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Facebook: Was das Netzwerk mit uns macht

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Eine Rezension von Rolf van Raden, erschienen in DISS-Journal 22 (2011).

Facebook ist in aller Munde. Man könnte meinen, über das größte aller Sozialen Netzwerke sei längst alles gesagt. Weit gefehlt. Der neue Sammelband „Generation Facebook“ aus dem Bielefelder Transcript Verlag unterzieht Facebook einer Kritik, die anders ist als verkürzte Datenschutz-Debatten und konservative Internet-Ablehnung.

So verschieden die Aufsätze sind, welche die Medien- und Kulturwissenschaftler Oliver Leistert und Theo Röhle in ihrem Buch versammelt haben: Sie enthalten  eine Reihe gemeinsamer Grundbeobachtungen. In den Worten der Herausgeber: „Man kann Facebook als eine Maschine betrachten, die ihre Aufmerksamkeit immer weiter in die verschiedensten Bereiche des Lebens ausdehnt, dabei Subjektivitäten zurichtet und ökonomische Prozesse auf algorithmischer Basis ausdifferenziert. Eine Maschine, der sich Menschen aus unterschiedlichsten Gründen freiwillig unterwerfen.“

Was sich zunächst etwas kulturpessimistisch anhört, wird bei der weiteren Lektüre bemerkenswert differenziert. Niemals kippt der kritische Blick in einen populistischen Alarmismus. Im Gegenteil merkt man den Beiträgen an, dass hier Autorinnen über ein Medium schreiben, das sie durchaus auch selbst nutzen – dass sie dabei aber die Bedingungen und Machtverhältnisse, deren Teil das Medium ist, keineswegs verklären.

In diesem Sinn beschreibt etwa Mark Andrejevic, Kulturwissenschaftler an der University of Queensland, wie mit der kommerziellen Aus- und Verwertung von privater Kommunikation eine neue wirtschaftliche Produktionsweise einher geht: In der Vergangenheit sei es darum gegangen, standardisierte Produkte möglichst billig herzustellen und an eine möglichst große Masse zu verkaufen. Das Versprechen der Facebook-Ökonomie sei dagegen, dass sich Konsum in möglichst unterschiedliche Interessen und Vorlieben ausdifferenzieren kann. Gleichwohl müsse man Facebook nicht nur als konsumierbares Medium verstehen, sondern auch als eine Art und Weise, „Menschen zum Arbeiten zu bringen“. Facebook sei auch eine „Plattform zur Ausbeutung des Soziallebens von Arbeitnehmern“. Dabei sei ein Vorgang zu beobachten, welcher der von Karl Marx beschriebenen ursprünglichen Akkumulation gleiche: Grundvoraussetzung des Kapitalismus sei gewesen, dass Grund und Boden sowie andere Produktionsmittel zu Privateigentum werden. Mit Facebook gehe nun die Privatisierung des Soziallebens einher.

Privatisierung des Sozialen

Diesem Prozess widmen sich auch Mark Coté und Jennifer Pybus in ihrem Beitrag über die „Erziehung zur immateriellen Arbeit 2.0“. Sie beschreiben dabei nicht nur, wie Facebook die Userinnen allmählich daran gewöhnt hat, Unternehmen ihre Arbeitskraft umsonst und aus eigenem Antrieb zur Verfügung zu stellen – etwa, wenn sie in ihrer vermeintlichen Freizeit zur Bewerbung von Produkten und zur Bildung von Markenidentitäten beitragen. Im Anschluss an den Postoperaisten Maurizio Lazzarato sowie an Michael Hardt und Antonio Negri schlagen sie vor, Artikulationen in Sozialen Netzwerken als eine beschleunigte und verstärkte Variante dessen zu verstehen, was Lazzarato mit dem Begriff immaterielle Arbeit gefasst hat – also die Erzeugung des kulturellen Inhalts von Waren: „Das ‚2.0’ bezeichnet die ‚freie’ Arbeit, auf die sich Individuen auf einer kulturellen und biopolitischen Ebene einlassen, wenn sie sich auf einer Website wie Facebook anmelden. […] Schließlich stellen wir solche sozialen Netzwerke als biopolitische Netzwerke dar, insofern sie neue Strömungen durch unterschiedliche Zusammensetzungen von Körpern artikulieren – Populationen gewissermaßen, deren Lebensfähigkeiten durch die besonderen Umstände ihrer subjektiv vernetzten Beziehungen erweitert werden.“

Netz-Identitäten

Dass all dies nicht spurlos an den Menschen vorbeigeht, sondern den Kern ihrer Subjektivierungsprozesse berührt, liegt auf der Hand.  Während der Medienwissenschaftler Ralf Adelmann sich in seinem Beitrag dem Konzept von „Freundschaft“ bei Facebook und den dahinter stehenden medialen Politiken sozialer Beziehungen widmet, nähert sich der Philosoph Gerald Raunig einer Analyse der Facebook-Kommunikation aus einer anderen Richtung. Neben dem Wunsch, als Individuum zu erscheinen, gebe es einen gegenläufigen Wunsch, nämlich den der „Selbstzerteilung“. Mit Bezug auf Michel Foucaults Konzept der Pastoralmacht stellt Raunig fest, dass dieser Wunsch kulturgeschichtlich vor allem in der religiösen Praxis der Beichte sichtbar geworden ist. Heute werde das eigentlich unteilbare Individuum in öffentlichen Facebook-Bekenntnissen zum vielfach gespaltenen „Dividuum“ – wobei diese selbstbestimmte Aufspaltung des Selbst in jeweils unterschiedliche Selbstbilder als gesteigerte Form der Selbstverwirklichung empfunden werde.

Hier setzt die Soziologin Carolin Wiedemann ein, indem sie die Aufteilung des Selbst in einzelne Bestandteile als Bemühung um Selbstoptimierung deutet. In diesem Sinn beschreibt sie, wie sich in Facebook unternehmerische Praktiken des „Assessment Centers“, also Techniken der Selbstdarstellung und -verbesserung, ins Private fortsetzen. Wie bereits Gerald Raunig im unmittelbar vorangehenden Beitrag weist sie darauf hin, dass der französische Philosoph Gilles Deleuze bereits vor 20 Jahren die Transformation des Individuums zum „Dividuum“ beschrieben hat – also die Wandlung zu einem Selbst, das nicht nur als Ganzes, sondern in allen seinen Einzelheiten statistisch erfasst werden kann. Für Deleuze stellte dieser Vorgang den Übergang von der Disziplinargesellschaft (die Individuen als Ganzes unterwirft) in die Kontrollgesellschaft dar. Und plötzlich wird klar, was das alles mit Facebook zu tun hat: Schließlich stellt die Kontrolle und statistische Auswertung jeder einzelnen sozialen Interaktion das zentrale Geschäftsmodell des Facebook-Netzwerks dar.

Und trotzdem machen alle mit – und eben nicht vor allem deswegen, weil sie unreflektiert und verführt sind, sondern aus durchaus rationalen Gründen. Zugang zu Informationen, soziale Teilhabe, eine tatsächliche Steigerung von Autonomie und Selbstbestimmung im Rahmen der Subjektivierungsprozesse, all das gehört genauso zu Facebook wie die immer weiter fortschreitende Verschmelzung von Privatheit und ökonomischer Verwertbarkeit. Deswegen liegen die Exit-Strategien, die „Generation Facebook“ aufzeigt, auch nicht in dem Aufruf zum Boykott der Netzwerke. Bereits im Vorwort betonen die Herausgeber Oliver Leistert und Theo Röhle, „dass die Zusammenführung von Online-Kommunikation und Kommerz keinem Automatismus folgt“, sondern vor allem aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse selbstverständlich erscheint. Damit gehe eine „rein technologische Debatte an einigen Hauptaspekten blind vorbei“. Und trotzdem entwickeln Röhle und Leistert einen Kriterienkatalog für ein zukünftiges Soziales Netzwerk, das seine „UserInnen nicht als unbezahlte ProduzentInnen ihrer eigenen individuellen Verwertung behandelt“: Open Source, dezentrale Speicherung, gesicherte Verbindungen, Identitätsfreiheit und die Möglichkeit von Anonymität – das sind nur einige der genannten Punkte. Die im Buch versammelten Analysen machen allerdings auch deutlich, dass sich mit Facebook ein durchaus stabil wirkendes Regime realisiert hat. Denn es wird drei unterschiedlichen Bedürfnissen gleichzeitig in hohem Maße gerecht: Erstens dem Bedürfnis nach gouvernementaler Selbstoptimierung,  zweitens der ökonomischen Verwertbarkeit sowie drittens dem Anspruch von politisch-sozialer Kontrolle. Trotzdem halten sich die Herausgeber mit Prognosen zurück: „Vor zehn Jahren hätte wohl niemand gedacht, dass dies einmal für hunderte Millionen Menschen der mediale Alltag sein wird. Vielleicht kann sich in zehn Jahren auch niemand mehr vorstellen, dass es einmal so gewesen ist.“ Prädikat: Unbedingt lesenswert.

Oliver Leistert, Theo Röhle (Hg.):
Generation Facebook. Über das Leben im Social Net.
2011 Bielefeld: Transcript
288 Seiten, 21,80 €