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Empire. Die neue Weltordnung

Eine Rezension von Jonas Grauel. Erschienen in DISS-Journal 10 (2002).

Es gibt nur wenige Theoriewerke, die in den letzten Jahren ein so immenses Interesse hervorgerufen haben, wie “Empire” von Antonio Negri und Michael Hardt. Die Autoren verfolgen mit der universal angelegten Studie zwei Ziele: Einerseits die kritische Analyse der aktuellen Weltordnung, die als Machtnetzwerk beschrieben und “Empire” genannt wird. Andererseits sollen Widerstandsmöglichkeiten gegen das Empire ausgelotet werden – dies macht das Buch für die Linke so interessant, da es den neueren sozialen Bewegungen von Seattle bis Genua einen theoretischen Hintergrund liefert und neue Perspektiven bietet.

Dabei nehmen Negri und Hardt eine Position ein, die auf den ersten Blick verwundern mag: Die neue, durch und durch kapitalistische Weltordnung wird nicht verteufelt, sondern geradezu gefeiert, da sich in ihr völlig neue Möglichkeiten für Widerstand böten. Warum also dieser Optimismus?

Erstens: Das Empire kenne – im Gegensatz zu früheren Imperien, die hier ausdrücklich nicht als Analogie dienen – kein Außen mehr. Sein Netzwerk umfasse den gesamten Globus, die Nationalstaaten fassen die Autoren als im Verschwinden begriffen auf. Die Macht des Empire stütze sich auf hegemoniale Elemente finanzieller, kommunikativer, kultureller und militärischer Art (wie etwa den Dollar als Weltwährung oder Englisch als Weltsprache), welche seine Einheitlichkeit garantierten. Einem globalen Widerstand stehe somit kein Nationalstaat mehr als Zwischeninstanz im Weg, und die zur Machterhaltung vom Empire geforderte Vernetzung eröffne ihm neue Kommunikations- und Organisationsmöglichkeiten.

Zweitens: Das Empire sei auf die Produktivität einer ihm entgegengesetzten Multitude angewiesen. Als Multitude bezeichnen Negri und Hardt eine Art erweitertes, globales Proletariat, das all diejenigen (also vom Müllmann bis zum Top-Manager!) umfasse, die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen ausgesetzt sind und die in ihrer Arbeit, die vornehmlich immateriell geworden sei, soziale Netzwerke, Kommunikation und Bio- Macht produzieren.

Bio-Macht, die Autoren entleihen den Begriff von Foucault, sei der Machttyp, mit dem das Empire regiere. Foucault meinte damit eine positive Macht, die sich auf die Verwaltung des Lebens richtet, zum einen durch Disziplinierung der Körper, zum anderen durch regulierende Kontrolle über die Bevölkerung. Diese Macht sei in die Subjekte verlagert und in demokratischen Netzwerken organisiert; sie sei keine Macht von oben herab und liege deshalb eigentlich schon in der Hand der Multitude.

Hier liegt der Knackpunkt der Theorie: Die neue Spielart des Kapitalismus verlange nach der Bio-Macht, doch sie gebe gerade dadurch den unregelmäßig im Machtnetz verstreuten Widerstandspunkten die Möglichkeit, sich zu organisieren. Die Multitude sei auf das Empire, das ja selbst keinerlei Komponenten der sozialen Netzwerke produziere, nicht angewiesen und brauche sich nur von diesem zu emanzipieren; darin bestehe die Perspektive der Herausbildung eines “spontanen, elementaren Kommunismus”.

Aus dieser Analyse leiten Negri und Hardt im letzten Kapitel einige politische Forderungen ab, die alle einem positivistischen Argumentationsmuster folgen: Das Empire fordere von der Multitude Mobilität und sei auf deren Wanderungen angewiesen (ein Beispiel wären Immigrantengemeinden in den Global Cities, die wichtige Funktionen für die städtische Ökonomie ausüben), gestehe ihr aber keine völlige Bewegungsfreiheit zu und kriminalisiere Migranten. Da aber für Negri und Hardt alle Aktivitäten der Multitude produktiv sind, müsse das Empire ihr ein Recht auf “global citizenship” zugestehen.

In ähnlichem Stil fordern sie ein Recht auf einen gesellschaftlichen Mindestlohn und freien Zugang zu Informations-, Wissens- und Kommunikationsnetzwerken. Am Ende bleiben viele Fragen offen: Die Autoren führen weder aus, wie denn ein postmoderner Kommunismus, der nach der Überwindung des Empire entstehe, aussehen könnte, noch machen sie konkrete Vorschläge, wie die geforderten Rechte denn umzusetzen seien.

Manche Thesen scheinen überzogen und empirisch nicht ausreichend abgesichert. Dennoch ist die öffentliche Aufmerksamkeit berechtigt, denn als historische Tendenzanalyse sowie als visionäres Manifest ist “Empire” ein wichtiges Werk: Es zeigt in Foucaultscher Manier, wie immer mehr Lebensbereiche von einem Machtdispositiv vereinnahmt werden, dem man sich an keinem Ort der Welt mehr völlig entziehen kann. Inwiefern Widerstand dagegen möglich ist und in der Realität erfolgt, wird sich jedoch erst noch zeigen müssen.

Michael Hardt, Antonio Negri
Empire
Die neue Weltordnung
2002 Frankfurt/M.: Campus
ISBN 3-593369-94-X
461 Seiten, 34.90 €