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„Ungleiche Sachverhalte dürfen ungleich behandelt werden!“

(Grundsatz des öffentlichen Rechts). Ein assoziativer Kommentar von Sigrid Töpfer. ((Sigrid Töpfer, 46, ist Rechtsanwältin in Hamburg, seit 20 Jahren vornehmlich im Ausländer- und Asylrecht sowie Strafrecht tätig.)) Erschienen in DISS-Journal 8 (2001).

Wer das aktuelle “herrschende“ Rechtsbewusstsein erfassen will, dem ist ein Blick in die gültige Verfassung hilfreich: Unter den Menschen- und Bürgerrechten werden dort Rechte aufgeführt, die für alle Menschen gelten, neben solchen, die nur für Deutsche gelten. Die Wahrung der Menschenwürde, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichheitssatz, Glaubens- und Gewissensfreiheit , Meinungsfreiheit Schutz von Ehe und Familie, Eigentum – diese Rechte gelten für alle. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Freizügigkeit, Berufsfreiheit, diese Rechte gelten dagegen nicht für Nicht-Deutsche.

Beim Ausländergesetz 1965 und seiner Neuformulierung 1990 handelt es sich strukturell, sprachlich und materiellrechtlich im Wesentlichen um die Fortschreibung der Ausländerpolizeiverordnung von 1935. Von vornherein haben nicht-deutsche Menschen weniger Rechte als deutsche Bürger. Für sie gibt es Sonderzuständigkeiten, deren Rechte sich nach Verwertbarkeit richten.

Das Jahr 1982 brachte unter der ersten Kohlregierung (Stichwort: geistig-moralische Wende) die seit der Verfassungsgebung im Grundgesetz ersten Sondergesetze für Flüchtlinge. Erstmals wurde im Gesetzeswerk zwischen Arbeitsmigranten und Flüchtlingen unterschieden. Konkret ging es um Rechtswegverkürzung, drastische Verkürzung der Fristen für die dann verbleibende eine Instanz, Lagerunterbringung, Naturalleistungen, Residenzpflicht im Kreis des Lagers bei Strafandrohung = Aufhebung der Freizügigkeit, Eingriffsmöglichkeiten für Identifizierung, Durchsuchung der persönlichen Habe, Abnahme von persönlichen Geldern zur Sicherung einer Abschiebung, die möglicherweise Jahre später stattfinden könnte.

Für das Verständnis dessen, was heute offiziell gedacht und gerechtfertigt wird – und zwar in einem überwiegenden Mehrheitsspektrum von Bevölkerung, bis weit hinein in Kreise von SPD, Gewerkschaften, Grüne, Kirchen, in Gesetzgebung und Justiz, erklärt dieser Blick auf die “Rechts “grundlagen bereits einiges.

Nach 1982 gab es zahlreiche Veränderungen, Verschlechterungen und weiter einschränkende Ergänzungen dieser Sondergesetze, insbesondere im Sozialbereich: Besonders bekannt das Asylbewerberleistungsgesetz, durch das die Versorgung des Flüchtlings auf das reine physische Überleben reduziert wird, die in aller Regel weitgehend bargeldlos sichergestellt werden soll.

So entschied bereits 1985 das Verwaltungsgericht Hamburg im Falle eines Afrikaners, der seine Zähne verloren hatte und deshalb ärztlich attestiert nur Suppe und keine festen Speisen mehr zu sich nehmen konnte: eine Sanierung seines Gebisses werde vom Staat nicht bezahlt, da er ja bereits in Afrika seine Zähne verloren habe. Solange sein Bleiberecht nicht entschieden sei, trete der Staat hier für die Kosten nicht ein. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden auch keine Operationen bezahlt, die darauf aus sind, den Patienten zu heilen. Solange der Aufenthalt nicht geklärt ist, gilt dies auch bei eingetretener gesundheitlicher Verschlechterung des Patienten. Nur dann wenn irreparable schwere Schäden und extremer Schmerz entstünden, wird hiervon eine Ausnahme gemacht. In der Praxis bedeutet dies, daß solche Operationen mit Ärzten und Energie durchgesetzt werden müssen und nie von sich aus gewährt werden. Ich habe in einigen Fällen die Erfahrung machen müssen, daß oft genug das Gericht gegen die Sozialämter bemüht werden muß, auch wenn es sich z.B. um glaubhafte Folterschäden handelt.

Die mehrfache Kürzung der Sozialhilfe für Flüchtlinge wurde u.a. damit begründet , daß sie eh kein deutsch könnten und daher der Betrag für kulturelle Betätigung wegfallen könne. Folgende Ungleichbehandlungen begegnen mir in meiner beruflichen Praxis häufig und verweisen auf einen solchen Praxen innewohnenden institutionellen Rassismus:

Das neue Ausländergesetz von 1990 stellt eine Novellierung dar, in der das Ermessen der Behörde (anders als sonst im öffentlichen Recht) praktisch abgeschafft wurde und nur noch eng umrissene Ausnahmefälle für den Zuzug nach Deutschland zugelassen werden. Außerdem schränkt es für alle Ausländer – also nicht nur für Flüchtlinge – die politische Betätigungsfreiheit ein und schafft z.B. bei Verunglimpfungstatbeständen gegen Staatsorgane oder Verfassungsgefährdung auch ohne Strafverfahren selbst bei langjährigem Aufenthalt die Möglichkeit der Ausweisung und Abschiebung! Die Ausweisungstatbestände sind drastisch verschärft.

Wie gering die Sensibilisierung innerhalb der Justiz für derlei Diskriminierungen ist, bekam ein in Norddeutschland tätiger deutscher Anwalt kurdischer Herkunft zu spüren. Er benutzte in einem Strafverfahren im Plädoyer den Begriff “Institutionellen Rassismus“, um die Art und Weise zu charakterisieren, wie Polizei und zuständige Justiz ermittelt hatten. Er musste sich daraufhin einem Verfahren vor dem anwaltlichen Standesgericht stellen. Dieses endete mit einer Warnung in einem formellen Urteil. Folgender Sachverhalt hatte den Mann dazu gebracht, von „Institutionellem Rassismus“ zu sprechen:

Ein Afrikaner ertrank im Hafen während eines Polizeieinsatzes. Ein deutsch- afrikanischer Sozialarbeiter nahm sich dieser Sache an und machte sie öffentlich. Im Zuge wochenlanger Pressearbeit, in der Pastoren, politische Gruppen und eine Abgeordnete sich zu diesem Fall sehr kritisch zu Wort meldeten und der Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung und des Rassismus in der Polizei laut erhoben wurde, wurde der unbestrafte deutschafrikanische Sozialarbeiter und Student wegen übler Nachrede angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt: Bei seiner Strafverteidigung, nachdem die Staatsschutzabteilung (sic!!) der Staatsanwaltschaft eine Strafe über dem Vorstrafenmaß beantragt hatte, fielen die Worte des Anwalts.

Zum Vergleich: Ich habe innerhalb der letzten 20 Jahren diesen Begriff mehr als einmal in Plädoyers und öffentlichen Veranstaltungen unter Behördenbeteiligung verwendet und deshalb noch keine einzige Anfrage bei der Anwaltskammer geerntet. Stattdessen habe ich es ständig mit folgenden Vorkommnissen zu tun:

Dabei ist zu berücksichtigen, daß mit Abschiebung – nicht nur von Kranken – immer der Tod dieser Personen in Kauf genommen wird. Doch der Verwaltungspraxis ist dies kein Hindernis mehr. Zu fragen ist: Womit wird eine solche Nichtversorgung, Verhöhnung, Körper-Verletzung, Todeshinnahme gerechtfertigt? Die Antwort lautet: mit angeblichen Gemeinwohlinteressen, mit Finanzinteressen, mit dem Hinweis auf das „anders sein“ dieser Menschen, mit Vorrang des Deutschen. Diesen gesamten Komplex nenne ich Institutionellen Rassismus.

In vielen Gesetzen und höchstrichterlichen Entscheidungen werden existenzielle Lebenssachverhalte in nicht verständlichen Abstrakta geregelt. Dabei geht es um Krankheit, Todesgefahr, Verfolgungsängste oder den Wunsch, mit der Familie zusammenzuleben. Viele Formalia (etwa Fristversäumung, Anwaltsverschulden etc.) werden dazu benutzt, um Menschenrechte zurückzuweisen. Die Begründungen erscheinen glaubhaft, ihre Herleitungen zulässig. Hier besteht ein wichtiger Zusammenhang zwischen gesellschaftlich normierten Rechtfertigungskategorien und der Methodik der Justiz.

Zu fragen ist doch, was muß in der Gesellschaft mobilisiert werden, damit solche Zustände, bei denen in letzter Konsequenz Tötungen in Kauf genommen werden, durchgesetzt werden können?

Für eine solche Bereitschaft ist ein affektueller Denkprozeß der Mehrheitsbevölkerung erforderlich. Es muß eine Bedrohungssituation der Gesellschaft beschworen werden, in der eine Tötungsbereitschaft aktualisiert wird. Trifft dies auf die BRD seit 1982 zu, in der Ausländerfeindlichkeit oder Ausgrenzung von Menschen mittlerweile zum Alltag gehört?

Für mich zeigt sich, daß die Kategorien des Fremden, des Anderen, des Ungleichen nicht nur postfaschistisch von Belang, sondern höchst aktuell sind.

 Weiterführende Literatur zum Thema

Peter Walter: Institutioneller Rassismus? Tendenzen der europäischen Flüchtlings und Asylpolitik, in: Umbrüche Nr. 3 Mai / Juni 1992

Etienne Balibar: “Es gibt keinen Staat in Europa“, Rassismus und Politik im heutigen Europa, in: Rassismus und Migration in Europa, ARGUMENT-Sonderband, Göttingen 1992

Schriftenreihe BRD und 3 . Welt , Magazin – Verlag , Schefflerstrasse 6 , Kiel , Heft 3 1990/91 , erschienen Feb. 1991 : “Der institutionalisierte Rassismus – Selektionsmechanismen für Flüchtlinge und EmigrantInnen“