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Judge Schill

Anmerkungen zur autoritären Restauration des Nordens. Von Volker Weiß. Erschienen in DISS-Journal 9 (2001)


Glaubte man den lautesten Stimmen im Wahlkampf, herrschen in Hamburg Verhältnisse wie in Dodge City vor der Amtszeit Wyatt Earps. Junkies, Dealer, Straßenräuber und Autonome tummeln sich in den Straßen, drangsalieren die Bürger und Sicherheitskräfte. Die Stadt liegt am Boden, Behörden und Regierung, ein fieses Kartell aus Parteibuchsöldnern der Sozialdemokratie, bleiben untätig und liefern die Bevölkerung dem blanken Terror aus. Zeit für den einsamen Reiter, den Sheriff aus der Kiste.

Dodge City

Glaubt man den gleichen Stimmen, soll das jetzt alles anders werden. In Zukunft wird lichtscheues Gesindel am Kragen in das Rathaus des Stadtstaates gezerrt, dort sitzt dann der Richter Schill und macht kurzen Prozeß. Bald ist die Stadt wieder sauber, die Ladies wieder sicher und vielleicht kommt auch noch die Eisenbahn und bringt die Zivilisation…

So, oder ähnlich, müssen die Phantasien aussehen, die der ‚Schill-Partei‘ fast zwanzig Prozent der Stimmen bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen vom 23. September bescherten. Das Motiv des Richters, der endlich richtig aufräumt, war bisher im Western-Genre beheimatet. Doch mittlerweile weht auch durch die norddeutsche Tiefebene der Wind der Prärie.

Hamburg erlebte diesen Sommer einen Ein-Themen Wahlkampf und in dessen Folge die Ablösung der sozialdemokratischen Stadtregierung, nach vierundvierzig Jahren ununterbrochener Herrschaft.

Der Stadt ging es gut, die Rezession hatte die Hansestadt einigermaßen verschont und wenig ließ darauf schließen, daß man eine Regierung mit grüner Beteiligung habe. Liberale  Praxis, etwa im drogenpolitischen Bereich, war stets von repressiven Maßnahmen flankiert, soziale und ausländerpolitische Fragen oder die Abschiebepraxis unterschieden sich nicht vom Bundesdurchschnitt. Allein, der Ton der hanseatischen Sozialdemokratie blieb zu unaufgeregt.

In diese Bresche schlug ein stets leicht zugekokst wirkender Ronald Barnabas Schill bei seinen zahlreichen öffentlichen Auftritten. Theatralisch variierte er den einen Satz immer von neuem: In Hamburg sei die Gefahr, ausgeraubt zu werden, zehnmal größer als in München. Und nur dieser eine Satz gewann die Wahl; Er ist Programm, begrüßt die Leser auf der Homepage der Partei und wurde von Schill selbst nach seinem Sieg noch manisch repetiert. Wirtschaft, Verkehr, Bildung oder Familie, Themen die im Wahlkampf üblicherweise diskutiert werden, blieben außen vor. Es ging nur um ‚law and order‘. Mit vielversprechenden Prognosen für die neue Partei ließen auch Koalitionsangebote nicht lange auf sich warten, die CDU signalisierte bald Nähe, ebenso die FDP unter Konteradmiral a.D. Lange.

Der ‘Spiegel‘ zitierte Schill mit den Worten, ein Triumph werde nicht zu verhindern sein, „Wenn kurz vor der Wahl noch irgendeine brutale Gewalttat passiert“.

Die Tat geschah. Zwar nicht in Hamburg, doch haben die diffusen Ängste der Bürgerinnen und Bürger in den einstürzenden Türmen des World-Trade-Centers ihre Projektionsfläche gefunden. Als sich noch herausstellte, daß drei arabische Studenten der TU Harburg zu den mutmaßlichen Attentätern gehörten, war der Lokalbezug schließlich da. Nach kurzem Einbruch im Schatten des Schocks stiegen in den Tagen vor der Wahl die Werte der Schill-Partei in den Umfragen weiter auf über 15%.

Der ‚Bürgerblock‘, wie sich die Kombination aus CDU, FDP und Schill-Partei selbst nennt, konnte das Wahlvolk mit seinen Horrorvisionen von Gesetzlosigkeit erfolgreich auf sich und einen Regierungswechsel einschwören. Die FDP überwand knapp die 5% und Schill blieb mit schließlich 19,4% keine 7% hinter der CDU.

Der Wechsel war möglich geworden.

Der Weg des Richters

Begonnen hatte dieser politische Aufstieg im Juli 2000 damit, daß Schill seine Medienpräsens zur Gründung einer Partei nutzte. Durch exzentrisches Auftreten und harte, weltanschaulich unterfütterte Urteile war der Amtsrichter ins Gerede erst seiner Kollegen und schließlich der Öffentlichkeit geraten. Von Anfang an war die Partei auf seine Person und einen Gedanken fixiert: Dem Verbrechen müsse sich ein starker Staat entgegenstellen, die bisherige Rechtspraxis sei zu tolerant.

Die ‚Partei Rechtsstaatliche Offensive‘ die als ‚Schill-Partei‘ auf den Wahlzetteln geführt wurde, ist ideologisch nicht einfach einzuordnen. Jenseits von ‚law-and-order‘, etwa in wirtschaftlichen Fragen, dürfte sie eine Melange aus CDU und FDP darstellen. Einige Deserteure aus CDU und SPD, gewährleisten eine gewisse Arbeitsfähigkeit der Partei. In ihren Statuten dominieren keinerlei nationalistische oder völkische Elemente, Schill selbst verneint sogar, zum rechten Spektrum zu gehören oder eine „Alternative“ für dessen Wählerschaft darzustellen. Tatsächlich wurden allerdings die ca. 10 Prozent rechtsradikaler Hamburger Wählerstimmen von seiner Partei aufgesogen. Die in einigen Bezirken recht präsente DVU verschwand völlig. Zuwachs erhielt er auch von der CDU, die wegen weiterer Stimmenverluste als eigentliche Verliererin der Wahl gilt. Und auch vom Stammklientel der SPD, den sogenannten ‚kleinen Leuten‘ wurden starke Wanderungen ins richterliche Lager ausgemacht.

Betrachtet man die Interviews, die das norddeutsche Fernsehen in den Hochburgen der Schill-Partei an den Rändern Hamburgs führte, bekam man den Eindruck: Die hohe Kriminalitätsangst scheint sich an sich selbst zu orientieren. Den Personen, die in Wilhelmsburg stolz in die Kamera verkündet verkündeten, Schill gewählt zu haben, möchte man selbst nicht wirklich bei Dunkelheit begegnen. Doch läßt sich der Wahlerfolg der Rechtspartei nicht alleine als Aufstand des Fleischs der Vorstädte lesen. Daß die ‚Zeit‘ wenige Wochen vor der Wahl Schill ein ganzes Dossier widmete und mit ihm fotogen durch den „Problemstadtteil“ St.Georg spazierte, machte ihn auch für die Leserschaft der liberalen Wochenzeitung hoffähig. Gerade im bürgerlichen Spektrum dürfte die Hemmschwelle, den „Herrn Amtsrichter“ zu wählen, wesentlich niedriger sein, als die unmöglichen Personen, mit denen beispielsweise die DVU in der Regel aufwartet. So wird auch der Vorschlag Schills, Alexander von Stahl als Hamburger Justizsenator einzusetzen, in bürgerlichen Kreisen keine Bedenken hervorrufen. Obwohl gerade diese Wahl eine ideologische Affinität zur Rechten verdeutlicht: Von Stahl, der nach der wilden Schießerei 1993 in Bad Kleinen als Generalbundesanwalt zurückgetreten war, gehört zum nationalliberalen Flügel der FDP. Als Gast der rechtskonservativen Berliner Dienstagsgespräche hatte er versucht, die FDP am Vorbild der österreichischen FPÖ zu orientieren.

Gemeinsames Merkmal Schills Gefolges aller sozialer Schichten ist der autoritäre Reflex. In ihrer durch Verbrecher und Terroristen geprägten  Vorstellungswelt sind sich Wähler und Politiker der Schill-Partei recht ähnlich. Wahrscheinlich ist ihre Partei die einzige, in deren Präambel selbst eine so unbedeutende politische Kraft wie die Autonomen Erwähnung finden: „Der Schutz der Gemeinschaft vor kriminellen und/oder subversiven sowie autonomen Kräften ist der Partei Rechtsstaatlicher Offensive ein besonderes Anliegen.“ Zum Feindbild gehören auch alle, die irgendwie mit ‚1968‘ in Verbindung gebracht werden. „Dem schleichenden Werteverlust“, heißt es in den Parteigrundsätzen, sei „entschieden entgegenzuwirken.“, überhaupt bestimmt das restaurative Motiv die Parteirhetorik. Die „Maßnahmen zur Wiederherstellung der Inneren Sicherheit“, einem der wenigen programmatischen Papiere zur Wahl, erweckt den Eindruck, Hamburg sei in den letzten dreißig Jahren von einer Horde umherschweifender Haschrebellen regiert worden, die jetzt mit der Exekutivmacht zurückzuschlagen sei: „Die Polizei ist Hauptfeindbild der in ihrem Marsch durch die Institutionen in Politik und Justiz inzwischen angelangten 60er. Die Polizei ist Inbegriff des von dieser Generation gehassten ‚Obrigkeitsstaates‘.“

Dazu rufen Verknüpfung der Themen ‚Ausländer‘ und Kriminalität rassistische Ressentiments ab, parolenhaften Imperative („Schluß mit…, Abschiebung von…“) suggerieren einfache Problemlösungen. Dieser „Jetzt reicht’s!“-Stil, seine Klagen über den „SPD-Filz“ und die Verklausulierte Bezugnahme auf Ausländer als Problemfaktoren dürften Schill den Ruf eines „Haiders des Nordens“ eingebracht haben.

Die Taten

Von den plakativen Parolen des Wahlkampfes ist man in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP schnell abgerückt. Die versprochene Einstellung von 1700 neuen Polizisten wurde mit 400 auf ein finanziell realistisches Maß korrigiert, die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre betrifft Bundesrecht und war nie machbar, das autonome Zentrum ‚Rote Flora‘ ist aus rechtlichen Gründen derzeit nicht räumbar. Erwartet werden vor allem ein anderer innenpolitischer Ton und kosmetische Maßnahmen.

Änderungen jenseits der Erscheinungsebene wird es allerdings auch geben, Ende 2003 gehen drei Viertel der Hamburger Polizeiführung in Pension. Die Neubesetzungen fallen ausgerechnet in die Amtszeit der Schill-CDU-Koalition. So wird nicht nur der Polizeipräsident Woydt, vor seiner Amtszeit Chef ausgerechnet der TU Harburg, ausgetauscht, sondern mit strategischen Beförderungen Hamburgs Polizeiapparat auf Jahrzehnte politisch umstrukturiert werden. Dazu ist es erklärtes Ziel Schills, gerade im Bereich der Jugendstrafjustiz die Liberalisierungen seit den Siebzigern rückgängig zu machen. Zurück zu geschlossenen Heimen, abschreckender Vollzug soll die „Verständnispädagogik“ der Hamburger Jugendrichter ablösen. Folgerichtig ist damit auch „die Verhinderung der Schließung der völlig funktionsfähigen Anstalt Neuengamme“. Der rot-grüne Senat hatte der jahrzehntealten Forderung nach Schließung der Anstalt gerade zugestimmt. Sie befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme und wäre einer Erweiterung der KZ-Gedenkstätte zugute gekommen.

Zur Bildungspolitik kam von der Schill-Partei nur der Vorschlag, jede Schule mit einem Kontaktpolizisten zu versehen. Den Rest der Politik handelten CDU und FDP aus. Aber allzusehr möchte sich der Richter ohnehin nicht auf Hamburg festlegen. Glaubt man den lautesten Stimmen, so möchte er mit seiner Partei in die Bundespolitik.