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Aus der Chronik einer angekündigten Züchtigung

CDU-Spendenaffaire. Von Clemens Knobloch, erschienen in DISS-Journal 6 (2000)

Im Herbst 1999 veröffentlicht der Mann seine Memoiren, dem die deutsche Schriftsprache das Kürzel „wg.“ verdankt und die Vor-Kohl-Ära den Umstand, daß auch damals die Parteikassen immer gut gefüllt blieben. Der „Waffenhändler Schreiber“ war verhaftet und die ersten Knallfrösche begannen bereits zu knattern. Leisler-Kiep, von dem man schon lange nichts gehört hatte, tauchte wieder in den Schlagzeilen auf. Da konnte man in einer prominenten Talkshow den ehemaligen Flick-Manager von Brauchitsch im Kreise von Politikern erleben. Der brauchte womöglich für den Verkauf seiner Memoiren („Der Preis des Schweigens“ – so heißen sie wirklich) eine Kulisse, vor der es auch recht zur Geltung kommen konnte, daß er damals seinen Kopf hingehalten und die Gesamtverantwortung für die letzte Bestechungsaffäre geschultert hatte. Zur „Pflege der politischen Landschaft“ hatte der penible Geldmann ein Tagebuch geführt, in welchem er die Beträge verzeichnete und mit der Notiz „wg. XYZ“ versah. Außer Brauchitsch war kaum jemand rechtskräftig verurteilt worden, und in den Augen der Öffentlichkeit blieb die „Flickaffäre“ mit seinem Namen verbunden. Jetzt war einfach mal einer aus der Politik dran. Wer Brauchitsch in dieser Runde beobachtete, der konnte einiges lernen. Schon vom Habitus war kein Zweifel darüber möglich, wer hier der Herr und wer die Diener waren. Sie, die CDU, habe doch schließlich die Gesetze gemacht, die es der Wirtschaft unmöglich machten, den Parteien ohne Rechtsverstoß Geld zukommen zu lassen, hieß es da. Kein Zweifel, da wurde eine Züchtigung vorbereitet, und das wußten auch die beteiligten Herren von der CDU. Der Angstschweiß stand ihnen auf der Stirn. Wulf war damals noch der fleckenlose Saubermann, der Aufklärer, aber geschwitzt hat er trotzdem schon. Er wußte wohl, warum.

Brauchitsch ist ein loyaler Mann. Er hat seinen Sprengsatz erst gezündet, als offenkundig war, daß Schröders Sozialdemokraten den Job für die Wirtschaft besser und billiger machen würden als die Mannen des schwarzen Riesen. Worunter der Mittelsmann zwischen Kapital und Politik offenbar gelitten hat (ausweislich seiner Erinnerungen), das ist, daß Kohl und die Seinen ihn nicht mehr kennen wollten, nachdem er für sie die Kastanien der „Parteispendenaffäre“ aus dem Feuer geholt hatte. Brauchitsch spricht von seiner „Ausgrenzung“ durch Helmut Kohl (S. 256). Nachdem Flick ihn 1982 wg. Meinungsverschiedenheiten entlassen hatte, rechnete er mit Kompensationsaufträgen der Regierung Kohl, die jedoch auch nach der Wende 1990 weitgehend ausbieben („Kohl versprach, über eine geeignete Verwendung für mich nachzudenken“, S. 254). Mag sein, daß der Populist Kohl den Geruch der Flickaffäre fürchtete. Und wenn Brauchitsch den fülligen Staatsmann lächerlich machen möchte, dann kolportiert er, der habe bei seinem ersten Besuch im Hause des Managers die Bilder an der Wand umgehängt (taktloser Gesellschaftstrampel) und habe auch schon einmal gefragt, wie viele Wählerstimmen die Wirtschaft denn eigentlich repräsentiere (Insubordination). Die Parteispenden der Wirtschaft codiert Brauchitsch als „Schutzgelder“, und die Parteien als „Schutzgeldbefohlene“ (S.106). Geschickt nutzt er den Umstand, daß seit den Tagen der Flickaffaire das Ansehen der Wirtschaft gewachsen, das der Politik hingegen mächtig gesunken ist. Was damals ein Kapitalskandal war, ist heute selbstverständlich ein Politikskandal. Der Schlüsselsatz steht auf S. 230. Er lautet: „Ich habe deshalb ein wenig nachhelfen und einige Leute daran erinnern müssen, daß ich für sie die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte.“ Das hat er dann auch getan.

Da es keine kompakten politischen Akteure mehr gibt, die die Macht des Kapitals auch nur begrenzen möchten – selbst die PDS will in erster Linie mit an die Fleischtöpfe und das Image der „Wirtschaftsfeindlichkeit“ verlieren – signalisiert Brauchitsch, daß es Zeit ist, die Politik an die kurze Leine zu nehmen. Auf der Vorderbühne heißt das freilich, die eigenen Möglichkeiten herunterzuspielen und die Politik für gesamtverantwortlich zu erklären. Einer der schönsten Sätze in B.s Memoiren lautet: „Daß sich etwa die CDU in manchen Punkten weiter von den Ideen der sozialen Marktwirtschaft entfernt hat als die SPD, hätte die gewerbliche Wirtschaft, solange sie noch an der Meinungsbildung mitwirken konnte, niemals zugelassen.“ So viel Hybris und so viel Bescheidenheit in einem einzigen Satz! Unmißverständlich auch die bedeutungsvolle Nachricht an die SPD: Schröder hat dafür zu sorgen, daß sich Verhältnisse wie die unter Kohl, der den leistungs- und wirtschaftsfeindlichen Einflüsterungen seiner „Herz-Jesu-Marxisten“ Blüm und Geißler erlegen ist, nicht wiederholen. Heute (am 27.4.2000) lese ich in der „Süddeutschen“, die SPD-Spitze (Schröder, Clement, Scharping) plädiere in der Programmdiskussion unisono für einen „neuen Gerechtigkeitsbegriff“. Gerechtigkeit sei „kein Lazarettwagen für Schwache“. Die Position Lafontaines sei dagegen programmatisch nicht mehr vertreten. Wir haben verstanden. Die SPD will offenbar als nächstes die Sozialämter an die Börse bringen.

Auf den ersten Blick höchst überraschend, im Lichte der eingetretenen Verhältnisse aber ganz folgerichtig war der empörte, respektlose und schrill-moralische Ton, den das Wirtschaftsblatt FAZ vom ersten Tag an gegen die CDU anstimmte, hatte die FAZ doch ansonsten dem schwarzen Riesen durch Dick und Dünn die Treue gehalten. Moralische Entrüstung kostet nichts, sie ist der nachwachsende Rohstoff der Mediendemokratie. Natürlich wußte man, daß die „Wirtschaft“ nichts zu verlieren hatte: Niemand hat 1999 überhaupt noch gefragt, ob es legitim ist, wenn die „Wirtschaft“ mit gezielten Spenden den „Gang der Dinge“ behutsam zu lenken versucht. Das ist offenbar als selbstverständliche Standortpflege akzeptiert. Wer sich darüber einen Kopf machen wollte, den würde man belächeln. Insofern paßt der Legitimitätsverlust der Staatspartei, der in Zeiten der Massendemokratie auch ein Machtverlust ist, ins neoliberale Kalkül: einen noch schwächeren Staat kann man lenken, auch ohne ständig in die Portokasse zu greifen.

„Ich warte auf ein Zeichen von Dir und verbleibe mit allen guten Wünschen Dein Eberhard.“ So schließt Brauchitsch einen Brief an Kohl am 6.3.1983. Das Zeichen ist ausgebieben. Also hat Brauchitsch selbst eines gesetzt. Diesen Mann konnte auch Helmut Kohl nicht aussitzen.

Literatur: Brauchitsch, Eberhard von: Der Preis des Schweigens. Erfahrungen eines Unternehmers. Berlin 1999 (Ullstein, Propyläen).