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Krieg ohne Ende?

Von Alfred Schobert. Erschienen in DISS-Journal 11 (2003) (= Gemeinsames Sonderheft des
DISS-Journals und der kultuRRevolution zum Irak-Krieg). ((Der folgende Text stellt das Editorial des Sonderheftes dar, das Alfred Schobert für die Redaktion formuliert hat. Der Redaktion des Sonderheftes gehörten an: Iris Bünger-Tonks, Margarete Jäger, Siegfried Jäger, Jürgen Link, Alfred Schobert, Hans Uske. Es erschien im Sommer 2003.))

»Liebe Freunde, gestern haben wir Geschichte gemacht, ganz egal, was als nächstes geschehen wird. Gestern war der Erste Tag der ›Globalisierung von den Graswurzeln aufwärts‹, eine planetarische Friedensdemonstration, die erste in der Weltgeschichte. Was die Chemiekatastrophe von Bhopal, die Wasserstoffbombe und die Exxon-Öl-Verseuchung möglich machte, macht auch eine weltweite Gemeinschaft möglich. Es ist an uns zu wählen, auf welcher Seite wir stehen.« So kommentierte Rabbi Arthur Waskow, Direktor des Shalom Centers (Philadelphia), die Demonstrationen vom 15. Februar 2003. Ihnen folgten unzählige kleinere und größere Demonstrationen, dazu mehr oder minder symbolische Blockaden von Militärstandorten oder – in Italien sehr effektiv – von Nachschubtransporten. Wie schon beim zweiten Golfkrieg des älteren Bush waren es vor allem die Schülerinnen und Schüler, die ihrem Entsetzen und ihrer spontanen Erkenntnis der Eskalationsgefahr in großen Demonstrationen Ausdruck verliehen. Den Hamburger Schülerinnen und Schülern wurde bei einer großen Demonstration per Wasserwerfer von der Polizei eines Schill-Senates dabei eine besondere Lektion in Staatsbürgerkunde erteilt – ein Hinweis (ein Wink mit dem Polizeiknüppel) auf den Eigenwert des zivilgesellschaftlichen Aufbegehrens, insbesondere nach dem 11.9.2001 und den ihm folgenden notständischen Tendenzen der Innenpolitik.

Wenn seither auch andere in der üblichen Art »Geschichte gemacht « haben, der lange schon beschlossene Krieg gegen den Irak nicht verhindert werden konnte, lohnt es dennoch, das weltweite Aufbegehren gegen diesen Krieg nicht einfach unter ›misslungen‹ abzubuchen. Vielmehr geht es darum, das kulturrevolutionäre Potential der ›Generation 2001ff.‹, die sich in Reaktion auf den andauernden Terrorkrieg und stärker noch den Irakkrieg herausbildete, soweit irgend möglich auf Dauer zu stellen. Kulturrevolutionär war und ist dieses Potential insofern, als hier – im Austausch mit den überwintert habenden älteren Aktiven-Netzen – ein neues interdiskursives Netz und, damit einhergehend, neue nichthegemoniale Subjektivitäten und As-Sociationen entstanden sind: eine spontane ›warme‹ Massendynamik gegen den »Kältestrom« (Bloch) des dominanten Trends. In der Planung eines globalen Aktionstages und dem Sonnenaufgang um den Erdball folgenden weltweiten Demonstrationen zeigten sich nicht zuletzt auch die kulturrevolutionären Potentiale des Internet, seinem militärischen Ursprung zum Trotz; ohne das Netz wäre auch das oben zitierte Statement Waskows, auf dem Umweg über die israelische Mailing-Liste New Profile, gar nicht so schnell zu uns gelangt.

Die vorliegende gemeinsame Sondernummer von DISS-Journal und kultuRRevolution mit dem Vorschlag der Intelligenten Deeskalationstrategie verstehen wir als Angebot an die Friedensbewegung, zur Diskussion in (vorübergehend) ruhigeren Zeiten.  Mancher wird einwenden, die sei »nach dem Krieg« doch wohl zu spät. Doch von »nach dem Krieg« zu sprechen, geht fehl. Selbst in seiner Triumph-Inszenierung auf dem Flugzeugträger sprach der Fundamentalist in der Fliegerjacke vom Ende der Hauptkampfhandlungen. Zudem ist die Liste der – wie es einige Zeit hieß – »Schurkenstaaten« auf der »Achse des Bösen« ja nicht abgearbeitet. Zunächst wurden Drohungen gegen Syrien laut, dann schoss man sich (verbal) auf den Iran ein. Nicht zu vergessen Nordkorea. Und der Terrorkrieg („Terror-Therapie“ nannte ihn in einer schönen Fehlleistung DIE ZEIT) dauert an, ohne dem Terror ein Ende setzen zu können, sondern – im Gegenteil – Anstöße zur Reproduktion terroristischer Subjektivitäten liefernd, wie sich bei den Anschlägen in Saudi-Arabien und in Marokko gezeigt hat.

Man muss nur die Kurzmeldungen der Tagespresse aneinander legen, um den andauernden Krieg zu erkennen, der synchron zu unserer (daher eben gespaltenen) Normalität läuft. Am Tag des Redaktionsschlusses liest sich das wie folgt: »(dpa) Deutschland wird von morgen an erneut den internationalen Marineverband anführen, der im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes das Seegebiet am Horn von Afrika überwacht.« »(dpa) Bei einer Minenexplosion in der Nähe der afghanischen Hauptstadt Kabul ist gestern ein deutscher Soldat der ISAF-Schutztruppe ums Leben gekommen. Ein zweiter wurde verletzt« (Aachener Nachrichten 30.5.2003, S. 3). Im Radio hört man zusätzlich, dass in der letzten Mai-Woche neun US-amerikanische Soldaten im Irak getötet wurden; Kommentatoren sahen darin ein Anzeichen für den Beginn einer irakischen Intifada, eine wahrlich vielversprechende zeitgeschichtliche Analogie.

Im Zentrum unseres Heftes steht die nur (leicht aktualisierte) Initiative Intelligente Deeskalationsstrategie. Der ergänzende Text über die »viereinhalb strategischen Konzepte angesichts des dritten Ölkriegs 2003« macht einmal mehr deutlich, dass nur eine grundsätzliche Absage an Eskalationsstrategien aus der endlosen Fortführung exterministischer Hightech-Kriege hinausführt. Der Trend in Europa und auch »Alteuropa« geht allerdings genau in die andere Richtung: Ob man nun, wie Klaus Naumann Ende Mai beim Aachener Europa-Forum der Bertelsmann-Stiftung empfahl, als »Juniorpartner der USA« da »komplementäre Kräfte« aufbaut und in die NATO einbringt, wo die USA schwach seien (Naumann nannte US-Defizite bei der Luftraum-Überwachung in Afghanistan), oder, wie Valéry Giscard d’Estaing in Aachen bei der Karlspreis- Verleihung pauschal vorgab, eine eigenständige europäische »Verteidigung« aufbaut, läuft dies auf Interventionskriege wie gehabt oder auf noch zusätzliche, europäische Interventionskriege hinaus. Ein Ende des Krieges ist so nicht in Sicht.

Ergänzt wird dieser Schwerpunkt mit Beiträgen zum Krieg im deutschen Mediendiskurs. Hier geht es um die Medien im Vor- Krieg, einen Vergleich mit dem Jugoslawienkrieg, die diffuse Positionierung des deutschen Leid/t-Mediums »Bild« sowie das business as usual im Wirtschaftsteil der FAZ. Gegen nationale Borniertheit und die Beschränkung auf die bundesdeutschen Perspektiven stehen die Länderberichte über Italien, Spanien, Japan, deren Regierungen den Krieg unterstützten, und – wenngleich gekürzt doch sehr ausführlich – Frankreich. Letzterer ist auch als Teil einer Hintergrundanalyse zur exakt zu Redaktionsschluss im UN-Sicherheitsrat beschlossenen Kongo-Intervention unter Führung Frankreichs zu verstehen (die Intelligente Deeskalationserklärung enthält auch Vorschläge für Krisen vom Typ Kongo). Auch die Analyse von George W. Bushs Fundamentalismus ist – mit den gebotenen Einschränkungen – als Länderbericht zu verstehen, denn seine politische Religion ist keineswegs Privatsache.

Zudem dokumentieren wir einen Beitrag von Giorgio Agamben in der FAZ, der hier aus Sicht der Normalismus-Theorie präzisierend kommentiert wird. Mit dem Beitrag über Flucht und Krieg, der im Zusammenhang mit Agambens Thesen zu lesen ist, praktizieren wir einmal mehr das, was im Mini-Resistenz-Baukasten zum 10. Geburtstag der kRR als »Zwillingsbildung« empfohlen wurde, worunter eine thematische und praktische Kombination zweier Themen zu verstehen ist. Zwillingsbildung empfiehlt sich auch bei einem anderen Thema: In Teilen der deutschen Linken sorgte es für einige Konfusion, dass die Hitler- und Strasserjungen gegen diesen Krieg demonstrierten. Auch hier zeigt sich die krasse Dummheit des Sicheinlassens auf die binäre Reduktion. Wenn, als willkommene Ergänzung zum Wunschfeindbild Saddam, die Nazis gegen diesen Krieg sind, muss dieser längst nicht zu einer guten Sache werden. Die dazu passenden Warnungen vor Antiamerikanismus und Antisemitismus erreichten während dieses Krieges allerdings nicht das gleiche Niveau wie während des zweiten Golfkrieges. In diesem Heft, das eine Sonder- und keine Meganummer ist, verzichten wir auf Beiträge dazu, zumal die Frage kürzlich erst wieder in der kultuRRevolution behandelt wurde und fortlaufend in den »Archiv-Notizen« des DISS bearbeitet wird.

Die kRR wird sich auch künftig der je aktuellen Lage im Terrorkrieg analytisch annähern, und auch für das DISS ist diese gemeinsame Ausgabe von DISS-Journal und kRR nicht das letzte Wort in der Sache.

Wir freuen uns über (auch kritische) Resonanz. In der kRR heißt die betreffende Rubrik »Rückkoppelungen«. Das kann auch Krach bedeuten, den wir uns, obwohl DISSonanzen nicht grundsätzlich abgeneigt, nicht pauschal, wohl aber in einem spezifischen Sinne wünschen: Rückkoppelungseffekte waren ein Teil der Technik, mit der Jimi Hendrix im Protest gegen den Vietnamkrieg die Nationalhymne akustisch in Trümmer legte. Wenn es denn sein muss, möge man also in Rückkoppelungen kulturrevolutionär Krach schlagen. (Bei der Gelegenheit müsste auch nach den kultur-revolutionären Hervorbringungen in der aktuellen Massendynamik gefragt werden.) Denn frei nach Walter Benjamin wäre kultuRRevolution die Notbremse, wenn der Ausnahmezustand zunehmend zur Regel wird: um vielleicht dem laufenden Krieg ohne Ende doch noch ein Ende zu setzen.