maße auf das Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik durch die Anwesenheit von Ausländern und Flüchtlingen.

Konstitutiv für diese Phase ist, dass durch die Anfragen einzelner Abgeordneter die Semantik entfaltet wird, die für die weitere Auseinandersetzung hinsichtlich des Themas Flüchtlinge und Ausländer bestimmend ist.

3.3.2.1         Ausländer contra Sicherheit: Ein Bedrohungskomplex baut sich auf

Für die Konstituierungsphase ist grundlegend, dass Abgeordnete eine Gefährdung des Rechtsstaates durch Ausländer und, durch den Verweisungszusammenhang begründet, auch durch die in der Bundesrepublik lebenden Flüchtlinge wahrnehmen. Als Folge dieser Wahrnehmung richtet sich die Mehrheit der an die Bundesregierung gestellten Anfragen auf die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung der von Ausländern in der Bundesrepublik begangenen Straftaten. Insbesondere die politischen Aktivitäten von ausländischen Organisationen veranlassen Abgeordnete dazu, nach den rechtlichen Möglichkeiten zu fragen, wie dieser Gefährdung entgegenzutreten sei.

Die enge Kopplung ausländerrechtlicher Fragen mit den asylrechtlichen Bestimmungen zeigt sich am Beispiel der mündlichen Anfrage des Abgeordneten Sänger (SPD), der die Bundesregierung nach den

„Rechtsmöglichkeiten gegenüber Gefährdungen der Staatssicherheit durch Ausländer aus Anlaß politischer Gewalttaten und Mißbrauch des Asylrechts“ (Drs.IV 1373)

Diese Anfrage, die der Abgeordnete Sänger in der vierten Wahlperiode stellt, thematisiert gleich zwei Aspekte, die in der künftigen Diskussion um Einwanderung und Flucht gleichermaßen wichtig werden: Zum einen wird die Anwesenheit von Ausländern in Deutschland als erhöhtes Sicherheitsrisiko interpretiert; zum anderen wird an dieser Stelle bereits ein „Mißbrauch des Asylrechts“ thematisiert und unterstellt.

Zu den Anfragen hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen, „unerwünschte Aktivitäten“ von Ausländern zu unterbinden, werden durch die Abgeordneten besonders Vorkommnisse thematisiert, bei denen Ausländer in störender Weise beteiligt sind. Ein Bereich, der wiederholt in den Anfragen auftaucht, ist der Rauschgiftsektor. Aufgrund steigender Delikte im Bereich der Rauschgiftkriminalität entwerfen die Abgeordneten Dr. Althammer (CDU/CSU) und Genossen, sowie die Fraktion der CDU/CSU in der sechsten Wahlperiode einen Gesetzesentwurf „zur Bekämpfung des Rauschgifthandels“. In dieser Begründung heißt es zunächst in der Einleitung:

„In zunehmenden Maße hat sich gezeigt, daß der Rauschgifthändler zu einem Straftäter von besonderer Sozialschädlichkeit geworden ist. Deshalb erscheint eine Herausstellung dieser Straftat und eine härtere Bestrafung dringend geboten.“ (Drs.VI 1414, S. 3)

Abgesehen von der eingeforderten „härteren Bestrafung“ für Rauschgifthändler und ihrer Kriminalisierung als „Straftäter“ ist die Entkoppelung der Straftäter vom allgemeinen Sozius entscheidend. Durch den Begriff „Sozial-Schädlichkeit“ wird eine Gemeinschaft assoziiert, der der Schädling – sprich: der Rauschgifthändler- gegenüber steht. Dabei erinnert die symbolische Konnotation des Begriffes „Schädling“ an den landwirtschaftlichen Bereich, in dem der Schädling dem Saatgut Schaden zufügt und daher ‚ausgerottet‘ werden muss.

Dem Antrag folgen Ausführungen über die Steigerungsquote von Rauschgiftdelikten. Die entscheidende Stelle für die Kopplung von Drogen- und Ausländerthematik sind die letzten Zeilen der Begründung des Gesetzesantrages, die folgendermaßen lauten:

„Wegen der starken Beteiligung von Ausländern an Rauschgiftvergehen in der Bundesrepublik (1969 wurden 718 Ausländer als Täter überführt) ist eine Verschärfung der Ausweisungsbestimmungen geboten.“ (Drs. VI 1414, S. 3)

Erfolgte bereits in den einleitenden Zeilen der Ausschluss der Rauschgifthändler aus der Gesellschaft durch die Opposition Sozius -Krimineller, so wird an dieser Stelle die Opposition deutscher Sozius -krimineller Ausländer eingeführt. Die eingangs erhobene Forderung nach einer „gebotenen härteren Bestrafung“ gilt also nur für deutsche Straftäter. „Ausländern“ droht hingegen der Ausschluss aus der bundesrepublikanischen Gesellschaft durch Ausweisung.

Die Begründung des Gesetzentwurfs endet mit einem Ausschnitt eines Artikels zu dieser Thematik aus der Tageszeitung „Die Welt“ vom 8. Oktober 1970:

„Das Haschgeschäft ist heute durchorganisiert wie militärische Kommandounternehmen. […] Die eigentlichen Profitmacher in Deutschland sind die Organisatoren, fast immer Ausländer.“ (Drs.VI/1414, S. 3)

Bemerkenswert ist das enge Zusammenspiel der Diskursebenen Politik und Medien. Zur Legitimierung gesetzlicher Änderungen dienen, wie an dieser Stelle gezeigt, Pressedarstellungen, die der eigenen Position genehm erscheinen.

Der Forderung nach „Verschärfung der Ausweisungsbestimmungen“ durch Althammer (CDU/CSU) und Genossen und der CDU/CSU-Fraktion wird durch das Pressezitat Nachdruck verliehen. Für die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich daraus die Bedrohung, dass „militärische Kommandounternehmen“ Deutschland unterwandern und finanziell auspressen könnten. Beinahe bedauernd klingt es in diesem Pressezitat an, dass nicht Deutsche die „eigentlichen Profitmacher“ sind, sondern fast immer in Deutschland lebende Ausländer. Damit stellen Ausländer (der Begriff erscheint an dieser Stelle noch undifferenziert) eine Gefahr dar, der man nur begegnen kann, indem man ihre Zahl gering hält und sie im Falle ihrer Kriminalität auszuweisen hat.

Überhaupt ist der Themenkreis Ausländer und Kriminalität ein Bereich, auf den sich zahlreiche Anfragen richten. Bei diesen Einlassungen steht die Frage nach den rechtlichen Voraussetzungen, für das Vorgehen gegen kriminell gewordene Ausländer im Mittelpunkt der parlamentarischen Auseinandersetzungen. Dies lässt sich an der Anfrage des Abgeordneten Dichgans (CDU/CSU) in der 33. Sitzung des Bundestages (25.2.1970) verdeutlichen, der die kriminelle Energie eines Ausländers und damit das Gefahrenpotential schlechthin thematisiert, sowie an der Antwort des damaligen Justizministers Jahn (CDU/CSU):

Dichgans: „Teilt die Bundesregierung die Auffassung eines Düsseldorfer Haftrichters, daß das geltende Recht keine Möglichkeit biete, einen Ausländer, in dessen Besitz ein Trommelrevolver und zwei Maschinenpistolen mit reichlich Munition, Einbruchswerkzeuge, Funksprechgeräte, zwei gefälschte Pässe und ein gefälschter Führerschein gefunden werden und der außerdem zugibt, aus einem Gefangenentransport geflohen zu sein, länger als 24 Stunden in Haft zu halten, wenn ihm nicht eine bestimmte Straftat vorgeworfen werden kann, auch dann nicht, wenn die 24stündige Frist nicht einmal ausreicht, um im internationalen Polizeiverkehr die notwendigen Feststellungen zu treffen?“ (Drs. VI 415, S. 1586)

Nachdem der Justizminister Jahn (CDU/CSU) den Sachverhalt in den Zuständigkeitsbereich des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen verweist, unterrichtet er den Abgeordneten Dichgans, dass der straffällig gewordene Ausländer nur im Besitz zweier gefälschter Ausweise und eines auf eine andere Person ausgestellten Führerscheins war. Nachdem das Szenario durch Vorlegen der Fakten entschärft war, thematisiert Dichgans in einer Zusatzfrage sein eigentliches Anliegen, nämlich die rechtlichen Voraussetzungen dafür, einen Einbrecher so lange festhalten zu können, bis geklärt sei, wem die Einbruchswerkzeuge gehören. Dies soll für Verdächtige gelten „und zwar […] ganz von den Ausländereigenschaften abgesehen, also auch [für] einen Deutschen.“ (Drs. VI 415, S. 1586)

In einer weiteren Zusatzfrage befragt er den Justizminister, ob dieser auch seine Befürchtungen teile:

„[…] daß gezielte Angriffe auf eine angeblich autoritäre Justiz allmählich junge Staatsanwälte und junge Richter so weit verunsichern, daß sie, um keineswegs Anstoß zu erregen, vorsorglich auch Gangster laufen lassen, wenn die Polizei einmal einen schnappt?“ (Drs. VI/415, S. 1587)

Diese Passage veranschaulicht recht eindringlich, welche Funktion die Thematisierung von Ausländerkriminalität in dieser Phase der parlamentarischen Auseinandersetzungen besitzt, nämlich eine Alibifunktion. Das eigentliche Anliegen von Dichgans besteht darin, den Staat durch eine härtere Rechtsprechung zu stärken. Aufgrund massiver gesellschaftlicher Kritik an staatlichen Institutionen (( An dieser Stelle sei nur auf die „68er Bewegung“ verwiesen, deren Kritik sich insbesondere auf staatliche Institutionen richtete.)) seitens größerer Teile der Bevölkerung sieht Dichgans auch die Judikative betroffen, die, wie er anführt, „verunsichert“ sei und daher ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr in vollem Umfang nachkomme. Bemerkenswerterweise leitet er seinen Ruf nach einer härteren Rechtsprechung damit ein, dass er auf den Fall eines straffällig gewordenen Ausländers verweist. Die akribische Auflistung der Gegenstände, die man bei diesem Ausländer gefunden hatte (u.a. Sprechfunkgerät), unterstellt diesem Ausländer eine besondere kriminelle Energie. Er wird so als eine große Gefahr für die innere Sicherheit herausgestellt.

Die Tatsache, ob der Beklagte für schuldig befunden wird oder nicht, ist für die zu behandelnde Fragestellung sekundär. Interessant ist die Strategie, die Dichgans verfolgt, anhand des Falles eines auffällig gewordenen Ausländers die Frage der Rechtsprechung zu thematisieren. Die Kopplung der Ausländerthematik mit der Frage nach der inneren Sicherheit dient hier dem Zweck, zu einer Verschärfung der rechtsstaatlichen Mittel zu gelangen.

Ein weiterer Bereich, der sich an die Ausländerthematik ankoppelt, ist der Extremismuskomplex. Auch hierbei werden vornehmlich juristische Voraussetzungen geprüft, die letztlich Abschiebung oder Ausweisung vorsehen. Während der Konstituierungsphase lassen sich Anfragen hinsichtlich verschiedenster, als extremistisch eingestufter Organisationen verzeichnen. Die Anfragen richten sich dabei insbesondere auf allgemeine Maßnahmen, die geeignet seien, gegen straffällig gewordene Gruppierungen vorzugehen, bzw. auf Einwandererorganisationen, die durch ihre politischen Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland auffällig wurden.

Das gilt auch für die Anfrage des Abgeordneten Lemper (CDU/CSU), betreffend „Maßnahmen gegen Gewaltakte radikaler Ausländergruppen auf deutschem Boden und Verbot der ‚Kroatischen Kreuzer-Bruderschaft‘.“ (Drs. IV 1093).

Neben der Furcht vor gewalttätigen Ausschreitungen spielt die politische Ausrichtung der anvisierten Organisationen eine entscheidende Rolle. Dies zeigt sich exemplarisch an den Anfragen der Abgeordneten Dr. Marx (CDU/CSU) betreffend „Vereinigung linksradikaler griechischer Kräfte unter Führung der EDA in der Bundesrepublik“ (Drs. V/72188) und des Abgeordneten Prochatzka (CDU/CSU) betreffend „Gründung einer Nationalbewegung griechischer Gastarbeiter in der Bundesrepublik, Reisen von Gastarbeitern in die SBZ und ihre Beeinflussung durch ostzonale Funktionäre“ (Drs. V/1818).

Wie aus diesen Anfragen ersichtlich, werden durch die Abgeordneten unerwünschte politische Aktivitäten von Ausländern ins Visier genommen, denen man durch die Verschärfung rechtlicher Mittel entgegentreten möchte. Dass nicht nur die Gefahren von Anschlägen im Vordergrund des politischen Interesses stehen, zeigt die Anfrage des Abgeordneten Kiep (CDU/CSU):

„Hält die Bundesregierung es angesichts der um sich greifenden Gewalttätigkeit ausländischer politischer Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland, die nicht nur das Leben von Menschen gefährdet, sondern auch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten beeinträchtigen kann, für zweckmäßig, Angehörigen von ausländischen politischen Organisationen, deren Ziel die Anwendung von Gewalt mitbeinhaltet, die öffentliche politische Betätigung zu untersagen?“ (Drs. VI/442)

Auf die Forderung, auch Angehörigen politischer Parteien das Demonstrationsrecht zu entziehen, antwortet der damalige Bundesinnenminister Genscher (FDP), dass zunächst ein Straftatbestand vorliegen müsse, ehe ein Verbot erlassen werden könne.

Zu dem Maßnahmenkatalog, den der Bundesinnenminister anführt, zählen neben Abschiebung und Ausweisung die Ermahnung an die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer, ihrer Meldepflicht nachzukommen, sowie die „vorbeugende Überwachung militanter ausländischer Organisationen“ (s. Drs. 442, S. 1672). Bundesinnenminister Genscher verweist in seiner Antwort auf die Frage nach schärferen Gesetzen auch für Angehörige politischer Organisationen darauf, dass „sich der weitaus größte Teil der Ausländer, der sich auf deutschem Boden aufhält, im Rahmen unserer Gesetze bewegt“ (s. Drs. 442, S. 1672).

Einigkeit herrscht sowohl bei der Regierung als auch bei den Ländervertretungen über das Selbstverständnis der Bundesrepublik. Hierzu führt Genscher aus:

„Im übrigen herrschte bei der Zusammenkunft mit den Innenministern der Länder völlige Übereinstimmung hinsichtlich der Entschlossenheit der Bundesregierung und der Landesregierungen, alles zu tun, damit die Bundesrepublik nicht zu einem Tummelplatz krimineller und militanter Ausländergruppen wird.“ (s. Drs. 442, S. 1672)

Der Begriff „Tummelplatz“ konnotiert die Vorstellung einer Spielwiese, auf der sich läufige Hunde oder kleine Kinder amüsieren. Eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland deutet sich an dieser Stelle noch nicht ernsthaft an. Dennoch wird die Gefahr extremistischer ausländischer Organisationen und insbesondere eine Gefahr durch linksextremistische Organisationen wahrgenommen, und es wird über „Maßnahmen“ diskutiert.

3.3.2.2     Forderung nach Sammellagern

Die erste Anfrage hinsichtlich der Betreuung von Ausländern in Sammellagern (Drs. 03/1289) lässt sich bereits in der dritten Legislaturperiode verzeichnen. Doch erst durch das 1965 erlassene „Ausländergesetz“ nehmen die Forderungen nach Unterbringung von Asylbewerbern und Ausländern in Lagern zu. Das Ausländergesetz bestimmte, dass die Unterbringung von Asylbewerbern und Ausländern in den Zuständigkeitsbereich der Landesregierungen fiel. Ein Zwang zurUnterbringung in Sammellagern bestand jedoch nicht. Dem Ausländergesetz zufolge wurden Antragsteller, die neu in das Bundesgebiet einreisten, von der zuständigen Grenz- oder Ausländerbehörde an das Bundesamt in Zirndorf weitergeleitet, während diejenigen, die sich bereits im Bundesgebiet aufhielten, an ihrem Wohnort verbleiben konnten, da ihre Anträge dem Bundesamt zugestellt wurden. Kritik an der als unzureichend empfundenen Internierungspraxis äußert sich jedoch recht früh nach Erlass des Ausländergesetzes, wie die folgende Anfrage belegt: Dr. Schneider (CDU/CSU):

„Hält es die Bundesregierung mit den Bestimmungen des Ausländergesetzes für vereinbar, wenn in den ersten drei Monaten des Jahres 1970 von 2323 neuen Asylbegehrenden nur 532 dem einzig bestehenden Sammellager für Ausländer überstellt wurden, und welche Gründe sind für die Tatsache maßgeblich, daß den zur Zeit im Fernverfahren registrierten Asylbegehrenden von weit über 8000 weniger als 200 Insassen im Sammellager Zirndorf gegenüberstehen?“ (6. WP 49. Sitzung 30.4.1970 S. 2449)

Die Antwort der Bundesregierung, stellvertreten durch den Parlamentarischen Staatssekretär Dorn (FDP), verweist auf eine vorübergehende Überfüllung durch CSFR-Flüchtlinge. Nachdem diese Flüchtlinge das Lager verlassen hatten, verweist Dorn darauf, dass „nunmehr die Möglichkeit gegeben [ist], wieder strengere Anforderungen an die Befreiung von der Aufenthaltspflicht der Asylbewerber zu legen“ (6. WP 49. Sitzung 30.4.1970 S. 2449).

In einer zweiten Anfrage an die Bundesregierung begründet Dr. Schneider (CDU/CSU) seine Forderung, Asylbewerber in Sammellagern zu internieren:

„Hält die Bundesregierung an der noch im Jahre 1969 verfolgten Absicht, ein zweites Sammellager für Ausländer zu errichten, angesichts dieser Tatsache fest, und erblickt sie in der extrem hohen Zahl von Fernverfahren keine Beeinträchtigung der Sicherheitsbedürfnisse in der Bundesrepublik Deutschland?“ (6.WP 49. Sitzung 30.4.1970, S. 2449)

Durch diese Anfrage wird deutlich, dass ein Asylbewerber, der eine Wohnung bezieht, einer Arbeit nachgeht -damals war dies noch möglich ((Wie an dieser Stelle angedeutet, bestand zum damaligen Zeitpunkt für Flüchtlinge die Möglichkeit, sich eine Wohnung und einen Arbeitsplatz zu verschaffen: Eine Regelung, die bundesweit 1982 abgeschafft wurde. Ab 1991 wurde das Arbeitsaufnahmeverbot zwar gelockert, besteht aber dennoch faktisch fort (vgl. Münch 1993, S.122).)) ein Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland -zumindest in den Augen einiger der Parlamentsabgeordneten- darstellt. Durch die hier erhobene Forderung nach genereller Unterbringung in Sammellagern erhofft sich der Abgeordnete Dr. Schneider (CDU/CSU) eine Wahrung der Sicherheitsinteressen durch erhöhte Kontrollmechanismen, wie sie ein Sammellager sicherlich bietet. Abseits einer Kosten- oder Wohnungsnotdiskussion stehen hier Bedürfnisse der inneren Sicherheit im Mittelpunkt der Forderung, Asylbewerber in Sammellagern unterzubringen.

Auch die Thematisierung von Zahlenangaben, in diesem Beispiel „extrem hohe Zahl“, verweist auf eine imaginierte quantitative Belastungsgrenze, deren Überschreitung als nicht ’normal‘ codiert wird. Bei dieser Anfrage sind es die Fernverfahren, d.h., Verfahren, die der Antragsteller von seinem Wohnort einreicht, die als Abweichung von einer als richtig empfundenen Norm angesehen werden. Für die weitere Diskussion ist die Thematisierung der „Belastungsgrenzen“ insbesondere hinsichtlich der Aufnahmekapazitäten ein asylpolitisches Schlagwort: „Jedesmal schien die Belastungsgrenze erreicht, definiert wurde sie jedoch nie […].“ (Köfner 1983, S. 166 ff.)

Kennzeichnend für die Konstituierungsphase (1957 bis 1972), sind die Umstände, dass das Thema »Asyl« unter die allgemeinere Thematik »Ausländer« subsumiert wurde und die Behandlung des Themas als innere parlamentarische Angelegenheit erfolgte, da Stichworte hierzu nur als Drucksache codiert wurden. Daraus wird ersichtlich, dass der Themenkomplex »Ausländer« durchaus politisch wahrgenommen, sowie auftretende Probleme und juristischen Angelegenheiten verhandelt wurden, wie der Erlass der Ausländergesetze 1965 ((U. Münch charakterisiert die durch das Ausländergesetz erlassenen rechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Asylgewährung folgendermaßen: „Der Versuch, die „Belange der Bundesrepublik Deutschland“ nicht nur gegenüber den nichtprivilegierten Ausländern, sondern unter Umständen auch gegen politisch Verfolgte durchzusetzen, spiegelt sich in den Zurück- und Ausweisungsbestimmungen des Ausländergesetzes und asylrechtlichen Vorschriften wider. In diesem Zusammenhang ist auch die Rechtsprechung zur „politischen Verfolgung“ zu sehen, die von einem relativ begrenzten Verfolgungsbegriff ausgeht und trotz weltpolitisch veränderter Verhältnisse nicht bereit ist, den Verfolgungsbegriff spürbar zu lockern.“ (Münch 1993, S.36))); noch wird dieses Thema aber nicht zum Gegenstand einer breiteren öffentlichen Diskussion gemacht.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass nahezu alle Themenkomplexe, mit denen die Ausländer-Asylthematik in den darauffolgenden Jahren angereichert wird, in dieser Phase durch einzelne Abgeordnete angesprochen und entweder als Fragen oder als Forderung an die Regierung gestellt werden. Es konnte gezeigt werden, dass Forderungen nach weitreichenderen juristischen Bestimmungen hinsichtlich der Anwesenheit, der politischen Betätigung oder der Unterbringung von Ausländern erhoben wurden. Von einem breiteren Konsens der Abgeordneten kann in dieser Phase noch nicht die Rede sein.

3.3.3   Phase III: Die „Heiße Phase

Die Aufnahme des Stichwortes »Asyl« in das Sachregister des Deutschen Bundestages zeigt, dass sich dieser Bereich von der allgemeineren Ausländerthematik abkoppelt. Galt bislang, dass das Stichwort »Asyl« zwar als Rubrik aufgeführt wurde, jedoch nur ein Verweisungszusammenhang auf das Stichwort »Ausländer« bestand. Dies änderte sich mit der siebten Wahlperiode (1972). Ab diesem Zeitraum nehmen die Eintragungen zu diesem Stichwort erheblich an Umfang zu. Ein Anlass hierfür dürfte das Ansteigen der Asylbewerberzahlen aus Jugoslawien seit Mitte der 50er Jahre sein. Der Umstand, dass die jugoslawischen Flüchtlinge über die Hälfte der Asylbewerber insgesamt ausmachen, dass aber ihre Anerkennungsquote mit 30% relativ gering einzustufen ist, setzt sie dem Verdacht aus, aus „asylfremden“ Gründen in die Bundesrepublik einreisen zu wollen (vgl. Münch 1993, S. 55).

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich die erste Plenardiskussion unter der Rubrik »Asyl« mit einem Gesetzentwurf der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung hinsichtlich eines Vertrags mit der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ über die Auslieferung beschäftigte.

Bemerkenswert für die weitere Diskussion hinsichtlich der Gewährung des Asylrechts sind bei dieser Aussprache die diskursiven Positionen der Parteiangehörigen. Die damalige SPD-geführte Bundesregierung befürwortete die Zusammenarbeit und Kooperation mit einem Staat, der dem „Ostblock“ zugehört. Aufgrund der „ideologischen Gegensätze“ in Zeiten den ‚kalten Krieges‘ galt die Kooperation mit Staaten, die diesem Bündnis angehörten, als unerwünscht, da hier der politische und ideologische Feind ausgemacht wurde. Angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung ein Vertragssystem mit Jugoslawien anstrebte, ist die Argumentation der oppositionellen CDU/CSU, für die der Abgeordnete Dr. Wittmann spricht, hinsichtlich der Gewährung des Asylrechts bemerkenswert. Wie eine Argumentation der CDU/CSU-Fraktion bezüglich Einwanderer aus einem Land, dessen Regierungsform nicht der eigenen Ideologie entspricht, aussieht, sollen die folgenden Redeausschnitte des Abgeordneten Wittmann (CDU/CSU) belegen:

„Nunmehr aber geht die Bundesrepublik durch diesen Vertrag Auslieferungsverpflichtungen ein, deren Tragweite im Moment noch nicht abzusehen ist. Ich bitte es nicht als unangemessene Kritik an einem Staate anzusehen, mit dem wir vielfältige Beziehungen haben, wenn ich die Tatsache feststelle, daß es eben in diesem Staat vielfältige Probleme politischer, ethnischer und weltanschaulicher Art gibt, daß sich auf Grund dieser Probleme strafbare Handlungen ergeben, die bei uns in dieser Form aus dieser Motivation heraus nicht denkbar sind, und daß schließlich auch manche Auseinandersetzungen gerade wegen der politischen Verfassung dieses Staates dort anders beurteilt werden, als es bei uns der Fall ist.“ (7. WP 106. Sitzung 11.6.1974, S. 7168)

Trotz der angeführten Beziehungen und der möglicherweise daraus wachsenden wirtschaftlichen Vorteile für die Bundesrepublik verweist Wittmann darauf, dass es aufgrund der „politischen Verfassung dieses Staates“ mehr Verfolgte gibt.

Betrachtet man die Zuschreibungen, die einerseits das kommunistisch regierte Jugoslawien, andererseits die kapitalistisch geführte Bundesrepublik charakterisieren, so ergibt sich eine sprachlich begründete Opposition. In dem zitierten Abschnitt wird zweimal der Begriff „Staat“ als Synonym für Jugoslawien gebraucht. Durch das Demonstrativpronomen „dieser“ (Staat) werden die Zuschreibungen, die erfolgen, ausdrücklich betont. Die nähere Beschreibung „dieses“ Staates weist ihn als einen Staat aus, der existierende Probleme „politischer, ethnischer oder weltanschaulicher Art“ anders bewertet, d.h., dass es zu Strafverfolgungen kommt, „die bei uns in dieser Form aus dieser Motivation heraus nicht denkbar sind“. Daraus wird ersichtlich, dass es in Jugoslawien zu staatlichen Verfolgungen kommt, die sich aus einer Willkürherrschaft erklären lassen. Dies macht auch die Verwendung des Begriffes „dieser Staat“ als Synonym für Jugoslawien verständlich, da die Konnotation zu „Unrechtsstaat“ dadurch erleichtert wird.

Angesichts der „Repressivität“ der jugoslawischen Regierung erscheint die Bundesrepublik als freiheitlich und frei von einer Willkürherrschaft. Ihre Prinzipien fußen demgegenüber auf einer rechtsstaatlichen Ordnung; dies macht die Kontrastierung zu Jugoslawien implizit deutlich.

Die Besonderheit der Verfolgungspraxis hebt Wittmann in einer folgenden Passage expliziter hervor:

„Wir haben mit vielen Staaten – mit Staaten, die nicht ein mehr oder weniger diktatorisches System haben – Auslieferungsabkommen, in denen diesem Gesichtspunkt Rechnung getragen ist, obwohl nicht daran zu denken ist, daß dort derartige Verfolgungen stattfinden.“ (7. WP 106. Sitzung 11.6.1974, S. 7168)

Damit wird hervorgehoben, dass die Verfolgungspraxis in Jugoslawien einzigartigen Charakter besitzt. Ob dem wirklich so war, sei dahingestellt. Für das Thema dieser Arbeit sind die Konsequenzen, die Wittmann einfordert, um einem Abkommen mit Jugoslawien zustimmen zu können, entscheidend. Hierzu führt er aus:

„Aus diesen Gründen wäre es angemessen gewesen, daß der Vertrag eine Klausel enthalten hätte, die eine Auslieferungspflicht dann nicht begründet, wenn eine Gefahr der Verfolgung aus rassischen, religiösen oder Gründen der politischen Anschauung zu befürchten ist.“ (7. WP 106. Sitzung 11.6.1974, S. 7168)

Wittmann wendet sich gegen eine Praxis, die den Begriff der „politischen Verfolgung“ zu eng auslegt, und will ihn um die oben genannten Aspekte erweitert wissen. Welche Personengruppe er hier vage anspricht, lässt sich bereits erkennen: Es handelt sich um Menschen, die dem Ostblock entflohen sind, wie die folgende Passage eindringlich verdeutlicht, bei der auch die Anerkennungspraxis durch das Bundesamt für ausländische Flüchtlinge heftig kritisiert wird:

„Meine Damen und Herren, auch die Praxis des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die die Asylgewährung vorbereitet bzw. für die Asylgewährung zuständig ist, macht uns sehr skeptisch; man muß fürchten, daß die Fälle, wo die Möglichkeit besteht, Menschen durch Nichtauslieferung zu schützen, immer weniger werden. So hat z.B. dieses Bundesamt entschieden:
Eine dreijährige Freiheitstrafe bei Verbleiben im Ausland nach legaler Ausreise aus einem kommunistischen Staat ist nicht als Gefahr einer politischen Verfolgung anzusehen.
Die Ausübung der Freizügigkeit mit dreijähriger Freiheitstrafe zu bestrafen ist nach meinem Dafürhalten bereits ein Tatbestand der Verfolgung. Aber interessant ist die Begründung des Bundesamtes. Es heißt dort, im Laufe der Zeit sei der Weggang aus Ungarn so groß geworden, daß sich dieser Staat wie jeder andere eine Abwanderung nicht leisten könne, wenn seine Wirtschaft nicht zugrunde gehen solle. Mit dieser Begründung hat man also eine so hohe Freiheitstrafe nicht als Indiz für eine politische Verfolgung gewertet.
[…]
Ich würde die Bundesregierung sehr herzlich bitten, auf die Spruchpraxis dieses Bundesamtes zu achten, damit unser Land nicht allmählich in den Ruf kommt, politisch Verfolgten kein Asyl zu gewähren und hier Maßstäbe anzuwenden, die mit einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat nicht vereinbar sind.“
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU) (7. WP 106. Sitzung 11.6.1974, S. 7169)

Ob es sich bei diesem Einsatz für Flüchtlinge aus Ungarn nur um eine moralisch begründete Ausnahme handelt, sei dahingestellt. Ein wesentlicher Faktor bei der Gewährung politischen Asyls ist jedoch die Tatsache, dass für Flüchtlinge aus Staaten des Ostblock eine andere Anerkennungspraxis eingeführt wurde als für Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt ((U. Münch führt hinsichtlich der Liberalität der Anerkennungspraxis bei Ostblockflüchtlingen aus: „Daß dies der Fall war, liegt zum einen an der Herkunft dieser Menschen – während des kalten Krieges gab es eine Solidarität der westlichen ‚freien“ Welt gegenüber kommunistischer Unfreiheit und Unterdrückung‘ – und zum anderen daran, daß diese überschaubare Gruppe von Menschen, die aus einem auch durch die eigenen Vertriebenen bekannten Kulturkreis kamen, relativ leicht in das bundesrepublikanische Gesellschaftssystem mit einer prosperierenden Wirtschaft einzugliedern war.“ (Münch 1993, S. 61f.) Auf den auch in diesem Zitat angesprochenen „Kulturkreis“ wird weiter unten eingegangen.)) Auf diesen Umstand wird im Folgenden eingegangen.

3.3.3.1         Das Recht auf Asyl auf dem Prüfstand: Die Ankunft chilenischer Flüchtlinge

In zuvor zitierten Passagen sprach sich der Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wittmann, für eine Ausweitung der Anerkennungskriterien hinsichtlich der Aufnahme und des Verbleibs von Ostblockflüchtlingen in der Bundesrepublik Deutschland aus. Seine Vermutung, dass die Bundesrepublik in den Verdacht geraten könnte, „politisch Verfolgten kein Asyl zu gewähren“, bestätigt sich unter umgekehrten Vorzeichen, als Flüchtlinge aus Chile ihren Asylantrag an die Bundesrepublik richteten. Von den 31 mündlichen und schriftlichen Anfragen, die an die Bundesregierung in der siebten Legislaturperiode gestellt wurden, thematisieren 19 die Flucht von Chilenen. Das Gros der Anfragen beschäftigt sich mit sicherheitspolitischen Risiken bei der Aufnahme von Chilenen, die als „links“ bis „linksextrem“ eingestuft werden. Exemplarisch sind Anfragen folgender Art: „Berücksichtigung der Bedürfnisse der inneren Sicherheit bei der Aufnahme von Kommunisten und linksradikalen Sozialisten aus Chile“ (BT. PIPr. 7/70, 12.12.1973, S. 4308).

Sowie: „Asylgewährung für Berufsrevolutionäre, Sabotage- und Sprengstoff Spezialisten aus Chile in der Bundesrepublik Deutschland“ (BT. PIPr. 7/87 212.1974, S. 5409).

Die Flucht chilenischer Staatsbürger hat zur Folge, dass sich das Phantasma einer Bedrohung und Unterwanderung der Bundesrepublik durch linksgerichtete Gruppierungen im parlamentarischen Diskurs weiter ausbaut. Bereits in der Konstituierungsphase sahen einzelne Abgeordnete eine Bedrohung der Bundesrepublik durch politisch „linksgerichtete“ Arbeitsmigranten. Zu diesem Zeitpunkt jedoch wurde das Gefahrenpotential dieser Gruppierungen weitgehend als niedrig eingestuft. Am Vorabend des „Deutschen Herbstes“ (1977) ändert sich die Einschätzung bezüglich des Umgangs mit „Linken“. Für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Gewährung politischen Asyls stellen die 70er Jahre einen signifikanten Bruch dar. Hierfür zeichnen sich Faktoren ab, die sich nicht aus der immanenten Analyse der Parlamentsdebatten „herauslesen“ lassen.

  1. Die kulturellen und politischen Ziele der APO gewinnen nicht den Einfluss, den sich manche „68er“ erhofft hatten. Es kristallisiert sich die RAF heraus, die in zunehmenden Maße Mordanschläge gegen führende Wirtschaftskapitäne und Politikergrößen unternimmt.
  2. Mit dem 1972 erlassenen „Radikalenerlaß“ kommt es durch die „Praxis der Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst“ zu einer weitreichenden Einschränkung der Meinungsfreiheit.
  3. Die Wirtschaft der Bundesrepublik steht nach der Rezession von 1974/75 vor der Aufgabe, durch Rationalisierung der Produktion die Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Die Folge ist zunehmende Arbeitslosigkeit.
  4. Die jenseits der Medienöffentlichkeit beschlossene Umrüstung der Energiewirtschaft auf die Nutzung von Atomenergie ruft eine neue soziale Bewegung hervor, die sich als „Ökologische Bewegung“ charakterisieren lässt. In zunehmendem Maße erfahren die etablierten Parteien eine „Legitimationskrise“.
  5. Unmittelbar vor der Rezession der Jahre 1974/75 wird 1973 der generelle Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte erlassen. Eine Konsequenz hieraus ist, dass das Asylverfahren die einzige Möglichkeit für Arbeitsmigranten darstellt, in der Bundesrepublik legal auf dem Arbeitsmarkt zugelassen zu werden. (( Vgl. hierzu Münch 1993 S.67. An dieser Stelle verweist Münch auf den Runderlass 135/75 der Bundesanstalt für Arbeit vom 14.3.1975, in dem darauf verwiesen wird, dass auch dann Asylbewerbern eine Arbeit zugewiesen werden soll, wenn Bedenken hinsichtlich der Arbeitsmarktlage bestehen. Damit räumte man Asylbewerbern eine Bevorzugung hinsichtlich der Arbeitsplatzvergabe ein. Was man in diesem Zusammenhang übersah, war die Tatsache, dass dadurch auch Arbeitsmigranten aus asylfremden Gründen einen Asylantrag stellen mussten, um so legal in der Bundesrepublik leben und arbeiten zu können. Es handelt sich hierbei um eine Entscheidung, die in der künftigen „Mißbrauchsdiskussion“ eine wichtige Rolle spielen sollte.))

Ein weiterer Aspekt, der für die Beschreibung der „heißen Phase“ konstitutiv ist, ist der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber stieg, die aus Länder kamen, aus denen bislang kein Flüchtling einen Asylantrag gestellt hatte. Mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen aus „exotischen Ländern“ setzte eine publizistische Kampagne ein, die ihren Niederschlag auch im Bundestag findet. Bereits am 19.9.1973 ist die Rede vom „Zustrom asylsuchender Araber“ (BT. PIPr. 7/50 S. 2846), und in der Bayerischen Staatszeitung vom 21.12.1973 ist die Rede von hohen Asylbewerberzahlen, „darunter 318 Araber“ (vgl. Münch 1993, S. 180).

Der „Zustrom von Arabern“, von dem in der mündlichen Anfrage des Abgeordneten Riedl (CDU/CSU) die Rede ist, scheint mit einer Reihe von Unterbringungsproblemen einherzugehen. So befragt Riedl den damaligen Innenminister Genscher (FDP): „Trifft es zu, daß die derzeitigen schlechten Verhältnisse im Ausländerlager Zirndorf auch darauf zurückzuführen sind, daß ein Großteil der Asylsuchenden Araber sind, […]“. (BT. PIPr. 7/50 S. 2846) Es wird deutlich, dass für die bestehenden Verhältnisse im „Ausländerlager“ allein die Nationalitätsbezeichnung „Araber“ genügt, um eine Assoziation zu den schlechten Verhältnissen hervorzurufen. Daneben wird ein weiterer Punkt hervorgekehrt, mit dem die Redlichkeit der Asylanträge und der Asylberechtigung verneint werden soll: den Arabern wird die Kooperation mit dem Regimegegner DDR vorgeworfen, wie es aus der Charakterisierung ‚jener Araber‘ ersichtlich wird,

„die von der DDR- Fluggesellschaft Interflug in verschiedenen arabischen Ländern angeworben, nach Bezahlung des Flugpreises in westlicher Währung nach Ost-Berlin geflogen, dort in verplombte Omnibusse verfrachtet und nach West-Berlin geschafft werden, wo sie dann um Asyl in der Bundesrepublik Deutschland nachsuchen, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun?“ (ebd.)

Neben der Tatsache, dass in dieser Phase rassistische Äußerungen in erhöhtem Umfang im parlamentarischen Diskurs zu verzeichnen sind, ist auffällig, dass die Thematisierung von Zahlenangaben ein konstitutives Merkmal für die Behandlung der Asylthematik im Bundestag wird. Dies lässt sich exemplarisch auch an diesem Beispiel darlegen. So sprach Riedl davon, dass die schlechten Verhältnisse im Ausländerlager Zirndorf darauf zurückzuführen seien, dass ein Großteil der Asylsuchenden Araber sind. Neben der bereits erwähnten rassistischen Komponente übt die Nennung einer quantitativen Anzahl eine entscheidende Funktion aus. Dies lässt sich daran zeigen, dass bei der Beantwortung dieser Anfrage durch den Bundesinnenminister Genscher davon die Rede ist, dass „die Zahl der Araber, die dort untergebracht sind, […] von über 300 Personen im Monat August auf 143 Personen abgebaut werden“ konnte (BT. PIPr. 7/50 S. 2846). Da die Betonung auf die „Zahl der Araber“ gelegt wird, geht man nicht gegen die individuellen Menschen vor, die man ausgewiesen hat oder auszuweisen gedenkt, sondern „nur“ gegen eine quantifizierbare, entsubjektivierte Größe. Hinter der Bezeichnung „abbauen“ steckt ebenfalls eine technische Vorstellung, denn die Bezeichnung „Abbau“ entstammt dem semantischen Feld des Bergbaus und ist gleichzusetzen mit Begriffen wie Demontage oder Abriss.

Das hier dargestellte Beispiel verdeutlicht zwei Aspekte, die für die weitere Diskussion des Themas »Asyl« im Bundestag entscheidend sind: Zum einen mehren sich Äußerungen, die sich als „rassistisch“ kennzeichnen lassen. Zum anderen findet der Gebrauch von Zahlenangaben und einer Kollektivsymbolik, die diese Angaben sprachlich ‚verbildlichen‘, sowohl bei der Regierungspartei als auch bei der Opposition Verwendung. Das oben zitierte Beispiel verdeutlicht, dass der Redner der oppositionellen CDU/CSU, Dr. Riedl, ebenso wie der damalige Bundesinnenminister Genscher (FDP), den gemeinsamen Bezugspunkt der Zahlensymbolik wählen. Durch diesen unausgesprochenen Konsens, bei unerwünschten Flüchtlingsgruppen nicht auf deren Nationalitätsbezeichnung zu rekurrieren, sondern sie durch Zahlenangaben mit entsprechender Zahlensymbolik zu codieren, entsteht ein Prozess, der sich als Entsubjektivierung bezeichnen lässt. Dieser Prozess setzt bereits bei der Ankunft von 300 Arabern ein, die als „Massen“ codiert werden. Die oben dargestellte Anfrage des Abgeordneten Dr. Riedl wird im Sachregister des Deutschen Bundestages unter dem Stichwort „Zustrom asylsuchender Araber“ geführt; eine Kollektivsymbolik, die in den nächsten Jahren weiter entfaltet wird und zur Dramatisierung der Fluchtthematik in der Bundesrepublik entscheidend beiträgt.

Dass die Verwendung dieser Zahlensymbolik unabhängig davon ist, welche Partei die Regierung führt, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit im Übrigen deutlich werden.

3.3.3.2   Exkurs: Ein Neologismus taucht auf

Neben der Abkopplung des Themas »Asyl« von der allgemeineren Ausländerthematik ist zur Kennzeichnung der „heißen Phase“ der parlamentarischen Auseinandersetzungen konstitutiv, dass ein neuer Begriff auftaucht, dessen stereotype Verwendung in Kontexten, in denen vom „Mißbrauch des Asylrechts“ die Rede ist, mit dazu beiträgt, rassistische Tendenzen zu schüren. Bei diesem Begriff handelt es sich um den Terminus „Asylant“.

Jürgen Link, der der Geschichte dieses Begriffs bereits nachgegangen ist, führt dazu aus:

„Das Wort taucht bereits in den sechziger Jahren in juristischen Kommentaren zum Asylrecht sporadisch auf. Der „Duden“ kannte den „Asylanten“ damals noch nicht als deutsches Wort – dort (genau im West-Duden) tauchte er erstmals 1980 auf. Was war inzwischen geschehen? Kurz nach dem „deutschen Herbst“ 1977 geriet der Begriff aus der juristischen Fachsprache in den Mund der Politiker und Medien.“ (Link 1988a, S. 51)

Link verweist in diesem Artikel darauf, dass das erste Auftauchen des Begriffs „Asylant“ im Deutschen Bundestag auf Januar 1978 datiert ist (s. hierzu auch: Wolken 1986, S. 6 ff.). Dieses ‚Erscheinungsdatum‘ muss jedoch um zwei Jahre zurückdatiert werden; denn bereits am 11. Februar 1976 verwendet der Abgeordnete Spranger (CDU/CSU) diesen Begriff. Dieser Beleg ist deshalb interessant, weil Spranger die Bundesregierung danach befragt, welche Möglichkeiten bestehen, einen bewilligten Asylantrag zurückziehen zu können, falls ein Flüchtling in das Land einreist, aus dem er geflohen ist. Nachdem der Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) ihm mitteilt, dass dies individuell zu prüfen sei, stellt Spranger (CDU/CSU) folgende Zusatzfrage:

„Herr Staatssekretär, kann ich aber ihrer Antwort entnehmen, daß an sich – abstrakt – die Voraussetzungen für einen Widerruf gegeben sind, wenn nach der Asylgewährung der Asylant wiederholt in das Land eingereist ist, aus dem er wegen Gefährdung ausreiste?“ (BT. PIPr. 7/220, 11.2.1976, S. 15296)

Bis zu diesem Zeitpunkt herrschte im parlamentarischen Diskurs die Sprachregelung, dass man für politisch Verfolgte wahlweise die Begriffe „Flüchtling“ bzw. „Asylbewerber“ benutzte. Weiterhin galt diese Sprachregelung auch für Antworten der Bundesregierung. In zunehmendem Maße mehrten sich jedoch Anfragen an die Bundesregierung, die die Bezeichnung „Asylant“ enthielten. Wie aus der oben dargestellten Zusatzfrage des Abgeordneten Spranger (CDU/CSU) ersichtlich, wird der Begriff „Asylant“ dann häufig verwendet, wenn Zweifel an der Berechtigung des Antragstellers erhoben werden. Der Frage, warum der Terminus „Asylant“ im parlamentarischen Diskurs auftauchte und sich rasch verbreitete, sind genauer Ute Gerhard und Jürgen Link nachgegangen.

Sie kommen in ihren Untersuchungen zu folgendem Ergebnis:

„Es muß um 1977 so etwas wie ein „Bedarf“ von Politikern und Medienleuten für diesen oder einen funktional ähnlichen Neologismus […] bestanden haben. […] Seither existiert im Deutschen die Binäropposition (Antithese) „Flüchtling“ kontra „Asylant“. Dabei ist das Vorstellungsbild „Flüchtling“ in der Regel gekoppelt mit ‚hellhäutig‘, ‚uns ähnlich‘, ‚hilfsbedürftig‘, ‚freiheitsliebend‘, ‚individuell‘ – im Gegensatz zum Vorstellungsbild „Asylant“ mit den Stereotypen ‚dunkelhäutig‘, ‚uns fremd‘, ‚Hilfsbedürftigkeit bloß simulierend‘, ‚finstere Masse‘, ‚kollektiv‘. Tatsächlich korrelierte der Durchbruch der „Asylanten“ mit einem Ansteigen der Südflüchtlinge (gegenüber den unproblematischen Ostflüchtlingen) seit Mitte der siebziger Jahre (nach dem Anwerbestopp und aufgrund wachsender Gefahren in vielen Ländern der Dritten Welt). Konkret fiel dieser „Bedarf“ an Ausgrenzung der Südflüchtlinge seinerzeit zusammen mit einem Anstieg der Flüchtlingszahlen besonders aus Pakistan und der Türkei sowie der islamischen Revolution im Iran. Symbolisch wirkte also wahrscheinlich die Furcht vor „islamischen Fanatikern und Fundamentalisten […] stützend für die Karriere des Begriffs „Asylanten“. (Gerhard/ Link 1991, S. 140).

Neben dieser „Korrelationsanalyse“ tritt ein weiterer Faktor hinzu, denn der Terminus „Asylant“ reiht sich in eine Gruppe von Bezeichnungen ein, die im deutschen Sprachgebrauch negativ besetzt sind, d.h., dass negative Konnotationen bei den Rezipienten hervorgerufen werden. Hierzu führt Link an anderer Stelle aus:

„Die deutschen Wörter auf „-ant“ scheinen es in sich zu haben. Sie teilen sich, grob gesagt, in drei Gruppen: Wissenschaftliche Fachbegriffe spielen in unserem Zusammenhang keine Rolle. Dann gibt es neutrale für Berufe („Praktikant“, „Intendant“, „Fabrikant“) und es bleiben drittens die ausgesprochenen negativen für „üble Charaktere“, die „nicht normal“ sind: „Ignoranten“, „Simulanten“, „Querulanten“, „Spekulanten“ usw. Diese Begriffe haben einen pseudomedizinischen bzw. psychiatrischen Beigeschmack: gegen die „Simulanten“ wurde während der Weltkriege ein gnadenloser Bürgerkrieg geführt (vgl. auch die „Deliranten“).“ (Link 1988a, S. 50)

Diese Ergebnisse, die Link insbesondere durch Analysen des Mediendiskurses gewonnen hat, lassen sich auch im Rahmen der Untersuchung des parlamentarischen Diskurses bestätigen. Nachdem Spranger, Mitglied der CDU/CSU-Fraktion, 1976 zum ersten Mal den Ausdruck „Asylant“ gebraucht, findet dieser rasch überparteiliche Verwendung. So spricht sowohl der Abgeordnete Sieler (SPD) als auch der Abgeordnete Laufs (CDU) von einem „Verteilerschlüssel für Asylanten“ (BT. Sten. Prot. 8. WP. 66. Sitzung 20.1.1978, S. 5103). In der 70. Sitzung des Bundestages vom 27.1.1978 ist auch bei der SPD vom „Zustrom der Asylanten“ die Rede (Schulze 8. WP. 70. Sitzung 27.1.1978, S. 5103).

Der vorläufige Karrierehöhepunkt des „Asylanten“-begriffs ist in der „heißen Phase“ dann erreicht, als pakistanische Flüchtlinge über Berlin 1978/79 in die Bundesrepublik Deutschland einreisen. Die bereits anhand von Aussagen und Anfragen einzelner Abgeordneter aufgezeigte Zahlensymbolik koppelt sich mit einer wuchernden Kollektivsymbolik, insbesondere der „Flutsymbolik“, so dass nicht nur von einem „Anstieg“ oder einer „Zunahme“ die Rede ist, sondern es werden Massen verortet, die gleich einer Naturkatastrophe über die Bundesrepublik Deutschland hereinbrechen. Dies lässt sich anhand der insgesamt 93 mündlichen und schriftlichen Anfragen der Parlamentarier in der 8. Wahlperiode gut belegen, wie die folgende Auswahl zeigt.

„Maßnahmen zur Eindämmung des Zustroms pakistanischer Asylanten nach West-Berlin.“ (Biehle, CDU/CSU, Drs. 08/1497, Antw. 17.02.1978)

„Vermittlung politischen Asyls in der Bundesrepublik Deutschland für Tausende von Pakistanis aus türkischen Sammellagern.“ (Schulze, SPD, Drs 08/1200, 18.11.1977)

„Zustrom von Indern und Pakistani über West-Berlin unter Mißbrauch des Asylrechts.“ (Spranger, CDU/CSU, Drs. 08/2477, Antw. 26.01.1979)

„Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden zur Eindämmung des Asylmißbrauchs.“ (Frau Dr. Baiser, SPD, Drs. 08/4433, 07.08.1980)

„Verhinderung der Einreise von Scheinasylanten über Berlin.“ (Gerlach, CDU/CSU, Drs. 4433, 07.08.1980)

„Initiativen der deutschen Botschaft in Islamabad zur Unterbindung der Einschleusung asylsuchender Pakistani nach West-Berlin.“ (Dr. Dübber, SPD, Drs. 08/2099, 15.09.1978)

„Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl durch Überprüfung der Asylgründe durch Grenzpolizeibehörden sowie Zahl der ohne Einschaltung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zurückgewiesenen Asylsuchenden.“ (Dr. Laufs, CDU/CSU, Drs. 08/793, 02.08.1977)

„Asylverfahren und Unterbringung der Asylbewerber“ (KlAnfr. Erhard CDU/CSU, u.a. sowie Fraktion der CDU/CSU) hierzu u.a.:

-Auswirkung der 1978 in Kraft getretenen Novelle zur Beschleunigung des Asylverfahrens

-Belastung der Länder und Gemeinden durch Unterbringung der Asylbewerber

-Abwehr der sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge (Drs. 08/3681, 15.02.1980).

„Konsequenzen aus dem Aufnahmestopp der Städte Essen und Frankfurt für Asylanten“. (Engelhard, FDP, Drs. 08/4429, 31.07.1980)

Diese Beispiele zeigen bereits recht deutlich, dass hier das Phantasma einer Bedrohung entwickelt wird, der es entgegenzuwirken gilt. Eigentümlicherweise wird die hier dargestellte Symbolik nicht auf die Vietnamflüchtlinge angewendet. Eine kategoriale Unterscheidung dieser Flüchtlinge von anderen Flüchtlingsgruppen findet bereits dadurch statt, dass parlamentarische Beschlüsse und Anfragen zu dieser Thematik unter dem Stichwort »Flüchtlinge« im Sachregister geführt werden. An dieser Stelle ist nicht etwa von „Vietnamasylanten“ die Rede, sondern der Tenor der gesetzlichen Beratungen und Anfragen richtet sich auf „unterstützende Maßnahmen“ und anderweitige Möglichkeiten zur Unterstützung dieser Flüchtlinge. Für diese Flüchtlingsgruppe stehen neben Maßnahmen zur Familienzusammenführung vor allem die Möglichkeiten zur Integration und Sprachförderung im Vordergrund.

Im krassen Gegensatz zu den Maßnahmen, die gegen die unerwünschten Flüchtlinge („Asylanten“) erlassen wurden (s.u.), stehen die Vietnamflüchtlinge offensichtlich in der Gunst der Parlamentarier, insbesondere der konservativen Politiker, die anhand der Flucht der Vietnamesen die Unmenschlichkeit des Gegensystems „Kommunismus“ ausmachen (vgl. Münch 1993, S. 39ff.).

3.3.3.3         Exkurs: Missbrauch kontra Sammellager: Die juristischen Beschlüsse

Im Unterschied zu den Vietnamflüchtlingen sehen sich insbesondere die Flüchtlinge aus dem Süden einem gesetzlichen Maßnahmenkatalog ausgesetzt, der für ihre weitere symbolische Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit entscheidend wird. Das heißt beispielsweise, dass durch den Beschluss, Asylbewerber in Sammellagern unterzubringen, Flüchtlinge stets als Gruppe, Kollektiv oder gar als Massen wahrgenommen wurden, insbesondere dann, wenn sie gefilmt oder fotografiert wurden (vgl. hierzu: Jäger/ Kellershohn/ Pfennig [Red.] 1993). Da weitere, für die öffentliche Wahrnehmung ebenso entscheidende gesetzliche Maßnahmen erlassen wurden, sollen zunächst die wichtigsten juristischen Entscheidungen kurz dargestellt werden.

Als eine erste Reaktion auf den durch das Parlament wahrgenommenen „Asylmissbrauch“ erfolgte 1978 der Beschluss des sogenannten „1. Beschleunigungsgesetzes“. Dieses Gesetz sah u.a. vor, dass die Flüchtlinge, die vor 1978 in Bayern untergebracht wurden, nach einem Quotenschlüssel auf die anderen Bundesländer verteilt wurden. Demnach wurden die Bezirks- und Stadtverwaltungen durch die Länder per Gesetz angewiesen, die ihnen zugewiesene Quote an Flüchtlingen aufzunehmen.

Diese Delegierung ermöglichte es, dass einzelne Bundesländer eigenständig Modalitäten entwickeln konnten, wie sie mit den ihnen zugewiesenen Flüchtlingen verfahren konnten. Wie dies in Baden-Württemberg gehandhabt wurde, darauf bezieht sich der „Toscani-Bericht“, der nach seiner Veröffentlichung für allgemeine Entrüstung sorgte (vgl. zur Toscani – Zimmermann Kontroverse: Korngiebel 1984, S. 27ff.).

Die Mitarbeiterin des hohen Flüchtlingskommissariats der UN protokolliert:

„als beispiel für die entwicklung der lagersituation könnte man baden-Württemberg nennen, das am 3. april 1978, nachdem es die ersten asylsuchenden von bayern übernommen hatte, ein landesasylrecht verabschiedete, das deren Verteilung auf gemeinden mit mehr 10 000 einwohnern anordnet. (…) nach einem erlaß des landesinnenministeriums von baden-württemberg vom 28.7.1980 wurden ab dem 15.9.1980 alle neuen asylsuchenden jedoch in lager eingewiesen, selbst personen, die bei verwandten oder freunden Unterkunft gefunden hatten, wurden gezwungen, ins lager zu gehen, in dem genannten erlaß vom 28.7.1980 wird ausdrücklich festgehalten, daß der zweck der lager sei, ‚in den asylsuchenden den wunsch zu wecken, in ihr land zurückzukehren‘ und ‚mögliche neuankömmlinge zu entmutigen‘.“ (Toscani, Candida, Mitarbeiterin des Flüchtlingskommissariats der UN: Dienstreise in die Bundesrepublik Deutschland, 6.-10- Juni 1983, unautorisierte Übersetzung aus dem Englischen, S. 1, zit. n. Korngiebel 1984, S. 27)

Ein weiterer Einschnitt in die Asylgewährungspraxis stellt das Asylverfahrensgesetz von 1982 dar. Trotz rückläufiger Asylbewerberzahlen – 1980 stellten fast 108 000 Asylbewerber einen Antrag, 1981 hingegen nur noch knapp 50 000 – und den 1980 eingeführten Sofortmaßnahmen, zu denen die Einführung einer Visumspflicht auch für Länder gilt, aus denen die meisten anerkannten Flüchtlinge kamen, gelang es einigen Bundesländern, angefühlt von Baden-Württemberg, Druck auf die regierende SPD/FDP-Koalition auszuüben, um eine Verschärfung der asylgesetzlichen Bestimmungen zu erreichen. Zu diesen Bestimmungen, die zu zukünftigen Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern, Regierungsparteien und Opposition führen sollten, zählen die folgenden:

  1. Rechtswegeverkürzung durch die Einführung der Zulasssungsberufung
  2. Die Einführung des obligatorischen Einzelrichters
  3. Eine Kompetenzerweiterung für die Ausländerbehörden

Auf der Bundesratssitzung vom 19. Dezember 1980, in der diese Novellierungsentwürfe behandelt wurden, kam deutlich zum Ausdruck, dass „alle Bundesländer an einer weiteren Beschleunigung des Anerkennungsverfahrens interessiert waren“ (s. Münch 1993 S. 89).

Die Bundesregierung und die Koalitionspartei brachten hingegen einen Koalitionsentwurf ein, der „als eine leicht veränderte Neuauflage der bisherigen asylrechtlichen Regelungen des Ausländergesetzes und dessen Novellierung11 (s. Münch 1993, S. 90) anzusehen ist. Trotz breiter Unterstützung seitens des Rechtsausschusses mit Vertretern der Verwaltungsgerichtsbarkeit, des UNHCR sowie zahlreichen Flüchtlingsorganisationen und verschärfenden Maßnahmen im bereits vorgelegten Koalitionsentwurf, gelang es der Regierungskoalition nicht, sich gegen die Opposition im Bundestag und die unionsregierten Länder sowie Hessen durchzusetzen und die Zustimmung zum Asylverfahrensgesetz zu erhalten. Stattdessen wurde der Vermittlungsausschuss einberufen, der unter dem Druck der Länder und dem bevorstehenden Fristablauf des 2. Beschleunigungsgesetzes am 31. 12. 1983 einen Kompromiss aushandelte. Das neue Asylverfahrensgesetz, welches einen Tag vor der Sommerpause am 25.6.1982 fast einstimmig im Bundestag angenommen wurde, trat am 1.8.1982 in Kraft. Mit diesem Gesetz wurden nicht nur die Rechte der Flüchtlinge, die um politisches Asyl baten, in erheblichen Umfang eingeschränkt, sondern durch die gesetzlich festgelegten Maßnahmen wurde das Bild der Flüchtlings für die weitere Zukunft in der Öffentlichkeit vorgeprägt.

Zu den im Asylverfahrensgesetz von 1982 festgeschriebenen Maßnahmen gehört die Einteilung von Asylanträgen mit entsprechenden rechtlichen Konsequenzen:

„Durch die Klassifizierung von Asylanträgen sollen sowohl ‚unbeachtliche‘ als auch ‚offensichtlich unbegründete‘ Anträge aus dem ordentlichen Asylyerfahren herausgefiltert werden, indem den betroffenen Ausländern sofortige aufenthaltsbeendende Maßnahmen angedroht werden, zu deren Anfechtung ihnen lediglich ein Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Verfügung steht. Dieser Gruppe von Antragstellern wird damit – mit allen möglichen Konsequenzen – auch zugemutet, das Hauptverfahren vom Ausland her zu betreiben, falls ihrem Antrag nicht stattgegeben wird.“ (Münch 1993, S. 92)

Neben der Klassifizierung der Asylanträge und den sich daraus ergebenen rechtlichen Konsequenzen sieht das geschaffene Asylverfahrensgesetz eine „Aufenthaltsgestattung“ vor, die gegenüber der zuvor praktizierten Aufenthaltsform der „Duldung“ de jure eine Verbesserung darstellt, in der Praxis jedoch eine Internierungsform auf dem Gebiet der Ausländerbehörde bedeutet. Neben der asylgesetzlichen Bestimmung, nur dann den Aufenthaltsort verlassen zu dürfen „wenn zwingende Gründe es erfordern“ (§ 25 Abs. 1 AsylVfG a.F.), tritt die Bestimmung eines Arbeitsverbots in Kraft:

„Noch während des Gesetzgebungsverfahrens zum AsylVfG wurde die Wartezeit für die erstmalige Erteilung einer Arbeitserlaubnis an Asylbewerber, die seit Juni 1980 ein Jahr betragen hatte, durch die Änderung des Wartezeitgesetzes und der Wartezeitverordnung auf zwei Jahre ausgeweitet. Diese Verschärfung, mit der die meisten Asylsuchenden zur Untätigkeit gezwungen und gleichzeitig von der (eingeschränkten) Sozialhilfe abhängig gemacht wurden, galt in ihrem vollen Umfang aber nur für nichteuropäische Flüchtlinge, also diejenigen, denen man einen Mißbrauch des Asylrechts vorwirft, und deren Integration in den bundesdeutschen Alltag als nicht erwünscht gilt.“ (Münch 1993, S. 95)

Hinsichtlich der Unterstützung der Flüchtlinge durch Sozialhilfe wurde im 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981 festgelegt, dass sie „…soweit dies möglich ist, als Sachleistung gewährt werden soll. ((BGB1. I S.1523 vom 22.12.1981, zit. nach Münch 1993, S.96)). „Die Hilfe kann auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche eingeschränkt werden.“ ((§ 120 Abs. 2 Satz 4 BSHG n. F., zit. nach Münch 1993, S.96))

Durch das gesetzliche Arbeitsverbot für Asylsuchende sind die örtlichen Kommunen zur Wahrnehmung der staatlichen Leistungen an die Flüchtlinge aufgefordert. Dies führt seit 1981 dazu, dass die Kommunen den Antragstellern „gemeinnützige Arbeiten“ zuweisen, für die sie zwar ein bestimmtes Entgelt erhalten, ihnen jedoch im Falle der Arbeitsverweigerung mit dem „Entzug der Sozialhilfe“ gedroht wird.

Hinsichtlich der Maßnahmen, „Deutschland für Flüchtlinge unattraktiv zu machen“, nimmt das Land Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle ein. Dies gilt insbesondere für die Einrichtung von „Sammellagern“, deren rechtliche Zulässigkeit bis 1982 noch ungeklärt war, mit der Aufnahme in das Asylverfahrensgesetz hingegen ab dem 1.8.1982 die bundesweite gesetzliche Legitimierung erhielt.

3.3.3.4         Deutschland und der Rest der Welt: Dregger und die Natürlichkeit

Bei der „Beratung der großen Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP“ – Zur Ausländerpolitik – (4. Feb. 1982) werden in erster Linie ausländerpolitische Themen erörtert; doch Verbindungen zwischen den ausländerpolitischen und den asylpolitischen Konzepten werden von 13 der insgesamt 28 Rednerinnen und Rednern hergestellt. Die Bedeutung dieser „Großen Anfrage“ ist deswegen hoch einzustufen, da hier grundsätzliche Positionen sowohl der regierenden Parteien (SPD/FDP) als auch der Opposition (CDU/CSU) deutlich werden. Für die CDU/CSU-Fraktion, der es in Kooperation mit der FDP im Oktober des gleichen Jahres gelang, den „Machtwechsel“ herbeizuführen, macht der Abgeordnete Dr. Dregger (CDU/CSU) die Position seiner Partei hinsichtlich der Aufnahme und der Integration von Ausländern deutlich. ((Die gesamte Rede ist findet sich unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/09/09083.pdf , abgerufen am 4.Juni 2014. Die im Folgenden zitierten Passagen sind mit entsprechenden Zeilenangaben versehen.)) Um die Grundsätzlichkeit seiner Ausführungen zu unterstreichen, beruft er sich auf die menschliche „Natur“, die sowohl bei politischen Entscheidungen als auch bei Modellen des menschlichen Zusammenlebens zum Tragen kommen soll:

„Es ist immer falsch, bei politischen Entscheidungen die menschliche Natur und die Denkweise der Menschen zu mißachten. Die Völker, nicht nur das deutsche, legen in der Regel Wert darauf, ihre nationale Identität zu bewahren. Diese läßt es zu, eine begrenzte Zahl von Ausländern aufzunehmen. Je näher die Ausländer dem aufnehmenden Volk stehen, um so mehr können es sein. Ich warne davor, die Welt in Inländer und Ausländer einzuteilen. Das ist zu simpel. Das berücksichtigt nicht die wesentlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ausländergruppen.“ (Z. 71-82)

Nachdem der Abgeordnete Broll (CDU/CSU) durch seinen Zwischenruf „Sehr richtig!“ seine Zustimmung zu diesem biologistischen Ansatz bekundet hat, konkretisiert Dr. Dregger sein Einteilungskonzept und erläutert die Integrationsfähigkeit dieser verschiedenen Gruppen:

„Ich unterscheide vier: Menschen mit einer fremden Staatsangehörigkeit, aber deutschen Sprache und Kultur verursachen keinerlei Integrationsprobleme, ob sie nun aus Südtirol, aus Österreich oder aus der Schweiz kommen. Wir nehmen sie gern auf. Sie leisten, ohne daß sie als solche in Erscheinung treten, einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung unseres Landes, zu seiner Kultur und seinem Sozialprodukt.“ (Z. 84-92)

Ohne Ausführungen darüber abzugeben, was es heißt, „als solche in Erscheinung zu treten“, wird dadurch, dass der positive Beitrag, den sie leisten, erwähnt wird, eine Opposition zu solchen Menschen aufgebaut, die nicht aus den erwähnten Ländern kommen und vermutlich keinen derartigen Beitrag leisten. Bemerkenswert ist ferner der Umstand, dass Dregger „Südtirol“ in einem Atemzug mit den Ländern Österreich und Schweiz nennt. Er schließt sich somit an jenen rechts-nationalistischen Diskurs an, Südtirol nicht als Region Italiens anzuerkennen, sondern als deutschsprachige Enklave.

Dr. Dregger fährt fort:

„Der zweite Kreis von Ausländern entstammt nicht dem deutschen, aber doch dem europäischen Kulturkreis. Ihre Muttersprache ist zwar nicht die unsere, aber die kulturellen Gemeinsamkeiten sind groß. Sie beruhen auf der gemeinsamen christlichen Wurzel der europäischen Kultur, auf ihren Ausprägungen in Wissenschaft, Kunst und Literatur, die die innereuropäischen Grenzen immer übersprungen haben, auf dem jahrhundertelangen Zusammenleben in übernationalen oder multinationalen Verbänden und einer zwar häufig verletzten, aber im Prinzip doch von allen immer anerkannten europäischen Völkergemeinschaft. Diese Ausländer zu integrieren und schließlich zu assimilieren, ist möglich. Die Nachfahren der Polen, die im Zuge der ersten europäischen Revolution in das Ruhrgebiet gekommen sind, und der hugenottischen Glaubensflüchtlinge aus Frankreich sind längst zu Deutschen geworden, und keiner möchte sie hier missen.“ (Z. 93-115)

Neben dem völkisch-biologistischen Vokabulars des „Entstammens“ aus einer „christlichen Wurzel“ zeigt sich deutlich die Zielrichtung einer konservativen „Einwanderungspolitik“: Die Assimilation, d.h. das völlige Aufgehen in die „deutsche Kultur“. Da dies den erwähnten Polen und Hugenotten unterstellt wird, möchte man sie „nicht mehr missen“. In Deutschland verbleiben dürfen also nur diejenigen, die den imaginären Vorstellungen eines „Aufgehens innerhalb einer Kultur“ entsprechen. Zugleich bleibt die Frage offen, was mit denjenigen geschehen soll, die dies nicht beabsichtigen. Dadurch, dass man Angepasste nicht missen möchte, liegt der Verdacht nahe, dass auf andere „verzichtet“ werden kann.

Zur dritten Gruppe „aus dem europäischen Kulturkreis“ zählt Dr. Dregger „die aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft kommen, welche „nach den Türken die zweitgrößte Ausländergruppe“ darstellen. Da es sich mit 1,2 Millionen um eine größere Gruppe handelt, spricht Dr. Dregger von einer „einseitigen Bevölkerungsbewegung„, die im „Grunde“ allen „schadet“. Um diese Menschen aus der Bundesrepublik Deutschland fernzuhalten, schlägt Dr. Dregger folgendes vor: „die Maschinen zu den Menschen [zu] bringen [nicht] die Menschen zu den Maschinen und das noch [zu] fördern.“

Die eigentliche „Ausländergruppe“, auf die Dr. Dregger in seiner Rede abzielt, sind jedoch Türken. Zunächst nimmt er sie als „größte Ausländergruppe“ wahr. So führt er aus, dass von den 4,6 Millionen Ausländern zirka 1,5 Millionen Türken seien und dass der „Anteil der Türken unter den Ausländern (weiter) wächst durch die hohe Geburtenrate und durch Zuwanderung“. Gleichzeitig verknüpft Dr. Dregger die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Türken mit der Arbeitslosenquote, von der auch sie betroffen sind, nämlich 11,2 %. Das Argumentieren mit Zahlenangaben dient bereits an dieser Stelle dazu, die hier lebenden Türken als „überflüssig“ zu suggerieren, da sie ohnehin kaum Arbeit finden und dadurch ihre eigentliche Aufnahmeberechtigung verloren haben. Doch der Hinweis auf die Assoziierung der Türkei mit der Europäischen Gemeinschaft (geplant für das Jahr 1986) führt dazu, dass Dr. Dregger ein „Schreckensszenario“ für die Zeit nach dem Beitritt der Türkei zur Europäischen Gemeinschaft entwerfen kann. Für den Tag des Beitritts führt er aus:

„In der Türkei warten Millionen Menschen auf diesen Tag. Wenn diese Welle über uns hereinbräche, bräche zugleich unser Sozialstaat, der ohnehin wegen finanzieller Erschöpfung aufs höchste gefährdet ist, zusammen.“ (Z. 165-169)

Das Kollektivsymbol der „Welle“ setzt die Ankunft von Menschen aus der Türkei mit einer Naturkatastrophe gleich. So wie eine Sturmflut die Existenz der Menschen vernichtet, über die sie hereinbricht, so vernichtet die „Welle“ die Existenz des Sozialstaats und damit die Zukunftssicherung all derjenigen, die einen Beitrag hierzu geleistet haben. Durch dieses Kollektivsymbol wird ein Bedrohungsgefühl hervorgerufen, das Handeln zur Folge hat. Denn gegen „Wellen“ kann man sich nur schützen, indem man „Dämme“ errichtet, also aktiv wird.

Warum die Anwesenheit und insbesondere die weitere Einreise von Türken eine „Gefahr“ darstellt, führt Dr. Dregger im Anschluss daran wie folgt aus:

„Meine Damen und Herren, dieses Problem ergibt sich völlig unabhängig von kulturellen- und Mentalitätsunterschieden zwischen Türken und Deutschen im Alltag. Es entstünde auch jedem anderen europäischen Volk gegenüber. Aber diese kulturellen- und Mentalitätsunterschiede kommen hinzu. Das türkische Volk wurde nicht vom Christentum, sondern vom Islam, einer anderen Hochkultur -ich betone: Hochkultur -, geprägt. Die Tatsache, daß der von Atatürk 1918 gegründete Staat laizistisch und nach seinem Selbstverständnis europäisch ist, ändert daran ebensowenig wie die Tatsache, daß auch unser Staat laizistisch ist, anders z.B. als das frühere Heilige Römische Reich. Auch in säkularisierter Form wirken die kulturellen Impulse der christlichen und der islamischen Hochkultur auf unsere Völker nach. Das trägt neben einem ausgeprägten Nationalstolz der Türken dazu bei, daß sie – von Ausnahmen abgesehen – nicht zu assimilieren sind. Sie wollen bleiben, was sie sind, nämlich Türken. Und das wollen wir respektieren.“ (Z. 182-202)

Der Beifall bei der CDU/CSU, der an dieser Stelle einsetzt, zeigt die grundlegende Übereinstimmung mit den Abgeordneten dieser Fraktion.

Dr. Dregger führt jedoch weiter aus:

„Türken sind aber – von Ausnahmen abgesehen – nicht nur nicht zu assimilieren, sie sind auch nur schwer zu integrieren.“ (Z. 204-206)

Dr. Dregger macht die „Nicht-Integrationsfähigkeit“ am Beispiel der „Deutschkenntnisse“ und am „Wohnverhalten“ der Türken fest:

Dazu zwei Ausführungen:

(1) „Von denen, die über zehn Jahre bei uns leben, sind es nach eigener Einschätzung nur 25 %, die mit ihren Deutschkenntnissen selbst zurechtkommen; 78% von ihnen haben nie einen Deutschkursus besucht. Selbst bei den Kindern bleiben vier von fünf trotz Besuchs deutscher Schulen in ihren Sprach- und Kontaktgewohnheiten eindeutig Türken. Sie wollen trotzdem bleiben, und zwar wegen der materiellen Vorteile, die unser Land bietet.“ (Z. 206-215)

(2) „Da die Türken in Kultur und Mentalität anders sind und anders bleiben wollen als die Deutschen, ist es nur natürlich, daß sie in Deutschland Nachbarschaft mit ihresgleichen suchen. Das heißt, daß in unseren Großstädten Türkenviertel entstehen, auch Ghettos genannt. Das könnte nur durch Zwang verhindert werden, nicht durch Sozialhilfe oder Ermahnung“ (Z. 219-226). (( An dieser Stelle sei auf die Feinanalyse verwiesen, die im Anschluss an diesen Überblick erfolgt. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Rede des Abgeordneten Dr. Dregger. Die ausführliche Zitierung dieser Rede dient dem Zweck, Parallelitäten und Unterschiede herauszuarbeiten, die sich zwischen dieser Rede 1982 und der von 1993 auffinden lassen.))

Die Rede des Abgeordneten Dr. Dregger hat bereits die fundamentalen Kriterien einer konservativen Ausländer- und Einwanderungspolitik umrissen: Zum einen sollen nur diejenigen einen Zugang haben, die des Deutschen mächtig sind, d.h. Deutsch als ihre Erstsprache erworben haben. Diese Personengruppen werden, vermittelt durch das Argument der gleichen (christlichen) Kultur, als besonders integrationsfähig angesehen. Kleinere Probleme können sich bei europäischen Nachbarn ergeben; ihnen wird jedoch auch eine hohe Integrations- und Assimilationsfahigkeit unterstellt. Mit dem Argument, dass sie sich nicht anpassen wollen, werden im besonderen Türken, im allgemeinen jedoch Muslime als eine Gruppe angesehen, die keine Berechtigung haben, in Deutschland zu leben. Im Zusammenhang mit der ausländerpolitischen Fragestellung, um die es bei dieser Debatte geht, schlägt er das „Rotationsprinzip“ vor, welches eine befristete Arbeitszeit für Migranten aus der Türkei vorsieht. Auch das Konzept der „Familienzusammenführung“, welches die CDU/CSU-Fraktion in den Bundestag eingebracht hat, sieht eine „Zusammenfügung“ in der Form vor, dass nicht etwa die Angehörigen des ausländischen Arbeitnehmers in die Bundesrepublik nachreisen können, sondern die Rückkehr des ausländischen Arbeitnehmers in sein „Heimatland“.

Die vierte Gruppe, die Dregger benennt, wird nur noch anhand ihrer geographischen Herkunft charakterisiert. Diese lehnt der Abgeordnete Dr. Dregger völlig ab:

„Eine vierte Ausländergruppe, der wir begegnen, sind die Menschen aus den asiatischen und den afrikanischen Ländern. Es sind zur Zeit 190.000. In Großbritannien sind es 1.929.000. Soweit diese Menschen asiatischer und afrikanischer Herkunft in Großbritannien den britischen Paß haben – das ist bei den meisten der Fall -, genießen auch sie das Recht der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Wenn die Fremdenfeindlichkeit in Großbritannien zunehmen sollte, dann ist damit zu rechnen, daß auch diese Menschen demnächst hier in Deutschland erscheinen werden. Auch diese Menschen entstammen anderen Kulturkreisen. Auch sie werfen bei weiterer Zunahme nicht lösbare Integrationsprobleme auf. Ein Blick auf Großbritannien und die Niederlande genügt, um zu erkennen, was das für Folgen haben kann.“ (Z. 275-291)

Hinsichtlich der Aufnahme von politischen Flüchtlingen in die Bundesrepublik Deutschland folgert der Abgeordnete Dregger daraus:

„Ich wiederhole daher meine in einer früheren Debatte geäußerte Anregung an die Bundesregierung, die UNO aufzufordern, in allen Kontinenten und Kulturkreisen Aufnahmemöglichkeiten für politische Flüchtlinge zu schaffen. Unser Land ist jedenfalls außerstande, zum Einwanderungsland für Menschen aus aller Welt zu werden. Das ist nicht nur eine Frage unserer nationalen Identität, sondern vor allem auch eine Frage des Arbeitsmarktes und nicht zuletzt der Besiedlungsdichte unseres kleinen und in zwei Weltkriegen verstümmelten Landes.“ (Z. 292-303)

Bemerkenswert ist an diesem Zitat die Betrachtungsweise der Bundesrepublik Deutschland als „kleines“ und „verstümmelten“ Land. Mit dieser Darstellung der Bundesrepublik unterschlägt Dregger einerseits die wirtschaftliche Bedeutung, die dieses „Land“ bereits erreicht hat, darüber hinaus verweist er auf die Unvollständigkeit Deutschlands. ((Mit dem Verb „verstümmeln“ wird – wie im medizinischen Bereich -der Begriff „Amputation“ konnotiert, der auf eine künstliche – nicht natürliche (hier: politisch bedingte) Maßnahme verweist.)) Mit dieser Anspielung verweist er darauf, dass die eigentliche Größe der jetzigen Bundesrepublik nicht die Größe „Deutschlands“ sei, da nicht alle Deutschen in einem Land leben. Durch diesen Umstand ist es auch nicht möglich, die gemeinsame „nationale Identität“ zu finden, erst recht nicht, wenn „fremde Kulturkreise“ hinzutreten.

Unter dem vorgeschoben Argument der Bewahrung der „nationalen Identität“ und der Unvereinbarkeit von „Kulturkreisen“ wird dem bestehenden Asylrecht eine Absage erteilt.

Die Rede des Abgeordneten Dr. Dregger macht das Konzept der
CDU/CSU-Fraktion deutlich: Unter dem Stichwort „Familienzusammenführung“ sollen insbesondere türkische Arbeitnehmer in die Türkei -zu ihren Familien- abgeschoben werden. Für Arbeitsmigranten soll das „Rotationsprinzip“ eingeführt werden; dies bedeutet die befristete Vergabe einer Arbeitsstelle, nach deren Fristablauf die Abschiebung erfolgt. Die Aufnahme von politischen Flüchtlingen aus den Ländern Asiens und Afrikas wird mit der Begründung abgelehnt, dass hierfür die UNO zuständig sei und somit Unterbringungsmöglichkeiten in den Nachbarländern dieser Staaten einzurichten habe.

Was macht die 1982er Rede des Abgeordneten Dr. Dregger so bemerkenswert?

Wie bereits zuvor dargestellt, wird mit der Ankunft von Flüchtlingen aus „exotischen“ Ländern ein Bedrohungsphantasma initiiert, auf das sowohl juristisch als auch sprachlich-symbolisch reagiert wird. Angesichts der als „Massen“ codierten Flüchtlinge aus Teilen der sogenannten „Dritten Welt“ sehen sich nahezu alle Politiker der Bundestagsparteien dazu veranlasst, den Zugang dieser Flüchtlinge einzuschränken. Dies geschieht sowohl durch die Beschneidung der rechtlichen Voraussetzungen, als auch durch „Abschreckungsmaßnahmen“, die dazu dienen sollen, die Bundesrepublik Deutschland als unattraktiv erscheinen zu lassen. Diese Tatsache allein genügt jedoch nicht als Erklärung dafür, aus welchem Selbstverständnis heraus dies geschieht. Diese Lücke wird durch die Rede des Abgeordneten Dr. Dregger gefüllt, denn sie zeichnet sich exemplarisch für den konservativen Diskurs aus, der seit dem Bonner Regierungswechsel 1982 verfolgt wird. Ein Beispiel hierfür ist das Festhalten an der Aussage, dass die „Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland sei“.

Die Sprecherposition, die Dregger in seiner Rede von 1982 bezieht, lässt sich aufgrund der Pronominalstruktur als „familiär“ bezeichnen. Durch die stereotype Wiederholung des „Wir“ vereint Dregger die Vielstimmigkeit der bundesrepublikanischen Bevölkerung zu einer Stimme. Dadurch wird die Zugehörigkeit zum deutschen Sozius einerseits, andererseits die Ausgrenzung der Nicht-dazugehörigen formiert. Das Kriterium für die Gruppe, die als zum „deutschen Volk“ gehörend bezeichnet wird, sind die Menschen, die sowohl Deutsch sprechen als auch die gleiche Kultur besitzen. Folglich nehmen „Wir“ sie gerne auf (vgl. Z. 88). Das konstituierte „Wir“ erweitert Dregger jedoch auch auf den „Kreis von Ausländern“ (vgl. Z. 93), die sich auf die gemeinsamen christlich-europäischen Wurzeln berufen können. Diese Ausländer sprechen zwar nicht unsere Sprache (vgl. Z. 95), doch ist es möglich, sie „zu integrieren und schließlich zu assimilieren“ (Z. 109f.), womit sie uneingeschränkt zum „Wir“ werden.

Eine binäre Pronominalstruktur ergibt sich hinsichtlich der dritten Ausländergruppe, die Dregger benennt, nämlich der Türken. „Sie“ sind nicht zu assimilieren, und das müssen „wir“ respektieren (vgl. Z. 201ff.).

Führte Dregger in seiner Rede noch die Gründe dafür an, warum letztlich die Türken nicht zu integrieren oder zu assimilieren seien, so wird jene vierte Ausländergruppe nicht näher charakterisiert. Dregger nennt lediglich die Zahl (190.000) der Menschen aus Afrika und Asien, die in der Bundesrepublik Deutschland leben. Interessant an dieser Stelle ist, dass Dregger sozusagen vom Feinen zum Groben übergeht. Zunächst nennt er noch einzelne Länder in Europa, wobei es scheint, als gruppierten sich diese Länder um Deutschland als eine Art zentralen Punkt. Die Länder, die nah an diesem Zentrum liegen, werden einzeln genannt und positiv gewertet. Je weiter man sich vom „Zentrum Deutschland“ entfernt, desto undifferenzierter werden die Benennungen. Im zweiten Schritt bezieht Dregger sich schon auf eine „überregionale Glaubensgemeinschaft“, die jedoch -zumindest geographisch- noch zu „unserem“ Europa gehört. Zuletzt verbindet er in einem Satz zwei ganze Kontinente. Die Menschen, die aus Afrika oder Asien stammen, erscheinen als eine zusammenhängende, undifferenzierbare Masse, wobei es völlig unwesentlich ist, dass diese Kontinente tausende Kilometer auseinanderliegen und auf diesen Kontinenten ganz unterschiedliche Länder zu finden sind.

Als eine Art „Automatismus“ begreift er die Anwesenheit und die Anzahl asiatischer oder afrikanischer Menschen, die in einem Land leben, sowie die daraus resultierende „Fremdenfeindlichkeit“ (Z. 283). Da sie anderen Kulturkreisen „entstammen“ (Z. 287), werfen sie „bei weiterer Zunahme nicht lösbare Integrationsprobleme“ (Z. 288f.) auf.

Dieses „Mentalitätsmodell“, das Dregger in seiner Rede entwirft, lässt sich als Ausformulierung eines ethnopluralistischen ((Reinfeldt/ Schwarz beschreiben das Konzept des „Ethnopluralismus“ folgendermaßen: „Der ‚Ethnopluralismus‘ präsentiert sich als ein Denken der Differenz zwischen Menschen und Menschen. Durch die Tatsache untereinander verschiedener, vorgeblich in sich relativ einheitlicher menschlicher Kulturen sei die Menschheit als heterogen aufzufassen. Damit wendet sich der ‚Ethnopluralismus‘ gegen das traditionelle (christlich)universalistische Denken, das postuliert, Menschen seien ihrem Wesen nach gleich und ihre individuelle kollektive Andersheit bloß Akzidenz. Diesem Denken wirft der ethnopluralistische Ansatz vor, für die Vermassung und damit Austauschbarkeit der Individuen verantwortlich zu sein. (Reinfeldt/ Schwarz 1994, S.213 f.) )) Gesellschaftsmodells begreifen. Anders als bei klassischen Rassismuskonzeptionen, die eine Überlegenheit einer „Rasse“ und ihrer Kultur annehmen, gehen ethnopluralistische Konzeptionen von der Gleichwertigkeit der Kulturen aus. Dies gilt auch für ihre gegenseitige Anerkennung. Reinfeldt/ Schwarz führen dazu aus:

„Er (der Ethnopluralismus F.W.) bestimmt Rassismus als Ursache der Verweigerung eben dieses Respekts. Somit sind für ihn Rassismus und Universalismus zwei komplementäre Spielarten der Nicht-Anerkennung des fundamentalen Anderen. (Reinfeldt/ Schwarz 1994, S. 214)

Diese Forderung nach Respekt und Anerkennung findet sich auch in der Dregger-Rede (vgl. hierzu Z. 182-202). Dregger würdigt explizit die Hochkultur der Türken, die jedoch nicht unter der abendländisch-christlichen Tradition entstand, sondern islamischen Einflüssen ausgesetzt war. Diese Tatsache und ihr Nationalstolz führen dazu, dass sie „bleiben wollen, was sie sind, nämlich Türken. Und das sollten wir respektieren.“ (vgl. Z. 201 ff.)

Dregger verweist hier auf die Unüberbrückbarkeit der Unterschiede, die jedoch nicht etwa durch Vorbehalte von Deutschen gegenüber Türken begründet ist, sondern die „die“ Türken selbst zu verantworten haben. Die Aufgabe der Deutschen sei es, dies zu respektieren; die Aufgabe der Türken, in der Türkei zu bleiben. Erst dann können sie auf Respekt hoffen.

Das Reden von der Hochkultur und dem gegenseitigen Respekt ist jedoch nur eine Umschreibung für die rassistische Formel „Türken raus“, denn der gegenseitige Respekt kann nur dann aufrechterhalten werden, wenn man nicht in einem Land zusammenlebt.

Hinsichtlich der Anwesenheit von Menschen aus Asien und Afrika (vierte Ausländergruppe) thematisiert Dregger eine „Belastungsgrenze“ für die Aufnahme von Menschen aus diesen Ländern in der Bundesrepublik Deutschland. Denn bei „weiterer Zunahme werfen sich unlösbare Integrationsprobleme auf“ (vgl. Z. 288f.). Die Überlegung, die dahintersteht, geht von einer begrenzten Aufnahmekapazität aus, die bei Überschreitung unweigerlich dazu führt, dass es zu Ausschreitungen kommt. Hier wird nicht einmal mehr die Möglichkeit des gegenseitigen Respekts in Erwägung gezogen; Menschen aus diesen Ländern sind per se nicht dazu geeignet, in Deutschland zu leben.

In ihrem Aufsatz „‚Ethnopluralismus‘ made in Germany“ verknüpfen Reinfeldt/ Schwarz ethnopluralistische Konzepte mit staatlichen Biopolitikkonzeptionen, wie sie durch den französischen Sozialphilosophen Michel Foucault analysiert wurden (vgl. Foucault 1991a), und stellen fest:

„Wie auch der alte biologisierende Rassismus wird auch der neue tendenziell verstaatlicht und wird regulative Idee für institutionelle Praktiken der Kontrolle, Kanalisierung und Ausschließung. Anstelle von Ausbeutung, Apartheid (und gegebenenfalls Vernichtung) werden in dem neuen ‚postfordistischen‘ Ausschlußmodell bei der Überschreitung willkürlich gesetzter ‚Belastungsgrenzen‘ diskursive oder gegenständliche ‚Dämme‘ gegen das permanente ‚Einströmen‘ der Fremden errichtet.“ (Reinfeldt/ Schwarz 1994, S. 218)

Das Reden von „Belastungsgrenzen“ ist jedoch nicht nur den Abgeordneten der CDU/CSU-Opposition eigen. Bei sicherlich manchen Unterschieden im Detail liegt bei einigen Abgeordneten der Oppositionsparteien ein Konsens hinsichtlich der „Notwendigkeit eines beschleunigten Asylverfahrens“ vor. So äußert sich Schöfberger (SPD) noch während der sozial-liberalen Regierungskoalition:

„Wir machen das, was angesichts des massenhaften Zustroms notwendig, aber auch nur das, was von der Verfassung wegen erlaubt und unserer politischen Kultur dienlich ist. (..) Unser Asylverfahren orientiert sich nicht nur am zügigen Abschub von Scheinasylanten. Auch das muß geleistet werden, aber unser Asylverfahren orientiert sich zuallererst – und mögen es nur 10% der Ankömmlinge sein – an der Aufnahme und dem Schutz derer, die tatsächlich politisch verfolgt sind.“ (PIPr. der 121. Sitzung, 13.10.1982, S. 6094)

Auch in den Reihen der SPD/FDP-Regierungskoalition zeigt sich die Verwendung der Flutmetaphorik, wie an diesem Beispiel ersichtlich, denn auch Schöfberger (SPD) spricht vom „Zustrom“ und von „Scheinasylanten“. Das Kollektivsymbol des „Zustroms“ suggeriert ähnlich wie das Kollektivsymbol der „Welle“ eine Bedrohung.

Das Beispiel dieser Dregger-Rede zeigt, dass sich bereits Anfang der 80er Jahre Positionen äußerten, die sich als ethnopluralistisch charakterisieren lassen können. Aus diskurstheoretischer Sicht kann es jedoch nicht darum gehen, einzelne Personen als rassistisch zu entlarven. Vielmehr sollte dieses Beispiel aufzeigen, welche Aussagen hinsichtlich des Themas »Asyl« und damit verbunden auch des Themas „Anwesenheit von Fremden“ allgemein geäußert werden konnten. Die Darstellung dieser Rede dient dem Zweck, einen „Meilenstein“ auf einem Weg zu präsentieren, an dessen Ende einerseits die faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl steht, andererseits eine Kette von rassistisch motivierten Übergriffen auf Asylbewerber und Ausländer.

3.3.3.5   Das Thema »Asyl« nach der „Bonner Wende“ (1982)

Mit der Regierungsübernahme durch die CDU/CSU-Koalition, die als Wende -auch in geistig-moralischer Hinsicht- proklamiert wurde, entstand ein Streit um die „Mitte“. Denn was von einigen als „Rechtsrutsch“ dargestellt wurde, deklarierte Kohl als „Koalition der Mitte“ (PIPr. 121. Sitzung, 13.10.1982, S. 7213). Die regierende CDU/CSU-Koalition war bemüht, fortan die SPD als links einzustufen (vgl. wieder Dregger, der Brandt vorwirft, er suche „nach einer neuen Mehrheit links von der CDU“ (PIPr. der 121. Sitzung, 13.10.1982, S. 7250). Hinsichtlich des hier relevanten Themas ist eine Distinktion zwischen einer „rechten oder linken“ Politik hinsichtlich der Asylthematik bei den Großparteien nicht ersichtlich. Für eine Beschleunigung der Asylverfahren sprach sich mit nur vereinzelten Gegenstimmen die breite Mehrheit der Abgeordneten der CDU wie der SPD aus. Unmittelbar nach der „Bonner Wende“ und dem 1982 verabschiedeten Asylverfahrensgesetz trat eine gewisse Atempause bei dem Kesseltreiben um weitere Einschränkungen des Asylrechts ein. Zu diesem Zeitpunkt war es offensichtlich nicht „sagbar“, eine Grundgesetzänderung des Artikels 16 Abs. II zu fordern. Dieser Schritt blieb einzelnen Politikern vorbehalten, wie dem Abgeordneten Lummer (CDU), der für seine Sympathien zu rassistischen Gruppierungen mittlerweile bekannt ist (vgl. hierzu BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN [Hg.] 1994, S. 39). Ohne es explizit auszusprechen, weist er bereits 1982 auf eine mögliche Grundgesetzänderung hin:

„Manche haben ja schon beim zweiten Schritt gesagt, damit habe man jene prekäre Grenze erreicht, die zu überschreiten man aus rechtsstaatlichen, verfassungsrechtlichen und humanitären Gründen nicht in der Lage sei. Und doch haben wir erkennen müssen, daß diese Grenze nicht ausgereicht hat, sondern daß wir gezwungen waren, Zusätzliches zu tun, und zwar -Herr Engelhard, damit greife ich ein Wort auf, das Sie verwendet haben -unter dem Druck der Verhältnisse. Unter dem Druck der Verhältnisse ist das geschehen. Und wenn wir heute den dritten Schritt tun, weiß niemand mit Sicherheit, ob es der letzte Schritt sein kann.“ (PIPr. 121. Sitzung, 13.10.1982, S. 6106)

Hier wird mit der Formulierung „ob es der letzte Schritt sein kann“ angedeutet, dass den bestehenden rechtlichen Änderungen weitere folgen werden. Was jedoch der letzte Schritt einer Änderung ist, wird nicht explizit geäußert, doch eine Grundgesetzänderung böte sich als logische Konsequenz daraus an.

Zwei Ereignisse führen mich dazu, mit dem Jahr 1985 eine weitere Zäsur bei dem konjunkturellen Überblick über die Entwicklung den Themas »Asyl« im Deutschen Bundestag vorzunehmen: Zum einen mehren sich ab diesem Zeitpunkt die Stimmen, die eine Grundgesetzänderung des Artikels 16 Abs. II fordern; zum anderen nehmen die Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten ab diesem Zeitpunkt kontinuierlich zu. Ein weiterer Aspekt ist die Diskussion um das sogenannte „Loch in der Mauer“.

3.3.4    Phase IV: Pogromphase

3.3.4.1  1985: Das Tabu wird gebrochen

Die in den Jahren 1978-1982 erlassenen verfahrenstechnischen Beschlüsse, eine Vorwegverteilung der Asylbewerber auf Städte und Gemeinden, sie in Sammellagern unterzubringen sowie ihre finanzielle Abhängigkeit durch die ‚öffentliche Hand‘ festzuklopfen, zeigen in der Weise Wirkung, dass zunächst besonders die jeweiligen Kommunalpolitiker Unwillen über die ihnen zugeschobene Verantwortung für Unterbringung und Verpflegung der Flüchtlinge äußerten. Die Beschwerden richten sich jedoch nicht gegen die gefassten Beschlüsse, sondern die Asylbewerber werden als die eigentlich Schuldigen ausgemacht. Dieser Druck der Basis führt dazu, dass der Bundestag über weitere verfahrenstechnische Möglichkeiten diskutiert, die den weiteren Zugang von Flüchtlingen erschweren sollen. Bei diesen Diskussionen spielt die Thematisierung der Belastungsgrenze und der Kostenfaktor eine wichtige Rolle. Gleichzeitig werden jedoch die Flüchtlinge als Ursache für eine ausländerfeindliche Stimmung in der Bevölkerung benannt. Wie eine solche Verknüpfung gelingt, zeigt der Abgeordnete Dr. Olderog (CDU/CSU):

„Meine Damen und Herren, dieser Flüchtlingsstrom wirft aber, je mehr er sich wieder verstärkt, zunehmend große Probleme auf. Schon in den ersten acht Monaten dieses Jahres kamen über 45.000 Asylbewerber -annähernd 30% mehr als im vergangenen Jahr zu uns. Schon heute nimmt die Bundesrepublik im Vergleich zu ihren westlichen Nachbarstaaten weitaus die meisten Asylbewerber auf. Wir wenden 2 Milliarden DM dafür auf. Aber das Geld ist nicht das Hauptproblem. Vor allem Städte und Gemeinden fühlen sich schlechterdings angesichts dieses endlosen Zustroms weiterer Flüchtlinge einfach überfordert. Das ist in meinem Wahlkreis und in vielen anderen Wahlkreisen so; die Kollegen können ein Lied davon singen:
Es fehlt nicht nur an Unterbringungsmöglichkeiten. Immer häufiger kommt es zu Spannungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Immer häufiger sprechen Zeitungsberichte von Schlägereien, Auseinandersetzungen, Messerstechereien, Prostitution und Ladendiebstählen im Zusammenhang mit diesem Problem. Das alles nährt leider eine ausländerfeindliche Stimmung.“ (PIPr. 161. Sitz. 4.10.1985, S. 12213)

Durch diese „Vor-Ort“-Schilderung gelingt es Olderog, die Bundesrepublik Deutschland als hilflos agierendes Subjekt darzustellen, das durch „eingeströmte Fluten“ (s. „Flüchtlingsstrom“, „Zustrom“) im Innersten bedroht wird. Der zentrale Argumentationspunkt ist der Hinweis auf weitere „Flüchtlingsströme“, bei deren Ankunft sich die Bundesrepublik in einen Hort der Kriminalität verwandeln würde. Um die Bedrohungsgefühle zu steigern, verweist Olderog auf potentielle Flüchtlingsgruppen, die darauf nur zu warten scheinen, in die Bundesrepublik Deutschland einreisen zu können:

„Politische Verfolgung, Bürgerkrieg sowie Not und Elend wachsen leider in vielen Teilen der Welt. Alles spricht dafür, daß sich verstärkt Flüchtlinge nach Europa wenden. Nach UN-Angaben gibt es zwischen 17 und 20 Millionen Flüchtlinge, von denen viele gerade angesichts der immer großzügiger werdenden Rechtsprechung als Asylbewerber für uns in Betracht kommen: Tamilen aus Sri Lanka, Sikhs aus Indien, Schwarze aus Südafrika, Palästinenser und Libanesen aus dem Nahen Osten, mehrere Millionen Iraner, dazu Äthiopier, Afghanen; Flüchtlingslager in Pakistan mit Millionen von Flüchtlingen, Flüchtlingslager im Sudan mit einer halben Million äthiopischer Flüchtlinge und in Thailand rund 350.000 vietnamesische Flüchtlinge – meist am Rande des Existenzminimums. Und unsere Verwaltungsgerichte sprechen vielen von ihnen ein Asylrecht zu.“ (PIPr. 161. Sitz. 4.10.1985, S. 12214)

Trotz der gravierenden gesetzlichen Änderungen der Vergangenheit im Asylverfahrensgesetz, entgegen den statistischen Zahlen über Asylbewerber in der Bundesrepublik – 1985 gab es 54.805 Fälle – wird hier in einer Größenordnung gerechnet, die sich mit 20 Millionen beziffern lässt. Die Funktion dieser Ausführung ist es, das Phantasma einer von außen existentiell bedrohten Bundesrepublik zu erzeugen. Dieser Bedrohung der Bundesrepublik gilt es entgegenzuwirken, denn falls weitere Flüchtlinge einreisen, droht das Chaos, dessen Vorzeichen sich in Form von „Spannungen“ und „Auseinandersetzungen“ bereits ankündigen. Neben der Durchsetzung weiterer gesetzlicher Änderungen dient der Aufbau dieses Phantasmas einem weiteren Zweck, nämlich der Diskreditierung all derjenigen Stimmen, die nicht den geforderten Gesetzesänderungen zustimmen. Durch den Verweis auf die Bedrohungssituation ist Handlungsbedarf geboten. Diejenigen, die dies nicht unterstützen, werden zu Feinden der Bundesrepublik Deutschland erklärt, denn die scheinbar evidenten Zustände, die sich durch die Aufnahme von Flüchtlingen ergeben, sprechen für sich. Wer also für die Aufnahme von Flüchtlingen ist, der gilt gemäß dieser Logik als Befürworter des Chaos.

Obwohl es bei dieser Bundestagsberatung um den Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes geht (s. Drs. 10/3678), weist die Rede Olderogs über den verfahrensrechtlichen Rahmen hinaus. Angesichts der Zahl von rund 20 Millionen Flüchtlingen, denen „unsere Verwaltungsgerichte ein Asylrecht zusprechen“, wird die grundsätzliche Gewährung des Asylrechts in Frage gestellt. In Olderogs Worten geht es darum, dass „wir uns vor Wirtschaftsflüchtlingen entschieden schützen“ müssen (PIPr. 161. Sitz. 4.10.1985, S. 12214). Das geeignete Mittel hierzu scheint Olderog bereits parat zu haben:

„Meine Damen und Herren, neben den internationalen Bemühungen werden wir letztlich um eine Diskussion über Artikel 16 Abs. 2 GG nicht herumkommen. Wenn der Flüchtlingsstrom in die Bundesrepublik ständig weiter anschwillt, werden wir ohne eine Änderung des Art. 16 hilflos überrollt werden.
Ich fordere hier und heute keine Änderung des Grundgesetzes; aber wir sollten uns in Wahrnehmung unserer Verantwortung auf eine sich unter Umständen dramatisch zuspitzenden Situation vorbereiten.“ (PIPr. 161. Sitz. 4.10.1985, S. 12214)

Als Flüchtlinge im Sommer 1986 insbesondere aus Sri Lanka und dem Iran über West-Berlin in die Bundesrepublik Deutschland einreisten, wird ihre Ankunft zu einem diskursiven Ereignis hochgespielt. Durch die gesetzlichen Maßnahmen, die gegen den Zuzug von politisch Verfolgten erlassen wurden, wie z.B. der Visumzwang für Flüchtlinge aus Ländern der sogenannten Dritten Welt, war der Weg über West-Berlin die einzige Möglichkeit, um in der Bundesrepublik einen Antrag auf Asyl stellen zu können. Diese Tatsache wurde insbesondere durch die Medien zum Anlass genommen, auf die „Überflutung“ der Bundesrepublik hinzuweisen. ((Vgl. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hg.) 1994, auch die Äußerung des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Joseph Strauß (CSU) in der Süddeutschen Zeitung vom 6.2.1985 hinsichtlich der Zuspitzung der Situation in Neukaledonien ist bemerkenswert, da er befürchtet “ […] bald die Kanaken im Land [zu] haben“. Zit.n. Münch 1993, S.106)) Diesem Ziel dienten u.a. auch Karikaturen, die den „Zustrom“, von dem bei Politikern nahezu aller Couleur die Rede war, bildlich darstellten (s. hierzu: BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN [Hg.] 1994, sowie bereits R. Devantie, C. Garrel, S. Jäger, M. Jäger, U. Kreft, H. Uske 1986).

Obwohl sich führende Bundestagspolitiker in den Medien hinsichtlich der Gefahr einer „Überflutung“ der Bundesrepublik Deutschland durch Asylsuchende äußerten ((Vgl. Der Spiegel vom 31/28.7.1986 S.29. Hier berechnet Lothar Späth die Zahl der potentiellen Asylsuchenden auf 60-70 Millionen. In einer darauffolgenden Ausgabe des Spiegels (Spiegel 35/25.8.86, S.77) wird aus dem Bericht der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU zitiert, die die Zahl der potentiellen Asylsuchenden mit 50 Millionen beziffert. In der FAZ vom 7.8.1986 wird Innenminister Friedrich Zimmermann damit zitiert, dass „jeder einzelne der fünf Milliarden Menschen auf der Welt ein verbrieftes Recht zumindest für einen vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat“.)), lässt sich bei Teilen der Bundestagsabgeordneten ein Diskurs verorten, der vor den Folgen warnt, die durch die Darstellung derartiger Katastrophenszenarien entstehen können. Eine Verbindung zwischen dem rassistisch geprägten Politiker- und Mediendiskurs und den darauffolgenden Taten stellt Ebermann (DIE GRÜNEN) bereits 1987 fest:

„Im letzten Sommer war nicht Menschlichkeit das Motto wie in diesem, sondern die Predigt der ganzen staatlichen Härte gegen Flüchtlinge bzw. Asylsuchende. Alle, die damals Worte geprägt haben, wie ‚Asylantenschwemme‘ und ähnliche rassistische Kampfbegriffe, sollen sich heute fragen – das meine ich im Ernst -, ob sie durch das von ihnen mit geschürte Klima möglicherweise eine Mitverantwortung tragen, daß ein ausländischer vermeintlicher Ladendieb im Beisein von mindestens 20 einkaufenden und zuschauenden Deutschen öffentlich erwürgt werden konnte. Das ist das Klima, das erzeugt wird und zu solchen schrecklichen Ereignissen führt.“ (PIPr. 24. Sitz, 10.9.1987, S. 1589) ((Bei dem Fall, auf den der Abgeordnete Ebermann hier verweist, handelt es sich um den 20 jährigen Iraner Kiomars Javadi, der von zwei Angestellten des „Pfannkuch-Marktes“ in Tübingen solange im „Würgegriff“ gehalten wurde, bis er erstickte.))

Auch führende FDP-Politiker, wie die Abgeordneten Hirsch und Baum, der bereits 1982 bemerkte, dass „das Wort Asylant beinahe schon zu einem Schimpfwort verkommen ist“ (PIPr. 83. Sitz. 4.2.1982, S. 4908), kritisieren, dass im Zusammenhang mit Flüchtlingen von „Fluten“ und „Schwemme“ die Rede ist. Obwohl Baum am 25.9.1986 seine Entscheidung bekanntmacht, „Ich benutze das Wort Asylant nicht mehr“ (zit. n. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hg.) 1994, S. 44), spricht er davon, dass man auf den „ungeheuren Flüchtlingsstrom auf der Welt von 14, 15 Mio. aufmerksam machen“ müsse (zit. n. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [Hg.] 1994, S. 44).

Trotz punktueller Kritik an Begriffen wie „Asylant“, „Wirtschaftsasylant“ und der Steigerung „Scheinasylant“ sieht sich die Mehrzahl der Politiker dazu veranlasst, auf die Grenzen der Belastbarkeit der Bundesrepublik Deutschland durch die Aufnahme von Flüchtlingen immer wieder zu verweisen. Hierbei findet die Verwendung der Kollektivsymbolik weite Verbreitung. So wird mit den Kollektivsymbolen der „Welle“, „Überschwemmung“, „Flut“, „Zustrom“, etc. operiert. Die Autorinnen und Autoren des Buches „Mit Rassisten in einem Boot?“ führen hierzu aus:

„Die Notstandssymbolik schuf in der hegemonialen Rede zugleich Positionen für ihre Verfechter und ihre Kritiker; ihre Relevanz in der öffentlichen Meinung verstärkte sich dadurch.“ (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hg.) 1994, S. 44)

Was ist damit gemeint?

Weil Politiker stets implizit oder explizit darauf verwiesen haben, dass außerhalb der deutschen bzw. europäischen Grenzen viele (meist werden Millionen genannt) Flüchtlinge nur darauf warten, in die Bundesrepublik eingelassen zu werden, ist es eine nahezu logische Konsequenz, danach zu fragen, wie viele man aufnehmen kann. Damit ist ein Feld von Aussagen eröffnet, in welchem humanistische Argumente zugunsten von statistischen Rechenexempeln zurückgedrängt werden. Bei der Aufnahme des Artikels 16 in das Grundgesetz 1949 stand die humanistische Verantwortung angesichts der erlebten Nazi-Diktatur im Vordergrund. Eine derartige Argumentation erscheint jedoch heute „unrealistisch“ angesichts „harten Faktenmaterials“.

Doch die Frage danach, ob die Bundesrepublik Deutschland weiterhin Flüchtlinge aufnehmen kann, lässt sich nicht überzeugend daran festmachen, dass Zahlen thematisiert werden, zumal in der Vergangenheit Millionen von Fremden aufgenommen wurden, als ein Mangel an Arbeitskräften bestand. Neben der Thematisierung von Zahlenangaben müssen Aussagen über die Qualität der Flüchtlinge hinzutreten. Dies wurde in der Vergangenheit zwar exemplarisch durch den Missbrauchsvorwurf und die Kriminalisierung von Flüchtlingen geleistet; mit der Wahlkampfkampagne der hessischen CDU/CSU 1987 avanciert die Asylthematik zum innenpolitischen Thema Nr. 1. Mit dem Slogan „Scheinasylanten stoppen“ hoffte man, Wählerstimmen zu gewinnen und die SPD/GRÜNEN-Regierung zu entmachten. Zu recht verweist der Bundestagsabgeordnete Kleinert (GRÜNE) darauf, dass dies nicht neu sei: „Wir kannten die Sprüche schon aus der Vergangenheit von diversen rechtsradikalen Gruppen.“ (PlPr. 131. Sitz. 9.3.1989, S. 9627)

Galt es für die Vergangenheit, dass rechtsextreme Parteien diesen Slogan für ihren Wahlkampf nutzten, so wurden im parlamentarischen Diskurs des Bundestages dieser und ähnliche Termini, wie dargestellt, auch schon früher verwendet. Ein Novum ist jedoch der Umstand, dass nun auch eine ganze Großpartei den Wahlkampf mit einer rassistischen Strategie bestreitet. Die Grenze, falls sie jemals klar zwischen konservativen und rechtsextremistischen Ideologemen gezogen werden konnte, verwischt zunehmend. Der „Erfolg“ dieses Wahlkampfes war der Einzug der rechtsextremen Partei NPD mit 6,6% der abgegebenen Stimmen in den Frankfurter „Römer“.

3.3.4.2   Die eigentliche Asylkampagne

Seit dem Sommer 1991 erlebt die Diskussion über Flüchtlinge ihren bisherigen Höhepunkt. Das zeigen u.a. bereits die 118 mündlichen und schriftlichen Anfragen an die Bundesregierung sowie die Vorlage von 36 Gesetzesanträgen in den ersten zwei Jahren der 12. Wahlperiode ((Zum Vergleich: In der elften Wahlperiode wurden zur gleichen Thematik 36 mündliche oder schriftliche Anfragen an die Bundesregierung gestellt, sowie 7 Gesetzentwürfe vorgebracht. Das heißt, dass sich in diesen zwei Jahren die Zahl der Anfragen mehr als verdreifacht, die Zahl der Gesetzesvorlagen mehr als verfünffacht hat.)).

Für diese Phase ist es kennzeichnend, dass sich drei Entwicklungen überschneiden, die der Frage nach der zu gestaltenden Asylpolitik eine bisher einmalige Brisanz verleihen. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten siedeln zahlreiche ehemalige DDR-Bürger auf das Gebiet der alten Bundesrepublik aufgrund besserer sozialer Verhältnisse über. Gleichzeitig kommt es mit dem Zusammenbruch der Staaten Osteuropas zu einer verstärkten Einwanderung von sogenannten „Deutschstämmigen11, die sich auf den Artikel 116 GG berufen und von diesem Recht Gebrauch machen. Hinzu kommt, dass die Zahl der Asylbewerber ihren bisherigen Höchststand erreicht. Dies erklärt sich daraus, dass ein Großteil dieser Flüchtlinge aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, in dem ein grauenhafter Bürgerkrieg herrscht, kommt. Angesichts dieser Einwanderergruppen ist im politischen Diskurs ein Bestreben festzustellen, eine Rangfolge der berechtigten Gruppen aufzustellen. ((Vgl. Ministerpräsident Späth, der den Asylsuchenden Platz 3 zuweist. (BR 610 Sitzung 16.3.90. S.96) Ministerpräsident Lafontaine sorgte hingegen für Aufsehen, als er die privilegierte Einwanderungsbestimmung für Aussiedler gemäß Grundgesetzartikel 116 angesichts der Veränderungen in Osteuropa kritisierte (BR 610 Sitzung 16.3.90. S.102) Vgl. hierzu auch: „Der Spiegel“ vom 9.9.1991 (Nr. 37). Dort wird der damalige Innenminister Schäuble damit zitiert, dass er vor allem drei Personengruppen von vorneherein ausschließen will, um den „wirklich aktuell politisch Verfolgten weiterhin Schutz und Zuflucht“ gewähren zu können. Zuerst nennt er Flüchtlinge, die bereits in einem anderen Staat Asyl beantragt haben. Zum zweiten solche, die bereits in einem anderen „westeuropäischen Staat rechtskräftig“ als Flüchtlinge abgewiesen wurden. Schließlich nennt er „Asylanten aus Ländern, in denen etwa nach einer Expertise des Bonner Außenministeriums ‚keine politische Verfolgung (mehr) stattfindet'“.))

Trotz der ohnehin benachteiligten Stellung von Asylbewerbern in der bundesrepublikanischen Gesellschaft werden fortan nun Hilfe- und Schutzsuchende gegeneinander ausgespielt. Angesichts ohnehin knapper Arbeits- und Wohnungsplätze bleibt es fraglich, wer als „Gewinner“ einer solchen Hierarchisierung hervorgehen soll, da im Alltagsdiskurs jeder Konkurrent als Bedrohung angesehen wird (vgl. hierzu auch Jäger 1993a).

Für die Mehrzahl der führenden Politiker war diese Frage jedoch bereits geklärt. Die „Asylsuchenden“ wurden als die Gruppe auserkoren, denen man die Zutrittsberechtigung in die Bundesrepublik Deutschland verweigern wollte.

Nach der „Erprobung“ im hessischen Wahlkampf gehen Politiker dazu über, den „Asylmißbrauch“ nicht nur zum innenpolitischen Hauptthema zu erklären, um eine Grundgesetzänderung zu erreichen. Einen Vorstoß in diese Richtung unternahm der saarländische Ministerpräsident und SPD-Kanzlerkandidat, Oskar Lafontaine, im Vorfeld der Bundestagswahl 1990, als er dazu aufforderte, Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern von vornherein auszuschließen (vgl. Münch 1993, S. 115).

An der Auseinandersetzung darüber, wie das Grundgesetz zu ändern sei, beteiligten sich in zunehmenden Maße auch liberalere Kräfte, die sich bemüßigt fühlten, einem als Öffentlichkeitsmeinung interpretierten Druck nachgehen zu müssen.

Das „Thema Asyl“ scheint auch in den Reihen der SPD als Wahlkampfthema ((Ein Grund hierfür ist sicherlich die Tatsache, dass weite Teile der bundesrepublikanischen Bevölkerung in „rassistische Diskurse verstrickt sind“. Zu diesem Ergebnis gelangte S. Jäger in Zusammenarbeit mit einem studentischen Forschungsteam. Das Ergebnis dieser Untersuchung lautet hinsichtlich der Einschätzung gegenüber der Anwesenheit von Einwanderern und Flüchtlingen in der Bundesrepublik folgendermaßen: „Nahezu alle Interviewten, die jeweils als Repräsentanten größerer Bevölkerungsgruppen angesehen werden können, sind in rassistische Diskurse verstrickt. Dabei gibt es zwar graduelle Unterschiede. Aber selbst noch solche Menschen, die (…) Menschlichkeit zu ihrem obersten Lebensinhalt gemacht haben, sind nicht dagegen gefeit, Menschen fremder Herkunft mißtrauisch bis ablehnend gegenüberzustehen“ (Jäger 1993a, S.295). Angesichts solcher Haltungen und Einstellungen in der Bevölkerung, scheint die Verlockung für Politiker, auf dieser Klaviatur zu spielen, enorm groß.)) willkommen zu sein. Zunächst „entdeckte“ Klaus Wedemeier (SPD) das Thema „Asyl“ für seinen Bremer Wahlkampf (Sep. 1991). Wedemeier kündigte an, dass Bremen die Erstaufnahme von Flüchtlingen einstellen werde, da die „Aufnahmekapazitäten erschöpft“ seien. Auch hier zeigt sich das beständige Rekurrieren auf die Belastungsgrenze. Der symbolische Effekt dieser stereotypen Wiederholung liegt darin, dass suggeriert wird, man habe alle Modalitäten zur Unterbringung und Aufnahme von Flüchtlingen genutzt. Damit wird humanitäres Verständnis dokumentiert; doch durch die weitere Aufnahme von Flüchtlingen drohen, so wird in einem Atemzug beschworen, chaotische Verhältnisse, die ja doch keiner wolle. Da augenscheinlich alles getan wurde, um Flüchtlingen zu helfen, muss es nun zwingend zu einer Änderung kommen; Handlungsbedarf ist dringend geboten.

Auf den begrenzten Raum, der angeblich für Flüchtlinge zur Verfügung steht, wies in prägnanter Weise auch der ehemalige SPD-Bürgermeister von Datteln, Horst Niggemeier, hin: „Wir sind so voll, wir können nicht einmal einer afrikanischen Ameise Asyl gewähren.“ (s. Quinkert/ Jäger 1992, S. 13) Der Vergleich von Flüchtlingen mit Ameisen, die meist in Scharen auftauchen, ist bezeichnend. ((Dieses Zitat bezieht sich auf die Boots-Kollektivsymbolik, die in diesen Tagen in nahezu allen Medien stereotyp wiederholt wird. Insbesondere erfährt die Darstellung der biblischen Arche Noah, die die Bundesrepublik Deutschland symbolisieren soll, breite Resonanz. Vgl. exemplarisch: Der Spiegel, Nr. 37, 9.9.1991 (Titelbild)))

Der Strategie, ein Horrorszenario zu entwerfen, um so zu einer Grundgesetzänderung des Artikels 16 Abs. II zu gelangen, ist jedoch die CDU/CSU Koalition wesentlich stringenter gefolgt, als dies einzelne SPD-Politiker wollten. Allen voran entwarf der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe ein Rundschreiben, das sich an die CDU-Kreisvorsitzenden und an alle Fraktionsvorsitzenden seiner Partei in den Kommunen, den Kreistagen und den Landtagen wandte. Der zentrale Ansatzpunkt war für Rühe der Unmut in der Bevölkerung, der jedoch offensichtlich noch nicht groß genug war, um eine Grundgesetzänderung durchsetzen zu können. Rühe machte es den Kommunalpolitikern und Landtagsabgeordneten seiner Partei insofern leicht, den in der Bevölkerung „wahrgenommenen“ Unmut zu artikulieren, als er seinem Schreiben einen Musterentwurf hinzufügte, in dem nicht wesentlich mehr als der Name der jeweiligen Stadt oder Gemeinde einzutragen war. Darüber hinaus sollten die CDU-Politiker ihre Verwaltungen danach befragen, ob Flüchtlinge in Turnhallen untergebracht seien und welche Beeinträchtigungen dies für den bisherigen Verwendungszweck mit sich brächte. Auch die Unterbringung von Asylbewerbern in Pensionen und Hotels sollte von den Politikern hinsichtlich des Kostenfaktors untersucht werden, sowie nach der Inanspruchnahme „staatlicher Leistungen“. Darüber hinaus sollte auf die SPD-Politiker in den Räten eingewirkt werden, um so einen Konsens für eine Grundgesetzänderung herbeizuführen (vgl. zu den obigen Ausführungen den Dokumentarfilm von Gert Monheim: Wer Gewalt sät… Von Biedermännern und Brandstiftern, WDR 1993, sowie Trittin 1993, S. 89ff.)

Die Durchsetzung dieser Strategie wurde durch eine beispielslose Kampagne in den Medien begleitet. (( Welchen Beitrag die Medien zur „Asyldiskussion“ und zur Eskalation rassistisch motivierter Gewalt geleistet haben, dazu gibt es mittlerweile eine Vielzahl von diskursanalytischen Veröffentlichungen. Ich verweise daher in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Publikationen des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), sowie auf die Arbeiten der diskurswerkstatt bochum, die im Literaturverzeichnis aufgeführt sind.))

Auch nachdem Flüchtlingsunterkünfte brannten, ließen führende CDU/CSU-Politiker nicht davon ab, die Asylbewerber als das eigentliche Problem zu thematisieren und nicht die brandstiftenden Täter, um ihr Ziel zu erreichen. Exemplarisch lässt sich dies an den Ausführungen des Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Bernd Seite, und des damaligen Innenministers Rudolf Seiters darstellen, als sie zur Pressekonferenz nach Rostock-Lichtenhagen anreisten. Nachdem tagelang ein Asylbewerberheim und eine Unterkunft für vietnamesische Arbeitsmigranten angegriffen wurde und dies breite Unterstützung in der umliegenden Bevölkerung gefunden hatte, erklärten beide Politiker die Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung des Artikel 16 Abs. II. Seiters am 24.8.1992:

„Aber wir müssen handeln gegen den Mißbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, daß wir einem unkontrollierten Zustrom in unser Land bekommen haben“ (Zit. nach der Filmdokumentation G. Monheims: Wer Gewalt sät… Von Biedermännern und Brandstifter, WDR 1993).

Die Äußerung Seiters thematisiert die insbesondere im Mediendiskurs verbreitete Zustromsymbolik. Demnach ist der „Zustrom“ der Flüchtlinge und der „Mißbrauch des Asylrechts“ verantwortlich für die Eskalation rassistisch motivierter Gewalt.

Als am nächsten Tag Bernd Seite in Rostock eintrifft, äußert er sich folgendermaßen:

„Die Vorfalle der vergangenen Tage machen deutlich, daß eine Ergänzung des Asylrechts erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch den unbegrenzten Zustrom von Asylanten überfordert wird“ (Zit. nach der Filmdokumentation G. Monheims: Wer Gewalt sät… Von Biedermännern und Brandstifter, WDR 1993).

Seite verweist zwar ebenfalls auf den „Zustrom“, seiner Äußerung ist aber auch etwas über die „Befindlichkeit“ der Bevölkerung zu entnehmen. Wie zahlreiche Politiker in diesen Tagen, steht auch Seite vor der Aufgabe, Ursachen für die Gewalttaten zu benennen, ohne „die Deutschen“ als „ausländerfeindlich“ zu brandmarken. ((Aufgrund der zahlreichen Anschläge sehen sich führende Politiker dazu veranlasst, sich insbesondere in den Medien zu diesem Thema zu äußern. Als Ursache für die zahlreichen Anschläge benennen Politiker fast aller Parteien den Zustrom von Asylbewerbern. So auch Scharping (SPD): „Wenn ich politisch Verfolgte schützen will, muß ich sie vor dem Mahlstrom der Wanderungsbewegung schützen, die auf uns zurollt.“ (Der Spiegel 43/19.10.92). In der FAZ, 21.2.92 äußert sich Schäuble folgendermaßen: „Der Kern des Problems sei, daß die Jungen und Dynamischen in der Dritten Welt durch kriminelle Schlepperbanden dazu bewegt wurden, unter Mißbrauch des Asylrechts nach Deutschland zu kommen und zu bleiben.“ Da sich diese Argumentation auch in der Rede des Abgeordneten Dr. Dregger wiederfindet (s.w.u.), wird auf diese Argumentation an dieser Stelle nicht weiter eingegangen.))

Dies erscheint jedoch nicht als vornehmstes Ziel der politischen Bestrebungen. Im Vordergrund stehen die Bemühungen der Unionspolitiker, eine Grundgesetzänderung mehrheitsfähig zu machen. Dagegen wenden sich zunächst SPD- und FDP-Politiker. Mit dem Vorschlag des damaligen Bundesinnenministers Seiters, dass die Bundesrepublik Deutschland vollkommen gleichberechtigt an der „Harmonisierung des Asylrechts in Europa“ (vgl. hierzu: BT. PlPr. 12/79) beteiligt sein sollte, rückt die FDP von ihrem Festhalten an dem Grundgesetzartikel 16 Abs. II ab.

Das Zögern der SPD, das sich noch im Frühjahr 1992 feststellen lässt, ist darauf zurückzuführen, dass man abwartete, welche Auswirkungen das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens von 1992 üben würde (( Dieses Gesetz sieht unter anderem eine Arbeitsaufnahme für Asylbewerber vor, die jedoch erst dann angetreten werden kann, wenn kein Deutscher oder EG-Ausländer diesen Arbeitsplatz ausfüllen will.)) (Gesetz vom 26.6.1992, BGB1.1 S. 1126):

„In der Spitze der SPD herrschte die Vorstellung, das Individualrecht auf Asyl könne durch verschiedene Zugeständnisse und ergänzende Regelungen vor dem eben auch populistisch motivierten Zugriff gerettet werden.“ (Münch 1993, S. 144)

Mit dem Petersberger Beschluss vom 23.8.1992 fügte sich die SPD-Spitze den Vorwürfen der Regierungsparteien, dass das Zögern der SPD, einer Grundgesetzänderung zuzustimmen, der Grund für die rassistisch motivierten Anschläge gegen Asylbewerber und ihre Unterkünfte seien.

Uneinigkeit bestand jedoch hinsichtlich der Frage, ob das Individualrecht für Asylbewerber weiterhin bestehen solle oder nicht. Ebenfalls ungeklärt waren die Abkommen mit den europäischen Nachbarstaaten, die als „sichere Drittstaaten“ angesehen werden sollten. Auch die Forderung der SPD, einem Asylkompromiss zuzustimmen, wenn gesichert sei, dass ein Einwanderungsgesetz ins Grundgesetz aufgenommen wird, verzögerte die Verhandlungen zur endgültigen Änderung des Artikels 16 Abs. II.

Neben derartigen verwaltungsjuristischen Aspekten äußern sich Politiker insbesondere in den Medien hinsichtlich der „Belastungsgrenze“, die bei weitem überschritten sei. Der ständig thematisierte „Mißbrauch des Asylrechts“ wird in einen „Notstand“ für die Bundesrepublik Deutschland verwandelt. So ist im „Spiegel“ die Rede vom „Asylnotstand“ (Der Spiegel 36/31.8.1992), und der CDU-Abgeordnete Johannes Gerster spricht in Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen von einem „soziale[n] Notstand“ (Spiegel 46/9.11.1992).

Es bleibt dem Bundeskanzler, Helmut Kohl, überlassen, den Notstand in einer quasi-Regierungserklärung auszurufen:

„Die Situation hat sich dramatisch zugespitzt, wenn jetzt nicht gehandelt wird, stehen wir vor der Gefahr einer tiefgreifenden Vertrauenskrise gegenüber unserem demokratischen Staat, ich sage mit Bedacht, ja eines Staatsnotstandes (Herv. F.W.). Die Menschen erwarten von uns schnelle Lösungen. Und zwar Lösungen, die greifen und die dem Mißbrauch des Asylrechts wirksam einen Riegel vorschieben“ (Bundeskanzler Helmut Kohl am 26.10.1992 im Deutschen Bundestag, zit. n. Monheim 1993).

Am 26. Mai 1993 wird ohne weitere Probleme der Änderung des Artikels 16 Abs. II im Deutschen Bundestag zugestimmt und damit das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft. Diese Beratungen werden von einer Welle rassistisch motivierter Gewalttaten gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte begleitet, die in dieser Form einmalig seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland sind. ((In den Jahren 1991-93 hat es in der Bundesrepublik weit über 7.000 rassistisch motivierte Gewalttaten gegen Einwanderer und Flüchtlinge gegeben. 1992 wurden beim Bundesamt für Verfassungsschutz 2.584 Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation erfasst. Dies bedeutet gegenüber den 1.483 Gewalttaten des Vorjahres eine Steigung um 74%. Im Vergleich der letzten 10 Jahre zeigt sich für Westdeutschland eine Steigung um das 22fache; 17 Personen, darunter 7 Ausländer, starben an den Folgen dieser Gewalttaten. S. hierzu: Bundesministerium des Inneren 1993, sowie Jäger 1993c.))

3.3.4.3 26. Mai 1993: Die faktische Abschaffung des Asylrechts wird beschlossen

Im Vorfeld der Beratungen am 26. Mai 1993 kam es im Bereich der Bundestags-Bannmeile zu heftigen Protesten von Demonstrierenden, die auf ihren Unmut aufmerksam machen wollten. Der Anlass hierfür war die Tatsache, dass sich bereits im Vorfeld dieser Bundestagsdebatte abzeichnete, dass die faktische Abschaffung des Asylrechts bzw. der sogenannte „Asylkompromiß“ eine Mehrheit im Bundestag finden würde. Durch den Protest kam zum Ausdruck, dass keineswegs alle Deutsche mit der sich abzeichnenden Grundgesetzänderung einverstanden waren. Die Demonstrierenden hatten eine „menschliche Mauer“ um den Bundestag errichtet, um die Abgeordneten am Betreten des Gebäudes zu hindern. Die „Mauer um den Bundestag“ sollte die Mauer um Deutschland symbolisieren, die – nach Abschaffung des Artikels 16 Abs. II – die Flüchtlinge an der Einreise nach Deutschland hindern sollte. Diese Symbolik wurde jedoch von den wenigsten Abgeordneten erkannt, die sich durch die Demonstrierenden hauptsächlich genötigt und bedrängt fühlten. Das Anliegen der Demonstrierenden bestand darin, darauf hinzuweisen, dass für die rassistisch motivierte Gewalt gegen Flüchtlinge den Politikern (neben den Medien) eine erhebliche Mitverantwortung zukommt. Die Demonstrierenden wollten die Abgeordneten an den Beratungen und dem Beschluss zur faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl hindern, da dieser Beschluss im Vorfeld der Beratungen quasi feststand.

Die Aussprache am 26.5.1993 erfolgte aufgrund zweier Anträge. Der erste, durch den Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestellt, thematisierte den Grundsatz: „Das Asylrecht ist unverzichtbar.“

Der zweite Antrag, ebenfalls durch die Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN gestellte Antrag, stand unter dem Motto: „Unantastbares Grundrecht auf Asyl und die jüngsten ausländerfeindlichen Ausschreitungen“ (s. Drs. 12/3236, 12/1216, 12/4984).

Die im folgenden aufgeführte Rede des Abgeordneten Dr. Alfred Dregger wurde am 26. Mai 1993 im Bundestag gehalten (PIPr. 12/60). Die Rede des Abgeordneten Dregger erscheint mir aus verschiedenen Gründen aufschlussreich, da Dregger als Sprecher der CDU praktisch die „Ernte in die Scheuer fahrt“, denn der Ausgang der Abstimmung stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest. Daher kann man sagen, dass Dregger darüber sicher sein kann, dass die von der CDU/CSU forcierte Grundgesetzänderung herbeigeführt wird und er diese Rede auch zu wahltaktischen Zwecken nutzen kann.

Ihm gelingt es in bemerkenswerter Weise, den rassistischen Diskursstrang mit nationalistischen Elementen zu verbinden. Ein weiteres Diskursfragment innerhalb dieser Rede bildet die Anrufung der bundesrepublikanischen Bevölkerung in völkisch-nationalistischer Weise. ((S. zur näheren Charakterisierung dieses Ideologems Kellershohn 1992 und 1994, sowie die Ausführungen in einem unteren Abschnitt dieser Arbeit.)) In der Rede finden sich darüber hinaus Erklärungsansätze, die sich auf die Übergriffe und Pogrome, sowie auf die Wahlerfolge rechtsextremistischer Parteien beziehen. In der Folge dieser ersten Einschätzung soll eine Feinanalyse dazu dienen, weitere Diskursfragmente dieser Rede genauer zu bestimmen.

4.   Die Dregger-Rede – Eine diskursanalytische Untersuchung

4.1   Dr. Alfred Dregger: „Es ist ideologisch motivierter Unsinn“ ((Der folgende Text stellt eine Abschrift der Rede dar, wie sie im Plenarprotokoll 12/160, 26.5.1993, S. 13562-13565 vorzufinden ist. Sämtliche Zwischenrufe und Bemerkungen wurden mit abgeschrieben, der Zeilenumbruch hat sich jedoch geändert. Aufgrund von Formatierungsproblemen beginnt die Rede auf der folgenden Seite.))

1          Dregger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum
2          geht es bei der Entscheidung, die wir heute Abend zu treffen haben? Nach
3          meinem Dafürhalten geht es darum, einen schweren Fehler und ein großes
4          Versagen in der Vergangenheit zu korrigieren. Voll wiedergutzumachen
5          ist es ohnehin nicht. Ich bin der Meinung, es ist ein schwerer Fehler und
6          ein schlimmes Versagen gewesen, daß es dem Deutschen Bundestag in
7          anderthalb Jahren nicht gelungen ist, ein vernünftiges Asylrecht zu
8          beschließen, das für unser Volk akzeptabel ist.
9          (Beifall bei der CDU/CSU)
10        Akzeptabel ist es wenn es die tatsächlich politisch Verfolgten schützt – bei
11        uns oder anderswo. Es ist ja nicht so – diesen Eindruck kann man
12        manchmal in den Debatten bekommen -, daß die Bundesrepublik
13        Deutschland der einzige Rechtsstaat wäre, der Asyl gewähren könnte oder
14        müßte.
15        Ferner: Das Asylrecht darf unseren Bestrebungen und Hilfsmaßnahmen
16        für Osteuropa und die Dritte Welt nicht entgegenwirken, sondern sollte sie
17        eher fördern. Ich werde zum Schluß meiner Rede noch darauf eingehen.
18        Schließlich: Das neue Asylrecht sollte den jetzigen Massenmißbrauch des
19        deutschen Asylrechts, wenn es ihn schon nicht beendet, doch wesentlich
20        eindämmen.
21        (Beifall bei der CDU/CSU)
22        Ich habe den Eindruck, daß mit dem Asylkompromiß, den die Fraktions-
23        Parteiführungen uns vorgelegt haben, diese Ziele erreichbar sind.
24        Deshalb möchte ich sie alle bitten, dem zuzustimmen. Diese Bitte richte
25        ich insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen der SPD, die ja schon
26        zu verantworten haben, daß diese Neuregelung erst heute verabschiedet
27        werden kann, weil sie sich allzu lange dieser Aufgabe entzogen haben.
28        (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
29        Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wie lange sind Sie schon an der Regierung?)
30        Meine Damen und Herren, in einem Augenblick, in dem der Konsens
31        gefragt ist, sage ich das ungern, aber ich spreche dies aus, weil unsere
32        Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande gar nicht mehr bereit sind, die
33        Unterschiede zwischen den verschiedenen Fraktionen des Deutschen
34        Bundestages wahrzunehmen.
35        (Widerspruch bei der SPD)
36        Das ist deshalb schlimm, weil dies zu Vertrauensverlust führt, zu
37        Resignation, zur Abwendung von der Politik,
38        (Freimut Duve [SPD]: Machen sie mal ihr Profil klar!)
39        womit die Radikalen eine Chance erhalten, die sie sonst nicht haben
40        würden.
41        Die Herausforderung ist also groß. Wenn die Koalition und Opposition –
42        das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit zwingt uns zusammen – nicht
43        umgehend Abhilfe schaffen, dann wird das Asylproblem zu einer tiefen
44        Entfremdung und zu einer Vertrauenskrise zwischen unserem Volk und
45        seinen demokratischen Parteien führen.
46        Meine Damen und Herren, ich habe in den letzten Wochen diese
47        Vertrauenskrise zu analysieren versucht. Ich habe in meinem Wahlkreis
48        mit vielen Bürgerinnen und Bürgern insbesondere auch mit Bürgermeistern
49        gesprochen. Was ich gehört habe, mag nicht in jedem Fall einer
50        Nachprüfung standhalten, aber – ich konnte selbst nicht alles überprüfen –
51        was unsere Bürger und Wähler denken, ist in jedem Falle wichtig und
52        wert, hier vor dem Forum der Nation erörtert zu werden.
53        Mein Eindruck ist, das sich das Versagen in der Asylpolitik auf das
54        politische Bewußtsein unserer Mitbürger verheerend ausgewirkt hat.
55        (Beifall bei der CDU/CSU)
56        Um die Dinge vor der deutschen Öffentlichkeit zurechtzurücken, will ich
57        gleich zu Beginn sagen:
58        Jeder Staat – auch ein noch so weltoffener Staat wie der unsrige – ist zuerst
59        für seine eigenen Bürger da und erst dann für den Rest der Welt.
60        (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
61        Viele unserer Bürgerinnen und Bürger zweifeln daran, daß wir in Bonn
62        diese bare Selbstverständlichkeit beherzigen und danach handeln. Das ist
63        schlimm. Unsere Mitbürger fragen – teilweise mit Anzeichen tiefer
64        Resignation und stiller Verzweiflung -, ob denn die hochmögenden
65        Politiker in Land und Bund das alles nicht wissen, was geschieht, die
66        Unglaublichkeiten und Provokationen, von denen Polizisten und
67        Mitarbeiter von Asylbehörden und Sozialämtern in ihrem Bekanntenkreis
68        erzählen.
69        Die Einzelinformationen führen zu dem weitverbreiteten Gefühl, Fremde,
70        die zu über 90% das Wort Asyl als täuschenden Vorwand nutzen, um nach
71        Deutschland zu kommen, würden hier besser behandelt als deutsche
72        Staatsbürger. Auch dieses Gefühl ist schlimm. Wir müssen dem energisch
73        entgegenwirken.
74        Hätte der Deutsche Bundestag den Massenmißbrauch des Asylrechts
75        rechtzeitig beendet, dann wäre dieses Gefühl gar nicht erst entstanden.
76        Wenn die große Mehrheit der Asylbewerber tatsächlich aus politisch
77        Verfolgten bestünde, dann würde ihre Not spürbar sein. Dann würden sich
78        einige von ihnen wahrscheinlich nicht so provozierend verhalten, wie es
79        zur Zeit der Fall ist. Dann würde so gut wie kein Mitbürger – davon bin
80        ich überzeugt – den Asylbewerbern mit Abneigung begegnen, sondern im
81        Gegenteil mit Mitgefühl und Achtung.
82        Meine Damen und Herren, ich erinnere an die Zeit – Sie werden sich auch
83        erinnern -, als die ersten Vietnamflüchtlinge von den deutschen Ländern
84        aufgenommen wurden. Ihnen ist mit tiefem Mitgefühl begegnet worden,
85        weil ihre Not offensichtlich war. Denn sie waren Not und Tod entronnen.
86        Aber heute, wenn Jahr für Jahr Hunderttausende Asylbewerber in unser
87        Land kommen, ohne politischer Gefahr ausgesetzt zu sein
88        (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]:
89        Doch in Not!)
90        und im allgemeinen in guter Verfassung, dann ist das etwas völlig anderes
91        und führt auch zu völlig anderen Reaktionen, als es damals bei den
92        Vietnamflüchtlingen der Fall war.
93        (Beifall bei der CDU/CSU)
94        Meine Damen und Herren, auch andere Völker würden nicht ertragen,
95        was zur Zeit dem deutschen Volk zugemutet wird.
96        (Zuruf von der SPD: Vor allem, was Sie uns zumuten!)
97        Die Asylbewerberzahlen bei uns steigen wie eine Rakete in den Himmel.
98        1992 waren es 438 191. Das ist die Einwohnerzahl von vier Großstädten.
99        In diesem Jahr werden es voraussichtlich 30% mehr sein. Das veranlaßt
100      mich zu der Zwischenfrage: Wo sollen sie eigentlich bleiben? Deutschland
101       kann doch nicht zum Jedermannsland werden. Während bei uns die
102       Asylbewerberzahlen permanent steigen, werden sie in den anderen
103       europäischen Ländern zurückgeführt: in Großbritannien z.B. von nur 44
104       000 in 1991 auf 21 000 in 1992. Ich frage mich, was sich die Blockierer
105       einer Neuregelung eigentlich denken, um ihr Verhalten rechtfertigen zu
106       können.
107       (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)
108       Was wir Abgeordneten nur in abstrakten Zahlen zur Kenntnis nehmen,
109       erleben viele unsere Mitbürger hautnah. Dabei mag hin und wieder der
110       Neid eine Rolle spielen. Das beginnt bei der Krankenfürsorge:
111       Für Asylbewerber ist sie nach den Regeln des Sozialhilferechts absolut
112       kostenlos. Es geht weiter über die Wohnungsunterbringung, an der
113       manche deutschen Vermieter auf Kosten der Gemeinden – mit Verlaub
114       ein Schweinegeld verdienen.
115       (Zuruf von der SPD: Deutsche Vermieter!
116       Keine Ausländer!)
117       Das setzt sich in der Kindergartenbelegung fort:
118       Asylsuchende Frauen mit viel Zeit bringen ihre Kinder zu Lasten von
119       berufstätigen deutschen Müttern unter. Es endet bei der Kriminalität.
120       Gerade letzteres zeitigt Reaktionen.
121       Daß sich manche Asylbewerber bei uns unangepaßt, anmaßend, in
122       Einzelfällen auch kriminell verhalten, steht im Gegensatz zu allem, was
123       der Durchschnittsdeutsche über das Verhalten in einem Gastland gelernt
124       hat und daher glaubt, erwarten zu können. Daß auch mehrfache Straftaten und damit
125       ein eklatanter Verstoß gegen das von einem Gast zu erwartende
126       Verhalten häufig nicht zu sofortiger Ausweisung führen, ist für viele
127       Mitbürger unbegreiflich.
128       Ein Zweites kommt hinzu. Unsere Mitbürger sind empört, wenn sie von
129       manchen Politikern und Medien der Ausländerfeindlichkeit verdächtigt
130       werden, während sich doch lediglich versuchen, sich aus ihren
131       handgreiflichen Erfahrungen ein Urteil zu bilden. Das verstört und verletzt
132       die Menschen. Manchmal entsteht sogar bei ihnen der Verdacht, daß das
133       undifferenziert ausgesprochene Wort „Ausländerfeindlichkeit“ von der
134       Politik als ein Kampfbegriff zur Ruhigstellung des eigenen Volkes
135       verwendet wird. Ich kann nur warnen, meine Damen und Herren. Es wäre
136       besser, wenn wir zugeben würden: Nicht das deutsche Volk hat in der
137       Asylfrage versagt, sondern die deutsche Politik hat in der Asylfrage
138       versagt,
139       (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)
140       weil sich nicht in der Lage war, mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit
141       ein vernünftiges Asylrecht zu beschließen. Ich nehme an, daß sie mir nicht
142       widersprechen werden, wenn ich sage:
143       (Rudolf Bindig [SPD]: Gucken Sie mal den Innenminister an!)
144       Das deutsche Volk ist nicht ausländerfeindlich. Das Gegenteil ist richtig.
145       Wer als Ausländer hier lebt und arbeitet, wird von der ganz großen
146       Mehrheit der Deutschen akzeptiert. Das gilt selbstverständlich auch für
147       solche Ausländer, die tatsächlich politisch verfolgt wurden, und es gilt
148       ebenso für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Jugoslawien, von denen wir
149       mehr aufgenommen haben als alle anderen zusammengenommen.
150       Für viele Mitbürger wird unter diesen Umständen der Slogan der SPD,
151       sie sei die Schutzmacht der kleinen Leute, unglaubwürdig, ja absurd.
152       (Beifall bei der CDU/CSU)
153       Diese Mitbürger wären schon zufrieden – das gilt insbesondere für solche
154       mit geringem Einkommen, die die Asylbewerber natürlich auch als
155       Konkurrenten um eine Wohnung und später um einen Arbeitsplatz
156       empfinden -, wenn sie von der SPD wenigstens eine ähnliche
157       Aufgeschlossenheit erwarten können, wie diese sie allen anderen Gruppen
158       entgegenbringt.
159       Meine Damen und Herren, auch der hohe Finanzaufwand für ständig
160       steigende Asylbewerberzahlen erweckt Anstoß. In einer Zeit großer
161       Staatsverschuldung erscheint es vielen unserer Mitbürger als nicht
162       vertretbar, die Staatsausgaben zu erhöhen, nur um eine in der Welt
163       einmalige, inzwischen von den meisten als verfehlt erkannte
164       Rechtskonstruktion wie das deutsche Asylrecht aufrechtzuerhalten. Man
165       mag das unterschiedlich bewerten. Unbestreitbar ist jedoch, daß wir für
166       die Finanzierung des Massenmißbrauchs unseres Asylrechts mehr Geld
167       ausgeben als für die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe. Meine Damen
168       und Herren, das ist das Gegenteil von Vernunft und Humanität.
169      (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)
170       Wir helfen damit weder den Armen in der Dritten Welt noch ihren
171       Ländern. Im Gegenteil, wir schaden ihnen massiv, indem wir ihnen die
172       aktivsten Kräfte entziehen. Die Asylbewerber, die zu uns kommen,
173       könnten viel für den Aufbau ihrer Länder tun. Sie sind im besten Alter.
174       Sie gehören bestimmt nicht zu den Ärmsten, sonst hätten sie die Reise und
175       irgendwelche Gebühren von Schlepperbanden nicht bezahlen können. Sie
176       sind nach allem, was wir wissen, eher besser ausgebildet als der
177       Durchschnitt der Bevölkerung ihrer Heimat.
178       (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Das gilt auch für Aussiedler!)
179       Diese Leute locken wir nun, wenngleich nicht vorsätzlich, durch unser
180       Asylrecht zu uns, wo sie hohe Kosten verursachen und ihre Zeit völlig
181       unproduktiv verschwenden. Ich wiederhole: Das ist das Gegenteil von
182       Humanität und Vernunft. Es ist ideologisch motivierter Unsinn.
183      (Beifall bei der CDU/CSU)
184       Unsinn, der jeden ärgert, dem unsere Zusammenarbeit mit der Dritten
185       Welt wirklich am Herzen liegt. Und nicht nur das. Der jetzige staatlich
186       geduldete Massenmißbrauch des Asylrechts führt dazu, daß Achtung und
187       Loyalität gegenüber unserem Staat immer mehr beschädigt werden. Seien
188       wir uns klar darüber: Man kann Politiker nicht mögen, die die Angst und
189       Sorge der eigenen Menschen vor dieser Entwicklung ignorieren und
190       mißachten.
191       Dieses ärgerliche Verdrängen eines realen Problems in Kombination mit
192       der unablässigen Selbstherabsetzung und Selbstbeschuldigung des
193       deutschen Volkes durch einige Publizisten und Politiker hat – davon bin
194       ich überzeugt – den Republikanern genutzt. Es mag ja den einen oder
195       anderen mit Schadenfreude erfüllen, wenn das Versagen in der Asylpolitik
196       zu Stimmeneinbrüchen bei den großen Parteien führt. Aber nicht nur
197       diese, sondern auch unsere stabile Demokratie sind dann gefährdet. Eines
198       steht jedoch außer Frage: Die großen Parteien, die in unserer jungen
199       Demokratie die bisherigen Kanzler gestellt haben, tragen doch nicht nur
200       für sich selbst Verantwortung, sondern für das Ganze, für unseren Staat.
201       Vizepräsident Hans Klein: Herr Dr. Dregger, gestatten Sie eine
202       Zwischenfrage der Kollegin Blunck?
203       Dr. Alfred Dregger (CDU/CSU): Bitte.
204       Lieselotte Blunck (Uetersen) (SPD): Aus tiefer Betroffenheit heraus,
205       Herr Dregger, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung
206       sind, daß auch eine solche Rede mit den Inhalten, wie Sie sie halten, den
207       rechtsextremistischen Parteien nutzt.
208       (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der
209       Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste] – Widerspruch bei der
210       CDU/CSU
211       Dr. Alfred Dregger: (CDU/CSU): Meine Dame, die Wahrheit zu sagen
212       und für seine Mitbürger und die eigenen Wähler einzutreten, ist unsere
213       vornehmste Pflicht. Wenn wir das tun, haben die Republikaner keine
214       Chance.
215       (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU sowie Beifall bei Abgeordneten der
216       F.D.P.)
217       Wegen der besonderen Verantwortung der großen Parteien für unseren
218       Staat und die Stabilität unserer Demokratie möchte ich die Kolleginnen
219       und Kollegen der SPD bitten:
220       (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: erst beschimpfen Sie uns, jetzt bitten
221       Sie!)
222       Betrachten Sie sich in dieser Frage, doch nicht als Schulmeister des
223       deutschen Volkes, sondern als seine Vertreter. Ignorieren Sie nicht seinen
224       Mehrheitswillen in dieser wichtigen Frage, der doch durchaus vernünftig
225       ist und nichts Unangemessenes verlangt.
226       Meine Damen und Herren, diesmal ist nicht Mut zu unpopulären
227       Maßnahmen, sondern Mut zu populären Maßnahmen gefordert. Es gibt
228       Leute, die bei so etwas mißtrauisch werden – ich nicht. Denn unser Volk
229       ist weder dumm noch in unangemessener Weise egoistisch, in diesen
230       Fragen schon gar nicht. Es ist daher gewiß nicht unsere Aufgabe, seinen
231       Willen zu mißachten.
232       (Zuruf von der SPD: Sie spalten!)
233       Die Verantwortung tragen jedenfalls wir, niemand sonst. Wir, die
234       gewählten Vertreter des deutschen Volkes, dürfen unsere Mitbürgerinnen
235       und Mitbürger in dieser wichtigen Frage nicht enttäuschen.
236       (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der
237       F.D.P.)

4.2   Feinanalyse der Dregger-Rede vom 26.5.1993

Die folgende Feinanalyse bezieht sich auf ein Verfahren, welches von Siegfried Jäger entwickelt wurde (vgl. Jäger 1993a/1993b/1994c). (( Das von S. Jäger entwickelte Instrumentarium zur Feinanalyse eines Textes beinhaltet neben den von mir ausgewählten weitere Analysekriterien, wie z.B. die Argumentationsanalyse. Diese Analyseparameter stellen jedoch eine Art „Werkzeugkiste“ dar, deren Instrumentarien je nach Textsorte ausgewählt werden können. Für die hier dargestellte Feinanalyse habe ich mich auf die für die Untersuchung einer Rede relevanten Kriterien beschränkt.)) Anhand der Analyse dieses Diskursfragments, sprich: der Dregger-Rede, soll gezeigt werden, welche Aussagen zum gegenwärtigen Zeitpunkt (hier: 1993) artikulierbar sind und welchen gesellschaftspolitischen Konzeptionen in dieser Rede gefolgt wird. Vergleicht man die Rede Alfred Dreggers aus dem Jahre 1982 mit der des 25.6.93, so sieht man, dass er 1993 deutlich „entschärft“ argumentiert. So wird in der 93er Rede z.B. nicht mehr so offener Ethnopluralismus vertreten, wie noch 11 Jahre zuvor. Dies hat einerseits den Grund, dass Dregger keine Überzeugungsarbeit mehr leisten muss, da die Positionen hinsichtlich des Themas „Asyl“ von SPD und CDU/ CSU nicht allzusehr divergieren. (An dieser Stelle sei noch einmal auf die Ereignisse im Sommer 1986 hingewiesen, als man das „Loch in der Mauer“ entdeckte, wodurch „Asylantenströme“ in die Bundesrepublik gelangen konnten und die SPD sich schließlich damit brüstete, es „gestopft“ zu haben.) Auch ist der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Änderung des Artikels 16 Abs. II GG auf ein Minimales zusammengeschrumpft, so dass Dregger auch dagegen nicht mehr ankämpfen muss. Es kommt Dregger zu diesem Zeitpunkt nicht darauf an, mit Hilfe einer rhetorisch „scharfen“ Rede seinen Ethnopluralismus zu rechtfertigen, sondern vielmehr, die SPD vor den Augen der Öffentlichkeit herabzuwürdigen, da sie durch ihre verzögerte Zustimmung zum Asylkompromiss den „Volkswillen“ missachtet hätten. Die „Einschüchterung“ der SPD, die ihm an dieser Stelle gelingt, zeigt sich vor allem an den Zwischenrufen der SPD-Abgeordneten. (Die Rede wird von 23 Zwischenrufen bzw. Beifallsbekundungen und einer Zwischenfrage unterbrochen.) An keiner Stelle der Dregger-Rede erhebt sich großer Widerspruch; die SPD kommentiert zwar gelegentlich Dreggers Ausführungen, doch dies in einer ziemlich gemäßigten und harmlosen Form, die Dregger nicht einmal zu Unterbrechungen seiner Rede zwingt. Selbst die Zwischenfrage der SPD-Abgeordneten Lieselotte Blunck ist fast demütig gestellt, so dass Dregger sie mit einem Satz souverän abhandeln kann.

4.2.1   Gliederung der Rede

Die folgende Grobgliederung unterteilt die Rede des Abgeordneten Dr. Dregger in acht inhaltliche Abschnitte. Dabei konnte nicht immer der graphischen Abschnittseinteilung gefolgt werden.

1. Abschnitt: „Es ist ein schwerer Fehler“ (Z. 1-29)

Der erste Abschnitt stellt die Einleitung und eine thematische Einführung dar. Dregger stellt es als einen „großen Fehler“ (Z. 3) und ein „großes Versagen“ (Z. 3f.) dar, dass es dem Bundestag nicht gelungen sei, bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Artikel 16 GG in vernünftiger Weise zu ändern. Dabei entbindet er die Bundesrepublik der alleinigen Verantwortung für die Aufnahme von politisch Verfolgten. Durch die Verwendung der Floskel „tatsächlich politisch Verfolgte“ hebt er hervor, dass es auch andere – nicht tatsächlich Verfolgte – gibt. Doch selbst für jene tatsächlich Verfolgten sieht er nicht unbedingt einen Schutz vor Verfolgung in der Bundesrepublik vor, sondern verweist darauf, dass sie „auch anderswo“ unterkommen könnten. Das bestehende Asylrecht steht nach Ansicht Dreggers den Bemühungen für Osteuropa und der Dritten Welt entgegen. Seine Forderungen richten sich darauf, dass ein neues Asylrecht sowohl diesen „Bestrebungen“ gerecht wird, als auch den derzeitigen „Massenmißbrauch“ „eindämmt“. Dregger sieht durch den „Asylkompromiß“ seine Hoffnungen erfüllt und richtet sich in appellativer Weise an die SPD, dem „Kompromiß“ zuzustimmen.

2. Abschnitt: Das Volk und seine demokratischen Parteien (Z. 30-55)

Dregger befürchtet, dass durch die zögernde Haltung der SPD hinsichtlich der Grundgesetzänderung ein Vertrauensbruch zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Politik heraufziehen könnte, der „zur Abwendung von der Politik“ führt. Erneut spricht er von einem Versagen in der Asylpolitik, dass sich „verheerend“ auf das „politische Bewußtsein unserer Mitbürger“ ausgewirkt hat.

3. Abschnitt: „Auch dieses Gefühl ist schlimm“ (Z. 56-107)

Hier geht es darum, dass Dregger die Bevorzugung der Deutschen einfordert. Denn: „Jeder Staat […] ist zuerst für seine Bürger da und erst dann für den Rest der Welt“.
Dass der deutsche Staat in der Vergangenheit zuerst für seine Bürger da war, daran hegt Dregger ernsthafte Zweifel. Dies lag insbesondere an der Anwesenheit von Asylbewerbern in der Bundesrepublik, da hierdurch die Mitbürger erheblichen „Unglaublichkeiten11 und Provokationen“ ausgesetzt wurden. Dregger sieht die Deutschen gegenüber den Asylbewerbern benachteiligt.
Ferner zieht er als Indiz für die Nicht-Berechtigung der Asylbewerber ihr Verhalten heran, welches er als provozierend darstellt, wodurch er ihnen ihre Rechte als politisch Verfolgte abspricht.

4. Abschnitt: „Über den Durchschnittsdeutschen und das Verhalten im
Gastland“ (Z. 108-127)

Dieser Abschnitt wird von Dregger dazu genutzt, um die im vorgehenden Abschnitt behauptete Unrechtmäßigkeit der Asylbewerber anhand von Beispielen argumentativ zu untermauern. So nutzen sie die Krankenfürsorge aus und nehmen Wohnungen in Anspruch. Die Frauen sind obendrein faul, da sie ihre Kinder in Kindergärten unterbringen und sich nicht selbst um sie kümmern. Was hinzu kommt ist, dass Asylbewerber auch noch kriminell werden. Beklagenswert für Dregger ist der Umstand, dass die kriminellen Asylbewerber nicht sofort abgeschoben werden, dies formuliert er jedoch aus der Sicht der Bürger.

5. Abschnitt: „Das deutsche Volk ist nicht ausländerfeindlich“ (Z. 128-158)

In diesem Abschnitt wendet sich Dregger gegen den Vorwurf, dass das „deutsche Volk“ „ausländerfeindlich“ sei. Um diesen Vorwurf zu entkräften, verweist Dregger darauf, dass die Bundesrepublik einen Großteil der jugoslawischen Flüchtlinge aufgenommen habe. Für den Unmut, der sich in der Bevölkerung feststellen lässt, erklärt er vielmehr die SPD verantwortlich, da sie offensichtlich Minderheiten unterstützt, nicht jedoch den kleinen deutschen Mann. Denn dieser fürchtet um seine Wohnung und um seinen Arbeitsplatz, den er durch zu viele Asylbewerber bedroht sieht.

6. Abschnitt: „Das Gegenteil von Vernunft und Humanität“ (Z. 159-185)

Im sechsten Abschnitt thematisiert Dregger die Kosten, die durch die Gewährung politischen Asyls entstehen. Hierzu führt er aus, dass es besser sei, sie den Ländern zukommen zu lassen, aus denen die Asylbewerber kommen. Gleiches gilt auch für die Asylbewerber selbst. Denn Dregger sieht sie als junge tatkräftige Männer, die dem „Aufbau ihrer Länder“ (Z. 173) dienlich sein könnten.

7. Abschnitt: „Das ärgerliche Verdrängen eines realen Problems“ (Z. 185-216)

Im siebten Abschnitt sieht sich Dregger noch einmal dazu genötigt, auf den Vorwurf einzugehen, dass das „deutsche Volk“ ausländerfeindlich sei. Dieser Vorwurf würde insbesondere von „Publizisten“ und „Politikern“ erhoben, denen etwas daran gelegen sei, zur „Selbstherabsetzung und Selbstbeschuldigung des deutschen Volkes“ beizutragen. Vielmehr sollten sich die Politiker auf ihre Verantwortung für „das Ganze“, „für unseren Staat“ konzentrieren. Wenn sie dies täten, dann hätten auch die „Republikaner keine Chance“.

8. Abschnitt: „Mut zu populären Maßnahmen“ (Z. 217-237)

Der letzte Abschnitt der Dregger-Rede richtet sich erneut appellativ an die Abgeordneten der SPD, einer Grundgesetzänderung zuzustimmen. Nach Ansicht Dreggers würde es ihnen dadurch leicht gemacht, da sie einer „populären Maßnahme“ zustimmen würden.

4.2.2   Komposition und Argumentationsweise

I. Einleitung / 1. Abschnitt:
(Analyse der Situation aus der Sicht Dreggers)

Ende der Einleitung: Appell an die SPD: Asylkompromiss dringend erforderlich

II. 1. Hauptteil: 2.-7. Abschnitt

III. Schluss / 8. Abschnitt

Komposition:

1. Appell an die SPD
Begründung durch „Information“
2. Appell an die SPD

Dregger spricht in seiner Rede drei Bereiche an, die fortwährend miteinander verknüpft werden. Zum ersten geht es ihm darum, zu einer Änderung des bestehenden Grundgesetzartikels 16 zu kommen und hierfür eine Bundestagsmehrheit zu gewinnen. Um dies zu erreichen, wendet sich Dregger an seine Bundestagskolleginnen und -kollegen und ermahnt sie beständig, an ihre Verantwortung als Politiker zu denken (Appellfunktion). In diesem Zusammenhang versucht er, die SPD zu verunglimpfen, indem er ihr „Volksferne“ vorwirft, dies sicherlich im Hinblick auf das „Superwahljahr“ 1994. Die zweite Textfunktion besteht darin, auf die Gefahren der bestehenden Asylgesetzgebung zu verweisen; dies erreicht er dadurch, dass er Asylbewerber als Massen Nicht-Berechtigter verunglimpft, die sich auf Kosten des deutschen Steuerzahlers in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten (Informationsfunktion). Die dritte Argumentationsfunktion besteht darin, die bundesrepublikanische Bevölkerung vom Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit freizusprechen (Informationsfunktion). Diese drei Argumentationsinhalte werden nicht nacheinander behandelt, sondern ständig miteinander verknüpft. Diese Argumentationsweise lässt sich als spiralförmig beschreiben, da die einzelnen Argumentationslinien ständig miteinander verwoben werden. Dadurch erzeugt Dregger ein scheinbar in sich geschlossenes Denkmodell: Der erste Appell an die SPD wird dadurch begründet, dass zum Wohle des Volkes eine Alternative zur Grundgesetzänderung undenkbar ist. Diese Grundgesetzänderung ist deswegen von jedem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit freizusprechen, weil das „deutsche Volk“ in keiner Weise ausländerfeindlich ist. Dem Willen dieses „ausländerfreundlichen Volkes“ nicht nachzukommen, sprich, sich dem Entschluss zur Änderung des Grundgesetzes zu entziehen (oder ihn schon früher nicht forciert zu haben), bedeutet ein Versagen als „Volksvertreter“. So kann er der SPD die Alleinschuld für die von ihm konstatierte Misere in Deutschland geben, da sie an der alten Gesetzgebung so lange festgehalten hat, die für ihn dysfunktional war. Die SPD kann durch diese Denkfigur zum Gegner des „ausländerfreundlichen Volkes“ stilisiert werden, die sich durch ihr Zögern schützend vor den für dieses Volk bedrohlichen Missbrauch des Asylgesetzes gestellt hat.

4.2.3   Bedeutungsfelder

Betrachtet man die Bedeutungsfelder, denen die Hauptwörter zuzuordnen sind, so zeigt sich, dass sich ein Großteil der 383 Substantive auf die genannten drei Bereiche Politik, Asyl und Deutschland bezieht.

Auf den Bereich Politik entfallen insgesamt 131 Begriffe und Begriffskombinationen („Deutscher Bundestag“, „Kolleginnen und Kollegen der SPD“, etc.).
Die Anzahl der Fachtermini aus dem politischen Diskurs weist dieser Rede die Adressaten Politiker und politisch interessierte Öffentlichkeit zu.

Den zweiten Bereich bilden die Termini, die sich auf den thematisch vorgegebenen Diskussionsgegenstand beziehen. Hierbei ist insbesondere die unterschiedliche Verwendung des Begriffes „Asyl“ (insgesamt 30x) interessant.

Betrachtet man das Wort „Asyl“ in seinem unmittelbaren Zusammenhang, so lässt sich eine signifikante Aufteilung in zwei Bedeutungsbereiche vornehmen. Der erste Bereich, in dem es genannt wird, lässt sich als politisch/juristischer Bereich bezeichnen:
Exemplarisch:

Durch die enge Kopplung des Begriffs „Asyl“ an Pronomen wie „unser“ (vgl. „unser Asylrecht“ Z. 179f.), bzw. Adjektive (vgl. „das deutsche Asylrecht“ Z. 19) findet zunächst eine rein sprachliche Identifikation mit den bestehenden rechtlichen Grundlagen statt. Auf inhaltlicher Ebene wird die bisherige Asylpolitik jedoch als Versagen begriffen, so dass die bestehende „Rechtskonstruktion“ (vgl. Z. 164) geändert werden muss. Das „Versagen“, welches in der Vergangenheit zu beobachten war, kann nur durch ein „vernünftiges Asylrecht“ (vgl. Z. 7) korrigiert werden.

Der zweite Bereich, in dem das Wort „Asyl“ genannt wird, ist der im Zusammenhang mit Flüchtlingen. Hier zeigt sich, dass die Asylbewerber zum einen mit indifferenten, symbolischen Zahlen genannt werden (Hunderttausende von Asylbewerbern, ständig steigende Asylbewerberzahlen), zum anderen in Verbindung gebracht werden mit dem Missbrauch des Asylrechts und mit ihrer Unintegrierbarkeit in die bundesrepublikanische Öffentlichkeit. Zu diesem Punkt werden verschiedenste Beispiele angeführt. So wird behauptet, dass sich „manche Asylbewerber unangepaßt“ verhalten (vgl. Z. 121f.); asylsuchenden Frauen wird der Vorwurf gemacht, dass sie bequem seien, da sie ihre Kinder in Kindergärten unterbringen (vgl. Z. 117ff.).
Die Unintegrierbarkeit von Asylbewerbern wird jedoch nicht allein durch die Charakterisierung ihres Verhaltens gezeigt, sondern erfolgt über direkte Vergleiche mit dem, was als angemessenes deutsches Verhalten angesehen wird: „Daß sich manche Asylbewerber bei uns unangepasst, anmaßend, in Einzelfällen auch kriminell verhalten, steht im Gegensatz zu allem, was der Durchschnittsdeutsche über das Verhalten in einem Gastland gelernt hat und daher glaubt, erwarten zu können.“ (Z. 124)
Hier zeigt sich eine für die Rede Dreggers grundlegende Oppositionskonstruktion. Auf der einen Seite sind es die Asylbewerber, die durch ihr Verhalten als „störend“ empfunden werden, dem gegenüber steht der von Dregger ermittelte deutsche Durchschnitt. Dieser deutsche Durchschnitt wird von Dregger nicht explizit dargestellt; er begnügt sich damit, das typisch deutsche Verhalten als gegenteilig zu dem aufgeführten Verhalten der Asylbewerber zu behaupten. Dadurch jedoch, dass das deutsche Verhalten absolut gesetzt wird, wird hierdurch ein Maßstab ermittelt, an dem das abweichende Verhalten der Asylbewerber gemessen wird.

Das dritte Bedeutungsfeld stellt jenen Kontext dar, in dem die Termini „deutsch“ und „Volk“ genannt werden. Neben der Institutionsbezeichnung „Deutscher Bundestag“ erscheint das Lexem „deutsch“ insgesamt 19x im Text, der Begriff „Volk“ 10x. Der Begriff „deutsch“ wird einmal für die „Bundesrepublik Deutschland“ verwendet und einmal wird Deutschland genannt. Daneben dient er dazu, in Funktion als Adjektiv, verschiedene Substantive genauer zu bestimmen:

Daneben wird es dazu verwendet, die bundesrepublikanische Bevölkerung als Gesamtheit darzustellen. Dies wird dadurch erreicht, dass „deutsch“ in Verbindung mit „Volk“ genannt wird. Diese Kopplung wird insgesamt 6x im Text realisiert:

Die Heterogenität einer Bevölkerung und die unterschiedlichen Einstellungen und (politischen) Willensbildungen, die sich in einer derartigen Gemeinschaft vorfinden lassen, werden hier zu einer einzigen Stimme formiert. Da es Dregger gelingt, die Heterogenität zugunsten eines Monosubjektes (deutsches Volk) aufzulösen, bezieht er die Position eines Sprechers, der den Willen eben dieses Volkes vor dem „Forum der Nation“ artikuliert.

Die völkisch-nationalistische Ansprache geht jedoch nicht soweit, das „deutsche Volk“ als allein verantwortlich zu begreifen; zumindest nicht, was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht. Hier sieht Dregger die Bundesrepublik in einem Verbund mit anderen (Rechts-)Staaten, die ebenfalls in der Lage sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Eine besondere Verantwortung der Bundesrepublik lehnt Dregger jedoch explizit ab (vgl. Z. 13f.).

Eine Gegenüberstellung der Bedeutungsfelder, die Aussagen über Asylbewerber und Deutschen zulässt, ergibt:

Asylbewerber                                                  Deutsche

benutzen das Wort                                           dem deutschen Volk
Asyl als täuschenden                                       wird dies zugemutet
Vorwand

ahr für Jahr                                                    „Volk“ erscheint im
Hunderttausende                                              Singular, daher
Gesamtheit

nutzen                                                             haben dieses System
Sozialsysteme                                                 aufgebaut

verhalten sich                                                  wissen, wie man sich
unangepasst,                                                   zu benehmen hat
provozierend

leben in einem                                                 sind Eingeborene und
Gastland, daher                                                Gastgeber
Gäste

sind kriminell                                                   sind nicht kriminell

(Frauen) bringen                                            (Frauen) Arbeiten
ihre Kinder in                                                   und finden keinen
Kindergärten unter                                         Arbeitsplatz
und verdrängen
damit deutsche
Kinder

Asylbewerber-                                                 sind nicht
zahlen steigen wie                                            ausländerfeindlich
eine Rakete

Die Aufgabe der Politik besteht nun darin, diesem Gegensatz entgegenzuwirken. Da sie jedoch als gewählte Volksvertreter fungieren, besteht ihre Aufgabe darin, die Deutschen vor den Asylbewerbern zu schützen.

4.2.4   Kollektivsymbolik

Dregger gelingt es, die bundesrepublikanische Bevölkerung als ein Subjekt zu formieren, das über einen einheitlichen Willen verfügt und dem bestimmte Charaktereigenschaften zuzuordnen sind. Es wäre zu erwarten, dass sich diese Formierung auch in einer ausgedehnten Kollektivsymbolik artikuliert. Doch dem ist nicht so. Im gesamten Text finden sich, neben einer reichhaltigen quantitativen Kollektivsymbolik, nur zwei qualitative Kollektivsymbole, welche das Steigen der Asylbewerberzahlen codieren: „Das neue Asylrecht […] sollte eindämmen (Z. 24ff.) / „steigen wie eine Rakete zum Himmel“ (Z. 132f.).

Dem von Dregger wie auch von zahlreichen anderen Politikern wahrgenommenen „Massenmißbrauch des Asylrechts“ soll dadurch entgegengewirkt werden, dass dieser eingedämmt (Z. 26: eindämmen) wird. Hier spielt Dregger auf die hinlänglich bekannte Flutsymbolik an. Die Zahl der Asylbewerber wird zum Anlass genommen, von einer „Flut“ bzw. von einem „Zustrom“ zu sprechen, gegen die/den es dringend geboten sei, einen „Damm“ zu errichten. Der Einsatz eines derartigen Kollektivsymbols ist jedoch nicht verwunderlich, da sich feststellen ließ, dass die „Flutsymbolik“ ein konstitutives Merkmal der „Asyldiskussion“ darstellt. ((Daneben macht Dregger eine Reihe von Zahlenangaben, die als symbolische Zahlenwerte fungieren. Darunter fallen folgende Angaben: undifferenziert: Massenmissbrauch Z. 25, 100, 226, 255/ „statistische“ Angaben: „Hunderttausende“ Z. 117/ „Steigerungsrate von 30%“ Z. 134f.)) Dies gilt insbesondere in Ankopplung an den Missbrauch, der den Asylbewerbern vorgeworfen wird. Dregger benutzt an dieser Stelle die Formulierung, dass „über 90% das Wort Asyl als täuschenden Vorwand nutzen“. ((Die Darstellung dieses Zahlenverhältnisses ergibt sich aus der Anerkennungsquote derjenigen, denen es gelingt, als politische Flüchtlinge anerkannt zu werden. Einem Großteil der Flüchtlinge wird jedoch eine de facto-Anerkennung zugesprochen, da sie aus anderweitigen Gründen nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können. Laut Statistik fallen sie jedoch in die Gruppe der Nicht-Anerkannten. Dies veranlasste Ministerpräsident Späth bereits 1979 von 90% „Asylschnorrern“ zu sprechen (Frankfurter Rundschau, 2.8.1979).)) (Sonst ist häufig vom „Zauberwort Asyl“ die Rede. Hier zeigt sich erneut, dass Dregger sich rhetorisch mäßigt. Angesichts des sicheren Sieges kann er so verfahren, während er 1982 eine „flammende“ Rede hielt, die ausgesprochen agitatorisch war.)

Mit dem Kollektivsymbol Rakete, die zum Himmel steigt (vgl. Z. 132), spielt Dregger auf den technisch-industrialistischen Bereich an, der hier jedoch aufgrund der eher militärischen Bedeutung der Rakete negativ konnotiert ist. Die Rakete steht hier für einen mit Sprengstoff beladenen Flugkörper, der, wenn einmal gestartet, nicht mehr zu kontrollieren ist. Dieses „Steigen“ der Rakete wird von Dregger auf Asylbewerberzahlen appliziert, die er als exponentiell steigend sieht. Dregger hofft jedoch, dass der Flug dieser Rakete verlangsamt und schließlich unterbrochen werden kann, bzw. dass nicht noch eine weitere Rakete dieser Art von Deutschland aus in den Himmel steigt.

Ein weiteres Kollektivsymbol liegt an der Stelle vor, an der Dregger der oppositionellen SPD vorwirft, dass sie nicht mehr die „Schutzmacht der kleinen Leute“ (Z. 151) sei. Dieses Kollektivsymbol ist dem Komplex „Militarismus“ entnommen. Die Bezeichnung „Schutzmacht“ verweist auf einen zumeist militärisch überlegenen Staat hin, der einem in einem Konflikt unterlegenen Staat hilfreich zur Seite steht.

In diesem Fall bezieht sich Dregger auf das selbstgewählte Image der SPD, eine „Arbeiterpartei“ zu sein und sich für die Belange der sozial Benachteiligten einzusetzen. Dies würde, so Dregger, „unglaubwürdig, ja absurd klingen“ (Z. 151), da sich die SPD angeblich nur den Belangen von ausländischen Benachteiligten zuwende und nicht den Interessen der deutschen „kleinen Leute“. Die Verwendung dieses Kollektivsymbols lässt auf das Verständnis Dreggers hinsichtlich der Aufgaben einer Partei schließen, nämlich – gleich einer Kolonialmacht -die Interessen von „Untergebenen“ zu vertreten. Da sich Dregger als Sprecher des deutschen Volkes sieht, kann er sich nun auch zum Fürsprecher jener „kleinen Leute“, die bislang nicht zum Kreis der potentiellen CDU-Wähler gehörten, aufschwingen. Angesichts der bevorstehenden Wahlen (1994) versucht er, eben dieses Wählerpotential auf seine Seite zu ziehen.

Daneben findet sich im Text eine quantitative Kollektivsymbolik, die insbesondere räumliche Abgrenzungen vornimmt (( draußen im Lande Z. 43/ wir in Bonn Z. 61/ „von den deutschen Ländern aufgenommen“ Z. 83, / Bekanntenkreis Z. 92/ um nach Deutschland Z. 95f./ Jedermannsland Z. 138/ ihrer Länder Z. 236/ ihrer Heimat Z. 242/ der dritten Welt Z. 253/ unserem/n Staat Z. 256 & 275/ unsere (stabile) Demokratie Z. 270 & 297 sowie der räumliche Verweis Osteuropa Z. 20.)). Die Verwendung dieser quantitativen Kollektivsymbolik dient in Verbindung mit einer Semantik, die dem Bereich Gefühlsleben zuzuordnen ist, dazu, die bundesrepublikanische Bevölkerung als Einheit zu betrachten und dieses imaginierte Monosubjekt als intelligibles und gefühlsbetontes Wesen darzustellen. ((Vgl. hierzu: „schwerer Fehler Z. 5, schlimmes Versagen Z. 6, „vernünftiges Asylrecht“ Z. 7, „für unser Volk akzeptabel“ Z. 8, „beherzigen“ Z. 62, „Gefühl“ Z. 69, 72, 75, „ihre Not spürbar Z. 77, „Mitgefühl und Achtung“ Z. 81, aus tiefem Mitgefühl Z. 84, unsere Mitbürger hautnah, Mitbürger sind empört Z. 128, „der Ausländerfeindlichkeit verdächtigt“ Z. 129, „handgreifliche Erfahrungen“ Z. 131, „diese Leute locken wir“ Z. 179, „ärgerlich Verdrängen“ Z. 191, unser Volk ist weder dumm noch egoistisch“ Z. 229, „nicht enttäuschen“ Z. 235.)) Nimmt man diese Zuschreibungen zusammen, so entsteht ein Bild der Bundesrepublik Deutschland, mit dem man sich identifizieren kann, wenn man die Einschätzungen über die charakterlichen Eigenschaften und die geäußerten Willensbekundigungen des „deutschen Volkes“ auch mitträgt. Um diese Eigenschaften und Verhaltensmuster zu erstellen , dient als zentraler Orientierungspunkt der „Durchschnitt“ ((Vgl. hierzu ausführlicher das „Normalismus-Konzept“, wie es von
Jürgen Link entwickelt wurde (s. Link 1992).))(vgl. Z. 123 „Durchschnittsdeutsche“). Ohne nähere Angaben darüber machen zu müssen, was konkret den „Durchschnittsdeutschen“ auszeichnet, wird das Verhalten der Asylbewerber als unnormal, sprich: nicht-dem-Durchschnitt-entsprechend dargestellt. Da keine Aussagen darüber aufzufinden sind, dass sich das Verhalten der Asylbewerber ändern könnte, wird das angeblich kriminelle und abweichende Verhalten der Flüchtlinge als ihre Natur empfunden ((Vgl. zur „Naturalisierung des Sozialen“ Jäger 1993a, S. 220 ff.)). In Verbindung mit der Nennung von Flüchtlingszahlen (vgl. Z. 97ff.) wird so ein Szenario der De-Normalisierung entworfen, was die deutsche Normalität empfindlich zu bedrohen scheint. Daher bleibt als Konsequenz, den Zutritt für Asylbewerber zu verhindern, was gemäß dieser Logik „vernünftig“ (vgl. Z. 7) erscheint.

4.2.5          Pronominalstruktur

„Pronomina dienen dazu, das Ich von dem Anderen, ‚uns‘ von ‚denen‘, die nicht zu und gehören, das, was mir gehört und mir zusteht, von dem, was anderen gehört und zusteht, abzugrenzen und zu unterscheiden, ohne daß die gemeinten Personen direkt ‚beim Namen genannt werden‘. Sie stehen ‚für‘ etwas.“ (Jäger 1993a, S. 258)

Die Untersuchung der Pronominalstruktur der Dregger-Rede zeigt folgendes Ergebnis:

4.2.5.1    Gebrauch des Pronomens „Ich“ / Selbstdarstellung des Redners

Das Pronomen „Ich“ erscheint insgesamt 24-mal im Text. Die Analyse der Verwendung dieses Pronomens zeigt dessen wichtige Funktion für die gesamte Textaussage, da es Dregger gelingt, seinen Aussagen ein hohes Maß an Authentizität und Glaubwürdigkeit zu verleihen.

In der Einleitung der Rede wird ausdrücklich betont, dass die hier vorgenommene Einschätzung der bestehenden Situation persönlicher Art ist (vgl.: „Nach meinem Dafürhalten“ Z. 2f., „Ich bin der Meinung“ Z. 5).

Auch den Asylkompromiss betreffend spricht Dregger nicht im Namen seiner Fraktion, sondern bekundet seine persönliche Einschätzung. Aus dieser geht jedoch hervor, dass der zu verabschiedende „Asylkompromiß“ nicht auf alle Forderungen eingeht, die Dregger vorschweben. Er hat eben nur den „Eindruck“ (Z. 22), dass die Ziele (vgl. Z. 10-20) durch diesen Kompromiss erreichbar sind. Darüber hinaus richtet er seine Appelle an die Opposition ebenfalls nicht im Namen seiner Fraktion, sondern „bittet“ die SPD persönlich.

Bis zu diesem Zeitpunkt präsentiert sich Dregger als „Privatmann“ (oder auch „Biedermann“), der dem Parlament seine Ansichten und Einschätzungen mitteilt. Seine Aussagen sollen jedoch an Gewicht gewinnen, das er sich als Fürsprecher der Bevölkerung darstellt. Dies gelingt ihm dadurch, dass er sich dem Bundestag als Analytiker in der Bevölkerung offenbart (Z. 47ff.). Durch die Wendung „zu analysieren versucht“ (Z. 47) will Dregger seinen folgenden Aussagen dadurch Gewicht verleihen; er stellt sie quasi als empirische Untersuchungen vor. Zwar wird die Aussage durch den Hinweis darauf, dass er eben nur „versucht“ hat zu analysieren, relativiert; es ermöglicht ihm dennoch, „Zwischenergebnisse“ zu präsentieren.

Die folgenden Aussagen entbehren jedoch gänzlich des Anspruchs von Repräsentativität. So ist davon die Rede, dass er „etwas gehört hat“ (Z. 49), und dass dies vielleicht nicht einer „Nachprüfung“ (Z. 50) standhält. Doch selbst diese wenigen Aussagen reichen für Dregger dazu aus, sich einen Eindruck zu bilden, der es ihm ermöglicht, eine Einschätzung über Befinden und Denken der Bevölkerung abzugeben („auf das politische Bewußtsein unserer Mitbürger“ Z. 53f.). Es zeigt sich, dass Dregger auf „das Volk“ vertraut. Er hört auf „des Volkes Stimme“, welches ein sehr populistisches Argument ist.

Indem er sich dem Parlament als Sprachrohr der Bevölkerung präsentiert, kann er aus dieser Position Forderungen ableiten, wie die, dass der „Staat zuerst für seine Bürger da sein muß“ (Z. 58f.). Durch diese Sprecherposition gelingt es Dregger weiterhin, argumentationslogisch völlig unzusammenhängende ‚Untersuchungsergebnisse‘ als das darzustellen, was „viele Mitbürger hautnah (im Umgang mit Asylbewerbern) erleben“ (Z. 109). Hierzu zählt sowohl die Ausnutzung der „Krankenfürsorge“ (Z. 110), die „Wohnungsunterbringung“ (Z. 112), die „Kindergartenbelegung“ (Z. 117) und die von den Mitbürgern angeblich wahrgenommene „Kriminalität“ (Z. 119) der Asylbewerber. Schließlich ermöglicht es diese Sprecherposition, davon zu sprechen, dass das Volk nicht ausländerfeindlich sei. Zum Abschluss seiner Rede fasst Dregger seine Einschätzungen zusammen und formiert den einheitlichen Willen des „Volkes“ („Denn unser Volk ist weder dumm noch in unangemessener Weise egoistisch“ Z. 228f. / „Es ist daher gewiß nicht unsere Aufgabe seinen Willen zu mißachten“ (Z. 230 f.).

4.2.5.2    Gebrauch der Pronomen „Wir“ und „Uns“: Konstitution der Einheit

Der Gebrauch des Pronomens „Wir“ tritt im Text 16-mal auf und bezieht sich auf zwei Bereiche. Zum einen bezeichnet es die Politiker des Deutschen Bundestages und zum anderen die gesamte bundesdeutsche Bevölkerung. Einleitend verweist Dregger darauf, dass die zu treffende Änderung des Grundgesetzes eine Entscheidung ist, die die Abgeordneten zu treffen haben (vgl. Z. 2). Damit verweist er auf die Bedeutung und die Verantwortung, die den Mandatsträgern zukommt. Dass es sich hierbei jedoch nicht um eine individuelle Verantwortung handelt, lässt sich daran erkennen, dass die zu treffende Entscheidung für „unser Volk“ akzeptabel sein muss (vgl. Z. 8). Dadurch stellt Dregger eine unmittelbare diskursive Verbindung zwischen den Abgeordneten und der Bevölkerung her, die konstitutiv für diese Rede ist.

Die Forderung „tatsächlich politisch Verfolgte zu schützen“ (vgl. Z. 10f.) wird dadurch eingeschränkt, dass Schutz für Flüchtlinge auch in anderen Ländern möglich sei und nicht nur bei „uns“. Die Verwendung des Pronomens „uns“ lässt darauf schließen, dass hier sowohl die Bevölkerung der Bundesrepublik als auch das Territorium angesprochen wird. ((Die Stellen an denen eine Gleichsetzung zwischen Territorium und Bevölkerung erfolgt, sind in den folgenden Zeilen zu finden: Z. 58: „jeder Staat […] wie der unsrige“, Z. 97: „Die Asylbewerberzahlen steigen bei uns“, Z. 121: „Asylbewerber bei uns“, Z. 148f. von denen wir mehr aufgenommen haben, Z. 187:“gegenüber unserem Staat“, Z. 228: „unser Volk ist“.)) Die Tendenz, durch die Verwendung der Pronomen „uns“, „wir“, etc. zu vereinheitlichen und zu homogenisieren, zeigt sich nicht nur am Beispiel der Bevölkerung (unsere Bürgerinnen und Bürger Z. 31 f.), sondern auch daran, dass politische Konzeptionen als „unsere“ Politik dargestellt werden (( Die Verwendung des Pronomens „Wir“ (incl. Dekl.) stellvertretend für den Kreis der Abgeordneten bzw, für die deutsche Politik, findet sich an den folgenden Stellen: Z. 2: „die wir heute“, Z. 31 „weil unsere“, Z. 42: „zwingt uns zusammen“, Z. 61: „wir in Bonn“, Z. 108: „was wir Abgeordneten“, Z. 136: „wenn wir zugeben würden“, Z. 187f.:“Seien wir uns klar darüber“, Z. 291: „Wenn wir das tun“, Z. 233: „Die Verantwortung tragen jedenfalls wir“, Z. 233: „Wir die gewählten Vertreter“.)) (vgl. „unsere Bestrebungen und Hilfsmaßnahmen für Osteuropa und die Dritte Welt“ Z. 15f.). Auch dienen parlamentarische Vorgaben dazu, dass Dregger das Kollektiv der Abgeordneten symbolisch vereinigt (vgl. Z. 42: „das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit zwingt uns zusammen“).

Durch die Sprecherposition des „um die Befindlichkeiten der Bevölkerung Wissenden“ (s.o.) versucht Dregger, sich als Sprecher der „Bürgerinnen und Bürger“ oder des „Volkes“ zu präsentieren (Z. 44: „unserem Volk“, Z. 68: „unsere Bürgerinnen und Bürger“).

4.2.5.3         Gebrauch der Pronomen „die“ – „sie“: Konstitution des Feindbildes „Die Fremden“

Mit den Pronomen „die“, „sie“ werden vorrangig zwei Bereiche angesprochen, die hier nacheinander behandelt werden sollen. Zum ersten wird „die/sie“ zur globalen Charakterisierung von Asylbewerbern verwendet (vgl. Z. 172: Die Asylbewerber, die zu uns kommen). Von dieser als homogen konstruierten Gruppe werden diejenigen unterschieden, die als „die tatsächlich politisch Verfolgten“ (Z. 10) eingestuft werden. Dieser Gruppe werden die „Fremden“ entgegengehalten, die „zu 90% das Wort Asyl“ als täuschenden Vorwand nutzen“ (Z. 69f.). Dass es sich bei der Gruppe der „tatsächlich politisch Verfolgten“ nur um einige wenige handeln kann, wird dadurch bewiesen, dass ihre „Not“ „spürbar“ sei (vgl. Z. 77).

Dass es sich bei den Asylbewerbern um eine Art Elite handelt, macht Dregger in den Zeilen 170-177 deutlich: Auch hier bedient er sich der Gleichsetzung von Bevölkerung und Territorium (weder den Armen […] noch ihren Ländern Z. 170f.). Denjenigen, denen es gelingt, in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, attestiert Dregger, dass sie „besser ausgebildet seien, da sie sonst die Kosten für Schlepperbanden nicht hätten bezahlen können“. Da sie angeblich nicht zu den Ärmsten gehören und ausgebildet sind, folgert Dregger daraus, dass es sich bei den Asylbewerbern aus den Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ um eine Art Glücksritter und nicht etwa um politisch Verfolgte handelt. Hieraus leitet er eine moralische Verantwortung für die Bundesrepublik und ihre Vertreter ab, das Grundgesetz Art. 16 Abs. II zu ändern, damit jene Menschen, die viel „für den Aufbau ihrer Länder“ (Z. 171ff.) tun könnten, nicht in die Bundesrepublik gelockt werden. Hier wird mit scheinbar humanistischen Argumenten versucht, Politiker davon zu überzeugen, die weitere Aufnahme von Flüchtlingen zu unterbinden.

4.2.6   Anspielungen

Anspielungen haben eine ähnliche Funktion wie Kollektivsymbole (vgl. Jäger 1994a sowie Januschek 1986). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Rezipienten in zwei Gruppen unterteilen, von denen die eine nur die Worte verstehen, die andere Gruppe noch etwas anderes versteht (vgl. Bredehöft/ Januschek 1994). Gegenüber der Kollektivsymbolik liegt bei Anspielungen eine Einschränkung hinsichtlich der Allgemeinverständlichkeit vor, da sie sich an die politische Ausrichtung und an den jeweiligen Bildungsstand der Rezipienten richten (( vgl. dazu auch den Begriff der Fährenfunktion bestimmter Substantive, wie bei Jäger 1994b dargestellt.)). Hierfür ist insbesondere der Begriff „Jedermannsland“ bemerkenswert, da er als Anspielung auf die Forderung nach einer „multikulturellen Gesellschaft“ verstanden werden kann. Doch durch die kategorische Ablehnung, die Dregger vornimmt: „Deutschland kann doch nicht zum Jedermannsland werden“ (Z. 137f.), bleibt es jedoch denen vorbehalten in Deutschland zu leben, die einen Anspruch darauf besitzen. In Zusammenhang mit der häufigen Nennung des „deutschen Volkes“ wird ersichtlich, wer diesen Anspruch erfüllt, nämlich nur diejenigen, die in Deutschland geboren bzw. als Deutsche geboren wurden. Somit erklärt Dregger eine Absage an jegliche Vorstellung über eine multikulturelle Gesellschaft. Darüber hinaus lässt sich eine weitere Anspielung verorten, die jedoch nur den ‚literarisch Gebildeten‘ unter den Rezipienten zugänglich sein dürfte. Der Ausdruck „Jedermann“ spielt auf ein Bühnenstück Hugos von Hofmannsthal an. Hierbei handelt es sich um das „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“, der keine „höheren Werte“ anerkennt (vgl. Frenzel 1988, S. 523f.). Da Flüchtlinge jedoch eher als „Wirtschaftsflüchtlinge“ codiert werden, die erst versuchen zu Wohlstand zu gelangen, handelt es sich hierbei um eine eher unbeabsichtigte Anspielung.

Der Begriff „Schulmeister“ (Z. 303) stellt eine veraltete Bezeichnung für den Lehrerberuf dar. Was mit dem Begriff „Schulmeister“ konnotiert wird, ist die (negativ aufgefasste) Belehrung von Schülern durch einen „besserwissenden“ Lehrer. Diese Anspielung verweist auf die allgemeine Vorstellung, die Dregger von „der Bevölkerung“ und „den Politikern“ hat. So verbindet er den Begriff „Schulmeister“ mit dem „deutschen Volk“: „Betrachten sie sich doch nicht als Schulmeister des deutschen Volkes“ (Z. 302f.). Die bereits an anderen Textstellen vorgenommenen Differenzierungen zwischen „dem Volk“ und „den Politikern“ (exemplarisch: „wir in Bonn“ Z. 83) wird durch diese Anspielung hinsichtlich der Funktion von Politikern kritisiert. Damit hebt Dregger nicht etwa die von ihm unterstellte Distanz von Bevölkerung und Politikern auf, sondern fordert die Opposition auf, sich als „Volksvertreter“ zu verstehen und dem „Volkswillen“ nachzugeben. Gemäß dieser Logik wird jede gegendiskursive Argumentation als abschätzig „belehrend“ dargestellt.

4.2.7   Schlussbetrachtung zur Analyse der 93er-Rede Dreggers

Diese 93er-Rede des Abgeordneten Dr. Alfred Dregger ist insbesondere aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen gelingt es Dregger, die Änderung des Grundgesetzartikels 16 Abs. II dadurch zu begründen, dass es sich hierbei um den von ihm festgestellten „Volkswillen“ handelt. Dadurch blendet er aus, dass das Thema in den vergangenen Jahren zum innenpolitischen Thema Nummer 1 gemacht wurde und u.a. dazu diente, Wählerstimmen zu gewinnen. Die Kampagne gegen Flüchtlinge scheint offenbar dahingehend Erfolg gehabt zu haben, dass sich Dregger nun als Fürsprecher des „Volkswillens“ vor dem „Forum der Nation“ platzieren kann und eben diesen Willen artikuliert. Hierbei ist jedoch der Balanceakt entscheidend, den Dregger (zwischen seinem Anspruch, das deutsche Volk vertreten zu wollen und das deutsche Volk vom Vorwurf des Egoismus freizusprechen) vollführen muss. Das heißt, dass es auch in dieser Rede darum geht, einerseits Weltoffenheit zu bekunden, andererseits gezielt deutsche Interessen zu vertreten (vgl. Z. 58f.: „Jeder Staat – auch ein noch so weltoffener Staat wie der unsrige – ist zuerst für seine eigenen Bürger da und erst dann für den Rest der Welt.“).

 

 

4.2.8     Die Dregger-Rede im Zusammenhang mit dem völkischen Nationalismus

Dregger thematisiert hier einen Punkt, der für das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland nach der Vereinigung und dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion von entscheidender Bedeutung ist. Denn im weiteren Sinne geht es entweder um die grundsätzliche Orientierung an den Verpflichtungen der Weltstaatengemeinschaft oder um die Ausrichtung deutsch-nationaler Interessen. Für Dregger und die Mehrzahl der CDU/CSU-Abgeordneten trifft das Letztgenannte zu; aber auch in den Reihen der SPD mehren sich die Stimmen, die sich für den Eintritt partikularer, nationaler Interessen aussprechen ((Vgl. hierzu die Äußerung des damaligen SPD-Vorsitzenden Björn Engholm, der sich auf dem außerordentlichen Parteitag am 16. November 1992 hinsichtlich des Kurswechsels seiner Partei folgendermaßen äußerte: „Wer sich bemüht auf, auf sein Volk zu hören, ist noch lange kein Populist“ (Hoffmann 1994, S.50).)). Dieses Eintreten führt unweigerlich zur Vereinheitlichung des „deutschen Volkes“ und zur Abgrenzung gegenüber anderen (vgl. Kellershohn a.a.O., Hoffmann a.a.O. u.w.o.), so dass man durchaus von einer völkisch­nationalistischen Tendenz sprechen kann.

Gerade im Zusammenhang mit der „Mißbrauchsdiskussion“ lassen sich im politischen Diskurs Stimmen verorten, die vor einer „Überfremdung“ warnen. Dies lässt sich an einigen der Reden festmachen, die anlässlich der bevorstehenden Grundgesetzänderung am 26. Mai 1993 gehalten wurden. Aus diesem Korpus wähle ich zunächst einige Redeausschnitte aus, die sich als Beleg für ein „völkisch­nationalistisches“ Weltbild verstehen lassen. In Anlehnung an Helmut Kellershohn lassen sich sieben Essentials herausstellen, die das „Weltbild“ des völkisch-nationalistischen Denkens in knapper Form charakterisieren:

„1. – die Gleichsetzung von Volk und Nation und die Hypostasierung des Volkes zu einem Subjekt besonderer Art;
2. – die Relativierung besonderer gesellschaftlicher Interessen an der Vorrangstellung der Volksgemeinschaft;
3. – die Rechtfertigung eines autoritären Staates, der die Durchsetzung des Ideals der Volksgemeinschaft inszeniert und organisiert;
4.  – die Heroisierung des Volksgenossen, des »anständigen Deutschen«, der sich den Geboten der staatlich garantierten Volksgemeinschaft freiwillig unterwirft und sich als »loyaler Bürger« versteht;
5. – umgekehrt die rassistische Konstruktion eines inneren Feindes, (…) um zu erklären, wer die Schuld an der bis dato noch mangelhaften Verwirklichung des Volksgemeinschaft trägt (Sündenbockfunktion) und warum sich die freiwillige Unterwerfung unter das Volksganze auch lohnt (identitätsstiftende Funktion). Als Objekte der Feinderklärung dienen zum einen »Nichtdeutsche« (Ausländer), zum anderen »illoyale Bürger« (»unanständige Deutsche«);
6. – ein biopolitisches Verständnis des »Volkskörpers«, das alle bevölkerungspolitisch relevanten Maßnahmen unter den Primat der quantitativen Vermehrung und qualitativen (»Substanz«-)Erhaltung der (deutschen) Bevölkerung stellt (Familien-, Frauen-, Bildungs- und Umweltpolitik);
7. – ein chauvinistisches Machtstaatsdenken, das die Formierung der Gesellschaft im Sinne einer Volksgemeinschaft als Voraussetzung und als Folge dessen betrachtet, daß der Staat »deutsche Interessen« nach außen hin mächtig zur Geltung bringen kann (Deutschland als Groß- und Hegemonialmacht). Der Primat der Außenpolitik beinhaltet darüber hinaus die Fixierung auf einen äußeren Feind (oder auch mehrere Feinde), der – in welcher Form auch immer – mit dem inneren Feind verknüpft wird.“ (Kellershohn 1992, S. 93f.)

Kellershohn führt weiter aus, dass „der völkisch begründete Nationalismus zweifellos »die« deutsche Version des Nationalismus“ sei (Kellershohn 1992, S. 90). Nach dem Scheitern der Nazi-Diktatur konnte diese „ideologische Tradition (…) nicht nur im rechten Parteienspektrum »überwintern«“ (Kellershohn 1992, S. 90). Elemente des „völkischen Denkens“ lassen sich darüber hinaus auch im Grundgesetz verorten. Dieter Oberndörfer spricht im Hinblick auf den Artikel 116 GG von einem „völkische[n] Kern im Republikverständnis des Grundgesetzes“ (Oberndörfer 1993, S. 68), da nach diesem Artikel nur diejenigen „Deutsche“ sind, die als Nachkommen deutscher Vorfahren geboren wurden. Durch dieses ius sanguinis (Recht des Blutes) leitet sich demnach die Staatsangehörigkeit von der Abstammung ab und nicht von dem Territorium, auf dem ein Mensch geboren wurde. Dieses am 31. Dezember 1937 erlassene Gesetz schreibt seine Gültigkeit bis zum heutigen Zeitpunkt fort. Demnach gilt diese Staatsangehörigkeitsregelung für alle, die auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebten, inklusive ihrer heutigen Nachfahren. Dieses Gesetz, das sich zur Bestimmung der deutschen Staatsangehörigkeit auf die Abstammung beruft, wirkt sich darüber hinaus auch auf das generelle Bürger- und Bleiberecht von Ausländern ((Auf die juristischen Bestimmungen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Ich verweise daher auf Gesetzeskommentare, wie z.B. Huber 1983, Münch 1993)) aus. Die Nicht-Zugehörigkeit zum „deutschen Volk“ zeigt sich bereits am Beispiel der Arbeitsmigranten, die als „Gastarbeiter“ bezeichnet wurden, was eine Rückkehr in ihre „Heimat“ unausgesprochen impliziert.

Für das hier zu behandelnde Thema begründet sich die Auseinandersetzung mit den Kernideologemen des „völkischen Nationalismus“ daher, da sich auch Elemente dieser Ideologie im politischen Diskurs des Bundestages feststellen lassen. Bei einigen der Politiker, die sich hinsichtlich der Asylthematik äußerten, lassen sich Argumentationslinien verorten, die auf ein „völkisch-nationalistisches Weltbild“ (Kellershohn 1992; vgl. auch Kellershohn 1994) schließen lassen.

5.   Völkisch-nationalistischer- und Gegendiskurs

5.1          Völkische Elemente bei der »Verabschiedung« des Grundgesetzartikels 16 Abs. II

Die Bundesrepublik sei „ein ausländerfreundliches Land“, so wird in den Tagen, in denen fast stündlich Meldungen über Angriffe gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte bekanntgemacht werden, von Politikern, wie z.B. hier von Wolfgang Schäuble bekundet (vgl. PIPr. 51. Sitz. 18.10.1991, S. 4211). Die Zahl der Angriffe gegen Migranten und die Bilder aus Rostock, die ein applaudierendes Publikum zeigten, sprachen jedoch eine andere Sprache, als dies Politiker glauben machen wollten.

Die Aufgabe, die sich für Politiker stellte, bestand zum einen darin, den „Exportweltmeister Deutschland“ vor der Weltöffentlichkeit als nicht „ausländerfeindlich“ darzustellen, zum anderen, den eingeschlagenen Weg zu einer Grundgesetzänderung weiterhin konsequent zu verfolgen. Vor der Öffentlichkeit wurden die meist jugendlichen Täter ((Vgl. zur Darstellung der Ausschreitungen als spezifisches „Jugendproblem“ kritisch Jäger 1992, Leiprecht 1991, sowie Heitmeyer 1987.)) als „Rechtsextremisten“ oder als „Sozialverlierer“ gebrandmarkt, was den symbolischen Effekt des Ausschlusses dieser Täter aus der Gesellschaft bewirkte (vgl. Punkt 5 der Kellershohnschen Essentials). Um die Grundgesetzänderung herbeizuführen, ist es jedoch notwendig, weiterhin auf die Gefahren, die durch die weitere Aufnahme von Flüchtlingen entstehen, hinzuweisen. Dabei erweisen sich solche Konzepte als erfolgreich, die eine Verbindung zwischen individueller und kollektiver Benachteiligung durch die Aufnahme von Flüchtlingen herstellen. Dies setzt jedoch voraus, dass sich das Individuum mit dem „Ganzen“ identifiziert. Erst wenn dieser Prozess vollzogen wurde, ist es für Politiker möglich, den „Volkswillen“ auszumachen und zu formulieren ((An dieser Stelle stellt sich die Frage, welche Diskurse sich durchsetzten, so dass es Politikern 1993 möglich war, den „Willen des Volkes zu artikulieren. Der Ausgrenzungsdiskurs gegenüber Flüchtlingen lieferte hierfür sicherlich einen wesentlichen Beitrag. Ob der entscheidende Anlass die Vereinigung der beiden deutschen Staaten hierfür war, wie es Hoffmann (1994) annimmt, muss eher bezweifelt werden. Vgl. dazu z.B. Devantie et. al. (o.J.1986), Huhnke 1993, Jäger/Link 1993, u.a.)). Ein Beispiel für die Artikulation des Volkswillens, der sich quasi „natürlich“ äußert, liefert Norbert Geis (CDU/CSU):

„Es ist doch überhaupt nicht zu verkennen, daß es dann, wenn es so weitergeht – daraus brauchen wir doch überhaupt keine große Szene zu machen, jeder kann sich das an den fünf Fingern abzählen -, wenn wir nicht den Riegel vorschieben, natürlich zu einer Überfremdung unserer Bevölkerung fuhren wird. Kein Volk wird eine Überfremdung ohne Konflikt hinnehmen, es kann es gar nicht hinnehmen. Warum nicht? Deshalb nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil jedes Volk seine eigene Art zu leben und das Recht darauf hat. Das ist das Naturrecht jedes Volkes.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dieses Miteinander-vertraut-Sein gerät – wenn wir ständig, wo auch immer, fremden Menschen begegnen – doch in Gefahr; das müssen wir doch erkennen. Deshalb hat unsere Bevölkerung doch Furcht.
Es ist doch klar, warum unsere Bevölkerung Angst hat. Unsere Bevölkerung hat Angst, daß sie eines Tages nicht mehr in dem Deutschland lebt, in dem es leben will. Jedes Volk muß aber doch das Recht haben, in dem Land zu leben, in dem es gern leben will. Deswegen haben wir das Selbstbestimmungsrecht. Was ist denn daran verkehrt? Wie können wir unserem Volk daraus einen Vorwurf machen?“ (Plenarprotokoll 12/160, 26.5.1993, S. 13557-13558)

Was hier als bedroht angesehen wird, ist die imaginierte „Reinheit des deutschen Volkes“. Es handelt sich hierbei um ein Ursprungs-Denken, das eine homogene „Volks“-Gemeinschaft unterstellt, die nun durch die Ankunft von „Fremden“ „überfremdet“ und dadurch empfindlich gestört wird. Dieses Zitat verweist auf ein biopolitisches Verständnis des „Volkskörpers“, der gegen „Fremdkörper“ geschützt werden muss (vgl. Punkt 6 der zuvor angeführten Essentials von Kellershohn). Geis‘ völkische Betrachtungsweise sieht den Willen des Volkes, der hier als Selbstbestimmungswillen artikuliert wird, als ein „Naturrecht“ an.

Als Johannes Gerster (CDU/CSU) die Ausschreitungen nach Hoyerswerda zunächst verurteilt, sieht er jedoch im Anschluss „die Ursachen darin liegen, daß sich die Menschen überfordert fühlen, […] weil sie glauben – und dies zu Recht – daß unser Asylrecht mißbraucht wird.“ (PIPr. 12/43 25.9.1991, S. 3576)

Nachdem durch „das Volk“ festgestellt wurde, dass „unser Asylrecht“ missbraucht wird, ist es nur ein Schritt weiter festzustellen, dass „das Volk eine Grundgesetzänderung wünscht“. Dieser Forderung des Volkes kommt Erwin Marschewski (CDU/CSU) nach:

„Unser Volk verlangt eine praktikable Antwort zur Lösung des Asylproblems.“ (PIPr. 12/160, 26.5.1993, S. 13534)

Aus dieser Äußerung geht die Unterstellung hervor, dass das „Volk“ bereits die passende und richtige „Lösung der Asylproblems“ wisse. Das „Volk“ denkt weiter als die Politiker, die dadurch nahezu in einen Handlungszwang geraten.

Nachdem zur Begründung der faktischen Abschaffung des Grundgesetzartikels 16 Abs. II an verschiedenen Stellen ausgesagt wurde, dass es sich hierbei um den Willen der Bevölkerung bzw. des Volkes handele, den es als Repräsentant und „Volksvertreter“ zu erfüllen gilt, meldeten sich einige Kritiker zu Wort, die dies als „Nachgeben durch den Druck der Straße“ werteten. Diesem Vorwurf stellt sich Gert Wartenberg (SPD) entgegen, der dies eher als einen demokratischen Prozess ansieht:

„Wenn wir uns des mühsamen und so schwierigen Versuchs unterzogen haben, uns den wirklichen Problemen unserer Gesellschaft zu stellen, der Überlastung der Städte und Gemeinden, den Schwierigkeiten der Integration, der Ängste und der Sorgen der Menschen unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen bei gleichzeitig großer Zuwanderung, dann ist das nicht ein Eingehen auf das, was man „Druck der Straße“ nennt. Wenn man Ängste und Sorgen von Bürgern in einer schwierigen Zeit und die begrenzte Handlungsfähigkeit des Staates diffamiert, indem man einfach von einem unzulässigen „Druck der Straße“ spricht, dann wird man in einer Demokratie den Sorgen und Nöten vieler Menschen niemals gerecht werden können.“ (PIPr. 12/160, 26.5.1993, S. 13535)

Obwohl davon auszugehen ist, dass nur die wenigsten Deutschen unmittelbar und persönlich durch Asylbewerber tangiert werden, dienen ihre „Sorgen“ und „Nöte“, die sicherlich durch andere Faktoren zu erklären sind, als durch die Aufnahme von Flüchtlingen, dazu, das bestehende Asylrecht faktisch abzuschaffen.

Das Zitat des Abgeordneten Wartenburg (SPD) verweist darauf, dass die öffentliche Kampagne gegen Flüchtlinge ihr Ziel erreicht hat, denn auch Stimmen der SPD-Opposition verweisen auf die „Ängste und Sorgen der Menschen“, die auch hier dazu instrumentalisiert werden, Flüchtlingen den Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu verweigern. Auch hier ist es der vermeintliche Wille der Menschen, den es gilt zu respektieren. Auch hier zeigt sich, dass zunächst die Innerlichkeit und die Identität gefunden werden muss, um sich daran anschließend (vielleicht) den Sorgen und Nöten Anderer zu widmen. Diese Argumentation lässt sich bei vielen derjenigen vorfinden, die am 26. Mai 1993 aus den Reihen der (SPD-)Opposition ihre Zustimmung zur faktischen Abschaffung des Artikels 16 Abs. II GG bekundeten.

Daran anschließend stellt sich die Frage, ob sich zu diesem Zeitpunkt eine Strategie erkennen lässt, die man als gegen-diskursiv bezeichnen könnte, und welche Argumentationen bzw. Aussagen hier vorzufinden sind.

5.2          Ansätze zu Gegendiskursen im Bundestag

Durch die Analyse der Rede des Abgeordneten Dr. Alfred Dregger und durch die Darstellung der Entwicklung des Themas »Asyl« im Deutschen Bundestag wurde ersichtlich, dass in zunehmenden Maße die Mehrzahl der Politiker dazu überging, die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland für Flüchtlinge weiterhin geöffnet bleiben solle oder nicht, negativ zu beantworten. Zur Begründung dieser ablehnenden Haltung dienten die unterschiedlichsten Argumentationen, wie z.B. die Kosten-, die Unterbringungsfrage oder die Begründung, dass durch die Aufnahme von Flüchtlingen die „nationale Identität“ gefährdet sei. Solche Argumente und Aussagen lassen sich als Eintreten für die partikularen Interessen der Bundesrepublik Deutschland bezeichnen. Demgegenüber steht der universalistische Anspruch, dem die Verankerung des Artikels 16 Abs. II ins Grundgesetz 1949 zu verdanken ist, denn hier ging es darum, jedem politisch Verfolgten Schutz zu gewähren und dies abseits der Frage, welche Konsequenzen daraus resultieren. Bei der Untersuchung der Aussagen, die sich gegen eine Grundgesetzänderung am 26.5.1993 wandten und damit dem Gegendiskurs zuzuordnen sind, zeigt sich, dass auch hier universalistische Aussagen getroffen wurden, die sich gegen die Vertretung nationaler, partikularer Interessen wenden. Dies soll anhand exemplarisch ausgewählter Redebeiträge im Folgenden dokumentiert werden. Die Aussagen, die dem Gegendiskurs zuzuordnen sind, finden sich vornehmlich bei Vertretern linksgerichteter Parteien, zu denen sowohl die PDS/Linke Liste als auch DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90 zählen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich Abgeordnete dieser Parteien auf die christliche Verantwortung berufen, die auch von den führenden Politikern des Bundestages getragen und beherzigt werden sollte.

So führt der Abgeordnete Dr. Wolfgang Ulimann aus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

„Ich möchte diejenigen, die hier Amateurtheologie betrieben haben, daran erinnern, daß die Tradition, auf die sich berufen, nicht danach fragt, wer, wann, wo in welche Kirche gegangen ist, sondern danach, was er einem der Geringsten seiner Brüder oder Schwestern getan hat. Es ist die Tradition dessen, der gesagt hat: Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich aufgenommen. Deswegen meine Damen und Herren, wird auf dem Evangelischen Kirchentag in München darüber zu reden sein, was es denn für Christen bedeutet, daß es in unserem Land jetzt Gesetze gibt, sogar einen Teil der Verfassung, der diesem Grundprinzip christlicher Ethik radikal und diametral widerspricht.“ (PIPr. 160 Sitz. 26.5.1993, S. 13556)

Auch der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste) argumentiert gegen die Befürworter einer Grundgesetzänderung, die er insbesondere in den Reihen der CDU/CSU-Koalition verortet, mit der Bibel. So führt er aus:

„Ich meine, daß ein Blick in die Bibel genügt, um deutlich werden zu lassen, daß die Christlich Demokratische und die Christlich Soziale Union künftig wenigstens auf den Begriff ‚christlich‘ verzichten sollten.“ (PIPr. 160 Sitz. 26.5.1993, S. 13515)

Auch in seiner weiteren Begründung zur Ablehnung der bevorstehenden Grundgesetzänderung dienen Gysi, neben anderen, die universalistischen Prinzipien der christlichen Religion dazu, seinen Appell zu untermauern:

„Ich appelliere an die wirklichen Christen, an die liberalen und sozialen Demokraten unter ihnen: Sagen Sie nein zur Abschaffung des Asylrechts! Sagen Sie nein zur Liquidierung einer der wichtigsten Konsequenzen aus dem mörderischen Naziregime! Verweigern Sie sich der Abschaffung eines Grundrechts und einer Täuschung, die da lautet: Fremder, du wirst politisch verfolgt; deshalb hast du Anspruch auf Asyl; wir haben dir aber fast alle Wege zu uns versperrt.“ (PlPr. 160 Sitz. 26.5.1993, S. 13517)

Auch Ingeborg Phillipps (PDS/Linke Liste) Argumentation weist in diese Richtung:

“ ‚Unsere Sünden bestehen nicht so sehr in dem, was wir getan haben sondern was wir unterlassen haben zu tun‘. Das klingt ganz ähnlich wie in der Bibel: ‚Was ihr nicht getan habt den Ärmsten unter diesen meinen Brüdern, das habt ihr mir nicht getan.‘ Daran müssen wir heute denken. Es ist nämlich ein schwerwiegender Schritt, der heute gegangen wird. Dieses 20. Jahrhundert wird in der Geschichtsschreibung der Menschheit mit vielschichtigen Angstträumen beschrieben werden müssen. Wir haben keine Kultur des christlichen Abendlandes entwickelt.“ (PlPr. 160 Sitz. 26.5.1993, S. 13546)

Neben solchen Äußerungen, die an christlich motivierte Werte appellieren, stellen sich solche, die aus einem humanistischen Verständnis heraus geäußert werden und universalistische Prinzipien einfordern. Diese humanistischen Prinzipien beinhalten die gleichen Forderungen, wie die christlichen Gebote, werden jedoch nicht namentlich mit ihnen in Verbindung gebracht. Mit dem Hinweis auf die allgemeinen Menschenrechte äußert sich auch der bereits zuvor zitierte Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

„Die Sache der Menschenrechte holt uns ein, und wir sind in einer Menschenrechtsdebatte in der zugespitzten Form, denn es geht heute um das Menschenrecht der Flüchtlinge. Es geht um das Menschenrecht dessen, der auf die Solidarität aller Menschen in den verschiedensten Ländern der Erde angewiesen ist. Es geht um das Menschenrecht dessen, der so lange hilflos ist, wie ihm nicht von allen geholfen wird.“ (PlPr. 160 Sitz. 26.5.1993, S. 13556)

Auf das Recht von Asylsuchenden, Schutz gewährt zu bekommen, das ebenso ein verbrieftes Grundrecht ist, wie jedes andere, das für Deutsche gilt, weist die Abgeordnete Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hin:

„Die Regierungskoalition und Teile der SPD scheinen der fatalen Ansicht zu sein, die Menschenwürde von Asylbewerbern sei weniger schutzwürdig als die der deutschen Bürger. Dies steht im offenen Widerspruch zum Grundgesetz, der Unantastbarkeit und folglich der Unteilbarkeit der Menschenwürde.“ (PlPr. 160 Sitz. 26.5.1993, S. 13598)

Es zeigt sich hiermit, dass viele Argumente der Gegner einer Änderung des Artikels 16 GG Abs. II nicht darauf ausgerichtet sind, die partikularen Interessen des hegemonialen Diskurses zu vertreten, sondern eher einen allgemeinen Appellcharakter haben. Das macht sie zwar moralisch unangreifbar, doch wenn es darum geht, deutsch-nationale Interessen durchzusetzen, tritt die Wirksamkeit ihrer Argumente in den Hintergrund. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Forderungen z.B. nach christlicher Nächstenliebe in Frage gestellt werden können. Eine Kritik an religiösen Glaubenssätzen oder humanistischen Ansprüchen ist im derzeitigen politischen Diskurs nicht möglich.

Die Unwirksamkeit dieser christlich und humanistisch motivierten Argumente zeigte sich auch am Abstimmungsergebnis: Die Mehrheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag stimmte der Änderung des Grundgesetzartikels zu und schaffte damit faktisch das Grundrecht auf Asyl ab.

6.       Gesamtzusammenfassung

6.1.   Der Grundgesetzartikel 16 Abs. II in seiner Fassung von 1949 und nach der Grundgesetzänderung 1993

1949:
Artikel 16 (2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

1993:
Artikel 16a [Asylrecht]
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen der Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen
Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen
treffen. (Zit. n. Grundgesetz 1994, S. 17f.)

Zwischen diesen beiden Fassungen des Grundgesetzartikels 16 Abs. II liegen 44 Jahre, in denen der universalistische, humanistische Anspruch, jedem politisch Verfolgten Zuflucht in der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren, zunehmend ausgehöhlt und letztlich faktisch abgeschafft wurde. Die asylpolitisch/juristische Entwicklung der Bundesrepublik charakterisiert Münch folgendermaßen:

„Die Asylpolitik in der Bundesrepublik Deutschland hat, wenn man sie zu der Dimension des weltweiten Flüchtlingsproblems in Beziehung setzt, versagt. Der Grund liegt nicht nur in einer zu geringen Aufnahmequote, sondern darin, daß man sich weigert, zur Kenntnis zu nehmen, daß weltweite Verschiebungen des Flüchtlingsproblems auch die Aufnahmepraxis der Bundesrepublik nicht unberührt lassen können.“ (Münch 1993, S. 222)

Was hier als „Verweigerungshaltung“ beschrieben wird, nämlich zur Kenntnis zu nehmen, dass weltweite Flüchtlingskatastrophen auch auf die Bundesrepublik Einfluss ausüben, zeigt sich auch im Alltagsdiskurs ((Vgl. hierzu A. Müller 1992.))
Für diese Diskursebene wurde anhand diskursanalytisch ausgewerteter Interviews festgestellt, dass nur die wenigsten der Befragten über Fluchtursachen und -hintergründe informiert sind. Eine Politik, die darum bemüht ist, diejenigen, denen es gelingt, in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, als „Wirtschaftsschmarotzer“ darzustellen, muss als verfehlt und angesichts nicht enden-wollender Flüchtlingskatastrophen als nicht-tragbar bezeichnet werden. Dies gilt insbesondere für die Politiker, die darum bemüht sind, mittels völkisch­nationalistischer Äußerungen den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Individuen jenseits aller emanzipatorischen und demokratischen Prinzipien vorzugaukeln, dass ihre „Einheit“ eines natürlichen Ursprungs sei, der sich aufgrund einer blutsmäßigen Abstammung konstituiere.

Die Darstellung der konjunkturellen Entwicklung hin zur faktischen Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl hat gezeigt, dass eine Einschränkung der Aufnahmebereitschaft leicht möglich war, da die Verankerung ins Grundgesetz „nur“ durch humanitäre Aspekte und die Verpflichtung gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft motiviert war. Dieser humanitären Verpflichtung lässt sich dadurch entgegenwirken, dass eine Gefährdung des Gemeinwesens z.B. durch Kriminalität, Drogeneinfuhr, Prostitution, etc. (vgl. exempl. Olderog 4.10.1985) ausgemacht wird. Dies kann ferner entweder dadurch erfolgen, dass Ängste durch Drohungen geschürt werden, etwa dergestalt, dass davor gewarnt wird, dass durch die weitere Aufnahme von Flüchtlingen Arbeitsplätze, Wohnungen oder soziale Leistungen etc. verlorengehen. Es können aber auch Ängste dadurch geschürt werden, dass ausgesagt wird, dass durch die Aufnahme von Flüchtlingen die „nationalen Identität“ verloren gehe. Beispiele hierfür sind zum einen die Warnung vor einer „durchrassten und durchmischten Gesellschaft“ Edmund Stoibers oder aber der Zimmermann-Entwurf zum Ausländergesetz 1988, in dem von dem „Verzicht auf die Homogenität der Gesellschaft“ die Rede ist. Gerade solche Bestimmungen des bundesrepublikanischen Selbstverständnisses mehren sich in bemerkenswerter Weise, insbesondere im Zusammenhang mit der Asyldiskussion.

Zu diesem Aspekt tritt ein weiterer hinzu, der weitaus gravierender ist als der Nachweis völkisch-nationalistischer Tendenzen bei einzelnen Politikern. Der bisherige Verlauf der Entwicklung des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland hat gezeigt, dass die zunächst von einzelnen Politikern erhobenen Forderungen und Sprachregelungen innerhalb relativ kurzer Zeiträume zum politischen Konsens avancierten. Würde eine solche Tendenz ebenfalls für die weitere Verankerung eines völkisch-nationalistischen Weltbildes festzustellen sein, so könnte dies zu einer politischen Umstrukturierung der Bundesrepublik führen. Dies gilt jedoch nicht nur für den Bereich Flucht und Einwanderung. Ein gesteigertes Augenmerk muss auch auf andere Diskursstränge gelegt werden, wie z.B. auf künftige Militarisierungskonzepte etc. ((Dass „völkisch-nationalistische“ Ideologeme auch im Bereich von Militarisierungskonzeptionen, wie z.B. dem weltweiten Einsatz von Bundeswehrsoldaten als „Blauhelm-Truppe, vorzufinden sind, unterstreicht Disselnkötter (Hg.) 1994.))

Die Aufgabe dieser Arbeit bestand darin, mit diskursanalytischen Mitteln zu untersuchen, welche Entwicklung der Diskurs nahm und welche Folgen daraus erwuchsen. Dieser Diskurs erzeugte Applikationsvorgaben für politisches Handeln (Abschaffung des Artikels 16 Abs. II GG) und dafür, den politischen Gegner SPD unter Druck zu setzen. Er schuf aber auch Applikationsvorgaben für rassistisch motivierten Terror. Hierbei zeigte sich, dass das ursprüngliche Anliegen des Artikels 16 Abs. II, nämlich jedem, der politisch verfolgt wird, Schutz zu gewähren, abgelöst wurde durch die Beschränkung auf nationale Interessen. Auffälligstes Merkmal dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass restriktive Standpunkte, die zunächst nur von einigen singulären Sprecherpositionen geäußert wurden, auf den gesamten parlamentsinternen Diskurs übergriffen und anschließend über die Medien in den weiteren Interdiskurs eingespeist wurden und damit auch das Alltagsdenken und -handeln formierten. Wie eine solche Ausdehnung aus dem parlamentarischen Diskurs mittels des Transmissionsriemens Mediendiskurs genau verläuft, dazu vgl. Jäger/ Link 1993 u.a. Es konnte jedoch dargelegt werden, wie sich aus dem parlamentsinternen Bereich – in dem zum Teil juristisch/verwaltungstechnische Optionen beraten wurde – Aussagen in den Interdiskurs einspeisten, die sich zunehmend gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wandten. Zu den wichtigsten Ergebnissen dieser Untersuchung zählt die Darstellung, wie im parlamentarischen Diskurs des Deutschen Bundestags ein Aussagenfeld vorbereitet wird, das sich mit einer zeitlichen Verzögerung im Medien- und Alltagsdiskurs etc. wiederfinden lässt. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass die vermeintliche Opposition der großen „Volksparteien“ als eine Opposition der kleineren Varianzen zu begreifen ist, zumindest was das Thema »Asyl« betrifft. Die vorliegende diskursanalytische Betrachtung zahlreicher Reden „oppositioneller“ Abgeordneter zeigt, dass zwar in unterschiedlichem Maße humanistische Argumente in den Reden aufzufinden waren, dass „Reden über Flüchtlinge“ jedoch mittels homogener Parameter, wie z.B. „der Belastungsgrenze“, organisiert wurden. Dieser inhaltlichen „Verbrüderung“ der Volksparteien ist es letztlich zu verdanken, dass humanistische Argumente, innerhalb eines 44 Jahre währenden Prozesses, zunehmend in den Hintergrund gerieten und es den Vertretern eines durchaus vorhandenen Gegendiskurses nicht gelang, eine breite Mehrheit dafür zu gewinnen, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine Grundgesetzänderung ablehnten. Vor diesem Hintergrund sind die Äußerungen, die auf ein völkisch-nationalistisches Weltbild verweisen, besonders zu beachten. Auffällig ist dabei die Entwicklung der Sagbarkeit. Da es, wie anhand der Rede(n) des Abgeordneten Dr. Dregger u.a. gezeigt, einigen Politikern zum gegenwärtigen Zeitpunkt möglich ist, den „Willen des Volkes“ zu artikulieren, ist abzusehen, dass dieser „Volkswille“ ebenfalls dazu instrumentalisiert wird, um gegen weitere demokratische Grundprinzipien zu mobilisieren.

7.   Zukunftsaussichten oder: Über die Möglichkeit der Stärkung von Gegendiskursen

Um einen diskursiven Erfolg gegen die völkisch-nationalistische Argumentationsweise zu stärken, muss zunächst der politische Diskurs dahingehend untersucht werden, inwieweit sich diese völkisch-nationalistischen Äußerungen in anderen Diskurssträngen wie z.B. Militarisierungskonzepten wiederfinden lassen. Hier wäre eine permanente diskurstheoretisch geleitete Analyse vonnöten, die für den Gegendiskurs die Mechanismen aufzeigen kann, wie in der Bundesrepublik Deutschland und weltweit Menschen nach Freund-Feindschemata eingeteilt werden. Diese Ausgrenzungspraxen müssen aufgezeigt werden; denn ein völkisch-nationalistisches Weltbild grenzt auch diejenigen aus, die zwar im Besitz eines deutschen Passes sind, deren Dasein aber womöglich als „menschenunwürdig“ dargestellt wird. Vor diesem Hintergrund kann ein jeder/ jede in die Situation geraten, ausgeschlossen zu sein. Deswegen ist gerade dies ein wichtiges gegen-diskursives Argument, welches verbreitet werden muss, denn: Alle Ausgrenzungsdiskurse sind selbstschädigend!

Ferner ist es notwendig, zu erreichen, dass die Einsicht entsteht, dass die Bundesrepublik Deutschland zu einem faktischen Einwanderungsland geworden ist und dass die damit verbundenen Probleme lösbar sind. Ein Gegendiskurs müsste sich demnach deutlicher als bisher an konkret bestehenden Problemen orientieren, um für eine demokratischere Entwicklung in diesem Lande zu sorgen.

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