G8-Gipfel in Heiligendamm

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Zu den (De-)Eskalationen der Proteste. Von Regina Wamper. Erschienen in DISS-Journal 16 (2007)

Die Nachbereitung des G8-Gipfels in Heiligendamm zeigt eines ganz deutlich: Die Eskalation der Proteste nach der Großdemonstration in Rostock wurde von der Polizeiführung massiv forciert. Deeskalationsstrategien der Demonstationsteilnehmerinnen, z.B. von der so genannten „Clowns Army“ wurden in der Öffentlichkeit allerdings kaum gewürdigt. Und auch die Zurücknahme von etlichen Pressemitteilungen der Polizei konnte nicht die mediale Aufmerksamkeit erzielen und die Bilder von gewalttätigen Ausschreitungen korrigieren.

So musste die besondere Aufbauorganisation der Polizeidirektion Rostock KAVALA auf Nachfrage am 6. Juni zugeben, dass die Verletztenzahlen vom 2.6.2007 nicht stimmig waren, von 30 angegebenen schwer verletzten Polizistinnen blieben lediglich zwei stationär Behandelte übrig ((Vgl.: „Nur zwei Beamte stationär behandelt. Polizei hat Opferzahl weit übertrieben“,in: ngo-online. Internet – Zeitung für Deutschland, 6.6.2007.)) Die restlichen 403 verletzten Beamtinnen – mit deren Hilfe der Protest als gewalttätigster der letzten 20 Jahre ausgemacht wurde – wurden hauptsächlich von ihren Kolleginnen verletzt, durch Tränengas, das, beigemischt ins Wasser der Wasserwerfer, wahllos in die Menge geschossen wurde (vgl. dazu TAZ vom 7.6.07, S.3). Zudem streute die KAVALA noch am Tag der Großdemonstration Gerüchte über mit Rasiermesserklingen gespickte Tomaten, über mit Nägeln präparierte Kartoffeln, über Messerattacken und Säureattentate ((Vgl.: Pressemitteilung des anwaltlichen Notdienstes des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV): „Von Deeskalation kann keine Rede sein“ vom 28.06.2007. Einsehbar unter http:// www.rav.de/news//fullnews.php?id=253)). Mancher Polizist und manche Polizistin wusste gar von toten Kolleginnen zu berichten.

Fast alle dieser Meldungen wurden zwar wieder dementiert, die Stimmung an diesem Samstag lebte jedoch von diesen Erzählungen. Die Gefahr, die in der Verbreitung solcher Gerüchte liegt, dürfte hinlänglich bekannt sein; so fand die Großdemonstration am 40. Jahrestages der Erschießung Benno Ohnesorgs statt, der das Gerücht über einen erstochenen Polizisten vorausging.

Die Dementis kamen spät, zu spät für die massenmediale Berichterstattung, die größtenteils ungeprüft gezielte Falschmeldungen der Polizeiführung übernahm und so mithalf, die Proteste zu delegitimieren. Der Fokus wurde gelenkt auf eine fünfstündige Auseinandersetzung zwischen Demonstrantinnen und Polizistinnen in Rostock und er harrte dort aus. Auch die Aufarbeitungen des legal teams, des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) sowie des Komitees für Grundrechte und Demokratie, die die Grund- und Menschenrechtsverletzungen in und um Rostock dokumentierten, werden dieses Bild wohl nicht mehr verrücken ((Die drei Berichte sind einsehbar unter http://dissentnetzwerk.org/fi les/Abschlussbericht. pdf http://www.rav.de/news//fullnews.php?id=253 und http://www.grundrechtekomitee.de/ ub_showarticle.php?articleID=243 (v. 8.10.2007) )).

Mit den Bildern der Ausschreitungen wurde versucht, den verfassungsrechtlich nicht gedeckten Einsatz der Bundeswehr im Inneren, die Aussetzung des Demonstrationsrechtes, die Einführung von Käfigen für Gefangene, kurz die Schaffung vieler rechtsfreier Räume in und um Rostock, vor, während und nach dem Treffen der G8 zu legitimieren. Die Gefährdung des Grundgesetzes und der dort garantierten Freiheitsrechte ging dabei nicht von den Demonstrantinnen aus, sondern von der Polizeiführung und den zuständigen Innenministerien.

In diesen Diskurs der inneren Sicherheit, dessen Inhalte sich seit dem 11.9.01 massiv verschärft haben, reihen sich auch die neusten Forderungen Schäubles nach gezielter Tötung auf Verdacht, nach der Internierung von Terrorismusverdächtigen, nach Onlinedurchsuchungen etc. ein.

Zauberwort Deeskalation

Durchgängig behauptet wurde, die Polizei hätte sich am 2. Juni und an den Tagen danach deutlich in Deeskalation geübt. Dieses Gerücht hält sich trotz widersprechender Berichte, Foto- und Filmdokumenten hartnäckig. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie stellt dem entgegen im vorläufigen Abschlussbericht zu Rostock fest: „Die Polizei ist dem Protest von Beginn aller Planungen an eskalierend und kriminalisierend begegnet. „ Am Samstag stürmten über mehrere Stunden Polizeieinheiten den Platz der Abschlusskundgebung. Über fünf Stunden wurden die Beamtinnen nicht ausgewechselt. Das legal team berichtet in seinem Abschlussbericht von drastischen Verletzungen der Menschenrechte. So wurde beispielsweise ein Festgenommener mit seinem T-Shirt, das ihm über den Kopf gezogen wurde, gewürgt ((4 Vgl.: Abschlussbericht des EA / Legal Team, einsehbar unter http://dissentnetzwerk.org/files/Abschlussbericht.pdf)).

Auch die Tage nach dem Samstag waren von einer Eskalationsstrategie der KAVALA geprägt. Die Demonstration für globale Bewegungsfreiheit und die Rechte von Migrantinnen am Montag wurde gegen den Willen des Einsatzleiters verboten, da 2000 Protestierende mehr als angemeldet an ihr teilnehmen wollten. Eine Farce, will man meinen.

Der RAV sieht in der Gesamtheit der Ereignisse eine beängstigende Willkür, „insbesondere in einem Staat, der für sich in Anspruch nimmt, ein rechtstaatlicher zu sein“ und fordert folgerichtig eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen durch offenes Tragen der Dienstnummer ((Vgl.die Pressemitteilung des anwaltlichen Notdienstes des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV): „Anwaltlicher Notdienst/Legal Team ist erschrocken über das Ausmaß polizeilicher Übergriffe während des G8-Gipfels und fordert die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses“ vom 19.06.2007. Die Pressemitteilung ist nachzulesen unter http:// www.labournet.de/diskussion/wipo/seattle/g8-07/rav1906.pdf)).

Das vorläufige Fazit, das das Komitee für Grundrechte und Demokratie zieht, konstatiert: „Die Polizei betreibt – gemeinsam mit BKA und Verfassungsschutz – zunehmend eine eigene Politik, die beängstigend ist, behält man Grundgesetz, die garantierten Grundrechte und die demokratische Verfasstheit im Auge. Sie schafft mit Fehlinformationen und grundrechtlich nicht legitimierbaren Aktionen und Eingriffen eine Lage, in der sie im selbst geschaffenen Ausnahmezustand gemäß ihrer unüberpüfbaren Kriterien agieren kann.“

Clandestine Insurgent Rebel Clown Army (CIRCA)

Dagegen sind die deeskalierenden Aktionen der Clandestine Insurgent Rebel Clown Army , als Beispiel für die weitgehende Weigerung der Demonstrantinnen, sich auf die Eskalationsstrategie der Polizei einzulassen, öffentlich kaum beachtet bzw. als solche gedeutet worden. Ihre Art des Protestes ist eine der vielfältigen Formen deeskalierenden Eingreifens. Die Clowns erlangten an den Tagen von Rostock als Projektionsfläche der KAVALA eine gewisse Berühmtheit. Ihnen warf man vor, Säure in Wasserspritzpistolen bei sich zu führen. Diese Säure stellte sich später als Seifenblasenflüssigkeit heraus. Sowohl am Samstag als auch während der Blockaden halfen die als Clowns verkleideten Demonstrantinnen Übergriffe durch die Polizei zu verhindern.

„…because only an army can declare absurd war on absurd war“

Den Clowns ging und geht es jedoch nicht nur darum, Situationen zu deeskalieren, das Vorgehen der CIRCA lehnt sich stark an Konzepte der Kommunikationsguerilla an. Die Frage, die bewegt, ist: Wie ist es möglich, eine anscheinend übermächtige Institution oder Person zu irritieren und vielleicht sogar temporär in die Defensive zu zwingen? Hier wird durch diese Irritation gewohnten Bildern eine neue Bedeutung zugewiesen. Die Clowns schaffen es immer wieder, Machtstrukturen sichtbar zu machen und sowohl deren reibungsloses Funktionieren als auch die üblichen Interpretationsmechanismen in Frage zu stellen. Sie geben ihr Auftreten als Imitation der Polizei aus, ahmen Körperhaltung, Mimik und Gestik nach „because nothing undermines authority like holding it up to ridicule“.

Spannend wird es an den Punkten, an denen die Objekte der Kritik die Kritik durch ihr eigenes Handeln bereits selbst hervorbringen. Eine Demonstrationsauflage, dass Clowns mindestens vier Meter Abstand von Polizistinnen halten müssen oder auch eine Festnahme eines renitenten Clowns mit der hilflosen Begründung, durch seine Armeehose bestünde Verwechslungsgefahr mit den Einsatzkräften, bringt die Kritik an der Institution Polizei und dem konkreten Verhalten der Polizistinnen ungewollt bereits selbst hervor.

Solange die Polizei nicht gelernt hat, mit der Protestform Clowns Army umzugehen, wird deren Strategie funktionieren. Wenn die Clandestine Insurgent Rebel Clown Army es einmal nicht mehr vermag zu irritieren, wird eine neue Art des Widerstands erprobt werden müssen. Dass die Aktivistinnen aber kreativ sind, haben sie bereits bewiesen.

Auch im Fall der Clowns übernahm ein Großteil der Presse die Verlautbarungen der Polizei und berichtete von Säureattacken auf Polizistinnen. Diese medial verbreiteten Falschmeldungen der Polizei manifestierten sich – wie etliche andere zu diesem Zeitpunkt bereits dementierte Polizeiangaben – in konkreten Demonstrationsverboten. Sie finden sich in der Begründung für die Allgemeinverfügung zur Einschränkung des Versammlungsrechtes der KAVALA wieder. Mit dieser Gefahrenprognose wurde beispielsweise der Sternmarsch auf Heiligendamm verboten (Vgl.: „Gravierende Fehler und Mängel. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte am Dienstag ûgravierende Fehler und unzumutbare Mängelú im Rahmen des G-8-Gipfels in Heiligendamm“ in Junge Welt, 26.9.2007, S. 8). Von den Grundrechten auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit waren auch das Gebiet um den Flughafen Rostock-Laage für die Zeit der Proteste gegen den Gipfel ausgenommen. So spielte auch die Presse eine nicht unwichtige Rolle bei der Einschränkung demokratischer Grundrechte.