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Der Euro und die DVU

Von Helmut Kellershohn, erschienen in DISS-Journal 2 (1998)

Das Brüsseler Treffen der EU-Regierungschefs am ersten Maiwochenende brachte zwar nicht den erhofften symbolischen Glanz für Helmut Kohl, dennoch war das Zentralorgan des bundesdeutschen Kapitals, die FAZ, leidlich zufrieden. Ihr Kommentator Peter Hort schrieb mit dem Blick für das Wesentliche: „Schon im Maastrichter Vertrag gelang es Kohl und Waigel, das künftige Geld und die Notenbank nach deutschem Vorbild zu prägen. Alle weiteren Vorbereitungen ließen stärker als erwartet die deutsche Handschrift erkennen: Die Bank wurde in Frankfurt angesiedelt, die neue Währung `Euro‘ statt `Ecu‘ getauft, Waigel hat gegen den Widerstand vor allem Frankreichs den Stabilitäts- und Wachstumspakt durchgesetzt. Damit haben die Deutschen den Franzosen die Kontrolle über das Entstehen der neuen Währung mehr und mehr aus der Hand genommen.“

„Wir“ Deutsche dürfen also zufrieden sein, oder? Leider ist die Stimmungslage, folgt man der FAZ, nicht so, wie sie der Sachlage nach eigentlich sein sollte. Der Euro sei nicht das, „was das Herz des Volkes höher schlagen ließe“, meint Johann Georg Reißmüller mit vornehmem Understatement. Man ist erstaunt. Da hat die konservativ-liberale Regierung sich jahrelang um eine Renationalisierung der Politik bemüht, um den Leuten klarzumachen, daß nur ein starkes Deutschland in einem starken Europa mit einem starken Euro den Schicksalskampf um die globalen Märkte gewinnen kann – und immer noch gibt es zu viele Hanseln, die der `guten‘ alten DM nachtrauern! Liegt hier etwa ein ernstzunehmendes Vermittlungs- und Durchsetzungsproblem `unserer‘ nationalen Eliten vor? Ist das „nationale Interesse“, diese heilige Kuh des staatsoffiziellen Nationalismus, in den falschen Händen?

Szenenwechsel: Wir befinden uns im „Tollhaus“ (Rheinische Post) der Republik, in Sachsen-Anhalt, die Landtagswahlen sind gelaufen. Ergebnis: leichte Gewinne für die SPD, ein Debakel für die CDU, die PDS stagnierend, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP nicht im Landtag – dann der „Schockª (FAZ)! Die „Phantompartei“ DVU hat an die 13% der Stimmen für sich verbuchen können. Etwa 200.000 WählerInnen haben ihre eigenen Vorstellungen vom „nationalen Interesse“.

Der Nationalismus von unten läßt sich an den Parolen erkennen, mit denen die DVU ihren Erfolg errungen hat: Gegen den Euro propagiert sie „Deutsches Geld für deutsche Arbeitsplätze“, gegen die neoliberale Modernisierungspolitik „Laß Dich nicht zur Sau machen“ und gegen ein Ensemble undeutscher und nichtdeutscher Volksfeinde, gegen „Kriminelle, Asylbetrüger, EU-Bonzen, korrupte Politiker, Diätenfresser, Ausländische Banditen“, holt sie mit dem rassistischen und populistischen Holzhammer aus. Das ist keineswegs originell. Nicht nur die DVU, sondern der gesamte neofaschistische Rechtsextremismus, nicht zuletzt die wiedererstarkte NPD, artikulieren schon seit Jahren einen völkischen Antikapitalismus in der Tradition der NSDAP, ohne damit bislang auf derart günstige Akzeptanzbedingungen wie in Sachsen-Anhalt getroffen zu sein.

Ansatzpunkt dieser Artikulation sind die Widersprüche des staatsoffiziellen Nationalismus. Eingebunden in die staatlichen und demokratischen Institutionen unterliegt er, auch wenn er, wie in der Asylfrage oder beim Thema Innere Sicherheit, mit völkischen Intentionen daherkommt, gewissen Beschränkungen: Aus Gründen der Staatsräson nach innen wie außen kann er bestimmte, wenn auch flexible Grenzen nicht überschreiten. Unter den gegebenen Bedingungen der neoliberalen Globalisierungsstrategie kommt es nun in größeren Bevölkerungsgruppen zu einer immer stärker werdenden Diskrepanz zwischen der im Namen des nationalen Interesses eingeforderten Loyalität und Opferbereitschaft auf der einen Seite und dem materiellen und symbolischen Nutzen, den sich die Leute von ihrer Loyalität versprechen, auf der anderen Seite. Daraus entwickelt sich, wie Voscherau es im Hamburger Wahlkampf ausgedrückt hat, eine „brachiale Stimmung“, die von rechts her im Sinne eines völkischen Antikapitalismus mit einer gehörigen Portion Rassismus aufgegriffen werden kann. Politiker und Kapitalisten werden auf ihre nationale Zuverlässigkeit überprüft, das „Volk“ wird im Namen der Nation gegen Staat und Multis („die da oben“) in Stellung gebracht, die soziale Frage mit nationalistischen Argumenten gekoppelt („Sozialpatriotismus“).

Der völkische Antikapitalismus richtet sich freilich nicht generell gegen den real existierenden Kapitalismus, die Betonung liegt vielmehr auf der völkische Idee einer Kapital und Arbeit umspannenden Volksgemeinschaft, in der alle undeutschen und nichtdeutschen „Elemente“ eliminiert sind und eine hierarchisch gegliederte Herrschaftsordnung an die Stelle demokratischer Verhältnisse getreten ist. Das mag zur Zeit auf wenig Gegenliebe beim Großteil der Bevölkerung bzw. der nationalen Eliten stoßen. Darin zumindest liegt nicht die Gefährlichkeit dessen, was sich zur Zeit in Sachsen-Anhalt und demnächst möglicherweise auch in anderen Regionen abspielt. Die primäre Gefahr liegt vielmehr in den Wechselwirkungen zwischen dem staatsoffiziellen Nationalismus und dem Nationalismus von unten: Die Reaktionen von Stoiber & Co auf das Wahlergebnis haben gezeigt, daß sich die arrivierten deutschnationalen Kräfte nicht übertrumpfen lassen wollen in der Bereitschaft, die rassistische Karte zu ziehen. Um das neoliberale Projekt des Euro als Anliegen der Nation zur Geltung zu bringen, sind sie bereit, beim Thema Ausländer & Innere Sicherheit populäre Stimmungen sowohl aufzugreifen als auch anzuheizen. Damit organisieren sie einen „Nebenkriegsschauplatz“, um soziale Energien gegen einen europaweit liberalisierten Kapitalismus zu spalten, sie z.T. zumindest auf das Feld des Nationalen zu verschieben und dort zu binden – und das, ohne die antikapitalistische Rhetorik der Neofaschisten zu benutzen.